Das Altpapier am 19. Februar 2018 Tröööt und tadaa
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Deniz Yücel ist frei, die AfD bleibt autoritär. Wie sollten Journalisten mit ihren Provokationen umgehen?, ist mal wieder die Frage. Mathias Döpfner und Steven Spielberg entdecken im Gespräch über Journalismus, hoppla, ein gemeinsames Investment. Und Harald Martenstein wünscht sich eine Lüftung. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Deniz Yücel ist nicht freigesprochen, aber seit Freitag frei (Altpapier vom Freitag), und er befindet sich nicht mehr in der Türkei. Tröööt allüberall. Das rührende Foto, das Yücel in den Armen seiner Frau vor den Gefängnismauern zeigt, war nicht nur das naheliegende, sondern, weil es auch die Stimmungslage mancher Redaktion wiedergeben dürfte, auch das passende Titelseitenmotiv zahlreicher Samstagszeitungen.
Die Freude über die Freilassung war im nicht autoritären Spektrum jedenfalls weitgehend einhellig; Differenzierungen betrafen vor allem die politische Situation in der Türkei, an der sich nichts verändert hat: Die lebenslangen Haftstrafen, die praktisch zeitgleich gegen andere Journalisten und Publizisten ausgesprochen wurden, etwa gegen Ahmet und Mehmet Altan, zeugen nicht von einer überraschenden politischen Wende.
Der Fall Yücel führt aber auch vor Augen, dass die Bruchlinie in den Auseinandersetzungen nicht etwa zwischen "der Türkei" und Deutschland verläuft, sondern zwischen Liberalen und Autoritären in beiden Ländern. Die AfD, aus deren Reihen am Aschermittwoch noch Türken rassistisch verunglimpft worden waren, steht – blickt man auf das größere Bild – im Grunde Seite an Seite mit den Anhängern der türkischen AKP. Yücel war gerade auf freiem Fuß, da begann wieder der gemeinsame Autoritätskorso der AfD- und AKP-Anhängerschaft durch die Social Media. Hervor tat sich mit einer Provokation besonders eine Abgeordnete, über deren Äußerung Alexander Gorkow von der Süddeutschen Zeitung am Samstagabend twitterte:
"Keinen Tweet je so oft gelesen wie heute den von Frau Weidel, dabei folge ich ihr ganz u gar nicht ... Die haben den Dreh raus, Leute".
Es geht dabei natürlich um diesen einen bei Bedarf leicht auffindbaren Tweet zu Yücels Freilassung. Und wir wären damit wieder mitten in der Debatte, wie Journalistinnen und Journalisten mit der AfD umgehen sollten. Es hat sich womöglich nicht allzu viel verändert seit dem Bundestagswahlkampf, in dem jede Provokation gewissenhaft diskutiert wurde. Die einen teilten den Weidel-Tweet. Die anderen baten, ihm solcherlei Aufmerksamkeit zu verweigern – "(s)ollten wir nicht langsam schlauer sein?", fragte etwa Cordt Schnibben. Dritte befanden, es sei ihr Job, Unsäglichkeiten als solche zu benennen.
Die Unlenkbarkeit des Konnektivs
Tja. Also wo stehen wir? Der Politikwissenschaftler Robert Feustel sagte am Freitag im faz.net-Interview:
"Es ist heute nicht mehr nötig, die Kontur der Partei bloßzustellen. Alle, die es wissen wollen, können sehen, dass die AfD eine extrem rechte, ausgrenzende Partei ist. Wer das bis jetzt nicht verstanden hat, der will es wahrscheinlich nicht verstehen. Ich glaube also nicht, dass die Medien da noch einen großen Aufklärungsauftrag haben. Es wäre sicher zielführender, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das die AfD einem hinhält. Denn in dem Moment, wo ich eine bestimmte provokante, ausgrenzende Aussage wiederhole, kann ich mich zwar kritisch davon distanzieren, bediene aber trotzdem das Thema und setze es auf die Agenda."
Stefan Fries vom Deutschlandradio schreibt dazu in seinem Blog:
"Das ist kein neues Plädoyer. So was schreiben Journalisten auch gerne immer wieder mal, fallen dann aber doch erneut darauf herein, wenn die AfD die Grenzen ein weiteres mal stückweise verschiebt. Und wir helfen dabei."
Nur, man kann auch ganz anders denken. Nils Markwardt argumentierte im September bei Zeit Online, die "Eskalationsdynamik" der AfD werde nicht durch kritisch gemeinte Indifferenz gestoppt, "sondern durch kollektive Gegenrede – und ja, auch durch richtig verstandene Skandalisierung". Bestimmte Aussagen könnten "in einer pluralistischen Gesellschaft nicht nicht skandalisiert werden".
Die Frage ist auch, wer dieses "Wir" ist, mit dem Fries und Schnibben Medienvertreterinnen und -vertreter adressieren. Auch Journalistinnen und Journalisten sind, selbst wenn sie sich zeitgleich zur selben Angelegenheit äußern, kein Kollektiv, sondern eher ein Konnektiv – ein Wort, das sich bei Bernhard Pörksen in seinem am Freitag hier schon erwähnten, heute erscheinenden Buch "Die große Gereiztheit" zur Bezeichnung der "vernetzten Vielen" findet:
"Kollektive (man denke nur an eine Partei oder ein beliebiges Unternehmen) agieren auf der Grundlage klarer Absprachen, gemeinsamer Grundsätze und starker Bindungen, orientiert an deutlich erkennbaren Entscheidungs- und Machtzentren. Es gibt die Möglichkeit von Anweisung und Anordnung. Das konnektive Handeln ist demgegenüber weniger fremdbestimmt, stärker am individuell-persönlichen Selbstausdruck ausgerichtet, ermöglicht und geprägt von digitalen Medien. Es gibt keine klar definierten Innen-außen-Grenzen. Man kann einem Konnektiv keine Befehle erteilen, ein gemeinsames Vorgehen erzwingen und die Zugehörigkeit autoritär festlegen."
Auch wenn Journalismustreibende von ihren infamsten Kritikerinnen als homogene Gruppe dargestellt werden – Weidel etwa zitierte in ihrem Tweet explizit "die Medien": Gerade in solchen Debatten über "das richtige" Verhalten "der Medien" zeigt sich auch ihre Unlenkbarkeit. Und insofern ist die oben zitierte rhetorische Frage, ob "wir" Journalisten nicht "langsam schlauer sein" sollten, nicht beantwortbar. Vielleicht wird ja jede Journalistin und jeder Journalist schlauer – aber eben jede und jeder für sich.
Die Gesichter der Social Media
Während die Social Media, wenn es um die Provokationen der Autoritären geht, als Infrastruktur der Polarisierung erscheinen, haben sie im Rahmen der #FreeDeniz-Aktion auch ihr anderes Gesicht gezeigt: "Yücels Freilassung löste gerade in den sozialen Medien großen Jubel aus", schrieb Jörg Thomann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und machte neben "stiller Geheimdiplomatie" auch "(l)autstarke Unterstützerkampagnen" für die Entwicklung mitverantwortlich. "(J)ene sozialen Netze, die so häufig nur als Vehikel und Verstärker des Ressentiments wahrgenommen werden, waren als Medium der Freiheitsforderungen dann doch gar nicht so übel", befand, ebenda, Claudius Seidl.
Bei Pörksen heißt es:
"Es ist wenig sinnvoll, die vernetzten Vielen lediglich als Mob und Meute und damit als eine Diskursbedrohung zu präsentieren, auch wenn sie das Mobbingspektakel beherrschen. Aber es ist ebenso wenig angemessen – dies wäre das andere Extrem –, pauschal von einer digitalen Graswurzelbewegung zu schwärmen, die endlich mit ihren Notebooks die Welt zum Guten wendet und allein bereichernde und stets sinnvolle Diskursbeiträge formuliert. Zwischen diesen beiden Extremen der Bewertung sind unterschiedliche Mischungsverhältnisse, unterschiedliche Aktionsmuster und Formen der öffentlichkeitsverändernden Wirkung nachweisbar."
Tatsächlich haben wir im Fall Yücel über die Monate beides gesehen.
Im gut durchlüfteten Raucherraum
Dass der Raum zwischen Plus und Minus interessant ist, aber manchmal etwas verwaist wirkt, ist dem Zeit-Magazin-Kolumnisten Harald Martenstein aufgefallen. Hilmar Klute hat ihn im Gesellschaftsteil der SZ als "eine Art Wappentier des deutschen Kolumnismus" porträtiert. Es gebe allerdings, schreibt Klute, auch keinen anderen, der "inzwischen so viele Menschen, einschließlich Kollegen, zornesrot werden lässt wie er". Offensichtlich kann man Martenstein tatsächlich nur mögen oder verachten. Schon insofern ist die Beobachtung, mit der er zitiert wird, nicht ganz falsch:
"(E)s fehle etwas, das man die 'pragmatische Mitte' nennen könne, also einen passablen Gang, der zwischen der empörten Gekränktheit der einen und dem aus allen Ecken quellenden Hass der anderen in ein besser durchlüftetes Diskurszimmerchen führt."
Falls Martenstein allerdings glauben sollte, dass ausgerechnet er mit seinen Polemiken über alle, die was mit Emanzipation machen, obwohl es sowas früher ja auch nicht gab, in einem gut durchlüfteten Diskurszimmer säße, könnte er vielleicht auch auf dem Holzweg sein. Als Ort des Gesprächs hat Martenstein übrigens den Raucherraum eines Restaurants vorgeschlagen.
It’s magic!
Gut verstanden haben sich auch Mathias Döpfner und Steven Spielberg im Gespräch für die Welt am Sonntag (€). Friede Springer und Döpfner, also die Axel-Springer-Spitze-Spitze, sprachen mit Spielberg und Tom Hanks, wobei als Autor des Interviews der Welt-Herausgeber Stefan Aust fungiert, der aber auch selbst als Gesprächsteilnehmer und nicht nur als "Welt am Sonntag" zu Wort kommt. Natürlich geht es bei dieser Besetzung um vieles und vor allem alles (Lesedauer laut Welt.de: 50 Minuten).
Anlass ist erst einmal der Spielberg- und Hanks-Film "Die Verlegerin" über die Washington-Post-Eigentümerin Katherine Graham, die "im Juni 1971 trotz des massiven Drucks der Nixon-Administration Auszüge aus den sogenannten Pentagon Papers veröffentlicht".
"Die Rückblende auf einen der großen Triumph-Momente des Journalismus ist Spielbergs Kommentar zu den Lügen der Gegenwart", heißt es im Vorspann. Aber bei so einem Thema kann es natürlich nicht nicht um Springer gehen: "Es gibt viele Parallelen zwischen den Leben von Katharine Graham und Friede Springer." Tom Hanks regt im Verlauf des Gesprächs gar an: "Dann nennen wir Sie jetzt Friede Graham. (alle lachen)"
Wie viel PR in diesem Gespräch über die Wichtigkeit von Journalismus steckt, wird spätestens klar, wenn es um Mixed-Reality-Brillen geht. Die Meldung, dass Springer ins US-Startup Magic Leap (mehr bei Wired) investiere, ist gerade eine Woche alt (Altpapier) – und tadaa:
Döpfner: "(I)n zehn Jahren wird es ohnehin wahrscheinlich keine Handys mehr geben. Wir werden Brillen haben oder sogar eines fernen Tages Implantate. Kennen Sie eigentlich Magic Leap?"
Spielberg: "Ich kenne es sogar sehr gut. Ich bin ein Investor."
(…) Döpfner: "Es ist ein Unternehmen aus Florida im Bereich der Mixed Reality. Es kombiniert Realität und virtuelle Realität. Wir haben ebenfalls bei Magic Leap investiert. Ich habe es deshalb erwähnt, weil es das von Steven Spielberg angesprochene Problem der Smartphones löst, die es ja nicht schaffen, Informationserlebnisse in der Gruppe zu schaffen. Mit Magic Leap gelingt das – man kann zusammen sein, sich unterhalten, sich in die Augen sehen und gleichzeitig Videos, Bilder, Texte betrachten."
Spielberg: "Genau, Magic Leap schafft eine erweiterte Realität, die in den Sidelines einer speziellen AR-Brille erscheint. Wir könnten jetzt also hier sitzen, miteinander reden, so wie es gerade der Fall ist – und gleichzeitig einen Film an der Wand dort sehen oder eine Zeitung auf dem Tisch vor uns."
Man kann das Gespräch durchaus als Triumph-Moment des Was-mit-Medien-Machens betrachten.
Altpapierkorb (Journalisten-Diskretion im Fall Yücel, Kritik an SZ-Text, Porträt seines Anwalts, gefälschte Mails, KEF gegen NDR, Gabor Steingart)
+++ Bild hat am Freitag mit einer "Schmutzkampagne bei der SPD" getitelt. Sie habe von einem Informanten Screenshots von Mails bekommen. Aus denen gehe hervor, dass sich Juso-Chef Kevin Kühnert mit einem Russen namens Juri darüber ausgetauscht habe, wie der mit gefälschten Accounts gegen die GroKo Stimmung machen könne. Das Bildblog hat sich der Sache angenommen, genau wie Zeit Online. Dort heißt es: "Man sollte sich als Journalist schon sicher sein, wenn man einen Verdacht in die Welt setzt. Denn allein dadurch, dass man ihn ausspricht, unterstellt man, dass etwas dran sein könnte. Deshalb genügt es nicht, einen Vorwurf zu erheben und dann denjenigen zu Wort kommen zu lassen, gegen den sich der Verdacht richtet. Vielmehr braucht es starke Hinweise, dass sich der Vorwurf bestätigen könnte." Es gebe keine.
+++ Die Seiten 3 der Samstags-FAZ und Samstags-SZ ergänzen sich zeitlich: Die SZ rekonstruiert die diplomatische Arbeit rund um Deniz Yücels Freilassung, wobei man eine Quelle auch im Foto sieht: den geschäftsführenden Außenminister Sigmar Gabriel (der zur Pressekonferenz anlässlich Deniz Yücels Freilassung dann auch im Berliner Springer-Hochhaus vor den Kameras zugegen war) beim Gespräch im SZ-Hochhaus am Freitag. Im Text heißt es: "Das Treffen am Tag der Freilassung ist zugleich auch das Ende einer monatelangen Recherche von SZ, NDR und WDR. Es ging darum zu beschreiben, wie ein solcher Fall überhaupt gelöst werden kann. Und erst dann zu berichten, wenn er gelöst ist. Nur unter dieser Bedingung waren an den Freilassungsverhandlungen beteiligte Personen immer wieder zum Gespräch mit den Journalisten bereit. Diskretion – um die Freilassung von Deniz Yücel nicht zu gefährden." +++ Der Münchner Kommunikationswissenschafts-Professor Michael Meyen kritisiert in seinem Blog: "Was dabei herausgekommen ist, liest sich so, als würde es die ganze Debatte um 'embedded journalism' nicht geben, um Reporter, die im Krieg zwar an vorderster Front dabei sein dürfen, aber dafür das zu schreiben haben, was die Kriegsherren in der Presse sehen wollen.
+++ Um Diskretion geht es auch bei der FAZ, allerdings um jene vom Januar 2017, als Yücel vor der Festnahme stand: "Zu diesem Zeitpunkt wissen einige Journalisten bereits, in welch schwieriger Lage ihr Kollege ist. Wer an seine E-Mail-Adresse schreibt, bekommt Antwort von dritter Seite, man möge bitte einstweilen nicht über den Fall berichten, um die Suche nach einer Lösung nicht zu erschweren. Selbstverständlich halten sich alle daran. Obwohl der Kreis der Mitwisser langsam wächst, erscheint keine einzige Zeile über den Fall."
+++ Die taz porträtiert Deniz Yücels Anwalt Veysel Ok.
+++ In der SZ geht es um die Kritik der KEF an den Sparplänen der ARD, darin gehe es "viel um angestrebte Synergien bei Produktion und IT-Abläufen", aber kaum ums Programm. Die Verwaltungsratsvorsitzende des NDR warf der KEF daraufhin eine Überschreitung ihrer Kompetenzen vor; sie verlasse "die Position der Staatsferne", weil sie sich Forderungen der Politk zueigen mache. Der KEF-Vorsitzende Heinz Fischer-Heidlberger erwidert nun in der SZ: "Die KEF bewegt sich im Rahmen ihres Auftrags. Ein Blick in den Staatsvertrag würde helfen". Und: "Wir prüfen die Anmeldungen unabhängig nach den Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags und nicht nach politischen Vorgaben. Das wird auch beim nächsten Beitragsbericht so sein."
+++ Der Spiegel, für den Yücels Freilassung terminlich ungünstig lag und der in die Digitalversion nur einen kurzen Text aktualisiert hat, beschäftigt sich nochmal ausführlich (€) mit dem Abgang (Altpapier) des ehemaligen Spiegel-Manns Gabor Steingart als Herausgeber des Handelsblatts.
+++ Alexander Thies, der Vorsitzende der Produzentenallianz, steht intern in der Kritik, weil er die Verdrängung der Privatsender durch Streamingdienste angekündigt hat (DWDL-Fortsetzung).
Über Ihre Meinung zum Altpapier freuen wir uns in den Kommentaren. Das nächste Altpapier gibt es am Dienstag.