Das Altpapier am 24. August 2018 Conni wird Journalistin #wasfehlt
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Nicht nur in Sachsen mangelt es an Wissen, was das mit dem Journalismus überhaupt soll. Männer müssen es aushalten können, wenn Dunja Hayali beim "Aktuellen Sportstudio" den nächsten Spielbericht anmoderiert. Klaus Brinkbäumer brüllte nicht genug. Eine für alle: die neue ARD-Mediathek. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Bitte einmal aufatmen alle miteinander. Die Pressefreiheit ist sicher!
"Aber ich will mich da ausdrücklich zur Pressefreiheit bekennen. Jeder, der an einer Demonstration teilnimmt, muss wissen, dass er Objekt dieser Pressefreiheit ist."
Das sagte Angela Merkel laut tagesschau.de gestern über Dresden in Tiflis – Letzteres Station einer Dienstreise, Ersteres in diesem Fall Synonym für den Auftritt des LKA-Mitarbeiters der Woche, der zu einer dreiviertelstündigen Festsetzung und damit Arbeitsbehinderung eines ZDF-Teams führte. Aber das wissen Sie längst (Altpapiere am Mo, Di, Mi, Do).
Dass deutsche Bundeskanzlerinnen solche demokratischen Selbstverständlichkeiten für erwähnenswert halten, liegt an der dramatischen Lage in Sachsen, einem Vorort von Turkmenistan – Constanze von Bullion heute auf der Meinungsseite der SZ:
"Pressefreiheit? Eher verzichtbar. Journalisten? Querulanten. Polizei? Muss zusammenhalten. (…) Im ganzen Land gedeiht der Fremdenhass. Es gibt Racial Profiling, anlasslose Kontrolle von Menschen dunkler Haut. Anderswo werden Polizisten angegriffen, auch von Zuwanderern. Wer nicht will, dass die Sicherheitskräfte sich von dem Staat abwenden, den sie schützen sollen, muss ihre demokratische Unterweisung verbessern. Innere Führung heißt das. Sie war nie nötiger als heute."
Moooment! Meint Reinhard Müller in seinem Leitartikel für die heutige FAZ.
"Wer Sachsen zu einem Polizeistaat erklärt, in dem die Pressefreiheit nichts zählt, der weiß nicht, wovon er spricht, arbeitet aber genau darauf hin."
Womit wir festhalten können, dass diese vermeintlich auf Einheitsbrei gepolte Systempresse noch ganz schön vielfältig agiert, und uns den journalistischen Aspekten des Kerfuffles zuwenden können.
Dazu gehört der schlechte Eindruck, den sächsische Polizisten und der ihnen vorbehaltlos beispringende CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer Journalisten machen lassen.
"Kretschmer selbst erklärte, er habe seine Beamten verteidigen wollen. Nur, dass er durch die Blume behauptet, die Journalisten seien wohl schon irgendwie selber schuld, unseriös wie sie seien, ist eben trotzdem ein sehr starkes Stück. Einem Kommunikationsprofi passiert so etwas kaum aus Versehen",
kommentiert Altpapier-Kollege Klaus Raab im Medientagebuch des Freitags.
Steffen Grimberg ergänzt in seiner Kolumne in der taz:
"In der gegenwärtigen Schieflage droht etwas Entscheidendes zu kippen: der Status der medialen Berichterstatter als zwar nicht haltungslose, aber unbeteiligte und in diesem Sinne übergeordnete Instanz. Wenn es Pegida, AfD & Co. weiter gelingt, die Presse gegen alle Tatsachen zu gegnerischen Beteiligten zu stempeln, wird es ziemlich dunkel."
Grimberg, als MDR-Mitarbeiter sicher sachsenaffiner als andere, führt als zweites Beispiel für seine These den Fall Kontext Wochenzeitung aus Stuttgart an, der gerade erst gerichtlich untersagt wurde, rechtes Gedankengut offenlegende Facebooknachrichten eines AfD-Mitarbeiters zu veröffentlichen (Altpapier). Dresden ist demnach überall.
Was ist Journalismus? Ein Telekolleg
Auch aus diesem Grund verdient ein Aspekt besondere Beachtung, den Peter Stawowy im Gespräch mit Brigitte Baetz bei "@mediasres" im Deutschlandfunk anspricht. Stawowy betreibt das Medienblog Flurfunk Dresden, beriet mit seiner Kommunikationsagentur aber auch u.a. die sächsische Landesregierung sowie deren CDU-Fraktion.
"Wenn ich mir den Politikjournalismusbetrieb in Sachsen anschaue: das läuft (…) Da arbeiten alle Seiten professionell",
meint Stawowy. Aber. ABER.
"Vielen Bürgerinnen und Bürgern fehlen fundamentale Grundkenntnisse, wie Medien funktionieren und welchen besonderen Schutz es gibt. Das ist meiner Meinung nach ein massives Problem."
Das sehe ich genauso, und das liegt nicht an hinterwäldlerischen Sachsen. Während ich mehrere Jahre eine Lokalzeitung für den gänzlich unbewaldeten Prenzlauer Berg machte, durfte ich Lesern erklären, dass Journalisten für ihre Recherchen kein spezielles, eigenes Internet haben, dass es nicht respektlos ist, Interviewte in einem Text ohne Vornamen und Titel zu zitieren, und ja, die Problemlage mit den Fotos von öffentlichen Veranstaltungen hatte ich auch.
Zum Glück gibt es mittlerweile Ansätze, diese Informationslücke zu schließen. Elisa von Hof hat für Spiegel Online den Hausjustiziar Sascha Sajuntz interviewt, der erklärt, was Journalisten auf Demos dürfen und was nicht. Und auch der Facebook-Live-Auftritt von ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke, der ausführlich auf Kritik an der Nicht-Berichterstattung der "Tagesschau" über den Mord an einem Arzt in Offenburg eingeht, den ein Asylbewerber begangen haben soll (Altpapier), geht in die richtige Richtung.
"Sich Kritik offen und möglichst transparent zu stellen, wie Kai Gniffke es gerade tat, ist aber ein richtiger Weg, um das Ansehen und die Bedeutung einer öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Instanz wie der 'Tagesschau' zu erhalten",
schreibt Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Kolumne bei evangelisch.de.
Einfach mal alle W-Fragen in eigener Sache beantworten – das ist doch eine schöne Hausaufgabe für Journalisten zum Schulanfang.
(Und wer sich immer noch fragt, was das mit dieser Überschrift soll, klickt hier.)
Es geht schon wieder los #Bundesliga
Anfang… Anfang… Bundesliga-Start! Wer sich dafür interessiert, der sollte sein Sparschwein zur Schlachtung bereithalten, erinnert Markus Ehrenberg im Tagesspiegel.
"Wer alle 306 Erstligaspiele live sehen will, braucht zwei Pay-TV-Abos. Eines für Eurosport (zeigt via Player-App im Internet und Astra-Satellit insgesamt 30 Spiele am Freitagabend sowie fünf am Sonntagmittag und fünf am Montagabend), dazu ein Abo für Sky. Der Marktführer im Pay-TV überträgt alle Spiele am Samstagnachmittag, auch in der beliebten Konferenz, und am frühen Abend. Darüber hinaus noch 60 Spiele am Sonntag ab 15 Uhr 30 und 18 Uhr. Gibt es jemanden, der das alles live sehen will? Da kann man als Fußballfan auf ein Jahresbudget von über 400 Euro kommen."
Dafür werden einem dann aber auch zwei unterschiedliche Bericherstattungs-Ansätze geboten, erklärt David Freches bei "@mediasres":
"Für Eurosport geht es vor allem um sachliche Analyse. (…) Sky bewertet den Fußball im Gesamtzusammenhang dagegen anders – nämlich als Unterhaltung, sagt Sendersprecher Fürther. 'Der Fußball ist Teil des Entertainment-Business, und im Studio darf man ein Spiel dann ein bisschen reißerischer anmoderieren. Es soll den Zuschauern ja auch gefallen und das ist auch Teil des Geschäfts'".
Einig sind sich die Sender hingegen, dass Frauen als Expertinnen im Studio nichts zu suchen haben, wie Freches ebenfalls bemerkt. Dafür setzt das ZDF nun Dunja Hayali beim "Aktuellen Sportstudio" ein, und nach den verbalen Ausfällen gegen Kommentatorin Claudia Neumann bei der Fußball-WM (Altpapier) stellt sie sich auf einiges ein, bleibt aber dennoch pragmatisch, wie sie Javier Cáceres und David Denk im Interview für die Medienseite der SZ erzählt:
"Wenn männliche Kollegen Fehler machen, haut man es ihnen um die Ohren; Frauen werden beschimpft, mit Gewaltfantasien oder Vergewaltigungswünschen überzogen oder bekommen Post mit Fäkalien. Kenn ich alles. (…) Vom Fußballgucken halte ich jedenfalls keinen ab. Er oder sie muss nur ertragen, dass ich ihm vorher kurz erzähle, wer als Nächstes spielt."
Natürlich kann man Hayali derzeit nicht befragen, ohne auf ihre umstrittenen Moderationsdienste für die Spielautomatenbranche zu sprechen zu kommen (Altpapier).
"Es ist schon ein Unterschied, ob man Werbeauftritte macht oder bei Veranstaltungen zum Beispiel Politiker oder Wirtschaftsleute befragt. Ich werbe nicht. Aber ich habe unterschätzt, wie extrem hoch der Anspruch an mich ist und dass die Moderation von einer Fachtagungen den Anschein der Befangenheit erwecken kann. Das bedaure ich",
erklärt sie. Auf den Sockel der moralischen Instanz, auf dem sie sich nun befindet, habe sie nie gestellt werden wollen, sagt sie außerdem. Genau darauf zielt aber auch Kai-Hinrich Renner in seiner Medienmacher-Kolumne beim Hamburger Abendblatt ab, der zudem ausgegraben hat, dass Hayali für einen von ihr unterstützen Verein für Assistenzhunde mit Menschen mit Behinderungen vom Automatenmenschen einen Scheck entgegengenommen hat:
"Es ist ein Unterschied, ob ein x-beliebiger Journalist die Automatenindustrie lobt oder die moralische Instanz Dunja Hayali. Genau wegen dieses Imagetransfers dürfte sie von eher fragwürdigen Firmen und Verbänden gebucht werden. Ihr Satz 'Ihre Branche hat sich seit den 90er-Jahren sehr verändert, heraus aus der Schmuddelecke' ist für die Automatenaufsteller Gold wert."
Als freie Journalistin kämpft man ja eher mit dem Problem, vom Journalismus überhaupt leben zu können. Das führt immer wieder dazu, sich bei Auftragsangeboten sehr genau überlegen zu müssen, ob deren Annahme moralisch vertretbar ist oder nicht. Dass Kolleginnen, die diese Sorge nicht haben, sich ohne Not in derartige Situationen begeben und nebenher die eh schon schlechte Laune auf unsere Branche verschlimmern, verstehe ich daher einfach nicht.
Warum Klaus Brinkbäumer gehen muss – die wahren Gründe
Keine Sorge, gleich kommt der Korb. Aber vorher noch meine persönlichen Top Zwei der Erkenntnisse, warum Klaus Brinkbäumer nicht länger das Sturmgeschütz von der Ericusspitze lenken darf (Altpapier gestern). (Falls das das richtige Verb für die Bedienung von Sturmgeschützen sein sollte. Ich habe leider nicht gedient.)
Auf Platz 2: Michael Haller, emeritierter Journalistik-Professor der Universität Leipzig, mit einer ganz steilen These, verbreitet durch Kurt Sagatz im Tagesspiegel:
"Aus Hallers Sicht müssen die Blattmacher eine Antwort finden auf die schwierige Frage, wie im Online-Zeitalter das Nachrichtenmagazin neu profiliert und auf Kurs gebracht werden kann."
Potzblitz, darauf muss man erstmal kommen!
"Brinkbäumer habe Eigenschaften, die einen angenehmen Kollegen, aber nicht unbedingt einen guten Chefredaktor ausmachten, hört man aus der Redaktion. Der hochgewachsene Journalist sei im Umgang nett und sanft. Daran, dass er mal gebrüllt hätte, kann sich niemand erinnern."
Sorry, aber schlecht gebrüllt, Klaus. Hoffentlich verfügen Barbara, Steffen und Ullrich über durchdringendere Organe.
Altpapierkorb (EU-Urheberrecht, neue ARD-Mediathek, Brainpool, Buzzfeed)
+++ Wer möchte, dass die im Juli vorerst abgelehnte Reform des EU-Urheberrechts (Altpapier) bei ihrer Wiedervorlage Mitte September auf Umstrittenes wie Upload-Filter verzichtet, kann dafür am Wochenende auf die Straße gehen, informiert Netzpolitik.org. Mit Fans des bisherigen Entwurfs aka Verlagsvertretern sprach für Meedia Gregory Lipinski.
+++ Einmal hin, alles drin, auch Hörfunkbeiträge und Sendungen der Dritten Programme, das soll die neue ARD-Mediathek bieten, deren Prototyp auf der IFA vorgestellt wird, schreibt Ulrike Simon bei Spiegel+. Alternativ kann man sie sich auch einfach hier anschauen.
+++ Neues von den Brainpools (u.a. Altpapier hier und hier): Zumindest vorerst darf Stefan Raab seine Anteile nicht an Banijay übertragen, urteilte gestern das Kölner Landgericht. Mehr wissen Alexander Krei von DWDL sowie Manuel Weis bei Quotenmeter.
+++ "Da sitzen Buzzfeed-ReporterInnen in Buzzfeed-Büros vor Buzzfeed-Laptops oder schreiben mit Buzzfeed-Kugelschreibern in Buzzfeed-Blöcke. Sind die JournalistInnen unterwegs, dann sieht das Skript in jeder einzelnen Folge vor: Sie rufen ihre Buzzfeed-KollegInnen an, um zu erzählen, was sie für Buzzfeed wieder Irres recherchiert haben. Passenderweise ist die Reihe über Buzzfeed-Reporter dann auch gleich eine Produktion von – Überraschung! – Buzzfeed. Netflix bekommt die Inhalte, Buzzfeed die Werbefläche." (Daniel Bouhs in der taz über die neue Netflix-Serie "Follow this")
+++ Der Debatte um mehr Mitsprache von Autoren bei Filmproduktionen, Stichwort "Kontrakt 18" (Altpapier) widmet sich im aktuellen epd medien, derzeit nicht online, Tilmann Gangloff.
+++ Welche Risiken mit einer Indexierung des Rundfunkbeitrags einher gingen, analysiert der WDR-Rundfunkratsvorsitzende Andreas Meyer-Lauber in der Medienkorrespondenz.
+++ Hakenkreuze dürfen nun in Computerspielen auftauchen, und "Through the Darkest of Times" zeigt, dass das durchaus sinnvoll sein kann, schreibt Claudia Reinhard auf der Medienseite der FAZ (€).
+++ Beim Qualitätsmedium Intouch lassen sie gerne Prominente sterben, um Klicks zu produzieren (Boris Rosenkranz, Übermedien).
Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!