Das Altpapier am 8. August 2018 Prinzessin Lillifee und die Rettung der Verlage
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Zumindest ein Zeitungshaus hat bei diesen Temperaturen ein optimiertes Raumklimakonzept. Kinder mögen Gedrucktes, wenn aufblasbare Fußbälle beiliegen. Fotos im Netz gilt es ebenso zu bezahlen wie Labellos bei DM. Hans Leyendecker findet im Rückblick nicht alles großartig. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.
Die Klassengesellschaft des deutschen Journalismus kondensiert dieser Tage an Eiswagen, Planschbecken und klimatisierten Büros bzw. der Abwesenheit eben dieser.
Dem Spiegel-Verlag geht es verhältnismäßig gut. Daher kann er auf Anfrage zum weltbewegenden Thema, "(w)as Medienhäuser ihren Mitarbeitern bei Sahara-Temperaturen bieten" (danke, Alexander Becker, Meedia!) vermelden:
"Dank unseres bestens klimatisierten Hamburger Standorts an der Ericusspitze hat die Hitze der vergangenen Wochen die Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum beeinflusst. Ein optimiertes Raumklimakonzept sorgt das ganze Jahr über für einen besonders gesundheitsbewussten und behaglichen Komfort. Außerdem stellt unser Küchen- und Serviceteam sicher, dass die Eistruhe in der Snackbar jederzeit gut gefüllt ist."
Beim Springer-Verlag gibt es im Newsroom der Tageszeitung Die Welt Eis, während die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Gebührengelder schonen, sodass es beim NDR nur für "Coole Tipps für heiße Tage" im Intranet reicht. Bei unserem freundlichen Gastgeber, dem MDR, wird zumindest "kostenloses Mineralwasser" zu der leichten Kost serviert, auf die die Kantinen derzeit setzen. Das Proletariat Lokaljournalisten in Form der Mitarbeiter der Funke Mediengruppe hockt derweil (noch) in unklimatisierten Räumen; "spezielle Angebote gibt es aber leider nicht", meldet die Pressestelle.
Schwitzende Journalisten aller Länder… ach nee. Gerade die Lokaljournalisten lassen sich ja seit Jahren unter Tarif für 12-Stunden-Schichten bezahlen, in denen ein Redakteur alleine ganze Zeitungsseiten füllt. Das bisschen Hitze können sie ebenso stoisch ertragen.
Pferde, Mäuse, Elefanten: Kinder mögen Print
Damit zu den guten Nachrichten aus der deutschen Verlagsbranche: Jugend liest! Und dann auch noch gedruckt und mehr, als von Manfred Spitzer und Konsorten gedacht.
"75% aller deutschen Kinder zwischen vier und 13 Jahren lesen mindestens mehrmals pro Woche Bücher oder Zeitschriften. Print ist dabei unersetzlich, elektronische Endgeräte und Lesemedien spielen in keinem Alter eine besondere Rolle",
lautet eine zentrale Erkenntnis der Kinder-Medien-Studie 2018 (das Gesamtwerk in 172 Seiten steht hier zum Download bereit), für die im Auftrag von Gruner+Jahr, Zeit, Spiegel, Panini, Blue Ocean Entertainment und Egmont Ehapa Media etwa 3300 Kinder und Eltern befragt wurden.
(Statistik-Nerd-Einschub: Bei den Drei- bis Fünfjährigen wurden nur die Eltern, bei den Sechs- bis 13-Jährigen jeweils Kind und ein Elternteil, aber getrennt voneinander, befragt, wobei Letztere auch über die eigene Mediennutzung und die Höhe des Taschengeldes Auskunft geben mussten. Print hat also nicht nur gut abgeschnitten, weil daneben sitzende Eltern das hören wollten. Einschub Ende.)
Doch wofür müssen unschuldige Bäume sterben, damit stolze Eltern verkünden können: "Mein Kind steht auf Print!"?
"Die höchste Reichweite (bei den Sechs- bis 13-Jährigen, Anm. AP) mit 569.000 Lesern (9,8 % Marktanteil) hat 'Disney Lustiges Taschenbuch'. Bei den Sechs- bis Neunjährigen hat das 'Micky Maus-Magazin'mit 266.000 Lesern (9,2 %) die Nase vorn. Die Vier- bis Fünfjährigen bevorzugen 'Benjamin Blümchen': 168.000 Leser (11,7 %).
Bei den Mädchen zwischen sechs und 13 Jahren steht die Zeitschrift 'Wendy'mit 409.000 Lesern (14,4 %) an oberster Stelle, bei den Jungen ist 'Just Kick-it!' mit 487.000 (16,3 %) Lesern die Nummer eins.
Die Zehn- bis 13-Jährigen Mädchen lesen am häufigsten 'Disney Soy Luna' (197.000 Leser, 13,9 %) und die Sechs- bis Neunjährigen 'Wendy' (223.000 Leser, 15,8 %). Die vier- bis fünfjährigen Mädchen bevorzugen mit Weitem Abstand 'Prinzessin Lillife' (135.000 Leser, 19,4 %). (Margit Mair, New Business)
Nun kommt raus, dass ich mich in diesem Segmet des Zeitschriftenregals gar nicht so gut auskenne. Ein kurzer Besuch der Websites vermittelt den Eindruck "Whaoo – ROSA!" bzw. "Es gibt noch Starschnitte! Aber wer braucht einen aufblasbaren Fußball im Just-Kick-it-Look?" Womit ich sagen will: Das scheint schöne Unterhaltung, mit der die Kids sich beschäftigen. Aber was ist daran besser als an der App der "Sendung mit der Maus"?
Baudelaire-Lektüre auf dem Handy? Pfui!
Print: gut! Online: eher nicht! Genau das ist jedoch die Einteilung, die viele Eltern vornehmen, völlig unabhängig vom Inhalt, hat Simon Peter, Chefredakteur bei Blu Ocean Media, wo unter anderem die Reihe "Was ist was" erscheint, Michael Meyer von "@mediasres" im Deutschlandfunk erzählt:
"Ansonsten haben wir mit unserer Studie auch rausgefunden, dass Eltern gerade bei den jüngeren Kindern den Gebrauch auch reglementieren – anders als bei Zeitschriften. Kein Mensch sagt: 'Leg mal das Buch weg', aber 'leg mal dein Handy weg', ist ja durchaus nun mal geflügeltes Wort."
Das nervt auch Angela Tillmann, Medienforscherin der TH Köln, die sich für Jan Schwenkenbecher von sueddeutsche.de mit den Ergebnissen der Studie befasst hat:
"'Was ich schade finde, ist, dass man immer wieder so stark zwischen analog und digital unterscheidet.' Es werde gar nicht geschaut, was Kinder damit machten, etwa ob sie lesen oder spielen. 'So entsteht eine Hierarchisierung, mit der wir uns keinen Gefallen tun', so Tillmann. Lesen könne man ja schließlich auf beiden Wegen. 'Ich glaube, Kinder sollten beides kennenlernen, um frei und selber entscheiden zu können.'"
Fehlt noch, Internet-Fans zum Dritten, Laura Hertreiter heute auf der Meinungsseite der SZ:
"Es gibt Menschen, die sich der Lektüre von Büchern widmen (hui), und Menschen, die am Handy hängen (pfui). Selbst, wenn gerade beide Typen Baudelaire lesen. (…) Als gäbe es keine schlechten Hefte, keine exzellenten Clips. Aber am Handy klebt der Ruf, seine Nutzer zu entmündigen, Print verpasst seinen Lesern dagegen eine Aura von Hochkultur."
Ein Grund für diese Einteilung mag die Unkenntnis mancher Eltern sein, was in diesem Internet eigentlich passiert.
"Lesen und Schreiben haben die Kinder zu Hause und in der Schule auf jeden Fall gelernt, die richtigen Anwendungen im Umgang mit dem Internet viel seltener. Dabei ist diese Fähigkeit und Fertigkeit für die eigene (Erfolgs-)Biografie unerlässlich. (…) Es hilft nichts: Mutter und Vater müssen Internet können, damit Kinder Internet lernen",
fordert daher Joachim Huber im Tagesspiegel.
Moment, ich muss kurz gucken: Da steht tatsächlich 2018 als Jahr am Rand meines Bildschirms und damit eines Geräts, auf dem auch Sie gerade diesen totalen Schund rezipieren.
Vielleicht machen wir das doch mal mit dem Fach Medienkompetenz, und zwar auch an Volkshochschulen? Nichts (im Sinne von: Alles! Das aber aus anderen Gründen) gegen Prinzessin Lillifee, aber warum ihr Konsum in Zeitschriftenform eine so gute Nachricht sein sollte, wie von den Studienmachern dargestellt, erschließt sich mir – abgesehen von Erhalt ein paar Redakteurs-Stellen – nicht.
EuGH-Urteil: Auch Bilder im Netz darf man nicht klauen
Apropos Medienkompetenz: Da gibt es ja wirklich viel zu lernen. Zum Beispiel, dass man sich an im Internet herumliegenden Bildern und Texten ebenso wenig frei bedienen darf wie an Kaugummi und Äpfeln im Supermarkt.
Das Land Nordrhein Westfalen und die Stadt Waltrop bekamen das gestern vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. Ein Fotograf hatte geklagt, weil er eines seiner Fotos auf der Website der örtlichen Gesamtschule entdeckt hatte, als Teil eines Referats (bearbeitete dpa-Meldung etwa bei Heise).
"Wie herzlos muss man sein, eine Schule/Schülerin zu verklagen, anstatt froh und stolz zu sein, dass die eigene Arbeit dort wahrgenommen wird und zu sehen ist? Oder einfach darum zu bitten, das Foto wieder zu entfernen…",
fragt im WDR-Blog Digitalistan Jörg Schieb, dem man offensichtlich zu guten Honoraren des ihn beauftragenden öffentlich-rechtlichen System gratulieren muss, sonst stellte sich ihm diese Frage nicht. Zumal jeder bei DM geklaute Labello geahndet wird, und da sind die Geschädigten Großkonzerne.
Natürlich ist es blöd, eine sicher sehr sympathische Gesamtschule zu verklagen. Aber dass Schüler nicht wissen, dass es Urheberrecht gibt, ist ein Problem.
Für seine Lösung wünscht sich Leonhard Dobusch bei Netzpolitik.org eine "hilfreiche Ausnahme für Bagatellnutzungen". Schieb bei Digitalistan hat noch eine weitere Idee, und zwar
"wenn für die Schulen in eine Art europäischen Kulturtopf eingezahlt wird – von den Staaten, selbstverständlich. Das Geld wird fair auf die Rechteinhaber verteilt (Autoren, Musiker, Fotografen). Dafür dürfen sich die Schulen frei bedienen – und müssen keine juristischen Konsequenzen befürchten. So hätten alle etwas davon."
Gegen weitere VG-Wort-eske Töpfe habe ich als Autorin natürlich nichts einzuwenden. Noch ein wenig hilfreicher fände ich es jedoch, schon Schülern das mit dem Urheberrecht auch zu erklären, damit später keine Erwachsenen aus ihnen werden, die "Google-Bilder-Suche" für einen angemessenen Foto-Credit halten. Sich ein bisschen mit Creative Commons auszukennen, kann niemals schaden, und das Beste: Bei der Gesamtschule in Waltrop scheint derartiges Wissen bereits vorhanden. Neben (hoffentlich DSGVO-konformen) Schüler-Fotos finden sich dort auch solche Beispiele, die von der kostenlosen Bilder-Datenbank Unsplash stammen.
Das umstrittene Foto zeigt die spanische Stadt Córdoba. Abbildungsalternativen ohne Urheberrechtsverletzung gibt es genug.
Altpapierkorb (Staatstrojaner, WDR-Affäre, Hans Leyendecker, Straßenzeitungen)
+++ Mobil gegen den Staatstrojaner machen diverse Organisationen wie der Verein Digitalcourage und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie mehrere FDP-Politiker, indem sie Verfassungsbeschwerde einlegen. "Zu den Beschwerdeführern der GFF gehören die Journalisten Hajo Seppelt und Can Dündar. Beide gehen davon aus, immer wieder Ziel von Angriffen mit Überwachungssoftware zu sein. Seppelt hat den staatlich unterstützten Dopingskandal im russischen Sport aufgedeckt. Dündar lebt im Exil in Deutschland, in der Türkei läuft noch ein Verfahren wegen Geheimnisverrats gegen ihn" (Patrick Beuth, Spiegel Online).
+++ Im WDR kursiert ein anonymer Brief, der den Rücktritt des Fernsehdirektors Jörg Schönenborn nach den Sexismus-Vorwürfen gegenüber Mitarbeitern des Senders fordert, meldet Thomas Lückerath bei DWDL.
+++ "Das, was ich früher so großartig fand – wenn jemand zurücktrat aufgrund einer Geschichte –, das finde ich heute gar nicht mehr großartig" und weitere Erkenntnisse aus dem Investigativ-Journalisten-Leben des Hans Leyendecker hat Daniel Bouhs für "Zapp" vom heutigen Präsidenten des Evangelischen Kirchentags erfahren (und vor der Ausstrahlung heute Abend schon jetzt ins Netz gestellt).
+++ Über den mysteriösen Tod dreier russischer Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik (Altpapier) berichtet Bernd Dörries auf der Medienseite der SZ. "Verschiedene russische Journalisten erinnerten zudem an den Tod ihres Kollegen Maxim Borodin, der im April aus ungeklärter Ursache vom Balkon seiner Wohnung stürzte und starb. Auch er hatte kurz zuvor zu den Aktivitäten der Wagner-Gruppe recherchiert."
+++ Der vermeintlichen Krise der Straßenzeitungen widmet sich Miriam Heinbuch in der taz.
+++ Das Inhaltsverzeichnis von Harper’s Bazaar beschäftigt Michalis Pantelouris in seiner Übermedien-Kolumne.
+++ Wenn schon im ersten Absatz das "apfelweiche Jungengesicht" und ein "persilweiße(r) Drogistenkittel", in dem es ins Reine zu kommen gilt, erwähnt werden, ist klar: Hier rezensiert Nikolaus Festenberg, und zwar die Nachkriegs-Entertainer-Doku "Kulenkampffs Schuhe" (Tagesspiegel, Thema hier schon gestern sowie heute auch für Claudia Tieschky auf der SZ-Medienseite und Arnold Hohmann im Hamburger Abendblatt).
+++ Auch auf der Medienseite der FAZ herrscht Fernsehzeit. Es gibt Rezensionen der Serie "Conviction" (First-Daughter leitet Ermittlerteam, zu sehen bei Vox), des ZDF-Films "Für meine Tochter" (Dietmar Bär auf der Suche nach seiner Tochter im syrischen Kriegsgebiet) sowie der BBC-Serie "Clique" (zeitgenössisches Studentinnenleben, aus weiblicher Perspektive; "in den Mediatheken von Vodafone, Unitymedia, EntertainTV und Prime Video Channels abrufbar") (derzeit alles nicht frei online).
Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.