Das Altpapier am 23. Mai 2018 Potemkinsche Anhörung
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Das EU-Parlament hat Mark Zuckerberg eingeladen – und sich mit der Anhörung des Facebook-Chefs maximal blamiert. Die große Frage ist: Woran hat’s gelegen? Aber offen sind auch noch viele andere. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Die Meldung in den Deutschlandfunk-Nachrichten heute Morgen begann mit dem Satz: "In Brüssel hat sich Facebook-Gründer Mark Zuckerberg einem umfangreichen Fragenkatalog des EU-Parlaments zum Datenskandal gestellt." Und im Grunde ist schon das falsch. Natürlich saß Mark Zuckerberg da, und die Parlamentarier hatten eine Menge Fragen, aber hätte er sich diesen Fragen tatsächlich gestellt, könnten wir nun hier über die Antworten reden. So aber müssen wir über das Verfahren sprechen.
Sven Giegold, Sprecher der Grünen-Abgeordneten im Europa-Parlament, kommentierte noch während der Übertragung bei Twitter:
"Das ist eine Frechheit! #Zuckerberg hat durchgesetzt, dass alle Fragen der EU-Abgeordneten gesammelt werden, bevor er sie am Ende beantwortet. So kann er unangenehme Frage umgehen. Jetzt verkündet er die Regel sogar selbst. Das Parlament muss die Regeln setzen, nicht Zuckerberg!"
Und ergänzte auf die Nachfrage, ob das Zuckerbergs Bedingung gewesen sei:
"Alle Fraktionen wollten Frage-Antwort direkt. Wir haben intern die Information bekommen, dass #Facebook genau das nicht wollte und leider diese Zusicherung von @EP_President erhalten hat."
Das war der Tenor vieler Kommentatoren. Netzpolitik.org schrieb via Twitter:
"Zuckerberg erzählt hier die Golden-Oldie-Hits aus der Anhörung im US-Kongress und zahlreichen Facebook-Presseaussendungen. Das merkwürdige Format und die vorher gesammelten Fragen machen es ihm einfach, schlicht zu erzählen, was er möchte. Schade, verpasste Chance #Zuckerberg".
Die Netzaktivistin und ehemalige Piraten-Geschäftsführerin Katharina Nocun fasste ihren Eindruck mit dem folgenden Tweet zusammen:
"Warte darauf, dass #Zuckerberg noch sein liebstes Blaubeerkuchen-Rezept vorliest, um bloß keine Fragen zu konkreten Datensammlungen zu beantworten."
Sogar, wenn Mark Zuckerberg die Absicht gehabt hätte, auf jede einzelne Frage der Parlamentarier detailliert einzugehen, wäre das schon aus zwei Gründen kaum möglich gewesen. Erstens: Er hätte eine Dreiviertelstunde lang Dutzende umständlich mäandernder Fragen notieren müssen. Zweitens: Er hätte für die Beantwortung 25 knappe Minuten Zeit gehabt.
Die ganze Situation ist an Absurdität kaum zu überbieten. Markus Becker und Peter Müller schreiben für Spiegel Online:
"Es ist eine irre Situation: Wochenlang haben die EU-Parlamentarier darauf hingearbeitet, dass Zuckerberg kommt, und dann reden fast nur sie."
Und gegen Ende möchte man lachen, aber es geht nicht.
"Um 19.40 Uhr fragt er, ob er eine Frage vergessen habe."
Man würde natürlich gern wissen, ob Mark Zuckerberg hier live ein neues Werbeformat erfunden hat, oder ob das EU-Parlament seinen Ruf als zahnloses Monster vielleicht doch nicht ganz zu Unrecht trägt. Einen Hinweis liefert ntv in einer direkt nach der Anhörung veröffentlichten Zusammenfassung. Darin heißt es:
"Das Verfahren ist nach Auskunft des Europaparlaments generell üblich bei der sogenannten 'Conference of Presidents' mit dem Kreis der Fraktionsvorsitzenden."
Thomas Kirchner und Alexander Mühlbauer geben in ihrem Bericht für Sueddeutsche.de auch eine Antwort auf die Frage, wer für das Format verantwortlich ist.
"Hat es der Konzernchef etwa selbst so durchgedrückt, wie einige Abgeordnete suggerieren? Wohl eher war es der Parlamentspräsident. Es sei das übliche Format, heißt es aus seinem Büro, und Tajani bestätigt, er habe das Zuckerberg so vorgeschlagen, und der habe schließlich angenommen."
Dennis Horn nennt das Ergebnis in seinem Beitrag für tagesschau.de "Peinlich für die EU". Er hebt allerdings auch heraus, dass die Fragen durchaus Potenzial gehabt hätten.
"Die EU-Politiker wirkten angriffslustiger und besser vorbereitet als ihre US-Kollegen. Der belgische liberale Politiker Guy Verhofstadt zum Beispiel fragte explizit nach den sogenannten Schattenprofilen von Menschen, die gar keine Facebook-Mitglieder sind, von denen aber trotzdem Profile gebildet werden. Eine konkrete Antwort darauf gab Zuckerberg allerdings nicht."
Die könnte aber zumindest theoretisch noch folgen. Noch einmal Thomas Kirchner und Alexander Mühlbauer über den einzigen Moment der Anhörung, mit dem Mark Zuckerberg so vielleicht nicht gerechnet hat:
"Am Ende fragt er Zuckerberg, ob er bereit wäre, nachträglich alle nicht beantworteten Fragen schriftlich zu beantworten. Es dürften Dutzende sein. Es ist der einzige Moment, in dem der Facebook-Chef nicht Herr des Verfahrens ist. Ein 'Nein' würde jetzt verheerend wirken. Also presst Zuckerberg ein knappes 'Yep' heraus. "In den nächsten Tagen" möge er antworten, so lautete Tajanis Bitte. Man darf gespannt sein, wann der Schriftsatz aus Menlo Park in Brüssel eintrifft."
Und das ist für diesen Komplex doch ein schönes Schlusswort. Wer die ganze Veranstaltung noch einmal mithilfe der Twitter-Kommentare nachvollziehen möchte, hätte dazu bei Meedia die Gelegenheit. Nils Jacobsen hat eine Auswahl erstellt.
Unübersichtlicher Dialog mit Facebook
Verlassen wir nun Raum PHS6B01 des EU-Parlaments, bleiben wir aber bei Facebook. Am Freitag tritt, wie sich inzwischen herumgesprochen haben dürfte, die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft (Altpapier). In der Anhörung ging Zuckerberg darauf nur sehr kurz ein, im Wesentlichen mit dem Satz: "Wir gehen davon aus, dass wir am 25. Mai dazu in der Lage sein werden, die Bestimmungen einzuhalten." Eva Wolfangel erklärt für Sueddeutsche.de, wie Facebook versucht, die neuen Regeln auszuhebeln.
Und das geht so: Facebook fordert zurzeit alle Nutzer auf, die Dateneinstellung zu überprüfen. Wer das tut, gerät in einen "unübersichtlichen Dialog mit Facebook".
"'Dieser Dialog strotzt vor irreführenden Formulierungen und manipulativer Dialogführung', kritisiert der Wiener Privacy-Forscher und Netzaktivist Wolfie Christl. Damit sollten, so sein Vorwurf, möglichst viele Nutzer ausgetrickst werden, 'um einem der global größten Digitalkonzerne mit einzigartiger Kontrolle über soziale Beziehungen, Information und Kommunikation formal die Zustimmung zu Gesichtserkennung, Datenverknüpfung mit Drittparteien und neuen AGBs' zu geben."
Zudem steht Facebook vor einem Problem, das sich Kopplungsverbot nennt.
"Demnach müssen Nutzer zustimmen, dass auch Daten erhoben werden, die nicht direkt zur Erfüllung der Dienstleistung (hier das Angebot eines sozialen Netzwerks) nötig sind."
Und das könnte für Facebook heikel werden.
"Laut Christl bezweifeln zahlreiche Rechtsexperten, dass Facebook seine Nutzer zu so einer weitgehenden Einwilligung zwingen kann. 'Für Facebook ist diese Vorgehensweise aber fast überlebensnotwendig, weil sie ansonsten mit ihrem Geschäftsmodell in der EU so ziemlich einpacken könnten', meint er."
Interessant wäre gewesen, von Mark Zuckerberg zu erfahren, wie er dieses Problem zu lösen gedenkt. Aber dazu hätte man ihn in einen unübersichtlichen Dialog verwickeln müssen, und auf den hätte er sich anders als seine Milliarden Kunden wahrscheinlich nicht eingelassen. Im Ergebnis folgt jetzt möglicherweise ein Rechtsstreit.
Und was die Branchenanalystin Fatimeh Khatibloo dazu sagt, klingt leider auch nicht gerade beruhigend.
"Die Behörden seien im Vergleich zu den Konzernen personell und finanziell zu schlecht ausgestattet, um die Regelungen auch durchzusetzen. (…) Zudem erwarte der Konzern wohl, dass die irische Datenschutzbehörde – die wegen des europäischen Unternehmenssitzes von Facebook zuständig ist – das Vorgehen nur lax verfolgen werde, da Irland stark von den Steuerzahlungen und Investitionen von Facebook profitiere."
Um das Thema Facebook nun für heute so langsam abzuschließen, hier noch eine Antwort auf die Frage, wie die Nutzer und Werbekunden auf Datenlecks, verschleierte Absichten und irreführende Formulierungen reagieren.
Nils Jacobsen schreibt für Meedia:
"(…) in Nutzerzahlen konnte das weltgrößte soziale Netzwerk auf dem Heimatmarkt ein Plus verzeichnen: Ingesamt 188,6 Millionen US-Nutzer hätten Facebook auf Smartphone und Tablet täglich verwendet – ein Plus von 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und mehr noch: Auch die Deutsche Bank konnte in einer weiteren Studie keinen negativen Einfluss des Datenskandals auf die Werbebuchungen ausmachen, obwohl Facebook nach den Enthüllungen um russische Einflussnahme bei der vergangenen US-Wahl Millionen Fake Accounts gelöscht hatte. Trotzdem befänden sich die Anzeigenschaltungen per Anfang Mai auf dem bisher höchsten Stand."
Fortschritt im Verlagswesen
Schwenken wir nun rüber zu den Verlegern, die sich gestern wahrscheinlich eine Antwort auf die Frage gewünscht hätten, als was Facebook sich denn nun selbst versteht – als Medienunternehmen, das Inhalte bereitstellt, oder als neutrale Plattform. Auch diese Frage wurde gestellt, auch auf diese Frage gab es keine Antwort.
Rainer Esser, Geschäftsführer der Zeit, sieht in Facebook zuerst einmal ein Unternehmen mit einem famos funktionierenden Geschäftsmodell. Sechs Prozent des weltweiten Werbeumsatzes, wie gestern in der Zuckerberg-Fragestunde zu hören war, stützen jedenfalls diese Sichtweise. Und wenn man nun Clickbait-Anbieter wäre und das Interview, das Jens Twiehaus für Turi2 mit Esser geführt hat, irgendwo im Netz verbreiten wollte, müsste man es wahrscheinlich mit dem Satz ankündigen: Zeit-Geschäftsführer zerlegt Leistungsschutzrecht mit nur einem Satz. Esser sagt nämlich:
"Da ist viel Neid dahinter, aber ich kann ja nicht jemandem, der ein super Geschäftsmodell hat, sagen: Jetzt gib mir was ab."
Aber was würde er tun?
"Da wäre mein Approach eher abzugucken – weshalb funktioniert das so gut? Weshalb haben die so viele User? Weshalb engagieren sich die User so?"
Und dann noch ein ganz entscheidender Punkt:
"(…) dass die deutschen Verlage oder Medienhäuser viel stärker kooperieren, das ist sicherlich ein Königsweg – dass sie sich nicht bekämpfen, die Zeitungsverlage untereinander, so ein Bullshit, die müssen zusammenarbeiten. Wir müssen möglichst viel kooperieren, unsere Inhalte austauschen. Dann können wir auch ein Gegengewicht zu großen ausländischen Monopolen bilden."
Hätte sich dieser Gedanke schon etwas früher etabliert (was im Übrigen ja längst noch nicht geschehen ist), müssten wir jetzt möglicherweise nicht ständig so lächerlich anmutende Meldungen lesen wie diese hier von Anfang Mai (Altpapier). Aber hier und da – das muss man ja zugeben – tut sich was. Daniel Bouhs berichtet für den Deutschlandfunk über einen neuen Trend in der Branche: Verlage kümmern sich jetzt auch um Bestandskunden.
"In diesen Zeiten ist jeder einzelne Abonnent wichtig, um den Journalismus und damit das Geschäft der Verlage zu finanzieren – und das Bemühen der Verlage ist groß. Beim 'Handelsblatt' wurden dafür über Nacht aus Abonnenten Clubmitglieder – ob sie wollten oder nicht, immerhin: ohne Aufpreis. Seit dieser Umstellung lädt die Wirtschaftszeitung ein: zu kleinen Netzwerkabenden, aber auch zu einem opulenten 'Deutschland-Dinner'."
Und der Fortschritt – das merkt man inzwischen sehr deutlich – macht auch vor den Redaktionen nicht halt. Die Märkische Allgemeine zum Beispiel probiert zurzeit etwas aus, das schon oft daran gescheitert ist, dass Redaktionsleiter sich eben auch über die Menschen definieren, die in der Redaktion so um sie herumschwirren. Es geht um mobiles Arbeiten. Und wenn nun, wie in diesem Text der Gewerkschaft Verdi, im Jahr 2018 festgestellt, dass da wohl noch viele offene Fragen zu klären sein, dann kann man nur wünschen, dass in den vergangenen Jahren allseits gut geschlafen worden ist.
Aber nu, immerhin, es geht voran. Ein bisschen.
Altpapierkorb (Kai Diekmanns Zaster, Homöopathie-Bots, Hassbriefe vom Jura-Prof, ZDF reagiert auf Kritik)
+++ Kai Diekmann macht jetzt Finanzen, und wie bei seinem früheren Arbeitgeber sieht das Ergebnis auf den ersten Blick wie Journalismus aus. Christoph Fuchs schreibt auf der SZ-Medienseite über das Portal Zaster und die Hintergründe. "Wo Zaster selbst sein Geld hernimmt, steht ganz unten: Es sei ein Service einer digitalen Vermögensverwaltung. Die ist ebenfalls ganz neu gegründet – und zwar auch von Kai Diekmann. Der betont, dass Zaster nicht in redaktionellen Texten für seinen Geldgeber werben wird. Inhalte mit journalistischem Anstrich statt Werbung – neudeutsch heißt das 'Content Marketing'."
+++ Karsten Schmehl hat für Buzzfeed recherchiert, wie ein Netzwerk aus 70 Fake-Profilen Stimmung für Homöophathie macht. Recht unterhaltsam.
+++ Um Hass-Mails, unter anderem von Jura-Professoren, die sich nicht mal Mühe geben, ihre Identität zu verschleiern, geht es im neuen Buch von Spiegel-Redakteur Hasnain Kazim, der diese Mails täglich bekommt, und auf viele geantwortet hat. Jakob Biazza hat für die SZ-Medienseite mit Kazim gesprochen – und unter anderem gefragt, was er zu dem Vorwurf sagte, er würde mit seinen Antworten, den Graben noch vertiefen. Kazim: "Wenn mir jemand schreibt, 'Wir Deutschen müssen mit euch Muslimen das Werk fortsetzen, das wir mit den Juden begonnen haben', dann wünsche ich mir einen Graben zwischen mir und solchen Leuten, die so etwas sagen. Und trage gerne dazu bei, ihn zu vertiefen."
+++ Auf Platz eins der 30 Magazine, die im ersten Quartal des Jahres den größten Werbeumsatz gemacht haben, steht laut Werben & Verkaufen nicht der Focus (Platz 4), nicht die Bunte (Platz 3) und nicht der Stern (Platz 2), sondern: die Programmbeilage RTV Plus.
+++ In den vergangenen Tagen ging mal wieder ein Foto durchs Netz, das sich auf den ersten Blick ganz gut eignete, um es für Hetze zu missbrauchen. In der Stockfoto-Datenbank könnte man das Foto zum Beispiel mit den Keywords "Bedrohung, Flüchtling, machtloser Rechtsstaat" auffindbar machen. Aber Sie ahnen es schon, der Eindruck ist falsch. Patrick Gensing erklärt für den Tagesschau-Faktenfinder, was auf dem Foto wirklich zu sehen ist.
+++ Noch eine Vollzugsmeldung. Der Verband VPRT hört nun seit Dienstag auf den Namen Vaunet, wie wir im Januar berichtet hatten (Altpapier). Gratulation!
+++ Und nach den an Peinlichkeit selbst mit großer Mühe kaum noch zu überbietenden Kommentierungen in der Live-Übertragung der royalen Hochzeit im ZDF, die Boris Rosenkranz für Übermedien hier zusammengeschnitten hatte, reagiert nun der Sender noch einmal ausführlich (Altpapier gestern). Das ZDF weist die Rassismus-Vorwürfe zurück, wie unter anderem Timo Niemeier für DWDL berichtet.
Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.