Das Altpapier am 3. Mai 2018 High five, Internet!
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Bei der re:publica geht es um Algorithmenkritik, autoritäre Tendenzen und Free Speech, außerdem um eine Internetintendanz für die Öffentlich-Rechtlichen. Aber den größten Wirbel in diesem Internet macht erstmal das substanzloseste Thema. Außerdem: Cambridge Analytica macht zu. Und: Es ist Tag der Pressefreiheit. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Gedenktagsjournalismus ist bisweilen Hab-grad-keine-andere-Idee-Journalismus. Aber diesen Tag muss man mitnehmen, weil Neutralität bei dem Thema keine ist:
"Der 3. Mai ist der Tag der Pressefreiheit." Schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel. "Groß gefeiert wird er in Deutschland nicht, zu selbstverständlich scheint hierzulande das, was mit der Freiheit der Meinung und der Medien verbunden wird".
Dieses "scheint" ist das entscheidende Wort. Während die FAZ aus gegebenem Anlass in die Türkei schaut, wo Journalisten bekanntlich reihenweise in Haft sitzen ("Das alles ist bekannt, es ist nichts Neues, wir schreiben hier darüber in Wiederholung. Doch dieses Ceterum Censeo ist notwendig, nicht nur am Tag der Pressefreiheit, sondern das ganze Jahr über", so Michael Hanfeld), konzentriert sich der Tagesspiegel auf eine Tendenz, die auch in Deutschland zu beobachten ist:
"Das Gefährliche ist die Normalisierung von Angriffen auf die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie." Sagt der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in einem vom Tagesspiegel zitierten Gespräch. "'Reale Probleme werden generalisiert (…). Die Emotionalisierung ist ein strategischer Faktor zur Verschiebung von Normalitätsstandards.'"
Die re:publica: mal wieder Bällebad, aber immer politischer
Was tun? Damit auf ins Bällebad: "Erwachsene, die im Bällebad toben" – wo sind wir, wenn diese Formulierung auftaucht, in diesem Fall auf den Seiten der Frankfurter Rundschau? Logisch. Aber die Zeit, in der in Redaktionen betuliche Jokes über ungeduschte Nerds und ihre Faxen gemacht wurden, wenn es um die Netzkonferenz re:publica ging, sind zum Glück vorbei. Die Konferenz, die gestern begann, "wird von Jahr zu Jahr politischer", findet Eike Kühl bei Zeit Online:
"Konkrete Lösungsansätze sollten Besucher und Besucherinnen vielleicht nicht erwarten. Aber wie schon die Digitalkonferenz SXSW im März beweist nun auch die re:publica, dass die oft spöttisch betitelte 'Netzgemeinde' ihr eigenes Schaffen hinterfragt. Es gibt das Bewusstsein, dass unser digitales Miteinander und die ihm zugrunde liegende Technik ihre Schattenseiten haben."
Es ging bei der re:publica den ersten Texten nach zwar nicht um Pressefreiheit, aber doch um Meinungsfreiheit, Polarisierungstendenzen, die z.T. problematische Moderation der Öffentlichkeit durch soziale Medien, Algorithmen und die Verstärkerfunktionen des Digitalen für gesellschaftliche Entwicklungen. Die Whistleblowerin Chelsea Manning war der Stargast (taz: "Popstar", Spiegel Online: "Popstar auf Probe") des Eröffnungstags. Kritisch bemerkt Christian Meier bei Welt Online, sie sei empfangen worden "wie eine Heilige": "Nicht der uneitle Auftritt der Whistleblowerin wirkte peinlich, sondern die unnötig übertriebene Verehrung."
Zitiert wird Manning etwa in der SZ:
"'Dissens ist der zentrale Teil meines politischen Denkens', sagt sie. Schränkt aber gleich ein: 'Du kannst nicht mit jemandem diskutieren, der Genozide befürwortet.' Der Rassismus der amerikanischen Rechten habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. 'Free Speech bedeutet nicht, jedem ein Mikrofon vor den Mund zu halten, der das will.' Alle Probleme, die sie vor zehn Jahren angetrieben hätten – massenhafte Überwachung durch Geheimdienste, Militarisierung, die Verwandlung von Demokratien in autoritäre Regime – seien seitdem noch schlimmer geworden."
Aufgegriffen wird ihr Auftritt auch in der FAZ:
"Mannings Systemkritik ist deutlich: Polizei, Militär und Behörden nähmen die Entwicklung in eine über Algorithmen gesteuerte Welt billigend in Kauf, Firmen profitierten davon, wenn existierende Probleme sich im Digitalen verstärkten."
netzpolitik.org konzentriert sich dagegen auf den vorangegangenen Vortrag von danah boyd.
Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen eine Internetintendanz?
Dass parallel zur re:publica auch die Media Convention stattfindet, wird all jene interessieren, die Diskussionen über die Öffentlich-Rechtlichen zu ihren Hobbys zählen. Der Tagesspiegel hat einen zusammenfassenden Text. Erwähnenswert ist aber vor allem eine Neuerung, die dann wieder auf der re:publica vorgestellt wurde: eine Diskussionsplattform über die Öffentlich-Rechtlichen nach dem Vorbild der BBC.
"Dieses Blog wird ab (spätestens) September 2018 eine Plattform für eine offene, konstruktive Diskussion über die Zukunft gemeinwohlorientierter Medien im deutschen Sprachraum", heißt es auf unsere-medien.de, eingerichtet von Lorenz Lorenz-Meyer von der Hochschule Darmstadt.
Die zweite Innovation, um die es ging, ist eine "Internetintendanz". Über deren Notwendigkeit sprach Leonhard Dobusch, der im ZDF-Fernsehrat sitzt, dann auch im Interview mit Meedia:
"Der Vorschlag einer Internetintendanz bedeutet nicht, einen weiteren Apparat aufzubauen. Dann hätte ich es Internetanstalt genannt. Die Internetintendanz hat auch nicht den Auftrag, Inhalte zu produzieren oder Aufträge dafür zu vergeben. Ihre Aufgaben wären allen voran der Aufbau und Betrieb einer zentralen öffentlichen Plattform, die alle kleinen Mediatheken ersetzt."
Die Bundeswehr bei der re:publica
Wobei den größten Wirbel am ersten Konferenztag etwas anderes machte – und zwar, Grüße an den oben zitierten Wilhelm Heitmeyer, nicht das Thema mit der größten Substanz, sondern eher das mit dem größten Emotionalisierungspotenzial: die Präsenz der Bundeswehr. Ist die Diskussion darüber Performance-Kunst, die auf die Unnötigkeit mancher Internetdebatte aufmerksam machen will? Man weiß es nicht.
"Die Truppe baute als Reaktion auf die Ausladung vor dem Konferenzeingang einen Lieferwagen mit Werbetafel ('Zu bunt gehört auch grün') auf und verteilte Flyer. Das kam bei den re:publica-Machern gar nicht gut an."
Schreibt Stefan Winterbauer bei Meedia, und man erkennt den Willen, der Konferenz eins mitzugeben:
"Die 'eine oder andere Filterblase' solle zum Platzen gebracht werden. Für Aufmerksamkeit sorgte dann aber, dass die Veranstalter der Bundeswehr einen Stand auf dem Kongressgelände verwehrten, weil sich die Besucherinnen und Besucher von Uniformierten gestört fühlen könnten. Ganz schön paradox."
Was daran so paradox ist, weiß ich allerdings nicht. Es geht ja nicht um die Verhinderung einer Diskussion, sondern darum, dass die Bundeswehr nicht mit einer PR-Aktion durchgekommen ist. Sie wurde, wenn es stimmt, was heise.de schreibt, auch nicht "ausgeladen", sondern "nicht eingeladen", und damit muss man halt wohl leben, wenn man auf einer Konferenz einen Stand aufbauen, aber nicht auf die Konditionen der Veranstalter – nicht in Uniform – eingehen will.
Übertrieben viel Substanz steckt im Thema also wahrlich nicht, aber die Kombination aus Jubel für Manning und keinem Jubel für die Bundeswehr qualifiziert es für Texte, in die Tweets eingebaut werden, und Kommentare. Bei der Welt übernimmt Chefredakteur Ulf Poschardt selbst:
"Die irre modernen Menschen haben es gerne sehr bunt, aber eben bunt in ihrem Sinne. Und so mag man auf einer digitalen Sause wie der Republica-Konferenz in Berlin einer sogenannten Whistleblowerin wie Chelsea Manning (für viele wohl eher eine Verräterin) applaudieren, aber eben keinen Platz finden für eine der friedfertigsten Parlamentsarmeen der Welt."
Andere Meinungen gibt es selbstredend auch, etwa von Thomas Wiegold ("… Behauptung, wer als Veranstalter staatliches Geld in irgendeiner Form bekomme, müsse selbstverständlich auch die Bundeswehr zu seiner Veranstaltung zulassen. Interessant, ich bin gespannt, wo die Uniformierten dann künftig überall vor der Tür stehen") oder Sascha Stoltenow ("Eine staatliche Institution, die sich wie ein beleidigter Pennäler aufführt, weil sie nicht mitspielen darf…").
Dass Konferenz-Mitveranstalter Johnny Haeusler eingangs die "Binarisierung" von Online-Debatten beklagt hatte, sei hier dann wenigstens auch noch erwähnt. Später bat er auf Twitter darum, "die #rp18-Debatte rund um die Bundeswehr" möge "aggressions- und beleidigungsfrei" bleiben, "denn alles andere schadet uns eher". High five, Internet!
Cambridge Analytica verabschiedet sich
Ebenfalls beleidigt ist Cambridge Analytica:
"Nachdem herauskam, dass die Firma im sogenannten Facebook-Skandal für das Trump-Wahlkampfteam 2016 Facebookdaten in großen Mengen illegalerweise ausgewertet hatte, brachen dem Unternehmen offenbar die Kunden weg", schreibt Spiegel Online.
Und am Mittwochabend nach 20 Uhr wurde dann herumgeeilt: Cambridge Analytica meldet Insolvenz an.
"In den vergangenen Monaten war Cambridge Analytica das Subjekt zahlreicher unbegründeter Anschuldigungen, und trotz der Bemühungen zur Richtigstellung wurde das Unternehmen verunglimpft für Aktivitäten, die nicht nur legal sind, sondern auch weithin als Standards in der Online-Werbung im politischen und wirtschaftlichen Bereich gelten",
heißt es, hier übersetzt von sueddeutsche.de, in einer Pressemitteilung des Unternehmens.
Darin gibt es auch einen Hinweis darauf, wer angeblich an allem schuld sei:
"Obwohl diese Entscheidung extrem schmerzhaft für die Führung von Cambridge Analytica war, erkennt sie an, dass es für die engagierten Angestellten umso schwerer ist, die heute erfahren haben, dass sie ihre Jobs als Resultat unfairer Medien-Berichterstattung verlieren werden."
War sie unfair? Bei faz.net steht ein noch vor der Insolvenzmeldung veröffentlichtes Interview mit der Mitgründerin der Initiative "Algorithm Watch". Sie sagt, die Cambridge-Analytica-Geschichte sei
"ein Beispiel für die Inszenierung eines Skandals. Cambridge Analytica hat seine algorithmische Methode der 'Psychometrics' nie benutzt. Ob sie funktionieren würde, wissen wir nicht. Die Statistiken zeigen: Die Wähler von Trump waren diejenigen, die Fox News verfolgen und kaum soziale Medien nutzen. Die Brexit-Befürworter waren in den sozialen Medien ebenfalls deutlich unterrepräsentiert. Demgegenüber war die Generation, die sich über Social Media informiert und austauscht, mehrheitlich gegen den Brexit."
Andererseits – für das Zeug, das der damalige Vorstandsvorsitzende Alexander Nix, zu hören in einem Channel-4-Video, über Geschäftsmethoden zur Diskreditierung politischer Gegner sagte, ist die Firma zum Beispiel schon selbst verantwortlich:
"In the footage, asked what 'deep digging' could be done, Mr Nix told an undercover reporter: 'Oh, we do a lot more than that.' He suggested one way to target an individual was to 'offer them a deal that's too good to be true and make sure that's video recorded'. He also said he could ‚send some girls around to the candidate's house…' adding that Ukrainian girls 'are very beautiful, I find that works very well'."
Diese Medien. Machen die schönsten Standards einfach kaputt.
Altpapierkorb (Pressefreiheits-Tag, "Wetten, dass..?", Jubeljournalismus)
+++ Am Tag der Pressefreiheit bespricht die Süddeutsche Zeitung den National-Geographic-Film "Schlagzeilen gegen Hitler" und schreibt über die ziemliche vergessene sozialdemokratische Zeitung Münchener Post, um die es darin geht: "'Wir lassen uns nicht einschüchtern' – diese Haltung täte auch der deutschen Demokratie von heute gut statt jener seltsamen Verzagtheit, die sie mitunter angesichts weit schwächerer Gegner als jener an den Tag legt, welche die Münchener Post so leidenschaftlich bekämpfte."
+++ Michelle Hunziker moderiert in Zukunft "Wetten, dass..?" – in Italien (u.a. hier).
+++ FDP-Chef Christian Lindner im NZZ-Interview: "Ich glaube nicht an die Objektivität des einzelnen Journalisten. Das wäre auch eine Überforderung. Woran ich glaube, ist die Fähigkeit zur Selbstkorrektur des gesamten Mediensystems. Erst kommt eine Übertreibung: 'Martin Schulz wird Kanzler!' Dann kommt die nächste: 'Martin Schulz ist an allem schuld!' Und irgendwann pendelt es sich aus."
+++ Den Film "Mut zur Liebe" auf Arte besprechen die FR und die FAZ.
+++ Dem "Checkpoint"-Newsletter des Tagesspiegels ein paar Veränderungen empfiehlt Alf Frommer bei kress.de.
Morgen gibt es neues Altpapier.