Das Altpapier am 26. Februar 2018 "Die gebildete Version der Verachtung"
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Haben sich die Journalisten von den Lesern entfremdet? Ist Respekt wichtiger als die Trennung von Nachricht und Kommentar? Und was hat die Magazinisierung des Journalismus mit dem Misstrauen gegenüber Medien zu tun? Sowie: Interviews von Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen und Bild-Chef Julian Reichelt. Und No-Billag-Kritiker werden grundsätzlich. Ein Altpapier von Klaus Raab
Endlich gab es mal eine Umfrage am Sonntag, für die nicht nur ein paar tausend läppische Leutchen befragt wurden: "Wie ist Ihre Haltung zu deutschen Medien?", lautete die Frage bei Spiegel Online, und siehe da: Es wurden mehr als 60.000 Votes abgegeben. Drei davon sind von mir – nervig zwar, dass man ständig seine Cookies löschen muss, aber man will ja ein guter Demokrat sein. Das Ergebnis: 51 Prozent vertrauen laut dieser Quatschbefragung den deutschen Medien "weitgehend". Erstaunlich angesichts solcher Umfragen, die es nicht nur bei Spiegel Online gibt und die zielgenau auf den Holzweg führen.
Respekt!
Der Anlass für die Umfrage aber war ein ehrenwerter: Isabell Hülsen hat sich im Spiegel mit der immer guten Frage beschäftigt, woher das Misstrauen in "die Medien" kommt. Christian Mihr, Deutschland-Chef von Reporter ohne Grenzen, wies im Welt-Interview darauf hin, dass "die Zahl der Menschen, die den Medien misstrauen, (…) nicht größer geworden" sei. Dass dieses Misstrauen aber heute besonders deutlich artikuliert werde, sagt auch er.
Es geht Hülsen nicht um die realitätsferne Kritik an einer "Lügenpresse", sondern, wie es einer der zu Wort kommenden Kritiker, ein Junior-Professor, ausdrückt, um die "Qualitätspresse in Anführungszeichen: 'Qualitätspresse', sogenannte." Hülsen schreibt, Formulierungen wie diese seien "die gebildete Version der Verachtung".
Sie lässt sich in der Folge nicht auf jedes Argument eines Interviewpartners ein, weil nicht jeder Zustimmung verdient. Wenn jemand ein "Meinungskartell politischer Korrektheit" am Werk sieht, weiß man im Grunde mehr über ihn als über das angebliche Kartell. Aber der Text ist keine Selbstverteidigung. Hülsen macht im Verhältnis von Publikum und Journalisten diverse Aspekte der Entfremdung aus:
1 Magazinisierung des Journalismus: "weg von der nüchternen und oft drögen Faktensammlung, hin zur Erzählung. Das Weltgeschehen wird immer öfter an Personen entlangerzählt, kleine Szenen zu einer Geschichte verwoben, die von Thesen und Deutung des Autors lebt."
2 Dynamik der neuen Medienwelt: "schneller, spitzer, mehr"
3 Fehlende Heterogenität: "Der Blick der deutschen Leitmedien ist oft der einer urbanen Elite", demnach hätten sich womöglich nicht die Leser von den Journalisten entfremdet, sondern umgekehrt. – Hier sekundiert Christian Mihr, Deutschland-Chef von Reporter ohne Grenzen, im oben schon erwähnten Welt-Interview: "Es ist schon so, dass die Journalistenszene mehrheitlich eher linksliberal ausgerichtet ist. Die meisten Journalisten sind Akademiker und haben keinen Migrationshintergrund." Und er sagt, er sehe die Journalistenschulen in der Pflicht, "ihren Nachwuchs breit gefächert" auszuwählen.
3b Diskussionsmangel, wo manche Leser wohl doch Diskussionsbedarf haben: "Eigentlich alle Medien sehen in der EU eine Errungenschaft, deren Sinn kaum bezweifelt werden kann. Ähnlich verhält es sich mit der Klimapolitik und der Genderdebatte, die als Ausweis gesellschaftlicher Modernisierung gelten und als solche kaum hinterfragt werden."
4 Gesellschaftlicher Wandel, der "den Medien" als Überbringer der Botschaft mitangelastet wird: "Alles Erreichte steht dauernd zur Disposition. Da macht es Angst, wenn andere ohne Leistung etwas bekommen, wenn Werte wie Ehe, Familie, das Verhältnis von Männern und Frauen, Einheimischen und Fremden neu verhandelt werden."
Was tun? Hülsens Vorschlag:
"Vielleicht ist nicht die politische Haltung von Journalisten das Problem, sondern eine Haltung, die es sich zu einfach macht. Der Leser will nicht glauben müssen, sondern sich ein Urteil bilden dürfen. Er will mit guten Argumenten überzeugt, nicht bevormundet werden. Dazu braucht es nicht die saubere Trennung von Nachricht und Kommentar, sondern in erster Linie Respekt."
Jimmy Wales’ neutraler Qualitätsnachrichtendienst
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, gesichtsbekannt von allerlei Spendenaufrufen, hat ein anderes Konzept, um das Vertrauen in die Medien zurückzugewinnen. "Nachrichten, so objektiv, neutral und faktenbasiert wie möglich", keine Meinungsstücke. Die Süddeutsche stellte es am Samstag vor: "Auf der Seite wikitribune.com können Leser Artikel einfach umschreiben, das sollen sie sogar. Auf diese Weise, so der Wunsch des Gründers der Seite, soll das in Zeiten von 'alternativen Fakten' gefährdete Vertrauen in die Medien wiedergewonnen werden."
Wales selbst nennt Wikitribune, online seit dem Herbst, "einen globalen, mehrsprachigen, neutralen Qualitäts-Nachrichtendienst". Ist das großspurig? Klar. Aber es klingt "eben auch nicht völlig weltfremd", findet die SZ, weil: Dahinter steckt ja Wales, der "schon ein globales, mehrsprachiges Wissensdepot auf die Beine gestellt hat".
Und wer möchte, kann auch noch Dieter Schnaas Wirtschaftswoche-Text "Das Gift der asozialen Medien" auf der Folie der Misstrauens-Debatte lesen ("es gibt keinen Zwang des besseren Arguments mehr auf der Basis einer intersubjektiv ermittelten Wirklichkeit").
Das Wochenende vor der No-Billag-Entscheidung
Es war nicht das einzige Mediendebattenthema am Wochenende. Daneben ging es in diversen Beiträgen um das Prinzip Öffentlich-Rechtliche. In einer Woche stimmt die Schweiz in einem Volksentscheid über die Abschaffung der Gebühren zur Finanzierung der Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ab. Aktuelle Umfragen erwarten zwar "ein deutliches Nein", also eine Ablehnung der Abschaffung, schreibt der Tagesspiegel. Wer darauf aber "Brexit" oder "Trump" sagt, wie der SRG-Direktor bei DWDL, den muss man wohl auch nicht weltfremd nennen. Dem Entscheid wird für die Zukunft der europäischen Öffentlich-Rechtlichen jedenfalls auch Signalwirkung zugeschrieben (Altpapier). Und wir befinden uns jetzt im Vorberichterstattungsendspurt.
Wobei am Wochenende in den deutschen Medien die Positionen recht klar verteilt sind: Alle, die zitiert werden oder sich äußern, sind gegen die Abschaffung, auch die Schweizer Verleger. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall sieht "blanken Populismus" (Meedia). Und bei Zeit Online befinden die St. Gallener Professoren Thomas Beschorner und Caspar Hirschi: "Das öffentlich-rechtliche Informationsangebot verfälscht nicht einen funktionierenden privaten Wettbewerb, sondern es korrigiert ein demokratisch gefährliches Marktversagen."
Anne Fromm, Medienredakteurin der taz, erklärt für alle Neueinsteiger aus der Schweiz die Debatte auf drei Seiten – online über die Printarchiv-Suche lesbar. Und in der gedruckten Zeit schließen Matthias Daum und Florian Gasser die Schweizer und die österreichische Mediendebatte zusammen:
"Österreich ohne den ORF? Es wäre ein Desaster für die Demokratie. (…) In der Schweiz hat der Angriff auf die SRG zu einer riesigen Solidaritätswelle geführt. Seit Monaten vergeht kein Abendessen, kein Apéro, ohne dass der öffentliche Rundfunk ein Thema ist. Vielen Schweizern wird erst jetzt klar, was alles an der SRG hängt. Nicht nur das Fernsehen, auch das Radio und die Schweizer Filme, die Schweizer Musik. Und damit auch Jobs. 8.000 bis 15.000 Stellen könnten wegfallen, falls No Billag durchkommt."
Der ORF-Moderator Armin Wolf sammelt derweil in seinem Blog Argumente für die "Zwangsgebühren", wie sie auch in Österreich von Kritikern genannt werden.
Die Frage ist, um zu Isabell Hülsens Spiegel-Text zurückzukommen, ob Kritiker der, wie sie es nennen, "Qualitätspresse, der sogenannten", sich angesichts dieser kleinen Häufung von voneinander unabhängigen Beiträgen nun wieder in ihrer Meinungsbildung bevormundet fühlen. It’s complicated.
In Sachen "Schmutzkampagne bei Bild"
Können Sie noch? Ein Thema hätten wir noch: Bei Twitter kennt man es als #miomiogate, aber Bild-Schlagzeilenmacher würden, wenn es nicht um sie selbst ginge, wohl sagen: Es geht um die "Schmutzkampagne bei Bild" (Altpapier vom Donnerstag und Freitag).
Jürn Kruse zerlegt in der taz die Verteidigungsstrategie von Bild-Chef Julian Reichelt quasi mit dessen eigenen Mitteln. Die Idee der Bild, einen Hund als SPD-Mitglied anzumelden, lobt Kruse zunächst:
Aber dann argumentiert er: Bild war die SPD der Titanic. "Genauso wie die Bild die SPD vorführte, führte kurz darauf die Titanic die Bild vor." Was Reichelt der Titanic vorwerfe – sie würde "journalistische Arbeit" bewusst "diskreditieren" –, sei ihn wegen der SPD-Berichterstattung vorgeworfen worden: Sie würde politische Arbeit bewusst diskreditieren. Dass Reichelt das nicht erkenne, sei entweder "blöd" oder "bigott". Make your choice.
Wie löchrig die Verteidigungsstrategie von Reichelt tatsächlich ist, bewies er am Wochenende noch einmal im Spiegel-Interview (€). Statt dann doch irgendwann mal Butter bei die Fische zu machen, betont er, man sei nicht hereingefallen auf "auf das, was man uns unterjubeln wollte".
Spiegel: "In der Redaktionskonferenz sollen mehrere Kollegen vor der Geschichte gewarnt haben."
Reichelt: "Zu den Warnern gehörte auch ich. Die Konferenz war sogar geschlossen dagegen. Diese Entscheidung haben wir revidiert, als sich die SPD entschloss, Strafanzeige zu stellen."
Und am Ende wurde die Geschichte dann mit den Begrifflichkeiten des Riesenskandals auf die Titelseite gehoben? Schlusswort Harald Staun, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: "Der notorische Trick, die suggestiven Schlagzeilen der Titelseite durch kleingedruckte Relativierungen abzusichern, wirkt diesmal nur besonders mickrig. (…) Das Faible für solche Geschichten (…) ist kein handwerkliches Versagen; sondern eine gestörte Überzeugung davon, was Journalismus leisten sollte."
Altpapierkorb (Mesale Tolu, Deniz Yücel, "Südstadt", Ulrich Pleitgen)
+++ Dass Mesale Tolu, "(a)nders als Deniz Yücel und anders als der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner", nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft in der Türkei weiterhin mit einem Ausreiseverbot belegt ist, daran erinnert der Südkurier.
+++ Nach SZ und FAZ vergangene Woche (Altpapier) rekonstruiert nun auch der Spiegel, wie Deniz Yücel inhaftiert wurde, nachdem er über geleakte E-Mails von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak geschrieben hatte, und freikam: "Anders als auf der Polizeistation wird Yücel nicht mehr nach den Albayrak-Mails gefragt. Stattdessen geht es plötzlich um einen Text über den gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016, um eine Reportage über den Krieg des türkischen Militärs gegen kurdische Rebellen im Südosten des Landes und um ein Interview mit PKK-Führer Cemil Bayık – ganz andere Artikel. Präsident Erdoğan, wird ein türkischer Offizieller später erklären, habe damals nicht gewollt, dass die E-Mail-Affäre seines Schwiegersohns noch einmal in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird. Der Richter sperrt Yücel deshalb unter dem Vorwand der Terrorpropaganda in Untersuchungshaft."
+++ Im Nachgang zur Bundestagsdebatte über Yücels von der AfD kontextfrei gelesene taz-Texte schreibt Daniel Schulz in der taz über jene Kolumne (über Thilo Sarrazin), deren Verbreitung mittlerweile gerichtlich untersagt ist: "Deniz musste nicht beschützt werden. Außer einmal: Als Deniz Thilo Sarrazin einen Schlaganfall wünschte. Die Kolumne habe ich redigiert. Natürlich ist mir der Satz aufgefallen. Ich habe ihn stehen lassen. (…) Deniz hat diesen Satz viel eher bereut als ich. Auch mir tut er heute leid."
+++ "Warum steht das System gerade jetzt europaweit unter Druck? Was sind die Vor- und Nachteile der öffentlichen Finanzierung von Medien? Welcher Reformbedarf besteht?" Das "Medienquartett" des Deutschlandfunks – unter anderem mit Lutz Hachmeister – sprach über den "öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa unter Druck"
+++ Fernsehrezension des Tages: "Südstadt" (ZDF, 20.15 Uhr). Die FAZ schreibt: Die Darstellerinnen und Darsteller "spielen – ein Ensemblefilm im besten Sinne des Wortes – samt und sonders mit der Überzeugungskraft einer nah an der eigenen Existenz entlangimprovisierten Authentizität. Leiden wird nicht dramatisiert, Freude nicht exaltiert ausgestellt; alles findet sehr viel zurückgenommener statt, die Tragik ist oft nur angedeutet." Die SZ schreibt über den Film: "Man schaut so gern zu, weil der Film seinen Figuren bei etwas nach außen Unspektakulärem, aber dennoch sehr Bedeutendem genau folgt – beim Leben und dem, was es ausmacht." Die Frankfurter Rundschau schreibt: "‚Südstadt‘ hat etwas Unversöhnliches, ohne laut zu werden." Und der Tagesspiegel findet: "Südstadt" sei von "großer szenischer Präzision. Ein Film blickt in die Seele einer Generation. Im Mittelpunkt stehen die heute um die 50 Jahre alten Menschen, die von ihren 68er-Eltern ins Leben geschickt wurden, um deren Freiheitsideale zu leben"-
+++ Eurosport hält mit den Öffentlich-Rechtlichen mit – eine Tagesspiegel-Bilanz zu den Olympischen Spielen.
+++ Nachrufe auf den Schauspieler Ulrich Pleitgen gab es in der Samstags-FAZ sowie etwa bei Zeit Online, tagesschau.de und beim Tagesspiegel.
Neues Altpapier gibt es am Dienstag.