Das Altpapier am 14. August 2018 Daten für alle? Entdigitalisierung??
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Auf einmal häufen sich gute oder zumindest neue Ideen für altbekannte Probleme: Andrea Nahles hat eine gegen Googles Macht. Alle Politikthemen (außer dem einen) für die AfD! Kritisch berichten aus China – das geht zumindest vorübergehend. Und ist beim Radio analog doch besser als digital? Außerdem: Schlittert Rumänien "in demokratiefeindliche Strukturen"? Sowie ein Plädoyer für deutsche Dialekte. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Die SPD ist eine traditionsreiche und immer noch wichtige politische Partei in Deutschland. Auch bei den kommenden Wahlen hat sie gute Chancen auf einen Platz auf dem Siegertreppchen der drei meistgewählten Parteien und aufs Dabeisein in bunten Regierungskoalitionen. Worin genau aktuelle Stärken der SPD liegen, ist freilich auch unter ihren Anhängern umstritten. Dass sie den Mindestlohn eingeführt hat? (Oder war das nicht Angela Merkel?)
Klar jedenfalls, dass sie nicht auf dem Gebiet der Netzpolitik liegen. Was strategisch auch nicht schlimm ist, schließlich besitzt da spätestens seit dem Untergang der Piraten keine deutsche Partei irgendeine Stärke. Jetzt aber! Die erste Vorsitzende Andrea Nahles hat am Montag im Handelsblatt einen Gastbeitrag veröffentlicht, der mit Recht viel Beachtung erfährt. Hier steht er (und falls er Ihnen € erscheint: den Cache zu leeren, hilft).
Er beginnt zwar im Duktus typischer Sozialdemokraten-Reden ("Es ist die Aufgabe sozialdemokratischer Politik, dafür zu sorgen, dass die ganze Gesellschaft von der Digitalisierung profitiert. Nicht bloß einige Multimilliardäre") und mit einem Schlenker in sehr eigener Sache ("Um die Bedeutung der digitalen Revolution richtig einzuschätzen, sollten wir einen Blick in die Geschichte werfen"). Das fällt nur insofern auf, als dass eine von Nahles' bisher meistbeachteten Vorsitz-Entscheidungen die Abschaffung der "Historischen Kommission" war (und ihr deshalb "fehlendes Geschichtsbewusstsein" vorgeworfen wurde).
Doch mit der knackigen Formulierung, "dass die Internetmonopolisten ihre marktbeherrschende Stellung brachial ausnutzen", nimmt die Rede Fahrt auf. Die Feststellung, dass solche Monopolisten selbst milliardenschwere Rekord-Kartellstrafen "einfach in Kauf" nehmen, "wenn den Mitbewerbern dafür im Gegenzug die finanzielle Puste ausgeht", wie es gerade Google mit seinem Mobil-Betriebssystem Android tut, ist ein Top-Argument, wie es nur selten aus Politiker-Mündern oder -Tastaturen kommt. Die richtig gute Idee lautet dann:
"Ein neues Daten-für-alle-Gesetz könnte dabei der entscheidende Hebel sein: Sobald ein Digitalunternehmen einen festgelegten Marktanteil für eine bestimmte Zeit überschreitet, ist es verpflichtet, einen anonymisierten und repräsentativen Teil seines Datenschatzes öffentlich zu teilen. Mit diesen Daten können andere Unternehmen und Start-ups eigene Ideen entwickeln und als Produkt an den Markt bringen. Die Daten gehören dann nicht mehr exklusiv Google, sondern allen."
Wer genau das umsetzen soll, schreibt Nahles natürlich nicht. In der deutschen Bundesregierung, der ihre Partei angehört, wäre ja jeder Minister ein bisschen und niemand richtig zuständig. Wahrscheinlich müsste es eher auf EU-Ebene entschieden werden (auf der gewiss Irland dagegen wäre). "Am besten ließe sich das natürlich auf europäischer Ebene regeln. Aber ich wehre mich nicht gegen den nationalstaatlichen Ansatz", sagt aber bereits der Ex-Vorsitzende der deutschen Monopolkommission, Justus Haucap. Jedenfalls dürfte diese Idee in den kommenden Jahren noch häufig wiederkehren.
(Aktuelle Meldungen über Googles exponentiell weiter wachsenden Datenschatz gibt es ja immer. Momentan aufschlussreich ist die englischsprachige Associated Press-Recherche, derzufolge das Herumtatschen auf der Oberfläche sogenannter Smartphones es mitnichten von der Anhäufung aller möglicher Standort-Daten abhält ... Es gehe darum, "to improve people’s experience", beteuert der Datenkrake.)
Robust interviewen – geht doch (auch bei der AfD)
Die Partei AfD bewegt sich vielen Meinungsumfragen zufolge fast auf Augenhöhe mit der SPD. Wie damit umgehen, ist eine Frage, die viele Medien immerzu verfolgt und in fast jedem Altpapier anklingt. Journalisten öffentlich-rechtlicher Sender, die von allen (längst nicht immer gern) bezahlt werden, können und dürfen in die Parlamente gewählte Parteien ja nicht ignorieren. Vor kurzem bekam die ARD Kritik für ihr "Sommerinterview" mit einem der beiden Parteivorsitzenden, Jörg Meuthen, zu hören (Altpapier).
Da es kaum etwas gibt, das ARD und ZDF nicht doppelt machen, wurde am vergangenen Sonntag das "Sommerinterview" des ZDF mit dem anderen AfD-Vorsitzenden gesendet. Und dafür gab es viel Lob von taz bis Welt, weil Interviewer Thomas Walde Alexander Gauland zu dem Thema, das die AfD und vermutlich ihre meisten Wähler für die Stärke der Partei halten, mal nicht befragte. Sondern zu vielen anderen Themen, zu denen Gauland außer (überzeugenden) Bekundungen, dass er dazu nicht viel zu sagen haben, tatsächlich wenig sagte. Selbst die bekannte Empörung der Partei fällt bemerkenswert schwachbrüstig aus (faz.net/ dpa).
Das "vermutlich bemerkenswerteste und zugleich entlarvendste Sommerinterview der letzten Jahre" sah Alexander Krei von dwdl.de, und darin gleich noch Anlass, auch den Interviewer zu interviewen. Walde erweist sich natürlich als Fuchs, der alle Finten kennt. Und entgegnet auf die Frage "Manche sagen nun, sie wünschten sich solche Fragen auch mal bei Frau Merkel oder anderen Politikern. Was entgegnen Sie diesen Menschen?":
"Ich sage ihnen: Schauen Sie bitte in unsere Mediathek. In diesem Jahr habe ich zuvor zwei Sommerinterviews gemacht, eines mit Christian Lindner und eines mit Bernd Riexinger. Wer diese sieht, wird feststellen, dass sie mit derselben Härte und derselben Robustheit geführt wurden – ebenfalls mit Themen, die für die beiden nicht sehr angenehm waren."
Na ja. Die genannten Herren gehören halt kleineren Parteien als Merkels CDU an, deren Vertreter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vermutlich auch deswegen durchaus mal robust interviewt werden, weil sie in den Rundfunk- und Verwaltungsräten eben keine großen Rollen spielen. Immerhin macht der Fuchs Walde gleich auch auf sein nächstes "Sommerinterview" gespannt:
"Und nächste Woche bei Frau Nahles werde ich das wieder versuchen."
Nahles' Partei ist ja noch einen Tick größer und in den Rundfunkgremien noch bestens vertreten. Vielleicht wird das wirklich spannend.
Kritisch aus China berichten – geht vorübergehend
China ist soo wichtig und soo ein großer Markt, dass Konzerne einfach mitmachen müssen. Sogar das schon erwähnte Ex-"Don't be evil!"-Google wirft sich imagegefährdend in den Staub. Und Reporter, die Mangel bei Medien- oder anderer -Freiheit kritisieren wollen, sollte das besser anhand eines der vielen kleineren Staaten mit ähnlich großen Defiziten tun. Oder?
Nun wurde ein deutscher Journalist, ja: Journalismusstudent aus China ausgewiesen, weil er zu kritisch recherchiert und darüber auch noch berichtet hat. Auch dafür gibt es steigende Medien-Aufmerksamkeit. "Der mutige Deutsche ...", titelte Springers Welt. Und Axel Dorloff aus dem ARD-Studio Peking schrieb u.a. für tagesschau.de einen stimmungsvollen Bericht über diesen David Missal:
"An seinem letzten Tag in China hat er dann noch das gemacht, was viele ausreisende Ausländer tun. Er hat seinen Luftreiniger verkauft. Denn in Deutschland ist das gesellschaftliche Klima nicht nur freier, sondern die Luft auch besser als in China."
Wo berichtete Missal denn? Er "hat seine Arbeit auf seiner Internetseite veröffentlicht, auch via Youtube und Twitter", heißt es dort. Zwar sind Redaktionssysteme öffentlich-rechtlicher Internetauftritte wirklich nicht auf leichtes Einfügen externer Links ausgelegt; das wissen wir beim MDR-Altpapier gut. Aber es geht ja. Etwas seltsam insofern , dass tagesschau.de davidmissal.de und den Twitter-Account @DavidJRMissal weder verlinkt noch auch nur nennt. Oder müsste der Korrespondent sonst Angst um seine Akkreditierung haben?
Jedenfalls musste Missal wegen seines ungültig gestempelten Visums China "spätestens am 12. August" verlassen. Gestern hat ihn Hans Hoff am Düsseldorfer Flughafen erwartet und zum Zug nach Osnabrück gebracht, woher der 24-Jährige stammt. Davon steht heute ein Bericht auf der SZ-Medienseite, der viele gute Fragen stellt. Zum Beispiel:
"Bedenken, dass er dem Anwalt, den er porträtiert hat, möglicherweise geschadet habe? 'Bislang hat es ihm nicht geschadet', behauptet er und gibt zu bedenken, dass man Menschen, die in China nicht im Rampenlicht stehen, leichter mal von der Bildfläche verschwinden lassen kann. Und er fragt: 'Soll man Journalismus nur noch nach der Maßgabe machen, was man auslöst?'"
Falls Sie eben nicht geklickt haben: Der (englischsprachige) Videobericht über diesen Anwalt auf davidmissal.de trägt die Überschrift "Lawyer Lin: 'I am prepared to be imprisoned one day.'".
Geht Digitalradio doch gar nicht besser?
Und noch ein Blick ins Ausland lohnt, aus völlig anderen Gründen: Die erste Entdigitalisierung der Welt- und Mediengeschichte könnte bevorstehen, und zwar in Norwegen. Das berichtet Reinhard Wolff in der taz.
Vorausgegangen ist ein anderer Superlativ, der freilich nur in der Nische der Digitalradio-Freunde beachtet wurde: Norwegen war auch schon das weltweit erste Land, das sein analoges UKW-Radio abschaltete, um den Digitalradio DAB+ so richtig durchzusetzen. Jetzt liegen dazu auch andere Zahlen vor:
"Im Juni und in der ersten Julihälfte hörten nur noch 56,3 Prozent der NorwegerInnen täglich Radio. Zehn Prozent weniger als vor dem Beginn des Übergangs zum DAB-Radio",
schreibt Wolff und zitiert Politiker-Forderungen, das alte UKW-Netz wieder in Betrieb zu setzen. Es scheinen "erstaunlich viele NorwegerInnen dem Rundfunk ganz den Rücken gekehrt zu haben", nicht allein, weil sie ganz neue Geräte hätten kaufen müssen. Außerdem "könne sich diese Technik weder bei der Tonqualität noch beim Empfang mit UKW messen" – obwohl genau das ja die Gründe sind, mit denen in Deutschland (wo vor allem die Technik einst erfunden wurde) weiterhin geduldig, wenn auch mit bescheidener Durchschlagskraft für Digitalradio geworben wird.
Einen kleinen internationalen Überblick gibt die taz auch: Die BBC hat "bereits im März ein Aus für das UKW-Netz 'für die absehbare Zukunft' ausgeschlossen", und auch Dänemark habe solche Pläne aufgegeben. Eine rasche norwegische Rückkehr zum UKW-Empfang könnte freilich daran scheitern, dass "Teile der technischen Ausrüstung schon demontiert und nach Malawi verkauft worden" seien.
Altpapierkorb (Protest in Rumänien, in Österreich gegen DACH; Pionier Wildenhahn; Dialekt-Plädoyer, Digitalrat-Plätze frei)
+++ "Rumänien schlittert in demokratiefeindliche Strukturen", glaubt die österreichische Reporter ohne Grenzen-Präsidentin Rubina Möhring im Standard. Ein ORF-Kameramann wurde "von der Polizei zusammengeschlagen", das eingebundene Video zeigt, wie eine Liveschaltung zu ORF-Korrespondent Ernst Gelegs nach Bukarest gewaltsam unterbrochen wurde (bei Min. 3.10). Thema der Berichte waren Demonstrationen gegen "die Absetzung der unbeirrbaren Staatsanwältin Laura Kövesi".
+++ "Das gesamte Team von VICE Austria und Noisey Austria hat beschlossen, die Redaktion zu verlassen", postete dieses Team noch auf Facebook. Das ist Protest gegen die Zusammenführung der deutschsprachigen vice.com-Redaktionen "zu einem gemeinsamen VICE DACH unter deutscher Führung und ohne Autonomie für die österreichische Redaktion". Falls Sie gerade nicht darauf kommen: Das "DACH" steht für Deutschland/ Österreich/ Schweiz. Solche Umstrukturierungen nehmen global agierende Konzerne gerne vor. Siehe ebenfalls Standard und – mit Fokus auf der neuen DACH-Chefin Laura Himmelreich – meedia.de.
+++ Für die FAZ-Medienseite schrieb Thomas Schadt, selbst Dokumentarfilmer, einen persönlichen Nachruf auf den großen, nun mit 88 verstorbenen "Pionier des 'Direct Cinema'", Klaus Wildenhahn: "Bei der herkömmlichen Art zu drehen, so Wildenhahn, überschattete eine starre Künstlichkeit alles. Lebendigkeit entstand erst, wenn die Kamera wieder ausgeschaltet war. Er fand das, was er vor und nach dem Dreh erlebte, immer interessanter als die eigentlichen Aufnahmen und wollte sich vom Schema herkömmlicher Filmarbeit lösen: 'in das Leben hineingehen, um zu nehmen, was man findet'. Im verklemmten Klima der frühen sechziger Jahre empfanden Wildenhahn, Körösi und andere dieses Ausbrechen als Befreiung". +++ Frei online steht der gestern hier erwähnte, schon wegen des Tagesspiegel-"P.S." ebenfalls lesenswerte Nachruf von Joachim Huber.
+++ Außerdem fordert ebd. eindringlich Wolfgang Kleinwächter "Europa muss sich um Cybersicherheit kümmern".
+++ Noch erwähnungswert: Das Interview, das Philipp Greifenstein vergangene Woche mit dem Karikaturisten Gerhard Mester führte, der wegen einer als antisemitisch empfundenen Karikatur in der evangelischen Wochenzeitung dieKirche angegriffen wurde, und vor allem die fundierte Bildkritik darin (eulemagazin.de).
+++ "Der Dialekt, das wird beim Anhören schnell klar, war damals noch identitätsstiftend und gab den Charakteren ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Witz. Beim Hören entdeckt man so lautmalerische hessische Redewendungen wie 'gehuppt wie geduppt' wieder ... Die öffentlich-rechtlichen Sender, die heute Dialekt nach Möglichkeit aus allen Fernsehfilmen und Serien tilgen – schließlich müssen sie in ganz Deutschland verstanden werden –, pflegten ihn damals noch. Heute hängt dem Dialektalen der Ruch des biederen Volkstheaters an. Doch die Zuschauer wissen diese regionale Verwurzelung durchaus zu schätzen": In epd medien hält Diemut Roether ein Plädoyer für mehr Dialekt in Radio und Fernsehen, und zwar wegen der wiederentdeckten althessischen (Robert-Stromberger-)Hörspiel-Serie "Bei uns dehaam".
+++ Weil "man" in den USA "noch nicht so weit" sei, kann die ProSiebenSat1-Gruppe noch nicht so viel Fernsehen im noch schärferen Ultra-HD-Format übertragen, wie sie gern würde (Tagesspiegel).
+++ Aus der Spiegel Online GmbH ist die Spiegel Online GmbH & Co. KG geworden (meedia.de).
+++ Die gestern im Korb verlinkte Kritik an der Berichterstattung über Jan Ullrich "macht es sich zu einfach", findet Christian Meier (welt.de).
+++ Im im Kanzleramt angesiedelten "Digitalrat" sind immer noch Plätze frei (netzpolitik.org).
+++ Wer bei der neuen "Medienpolitik zum Mitmachen!" (Altpapier) mitmachen will, hat statt bis zum 26. August nun bis zum 30. September 2018 Zeit (rlp.de).
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.