Das Altpapier am 23. August 2018 Das schmeckt schal
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Der Spiegel bekommt einen neuen chefredakteurigsten Chefredakteur. Gab es dort je eine Ära Brinkbäumer und können die Neuen eigentlich Eier legen und Milch geben? Wird das LKA bald mit Deutschlandhütchen ausgestattet? Und bringt #Pegizei die Debatte um Pressefreiheit weiter? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Es ist so weit. Das "Sturmgeschütz der Küchenpsychologie", der Schöpfer des "Spiegelismus" und "Chefredakteur auf Abruf" wird abberufen. Diese Namen hat Klaus Brinkbäumer sich jedenfalls in den vergangenen Monaten hier im Altpapier eingehandelt. Es geht, klar doch, darum, dass er nun den Chefredakteursposten an der Ericusspitze alias Spiegel nach dreieinhalb Jahren verlassen muss. Stattdessen gibt es nun eine Chefredakteur*innen-Runde aus Steffen Klusmann, Barbara Hans und Ullrich Fichtner. Klusmann soll dabei der chefredakteurigste Chefredakteur sein. "Vorsitzender" der Chefredaktion nennt man das nun beim Spiegel, "der neue starke Mann" heißt es währenddessen bei Meedia.
Zwar wurde ja schon länger über Brinkbäumers Nachfolge spekuliert, dass die Nachricht nun aber doch eher Kernsanierungs-Charakter besitzt statt nur Renovierungs-Flair, liegt nicht nur an der Personalie, sondern an den Umbaumaßnahmen, die diese flankieren: die Print- und Onlineredaktionen sollen bekanntlich zu 2019 zusammengeführt, die Aufgaben "nach fachlichen und funktionalen Aspekten aufteilt, nicht mehr nach Medienkanälen" aufgeteilt und auch die Unternehmensleitung dementsprechend neu aufgestellt werden.
Dass das Ganze so einen Wirbel verursachte liegt aber nicht nur an den Veränderungen, sondern auch an der Kommunikationsweise: Gestern Vormittag verplapperte der ehemalige Spiegel-Reporter Holger Stark die Neuigkeit über einen Tweet. In den betroffenen Redaktionen – beim Manager Magazin und auch beim Spiegel, sei das Ganze dann erst am Nachmittag bestätigt worden, schreibt Anne Fromm bei der taz:
"Zwar ging schon lange das Gerücht, dass die Gesellschafter des Verlags – die Mitarbeiter KG, Gruner+Jahr und die Augstein-Erben – einen Nachfolger für Klaus Brinkbäumer suchten, dass der aber nun gefunden sei und vor allem, dass, wie so oft beim Spiegel, die Nachricht zuerst in anderen Medien stehen würde, bevor sie im eigenen Haus kommuniziert wird, damit hatte dann doch kaum jemand gerechnet."
Und:
"Der Veränderungsprozess solle 'sorgfältig gemeinsam mit den Führungskräften und den Betriebsräten vorbereitet und beraten' werden. Besonders auf diese sorgfältige gemeinsame Vorbereitung dürften einige im Haus gespannt sein – nach diesem völlig chaotischen und verwirrenden Mittwoch."
Brinkbäumers Erbe > 11 Millionen Euro Mindereinnahmen?
Was aber hinterlässt Brinkbäumer? Wohl nicht unbedingt ein zukunftsfähiges Nachrichtenmagazin mit unverwechselbarem Profil, darin sind sich viele Medienmenschen einig. "Von einer Ära Brinkbäumer kann man nicht sprechen", schreibt z.B. Stefan Winterbauer bei Meedia.
"Mit strategischen Projekten ging es unter Brinkbäumers Leitung nur holprig voran. Neue Print-Objekte, wie das Best-Ager Heft Spiegel Classic oder die TV-Zeitschrift Spiegel Fernsehen floppten. Letztere schaffte es sogar nicht einmal bis über den Markttest hinaus. Die 'digitale Tageszeitung' Spiegel Daily, die schon lange entwickelt, aber unter Brinkbäumer eingeführt wurde, erwies sich ebenfalls als herbe Enttäuschung, was die Zahl der Abos betraf."
In der Frankfurter Rundschau wirft Simon Berninger einen Blick auf die ursprünglichen Intentionen Brinkbäumers. "In dreieinhalb Jahren wurde Brinkbäumer seinem eigenen Anspruch (…) nicht gerecht." Er hoffe, dass er die Auflage weiter stabilisieren könne, sagte er bei seinem Antritt 2015, und "ich glaube auch daran – sonst wäre ich der Falsche in diesem Job." Aber die heutigen Zahlen zeigten:
Die Zahlen sähen nicht gerade rosig aus, wie Joachim Huber und Kurt Sagatz in einem gemeinsamen Artikel beim Tagesspiegel schreiben:
"Die Abberufung von Brinkbäumer wollte der Dortmunder Zeitungsforscher Horst Röper zwar nicht kommentieren, er erinnert aber an den dramatischen Auflagenverlust des Nachrichtenmagazins, 'der aktuell sogar noch stärker ausfällt als zuvor'. Zwar sei fraglich, inwieweit der Chefredakteur im insgesamt rückläufigen Markt daran etwas ändern könne, doch am Ende werde er dafür verantwortlich gemacht. In den vergangenen drei Jahren sank die verkaufte Auflage des 'Spiegel' von 823 000 auf 705 000 Exemplare. Zusammen mit den Verlusten im Anzeigengeschäft ergaben sich daraus 2017 Mindereinnahmen von elf Millionen Euro."
Wie genau diese Summe zustande kommt und ob es sich dabei nur um Verluste im Printgeschäft handelt oder auch Zuwächse im Digitalbereich miteingerechnet sind, steht leider nicht in dem Artikel. Auch wenn man Brinkbäumers Wirken, was die generelle Entwicklung des Magazins angeht, kritisieren kann, es wäre doch fatal eindimensional, in diesen Umbruchzeiten die Einnahmen aus einer solch kurzen Zeit als DIE Zahl darzustellen, die die Leistung oder Fehlleistung eines Chefredakteurs verkörpert.
Und Brinkbäumer selbst so? Laut verschiedenen Berichten soll er gesagt haben (nochmal FR):
"'Diese Entscheidung kann ich nicht nachvollziehen.' Er stellte sich offenbar bei der geplanten Umstrukturierung quer, wie 'Spiegel'-Geschäftsführer Thomas Haas mitteilen ließ: 'Am Ende hatten wir unterschiedliche Auffassungen davon, wie die 'Spiegel'-Redaktionen zusammenzuführen sind.' Es würden Gespräche über eine neue Aufgabe beim 'Spiegel' geführt."
Klusmann gilt hingegen beim Manager Magazin, das ja auch zur Spiegel Gruppe gehört, als Reformer (nochmal taz):
"Ihm ist es gelungen, Geld zu sparen, und trotzdem die Auflage des Heftes zeitweise zu steigern. Er hat ein neues Layout entwickeln lassen und die Redaktion verjüngt. Eine Bilanz, die das mächtige Gremium der Mitarbeiter des Print-Spiegels, die Mitarbeiter KG, schon lange wohlwollend beobachtete. In einer Rede vor den stillen Gesellschaftern lobte die Sprecherin der KG, Susanne Amann, bereits vor zwei Jahren die 'gute Arbeit' von Klusmann und seiner Redaktion – hatte für die eigene Chefredaktion aber nur Kritik übrig."
FAZ-Medienmann Michael Hanfeld sieht aber auch die Anforderungen des Hauses kritisch:
"Stets gesucht wird an der Spitze des 'Spiegel' die eierlegende Wollmilchsau, die alles kann und für alles eine Lösung hat, auch für den Auflagenverlust, mit dem es dem Magazin aber nicht anders geht als den meisten gedruckten Pressemedien auch."
Mit drei Personen könnte das Eierlegen, Milchgeben und die Wollproduktion ja immerhin passabel aufgeteilt werden. Andererseits gibt es ja auch immer wieder Beispiele, bei denen Chefetagen mit mehreren Verantwortlichen "den Brei eher nicht weiter verfeinert haben", wie Altpapier-Kollege Christian Bartels gestern anlässlich der Veränderungen in der Tagesspiegel-Chefredaktion zu denken gab. Abwarten.
Deutschlandmützen im LKA
Und der nächste Sturm in unserer Medienbubble folgt sogleich: Der Mann mit der Deutschland-Mütze, der mittlerweile im ganzen Land bekannt sein dürfte, weil er am Rande einer Pegida-Demonstration in Dresden bei der Polizei über ein Filmteam des ZDF wütete (das schöne Wörtchen Lügenpresse kam auch vor), was dazu führte, dass die Journalisten festgehalten und daran gehindert wurden, ihre Arbeit auszuüben (siehe Altpapier x, y und z), arbeitet für das Landeskriminalamt Sachsen.
Das sächsische Innenministerium teilte mit, der Mann sei ein "Tarifbeschäftigter" des LKA, der zurzeit im Urlaub sei. Er sei also bei dem Aufeinandertreffen mit dem "Frontal21"-Team nicht im Dienst gewesen, sondern habe als Privatperson an der Versammlung teilgenommen. Über mögliche Konsequenzen wolle das LKA nach einer Anhörung des Betroffenen entscheiden. Es berichten u.a. Zeit Online und der MDR.
Sicherlich kann man dabei nicht pauschal die Einstellung des Hutträgers auf die ganze Behörde übertragen. Trotzdem stellt sich die dringende Frage, was es über einen staatlichen Laden wie das LKA Sachsen aussagt, dass dort Menschen arbeiten, die (egal, ob privat oder dienstlich) derart pressefeindliche und damit auch gewissermaßen antidemokratische Werte vertreten. Denn was sonst äußert sich in einem solchen Verhalten?
Aber: Für was sonst sollte ein LKA sich eigentlich verantwortlich fühlen? Was sonst sollte es eigentlich schützen, wenn nicht unsere demokratischen Grundwerte und deren rechtsstaatliche Prinzipien inklusive Art. 5 GG (auf die ja immer gerne gepocht wird, wenn es um Migration oder die Situation in der Türkei geht)? Da bekommt auch das G20-Akkreditierungsdebakel vom vergangenen Sommer (siehe Altpapier x, y und z) einen noch schaleren Beigeschmack. Die Landeskriminalämter spielten dabei ja nicht gerade eine unwesentliche Rolle.
Immerhin reagierte das sächsische Innenministerium, wenn auch erst nach Tagen, einigermaßen transparent und brachte die Information gestern Abend von sich aus an die Öffentlichkeit. Dresdens Polizeisprecher Thomas Geithner betonte im Interview mit dem NDR-Medienmagazin ZAPP dann noch die Meinungsfreiheit, allerdings nicht die der Journalisten:
"Den Vorwurf von Kritikern, Sachsens Polizei würde an der Unterbindung der Pressearbeit aktiv mitwirken, weist er deutlich zurück. Allerdings räumt er ein, dass auch einige Polizeibeamte Sympathien mit Pegida haben könnten: 'Natürlich hat jeder auch eine persönliche Meinung, wir können jetzt nicht in die Köpfe schauen. (...) Am Ende ist die Polizei ein Querschnitt der Gesellschaft. Bei uns gibt's alle politischen Strömungen'."
Wie viele Menschen mit Deutschlandhütchen bei dem LKA noch rumlaufen, weiß man also nicht so richtig.
#Pegizei
Ob nun das aktuell stark trendende Hashtag #Pegizei (Pegida meets Polizei) angesichts der sowieso schon tsunamiartigen Erregungswelle eine sinnvolle Debatte nach vorne bringt, wage ich hier mal in Frage zu stellen. Aber nicht, weil Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer das doof findet, sondern weil es natürlich auch diverse Fälle gibt, in denen Journalisten von der Polizei vor Angriffen geschützt werden – auch in Sachsen.
Eine Beschönigungspolitik, was rechte und pressefeindliche Tendenzen in den eigenen Behörden angeht, muss dabei natürlich weiter kritisiert und entlarvt werden, aber mit Pauschalisierungen und Generalisierungen kommen wir dabei weder auf der Seite der Polizei noch der Journalisten weiter. Meine Meinung.
Immerhin gibt es einige Aussprache- und Aufklärungsbestrebungen: Heute will der Innenausschuss des sächsischen Landtags übrigens Innenminister Roland Wöller (CDU) zu dem Fall befragen. Und SpOn berichtet:
"Bei der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden soll inzwischen eine Anzeige gegen die Polizei vorliegen. Die Behörde war am Mittwochabend für eine Anfrage nicht mehr erreichbar. Am Freitag soll ein Gespräch zwischen ZDF-Reportern und der Polizei stattfinden, zu dem die Polizeidirektion Dresden eingeladen hatte."
Das Thema bleibt wohl erstmal weiterhin Stammgast bei uns im Altpapier.
Altpapierkorb (AfD und RB/RBB, ZDF und Holocaust, Digitalrat, Ego-Twitter)
+++ Diskussion um AfD-Mann bei Radio Bremen hat Joachim Huber für den Tagesspiegel auch mal beim RBB nach dem Umgang mit Journalisten gefragt, die gleichzeitig in Parteien aktiv sind. Ergebnis: "Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) sieht Wahlkampf und Wahl in dem Bundesland offensichtlich mit professioneller Gelassenheit entgegen. Sprecherin Stefanie Tannert sagte dem Tagesspiegel, 'wir erheben die Parteimitgliedschaft und -sympathien unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Ein institutionelles Engagement von rbb-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern in der AfD ist uns nicht bekannt.' Zugleich, so die RBB-Sprecherin weiter, 'wird es für die Landtagswahlen in Brandenburg keine gesonderten Richtlinien zum Umgang mit der AfD geben'." Die Frage "Wie hältst du's mit der AfD?" ist ja nicht erst damit zur Gretchenfrage unter Journalisten avanciert und wird dementsprechend auch ähnlich verbissen diskutiert, wie die nach der Religion.
+++ Das ZDF muss der Forderung eines polnischen Gerichts nicht nachkommen und öffentlich einen Fehler in der Berichterstattung über den Holocaust bedauern. Bei FAZ.net gibt es mehr Details dazu: "Der Sender hatte 2013 im Internet eine Dokumentation angekündigt und dabei fälschlicherweise von den 'polnischen Vernichtungslagern Majdanek und Auschwitz' gesprochen. Nachdem die polnische Botschaft den Fehler beanstandet hatte, änderte das ZDF die Formulierung umgehend in 'deutsche Vernichtungslager auf polnischem Gebiet'. Verklagt hat das ZDF ein Pole, der Häftling in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg war."
+++ Fragen rund um den gestern hier im Altpapier thematisierten neuen Digitalrat werden heute nochmal bei FAZ.net erörtert.
+++ Beim schweizer Onlinemagazin Higgs schreiben Anita Gohdes und Sabine Carey über den Wert von Journalismus (angesichts der aktuellen Debatte in Deutschland kann man das ja scheinbar nicht genug tun) und bringen fünf Gründe vor, warum "die Tötung von Medienschaffenden (ist) nicht ein Delikt wie jedes andere" ist, "sondern ein Vorbote von anderen staatlichen Repressionen."
+++ Hallo Twitter! Hier kommt endlich der wissenschaftliche Beweis (Link zur FAZ), dass bei dir vor allem Männer um die 40 mit einem Hang zum Narzissmus den Ton angeben.
+++ Hallo Facebook! Du windest dich ja immer gerne aus der Verantwortung, aber kann es sein, dass du doch eine Mitverantwortung an Angriffen auf Flüchtlinge in Deutschland trägst? Eine Studie der Uni Warwick sieht da laut New York Times jedenfalls eine Korrelation. Bei der Deutschen Welle gibt’s dazu ein Interview mit Studienautor Carlo Schwarz und bei den Science Blogs ordnet der Journalist und MIT-Dozent Jürgen Schönstein die Ergebnisse kritisch ein.
+++ Videospiele als Leitmedium unserer Zeit? Anlässlich der gestern gestarteten gamescom gibt’s auf der FAZ-Medienseite ein Interview von Claudia Reinhard mit Game-Designer Martin Ganteföhr. Darin geht’s auch um das Berufsverständnis von Journalisten: "Zeit: Der Protagonist von 'State of Mind', Richard Nolan, ist Journalist. Er sagt: 'Mein Standpunkt ist die Wahrheit.' Wir merken aber schnell, dass er es mit der Berufsethik nicht so genau hält. Ist das Kritik an der Medienlandschaft?
Ganteföht: Nicht direkt. Für mich war ein Journalist die ideale Figur für ein Spiel über Realität, weil die Berufsgruppe besonders stark vom aktuellen Wandel betroffen ist. Unser Journalist ist in der Krise, weil die Dinge, die für ihn als Journalist wichtig waren, an Bedeutung verloren haben. Die Menschen schaffen sich ihre eigenen Realitäten, er ist mit seiner Wahrheit nur einer unter vielen. Dagegen kämpft er an, daran verzweifelt er."
+++ Bis zu 700 Euro müssen die blechen, die wirklich alle Bundesliga-Spiele der morgen startenden neuen Saison live sehen wollen. Weil wegen flickenteppichesker Rechtevergaben, rechnet Felix Haselsteiner heute auf der SZ-Medienseite vor.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.