Das Altpapier am 19. September 2018 Die Supermärkte sind schuld

Mathias Döpfner macht den nächsten Karriereschritt – leider wieder in die falsche Richtung. Jetzt hofft er, dass sein kleines Familienunternehmen bald Weltmarktführer sein wird. Für Schlecky Silberstein ist der Albtraum noch nicht vorbei. Und es gibt eine neue Erklärung dafür, dass der Printniedergang immer dramatischer wird. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Es ist auch wirklich wie verhext. In einem Interview mit Peter Turi hatte Mathias Döpfner sich Anfang des Monats daran erinnert, was er früher einmal werden wollte – nämlich Förster, Autor oder Popstar. Jetzt hat Döpfner, wie am Dienstagnachmittag überall zu lesen war, unter anderem bei Meedia, seit dieser Woche neben seinem eigentlichen Job als Springer-Chef noch einen weiteren Posten. Aber es hat schon wieder nicht geklappt mit den alten Träumen. Leider nur Verwaltungsrat bei Netflix.

Nachdem man sich das Interview angeschaut hat, hätte man auch auf die Idee kommen können, dass Döpfner in dem Streaming-Dienst eher einen Konkurrenten sieht. "Fernsehen wird auf ganz selbstverständliche Weise verschmelzen. Jede Medienmarke wird Video-Inhalte beeinhalten", sagt er in einer Passage. Andererseits ist der Gedanke vielleicht doch etwas abwegig, dass Menschen, die sich sonntagsnachmittags, um der Wirklichkeit zu entfliehen, mit der Fernbedienung auf die Suche nach einer apokalyptischen Serie begeben, sich schließlich dann doch entscheiden, stundenlang apokalyptische Realnachrichten auf irgendeinem Springersender zu bingewatchen.

Netflix-Chef Reed Hastings begründet Döpfners Engagement mit seiner "Vorreiterrolle sowohl in der europäischen Geschäftswelt als auch in den digitalen Medien eröffnet uns wertvolle Perspektiven und wichtige Einblicke für den Ausbau und die kontinuierliche Verbesserung unseres weltweiten Angebots."

Döpfner selbst sagt: "Netflix ist einzigartig. Das Unternehmen hat einen weltweit führenden Entertainment-Dienst aufgebaut, der kontinuierlich neue Wege beschreitet, wovon Macher und Konsumenten gleichermaßen profitieren."

Das klingt beides nach dem üblichen Business-Geschwurbel. Aber zusammen mit einem Zitat aus dem oben schon erwähnten Interview wird deutlich, wo Döpfners Interesse liegt.

"Wir sind jetzt der führende europäische Digitalverlag. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren weltweit eine absolute Führungsrolle einnehmen, möglichst der erfolgreichste digitale Verlag weltweit sind."

An dieser Stelle muss man vielleicht noch erwähnen: Wenn es der Sache dient, beschreibt Döpfner sein Unternehmen natürlich auch gern ganz anders. Wir erinnern uns etwa an die Diskussion um das Leistungsschutzrecht. Das wäre dann die folgende Darstellung, die in diesem Interview ebenfalls Erwähnung findet, nämlich als Peter Turi nach Springers Verwundbarkeit fragt.

"Wir sind verwundbar, weil wenn Sie uns im internationalen Maßstab mit Unternehmen in den USA und China vergleichen, wir nicht ein mittelständisches Unternehmen sind, sondern eine kleine Familienunternehmung, die überhaupt nicht die Skalierung und die kritische Größe hat, um irgendwo im internationalen Wettbewerb durch, wenn Sie so wollen, akquisitorisches Powerplay irgendwo mitzuspielen."

Und da fragt man sich dann natürlich schon: Was will der Chef einer kleinen Familienunternehmung im Verwaltungsrat von Netflix?

Angst in alle Richtungen

Kommen wir nun zu einem Thema, das schon gestern im Altpapier viel Raum eingenommen hat. Kurze Rückblende: Der Satiriker Schlecky Silberstein hat in Berlin-Lichtenberg für das öffentlich-rechtliche Format Bohemian Browser Ballett ein Video gedreht. AfD-Sympathisanten haben den Dreh gefilmt, nicht erkannt oder nicht erkennen wollen, dass es sich um Satire handelt. Mit empörten Kommentaren von AfD-Politikern hat das Video in den entsprechenden Filterblasen die Runde gemacht. Schließlich stand sogar der AfD-Abgeordnete Frank Hansel vor Silbersteins Tür, filmte das Klingelschild und gab Adressdaten preis. Am Ende kam sogar eine Morddrohung (nicht von Hansel).

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt schreibt heute Morgen in seinem täglichen Newsletter, er habe Hansel

"per Twitter gefragt, ob das sein Verständnis von 'Mitte der Gesellschaft' ist, denn er hält die AfD erklärtermaßen für 'die Partei des politischen Realismus aus der Mitte der Gesellschaft'. Hansels Antwort: der Hinweis, dass er 'vier Jahre in der Silbersteinstraße' gewohnt hat - und kurz darauf kommentarlos ein Link zum Wikipedia-Eintrag über die 'Silberstein-Affäre' in Österreich, die nichts damit zu tun. Motto: So sind sie eben, die Juden. Ein bemerkenswerter antisemitischer Affekt aus der 'Mitte der Gesellschaft', hier präsentiert vom Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD."

Das ist eine weitere hässliche Facette der ganzen Geschichte. Schlecky Silberstein hat dazu gestern dazu auch noch einige Interviews gegeben, etwa Spiegel Online. Dort geht es auch um den treibenden Mechanismus:

"(…) die Programmatik rechter Parteien baut auf Angst auf, und Angst ist das Lieblingsgefühl des Internets. Dort wird sich immer das durchsetzen, was besonders viel Angst schürt."

Wie hier gestern schon sehr schön deutlich wurde, lässt sich das alles auf mehreren Ebenen betrachten, dazu wirkt die Angst in verschiedene Richtungen – auf der einen Seite aktiviert sie den Hass, der dazu beiträgt, dass die Botschaft sich rasend schnell multipliziert, auf der anderen Seite senken die dann folgenden Bedrohungen die Bereitschaft der Adressaten, ihre Meinung weiterhin offen zu äußern.

Hinzu kommen ganz praktische Erwägungen, die Schlecky Silberstein in einem weiteren Interview mit DWDL beschreibt.

"(…) es gibt mittlerweile noch einen anderen Faktor, nämlich den Druck, den die AfD sehr geschickt aufbaut. Jeder, der einen Beitrag über oder gegen die AfD macht, muss damit rechnen, danach sehr, sehr viel Aufwand zu haben. Ich glaube, dass viele in eine unfreiwillige Selbstzensur fallen, weil sie genau diesen Aufwand scheuen."

Silberstein spricht noch einen weiteren Prozess an, der im Verborgenen vor sich geht:

"Was wir nicht wissen, ist beispielsweise, was in diesen sehr großen, geschlossenen WhatsApp-Gruppen diskutiert wird und welche Adressen oder Bilder von uns da möglicherweise im Umlauf sind."

Unter anderem über das, was in diesen Gruppen passiert, hat Meike Laaf für die taz mit der österreichischen Extremismusforscherin Julia Ebner gesprochen, die während ihrer Recherchen Einblick in diese Chaträume hatte. Julia Ebner sagt etwa:

"Wir haben in den vergangenen Monaten immer stärker wahrgenommen, dass sich ein komplett isoliertes alternatives Informations- und Medienökosystem ausgebildet hat."

Klingt zunächst nicht so überraschend. Aber interessant ist die verhältnismäßig geringe Größe dieser Kanäle, denen es gelingt, Debatten zu steuern.

"Reconquista Germanica (ein rechtes Netzwerk, das aber laut Julia Ebner seit einigen Wochen nicht mehr aufzufinden ist, Anm. Altpapier) hatte zu einem Zeitpunkt im Frühling 2018 10.000 Nutzer. Die meisten rechten Gruppen auf Discord und Telegram bewegen sich zwischen 500 und 2.000."

Das bestätigt einen schon lange bestehenden Eindruck, für den Julia Ebner auch eine Erklärung hätte: 

"(…) bei polarisierenden Themen wie Migration, Terrorismus, Vergewaltigung oder Kriminalität sehen wir in den Social-Media-Diskursen eine sehr starke, überproportional repräsentierte rechte Szenebewegung. Wenn sie das will, kann sie die Richtung, in die der Diskurs läuft, lenken. Ganz eindeutig ist das der Fall, wenn es zu koordinierten Kampagnen kommt. Mittlerweile funktioniert das aber auch ohne Koordination. Einfach, weil die entsprechenden Accounts oft sehr viel aktiver sind als der durchschnittliche Nutzer."

Und das könnte nun ein Argument dafür sein, dass die ganze Twitterei gegen den rechtsextremen Irrsinn vielleicht doch nicht so unnütz sein könnte, wie unter anderem Schlecky Silberstein selbst nahelegte, als er twitterte: "Uns fehlen nur noch 1000 Tweets zum Thema, dann hört die Fremdenfeindlichkeit in Chemnitz auf."

Aber ganz sicher bin ich mir da auch nicht. 

Zeitschriften immer schwerer zu finden

Noch einmal zu etwas anderem: zur sich stetig beschleunigenden Talfahrt der Printmedien und einer neuen Erkärung (ich kannte sie jedenfalls noch nicht), die für mein Empfinden ziemlich abenteuerlich klingt, auch wenn sie vielleicht stimmen mag.

"Erstmals seit Jahrzehnten sei der Vertriebsumsatz im 1. Halbjahr 2018 um 7,2 Prozent eingebrochen, der Absatz journalistischer Produkte sank sogar um mehr als 10 Prozent",

schreibt Gregory Lipinski für Meedia. Und nun zur Erklärung. Ich vermute, sie stammt von Burda-Vorstand Philipp Welte. Aber ganz eindeutig ist das hier nicht.

"Verantwortlich hierfür sei das veränderte Konsumverhalten sowie die Marktbedingungen im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel (LEH). So sei die Zahl der kleineren Supermärkte in den vergangenen zehn Jahren von 14.000 auf 6400 zurückgegangen. (…) Das Dilemma für die Vertriebe: Mit der zunehmenden Größe der Supermärkte sinke die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass ein Konsument an einem Zeitschriftenregal vorbeikommt."

Nur so ein Gedanke: Müssten denn dann nicht auch die Umsätze von Glühbirnenherstellern, Brauereien und Wurstfabriken dramatisch eingebrochen sein? Deren Produkte findet man in großen Supermärkten ja auch immer schlechter. Anders gesagt: Man müsste vielleicht mal überprüfen, ob es sich hier tatsächlich um eine Kausilität handelt – oder wieder mal nur um eine Korrelation.

Falls das letztlich egal ist, hätte ich noch zwei weitere mögliche Erklärungsansätze:

  • Der unerträgliche Sommer hat den Print-Niedergang dramatisch beschleunigt, weil es zum Lesen einfach zu heiß war.
  • Je länger Angela Merkel im Amt ist, desto schlechter geht es der Print-Branche.

Das nur als Anregung. Und gleich weiter zu einer anderen Analyse, die mir etwas fragwürdig erscheint. Paul-Josef Raue hat für Kress mit Ulrich Wickert über Journalismus gesprochen. Vor dem Lesen hatte ich mich darauf gefreut. Aber leider verfällt Wickert schon gleich zu Beginn in die bei Rentnern weit verbreitete Früher-war-alles-besser-Haltung, die er dann leider auch noch schlecht begründet. Wickert nimmt einzelne Beiträge, die ihm nicht gefallen haben, als Beleg dafür, dass – etwas überspitzt – der gesamte Journalismus in Deutschland sich nur noch mit Nebensächlichkeiten beschäftigt.

"Da lamentiert einer darüber, dass bei einem großen Ereignis sein Handy geklaut worden ist oder sein Koffer nach einem Flug aus New York zwei Tage später kam. Wen interessiert das? Ich will etwas über das Land erfahren, was Substanz hat, was mir erklärt, warum die Menschen so und nicht anders denken und handeln."

Um sich von diesem Eindruck zu befreien, könnte man Wickert zum Beispiel empfehlen, sich eine beliebige Tageszeitung mit aktuellem Datum zu kaufen – oder ein Nachrichtenmagazin. Vielleicht genügt auch schon ein Blick auf eine Nachrichtenseite im Internet. Was ihn offenbar im Grunde stört, ist nämlich anscheinend nicht ein reduziertes Angebot, sondern ein viel größeres als früher, das auch um Inhalte und Formate erweitert ist, mit denen er selbst nichts anfangen kann – was in der Konsequenz eine Notwendigkeit mit sich bringt, die der Kulturwissenschaftler Michael Seemann als "Filtersouveränität" bezeichnet. Anders gesagt: Vielleicht liest Ulrich Wickert einfach die falschen Titel.


Altpapierkorb (Kritik an RTL, Falscher Polizei-Tweet, Kai Diekmanns Penis, Moshammer-Film, Versetzung von Flensburg in die Provinz)

+++ Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) kritisiert RTL, weil sie eine Person in einem Bericht über einen vermeintlich Pädophilen nicht ausreichend kenntlich gemacht hatte, berichtet unter anderem Meedia. RTL weist die Kritik von sich. Dort ist man weiter davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben – woran es allerdings erhebliche Zweifel gibt, wie Boris Rosenzkranz hier für Übermedien erklärt.

+++ Die FAZ will neuen Lesern in Zukunft preislich etwas entgegenkommen, und das ist wahrscheinlich keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass ein Digitalabo zur Zeit 46,90 Euro kostet, ein Printabo sogar 71,90 Euro. FAZ-Geschäftsführer Thomas Lindner hat nun eine Online-Flatrate angekündigt, wie Horizont berichtet.

+++ Der öffentlich-rechtliche dänische Rundfunk streicht 400 Stellen und stellt sechs Sender ein, berichtet Turi2.

+++ Patrick Gensing illustriert für den Tagesschau-Faktenfinder anhand der Geschichte eines Tweets, warum man auch Informationen von öffentlichen Quellen, zum Beispiel der Polizei, nicht blind vertrauen sollte – und das "auch" steht da, weil Content-Rampen wie Focus-Online Polizeimeldungen weiter ungeprüft veröffentlichen, was ich bei Übermedien schon mal erklärt hatte. Der aktuelle Fall: Die Polizei hatte via Twitter ein Foto eines mit Beton und Schutt gefüllten Eimers veröffentlicht und geschrieben, der Eimer sei über eine Drahtkonstruktion in die Höhe gezogen worden und gewarnt, es bestehe "Lebensgefahr für alle". Unter anderem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und "Bild"-Chef Julian Reichelt hatten den Tweet verbreitet. Aber dann war es doch alles etwas anders.

+++ Wenn es stimmt, was das Umfrageinstitut Civey herausgefunden hat, besteht im Falle von Google, Facebook und Amazon nicht die Gefahr, dass man ihnen in Deutschland zu sehr vertrauen könnte. Etwa 80 Prozent der Deutschen haben praktisch gar kein Vertrauen in die Konzerne, ungefähr genauso viele sind der Meinung, sie sollten stärker reguliert werden. Und ebenfalls 80 Prozent verschicken wahrscheinlich alle privaten Daten grundsätzlich über den Facebook-Messenger. Aber danach wurde in der Umfrage leider nicht gefragt.

+++ Und noch eine Petitesse zum bevorstehenden taz-Umzug, der zuletzt gestern im Altpapier Thema war. Es geht das Wandfries von Peter Lenkum, das Kai Diekmann mit überdimensioniertem Penis zeigt. Es wird auch nach dem Umzug der taz weiterhin an der Rudi-Dutschke-Straße zu sehen sein, wie Horizont berichtet. Das war’s schon.

+++ Deniz Yücel hat in Potsdam den Medienpreises "M100 Media Award" erhalten. Mit Blick auf den anstehenden Erdogan-Besuch hat der dabei noch einmal betont, dass er es nicht begrüße, wenn der türkische Staatspräsident in Deutschland mit militärischen Ehren empfangen werde – aber natürlich hat er das so nicht ausgedrückt. Er sagte, es sei keine gute Idee, wenn der Bundespräsident "demnächst einen Verbrecher zum Staatsempfang" begrüße, wie hier im Tagesspiegel nachzulesen ist. Nach Darstellung von n-tv ist er in seiner Rede noch etwas deutlicher geworden – und hat der Bundesregierung "Verrat" vorgeworfen.

+++ Michael Hanfeld ist begeistert vom Film über den Modemacher Rudolph Moshammer, der heute Abend um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen ist. "Eine verfilmte Biographie ist das nicht, sondern eine menschenfreundliche Hommage, eine von Melancholie geprägte Satire, die an Helmut Dietls 'Kir Royal' erinnert. Sie nimmt eine Szene, ein Jahrzehnt, einen Jahrmarkt der Eitelkeiten aufs Korn, nicht aber die Charaktere", schreibt er auf der FAZ-Medienseite (für 45 Cent bei Blendle). Nikolaus Fenstenberg urteilt im Tagesspiegel: "Das intrigante, emporkömmlerische und verlogene München liegt in besten schauspielerischen Händen."

+++ Das Flensburger Tageblatt hat drei Redakteure versetzt, berichtet Meedia. Warum, ist nicht ganz klar. Der DJV gibt als möglichen Auslöser eine unliebsame Berichterstattung über ein Flensburger Unternehmen an. Der Verlag spricht laut DJV in einer Hausmitteilung von einem "anstehendem Generationswechsel". Auch, wenn das möglicherweise stimmen sollte: Es gab sicherlich schon mal Erklärungen, die plausibler klangen.

+++ Und zum Abschluss noch einmal zur taz. Überhaupt nicht begeistert ist Michalis Pantelouris vom "taz Futurzwei – Magazin für Zukunft und Politik", über das er in seiner Übermedien-Magazin-Kolumne schreibt. Irgendwo mittendrin steht der Satz: "Ich ärgere mich, weil ich eine Grundsympathie für die 'taz' habe, aber nicht mehr weiß, warum."

Offenlegung: Ich schreibe gelegentlich für Übermedien.

Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.