Das Altpapier am 6. Februar 2018 Bis es quietscht

Kurbelt die mutmaßliche GroKo außer dem Talkshow-Business bald auch den Internet-Ausbau an? Ein Wort, das noch länger als Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist, liegt dazu schon vor. Die "heute-show" und die Fernseh-Fastnacht stecken, nicht zu Unrecht, in Shitstürmchen. Fernseh-Olympia beginnt und wird kompliziert. Außerdem: "der wichtigste Leitsatz eines demokratischen Journalismus". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Im Hauptstadtjournalismus knistert es vor Spannung. Die GroKo-Verhandlungen, die eigentlich schon vor der "Anne Will"-Talkshow am Sonntag ("Verhandeln bis es quietscht - kann eine neue GroKo überzeugen?") hätten abgeschlossen sein sollen, könnten nun punktgenau zur nächsten Koalitionsverhandlungs-Talkshow heute Abend ("Der GroKo-Poker: Letzte Chance für Merkel & Co.?") enden. Und falls jemand den Vorwurf erheben wollen sollte, die Öffentlich-Rechtlichen hätten ihr hungriges Publikum ausgerechnet am gestrigen Montag allein gelassen: Nein, eine kleine "Die GroKo-Agenda - Stimmt der Kurs?"-Talkshow gab es schon auch.

Anlass, an dieser Stelle auf erste Einschätzungen der netzpolitischen Ankündigungen zu schauen, die die womöglich künftige Bundesregierung machte. Schließlich hagelt es auch in dem Bereich kräftige Forderungen ("Bitkom fordert Vision für ein digitales Deutschland"). Wenn die Verhandler dann aber tatsächlich mal eine etwas handfestere Vision entwickeln, zum Beispiel "den Anspruch aller Bürger auf einen Breitband-Anschluss ab 2025" (Standard), will derselbe Lobbyverband sie gleich zum Arzt schicken:

"Bitkom warnt vor Universaldienstverpflichtung beim Breitbandausbau", heißt die aktuellste Pressemitteilung des Verbands, der übrigens ein amtierender BigBrotherAward-Preisträger ist. Wobei im selben Zusammenhang auch andere Lobbys zu Wendungen von beinahe schon unverständlicher Dialektik greifen:

"Der Breitbandverband Breko teilte mit, eine solche Verpflichtung würde den Glasfaserausbau gerade in ländlichen Regionen deutlich bremsen, da sie de facto Planwirtschaft darstelle und damit abschreckend auf Investoren wirke",

berichtet der österreichische Standard noch. Den Fachbegriff "Universaldienstverpflichtung" als eingängiges Synonym für einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet auch in der Provinz schon Mitte des nächsten Jahrzehnts sollte man sich jedenfalls merken. Das Wort enthält, auch wenn es (wegen weniger "w"s und mehr "i"s) nicht so aussieht, sogar einen Buchstaben mehr als "Netzwerkdurchsetzungsgesetz"!

Ansonsten gibt's eine schon ein paar Tage alte, aber gewohnt kompetente Einschätzung des "Koalitions-Zwischenstands zu Digitalem" ("mehr als doppelt so viel an Subventionen wie in den vergangenen fünf Jahren", "die Union konnte sich mit ... dem Wunsch nach einer Stärkung der Datenökonomie durchsetzen", "richtig spannend wird es bei der Position zur ePrivacy-Reform ...") bei netzpolitik.org.

Falls Sie hingegen fragen, wohin die eingangs erwähnte praktisch pausenlose Politiker-Befragung im Hauptstadtjournalismus führt, ist das Interview, das Deutschlandfunks "@mediasres" mit Udo Stiehl führte, interessant. Der floskelwolke.de-Macher sagt zum Beispiel:

"Wir werden mit Sicherheit in den nächsten Tagen oder heute Abend, wann auch immer die Einigung zustande kommt, hören 'Das ist ein guter Tag für Deutschland' oder suchen Sie sich was aus. Das sind so festgefahrene Politiker-Floskeln, die dann auch sehr schnell in die Medienberichterstattung übergehen, wo einfach Begriffe übernommen werden."

Wie präzises Sprechen ginge, demonstriert Stiehl an praktischen Beispielen wie diesem:

"Wenn Sie eine 'Mietpreisbremse' nehmen – das ist ja alleine schon ein konstruiertes Wort von der Politik: Die 'Mietpreisbremse' bremst angeblich was, nun soll sie verändert werden, weil sie gar nicht so wirklich bremst. Und dann heißt es, die 'Mietpreisbremse wird verschärft'. Mit einer scharfen Bremse haben Sie gar nichts davon, weil dann quietscht die allenfalls. Das meinen wir damit, dass die Bilder schief sind und dadurch einfach missverständlich werden oder manchmal auch einfach lustig."


Fassenacht und "heute-show" in der Kritik

Jetzt aber Schluss mit lustig. Zum deutschen Fernsehhumor. Der steckt mit zwei unterschiedlichen Beispielen in Shitstürmchen von unterschiedlichen Seiten. Wir schalten zunächst zur ardmediathek.de:

"2018 fuhr die Kultsendung Fastnacht in Franken in Veitshöchheim wieder eine super Quote ein. Mehr als 4,2 Millionen Menschen wollten die Stars der fränkischen Fastnacht nicht verpassen. Wir haben hier noch einmal die Höhepunkte für Sie",

heißt es da. Es geht gleich zünftig los mit einem als Prinzregenten verkleideten künftigen mutmaßlichen Ministerpräsidenten. Ich habe nicht überprüft, ob der Bayerische Rundfunk dann auch die Altneihauser Feierwehrkapell'n als "Höhepunkt" in die halbstündige Zusammenfassung aufgenommen hat; man kann sich beim Altpapier-Schreiben ja nicht ständig auf die Schenkel klopfen. Falls nicht übernommen: Hier wäre die fast vierstündige Originalversion zu haben.

Die Feierwehrkapell'n hat jedenfalls mit schlechten Witzen über Brigitte Macron für Empörung gesorgt und "eine heftige Debatte" (Berliner Tagesspiegel) ausgelöst. Den dpa-Bericht inklusive Kulturwissenschaftler-Interview gibt besonders ausführlich das Hamburger Abendblatt wieder:

"'Das war mutig und dumm. Das ist ein übles Foul, das nach hinten losgegangen ist', sagt der Professor für vergleichende Kulturwissenschaften von der Universität Regensburg [Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder]. Der Angriff auf Macrons Ehefrau sei eine 'Ehrverletzung und kein politischer Diskurs'. Witze im Karneval sollen und dürfen derb sein, sagt Hirschfelder weiter. Aber: 'Der Sinn des Karnevals besteht in seiner politischen Diktion darin, auf politische Missstände hinzuweisen und nicht Menschen in ihrer persönlichen Lebenssituation zu diffamieren.'"

Der Bayerische Rundfunk habe schon angekündigt, "dass sich die zuständige Redaktion im kommenden Jahr noch genauer mit dem Fastnacht-Verband und den Künstlern abstimmen werde." Wobei der BR in seinem Internetauftritt bloß den Einschaltquotenerfolg auch bei jungen Narren sehr ausgelassen und ausführlich bejubelt.

Zu Vorwürfen, die sich dem NDR-Medienmagazin "Zapp" machen lassen könnten, gehört kaum, dass es scharf Öffentlich-Rechtlichen-kritisch ist. Wenn es sogar - im eigenen Internetauftritt und bei Twitter – die Kollegen vom ZDF kritisiert, muss also was dran sein. Es geht um einen Witz, den Olli Welke in der "heute-show" über den AfD-Politiker mit Sprachstörung riss. Der auslösende Ausschnitt ist unter beiden Links zu sehen. Unter der Überschrift "'heute show' bittet AfD um Entschuldigung" fasst faz.net zusammen.

Inzwischen liegen Entschuldigungs-Tweets Welkes und seiner Redaktion in kürzer und längerer Textfassung vor. Aufmerksamkeit verdient diese Formulierung aus der längeren Fassung:

"Die Redaktion der heute-show hatte aus der betreffenden Ausschusssitzung nur den von uns in der Sendung verwendeten Ausschnitt aus dem ARD-Mittagsmagazin vorliegen – ohne die einleitenden Worte von Herrn Amann. Wir waren uns sicher, hier ist ein Bundestagsneuling etwas nervös, während er über Sprache und Flüchtlinge redet. Hätte irgendjemand aus unserer Runde gewusst, dass Herr Amann unter einer Sprachstörung leidet, wäre dieser Clip niemals in der heute-show gelaufen ..."

Heißt ungefähr: Woher sollen denn öffentlich-rechtliche Humorredakteure wissen, was um die Ausschnitte, die sie so vorfinden, vorher drumrum gestanden hat oder gesagt wurde? Zumal sie außer die wöchentlichen Fernsehsendung vorzubereiten ja auch täglich das schnelle Internet bespaßen zu müssen meinen, dessen Witz nicht zuletzt darin besteht, dass am besten jeder zu allem, was vorbeikommt, ein gern lustiges Meinungshäufchen draufsetzt?

Am Rande: Macht das Privatfernsehen den deutschen Fernsehhumor etwas besser? Jedenfalls hat Pro Sieben eine neue Late-Night-Show mit Klaas Heufer-Umlauf ab März angekündigt. Der Künstler selbst hat einen coolen Oneliner mit "Salat" spendiert, der in allen Ankündigungs-Vermeldungen (z.B. bei meedia.de und am euphorischsten im Tagesspiegel) auch zitiert wird, bloß in der Süddeutschen nicht.


Zum Beginn der Olympischen Fernseh-Spiele

Gut zwei Jahre lang hatte es so geschienen, als stünde im Februar 2018 – also jetzt – eine gewaltige medien- und sporthistorische Zäsur bevor und erstmals seit Erfindung des Fernsehens wären Olympische Spiele nicht mehr im öffentlich-rechtlichen zu sehen. Dann, im vergangenen Sommer, haben die US-amerikanische Fernsehrechtekäufer doch noch kalte Füße bekommen und ARD und ZDF doch noch mehr Millionen Euro auf den Tisch gelegt, und die Zäsur wurde abgesagt. Jetzt beginnen am Freitag die Winterspiele, und in den Medienressorts hat's noch kaum jemand bemerkt (das Altpapier natürlich schon).

Heute endlich geht der Medienseiten-Aufmacher der Süddeutschen in den Spagat. Einerseits informiert Rupert Sommer Fernsehsportfreunde service-orientiert, was sie tun müssen, um möglichst viel Olympiasport sehen zu können:

"kurz vor dem 9. Februar, wenn die Flamme entzündet wird, noch einen Sendersuchlauf starten. So findet man auch rechtzeitig den Sender TLC, der als Frauenkanal der Discovery-Gruppe bisher ein Nischendasein führt. Dort werden jetzt zum ersten Mal live Eiskunstlauf-Wertungen übertragen ..."

Was aber noch längst nicht alles ist. Der frei empfangbare Sender Eurosport 1 und der bei zahlungswilligen Fußball-Bewegtbild-Zuschauern zumindest anfangs berüchtigt gewesene "Eurosport-Player" gehören ebenfalls zur neuen Klaviatur, denen das umfangreiche ARD/ ZDF-Angebot nicht ausreicht.

Andererseits deutet Sommer aber auch analytisch an, was das Aufschieben der Zäsur gekostet haben könnte:

"Nach Brancheninformationen überweisen ARD und ZDF für das Rechtepaket, das die Übertragung der Winter- und Sommerspiele im TV, Internet und Radio von 2018 bis 2024 umfasst, rund 220 Millionen Euro an Discovery. Die Produktionskosten der Öffentlich-Rechtlichen liegen nun laut ZDF-Chefredakteur Peter Frey knapp unter einem zweistelligen Millionenbetrag. Bei den Kosten für Lizenzen, aber auch für Experten-Honorare sind die Sender sehr zugeknöpft: Den Etat für ihre acht Sportexperten beziffert die ARD für die Saison 2015/16 auf 1,2 Millionen Euro. Einzelhonorare? Vertraulich."

Dazu dürfte es demnächst in diesem Theater sicher noch mehr Stoff geben.


Journalistik, Journalismus und Regierungs-Zwecke

Eigentlich könnte die ausführliche meedia.de-Besprechung der neuen Fachzeitschrift namens Journalistik ohne Weiteres im Altpapierkorb kurz besprochen werden, auch wenn oder gerade weil diese Zeitschrift gar nicht gedruckt erscheint, sondern nur digital (und sie gestern mit einem Artikel bzw. "einem langen Aufsatz ..., wie konstruktiver Journalismus wirkt", auch schon im Altpapierkorb vertreten war). Jedenfalls rät meedia.de-Redakteur Thomas Borgböhmer interessierten Lesern, "zwei Sachen mit[zu]bringen: Zeit und Ruhe".

Allerdings erscheint die vom Dortmunder Journalistik/-mus-Professor Horst Pöttker initiierte Publikation "in Kooperation mit dem Herbert von Halem-Verlag und der Stiftung Presse-Haus NRZ". Und wer sich online beim Halem-Verlag umschaut, stößt auf das schöne "Journalistikon", in dem kürzlich in der Rubrik "Weltjournalisten und journalistische Persönlichkeiten" Heinrich von Kleist als Blattmacher vorgestellt wurde. Gunter Reus' Artikel endet mit den Worten

"Kleists '§ 1' aber ist auch nach über 200 Jahren der wichtigste Leitsatz eines demokratischen Journalismus geblieben.".

Und schon deshalb verdient dieser Paragraph 1, noch überm Altpapierkorb zitiert zu werden. Er heißt:

"§ I. Die Journalistik [= der Journalismus, G.R.] überhaupt, ist die treuherzige und unverfängliche Kunst, das Volk von dem zu unterrichten, was in der Welt vorfällt. Sie ist eine gänzliche Privatsache, und alle Zwecke der Regierung, sie mögen heißen, wie man wolle, sind ihr fremd."


Altpapierkorb (Komunikation ist ja nicht Verständigung, was die Landesmedienanstalten verbieten könnten, "Digital attention crisis")

+++ Zurück zur aktuellen Regierungs-Politik. Ein ganz neues Ministerium einzurichten fordert Medienwissenschaftler Manfred Faßler im Interview auf der FAZ-Medienseite (45 Cent bei Blendle): "ein Check-Ministerium". Der Frankfurter Professor äußert viele interessante Ideen ("eine Infrastruktur im Netz..., innerhalb derer Daten auf ihre Richtigkeit geprüft werden können", "eine Sozialisationsdebatte ...: Was bedeutet Identität für jemanden, der gleichzeitig Mensch und User ist?"), die ein wenig wolkig bleiben, und sagt einen Satz, den man sich merken sollte: "Jetzt müssen wir akzeptieren, dass unsere Kommunikation nicht automatisch für Verständigung sorgt." +++

+++ Huch, die Landesmedienanstalten könnten etwas verbieten wollen: "Lootboxen". Das "sind virtuelle Kisten in Videospielen", die immer glücksspielähnlicher geworden sein könnten. Es berichten die Welt am Sonntag und darauf aufbauend, heise.de. +++

+++ Die Klage gegen das BND-Gesetz, die vor einer Woche hier Thema war, beschäftigt Christian Rath in der taz: "Die Rhetorik mit der bedrohten Pressefreiheit ist zwar nicht falsch. ... Allerdings wäre auch nur wenig gewonnen, wenn Karlsruhe den BND hier an die Leine legt. Wer als Journalist die Kommunikation mit Informanten schützen will, müsste sie weiterhin verschlüsseln. Schließlich gibt es international ja noch viele andere Geheimdienste, die die Datenströme filtern."

+++ Handelsblatt-"Medien-Kommissar" Hans-Peter Siebenhaar rät deutschen Fernsehsendern, wie der österreichische ORF künftig Facebook nicht mehr mit rundfunkbeitragsfinanzierten Inhalten zu füttern, und hat dafür eine lang nicht mehr gehörte Metapher: "ARD und ZDF, aber auch die Privatsender RTL und Pro Sieben Sat 1 brüten nämlich einen Kuckuck aus, der den eigenen Zuschauernachwuchs aus dem Nest werfen wird." +++

+++ Boris Rosenkranz ärgert sich bei uebermedien.de über die Ostsee-Zeitung, die beim Berichten über einen fürchterlichen mutmaßlichen Mordfall in Stralsund zu sehr von der gleichnamigen ZDF-Krimireihe inspiriert gewesen sei, die zwar auch immerzu fürchterliche Mordfälle schildert, aber ja ausgedachte zu Unterhaltungszwecken. +++

+++ Diemut Roethers neulich hier erwähntes epd medien-Interview mit dem Fernsehregisseur Franz Xaver Bogner steht inzwischen frei online. Überschrift: "Krimis sind uninteressant". +++ Und "wenn es ... vermeintlich um das Wohl unserer Kinder geht, ist sicher: Der Affe findet den Zucker immer": Da geht Ellen Nebel im aktuellen epd medien-Tagebuch auf die Kika-Kritik der Springer-Presse ein. +++

+++ Ist "Datenprotektionismus" dasselbe wie Datenschutz, bloß abwertend? Jedenfalls ist's aus Sicht deutscher Wirtschafts-Vertreter "ein weithin unterschätztes Risiko" (welt.de), zumindest der von US-Präsident Trump, also keinem Datenschützer, betriebene ... +++

+++ Das ZDF gibt dem jahrelang heimatlosen Ex-Pro Sieben-Komödianten Christoph Maria "Stromberg"-Herbst eine neue Serien-Heimat (dwdl.de). ++++

+++ Die National Geographic-Doku über die spektakuläre Entdeckung von Ruinen der Maya in Guatemala, die nun der gleichnamige Sender zeigt, erscheint der Süddeutschen "wie eine Reality-TV-Variante von Indiana Jones". +++

+++ Die neue "Vorstadtweiber"-Staffel im ARD-Programm scheint Andrea Diener auf der FAZ-Medienseite "langsam etwas unübersichtlich" zu werden ("Keinesfalls sollte man sich vormachen, man könne mit dieser neuen Staffel einsteigen, denn man steht vor einem heillos verworrenen Knäuel an Handlungsfäden. Am besten, man schaut sich die ersten zwei Staffeln auf Netflix an, am besten auch am Stück ..."). +++

+++ Und die neue Initiative "Reversing the digital attention crisis ...", die "eine Gruppe früherer Mitarbeiter und Investoren von Facebook und Google" auf humanetech.com startete, stellt ebendort Michael Hanfeld vor. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.