Teasergrafik Altpapier vom 21. Dezember 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 21. Dezember 2021 Wie viel Unterhaltung soll es sein?

21. Dezember 2021, 08:55 Uhr

Sitzt die Unterhaltung bei ARD und ZDF künftig in der zweiten Reihe? Die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag nimmt noch einmal Fahrt auf. Und Stephan Lamby schlägt klare Regeln für Journalisten vor, die Regierungssprecher werden. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Was ist öffentlich-rechtliches Entertainment?

Das ist schon eine interessante Diskussion: Was ist öffentlich-rechtliche Unterhaltung? Und wie viel davon braucht man? Darum geht es in diesen letzten Tagen des ausgehenden Jahres noch einmal auf den Medienseiten. Denn im Medienstaatsvertrag (trocken, schnarch, gähn) ist eine Änderung vorgesehen, die Konsequenzen fürs gesamtgesellschaftliche Entertainmentprogramm (lach, kicher, entspann) haben könnte.

Bislang heißt es in §26 unter dem Stichwort "Auftrag": Die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen "haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen." Vorgesehen ist nun aber eine Umformulierung, durch die Unterhaltung einen geringeren Stellenwert bekäme: "Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben [im Schwerpunkt] der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen. Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entspricht, ist Teil des Auftrags." (Man kann die aktuelle und die vorgesehene Fassung hier vergleichen. Fündig wird man, wie gesagt, bei §26.)

Den meisten würde der Unterschied zwischen der aktuellen und der geänderten Version womöglich nicht direkt auffallen. Aber Unterhaltungsschaffende springt er natürlich doch an.

Christian Franckenstein, Geschäftsführer der Bavaria-Film und Vorstandsmitglied der Produzenten-Allianz, hat sich in einem FAZ-Gastbeitrag (Abo) am Wochenende in die laufende öffentliche Diskussion eingeschaltet und moniert, dass Unterhaltung dann "nicht mehr ebenbürtig mit den Bereichen Kultur, Bildung, Information und Beratung" wäre, "sondern nachgelagert". Die eckigen Klammern in der oben zitierten Formulierung zeigen allerdings an, dass das letzte Wort nicht gefallen ist.

Franckenstein argumentiert gegen die vorgesehene Änderung, und er tut es breit, etwa indem er gesellschaftliche Bedürfnisse und Entwicklungen des Fernsehmarkts anführt. Aber wahrscheinlich tut man ihm nicht Unrecht, wenn man annimmt, dass er seiner Rolle als Vertreter der in Deutschland tätigen Produzenten weiter hinten im Text besonders gerecht wird, wo es um Budgets für die Kreativbranche geht. Da schreibt er:

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gerade auch unter föderalen Gesichtspunkten in den jeweiligen Regionen ein sehr wichtiger Auftraggeber für die Bewegtbild-Unterhaltungsbranche in Deutschland. Ohne dieses Fundament kommen viele personenbezogene, mittelständische Anbieter an ihre Existenzgrenze."

Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut hat sich schon vor einer Weile zu der laufenden Auftragsdiskussion geäußert und betont, dass aus seiner Sicht Unterhaltung einen Wert habe: "Quizshows vermitteln Wissen. TV-Filme thematisieren gesellschaftspolitische Fragen. Auch Comedy und Satire vermitteln Informationen. Unterhaltung muss deshalb ein elementarer Baustein unseres Auftrags bleiben."

Hier knüpft nun auch WDR-Intendant Tom Buhrow in einem heute erschienenen FAZ-Interview (Abo) an, in dem es, unter anderem, ebenfalls um die Frage nach dem Unterhaltungsauftrag geht. Nach einer diplomatischen Einführung kritisiert er, es gebe

"Überlegungen, auf die wir nachdenklich blicken. Dazu gehört die Absicht, den Auftrag bei der 'Unterhaltung' an eine Bedingung zu knüpfen. Entscheiden dann im Zweifelsfall Gerichte, was im Einzelfall öffentlich-rechtliche Unterhaltung ist? Und was heißt das für die Programmfreiheit?"

Das ist eine relevante Frage. Denn was hieße das eigentlich konkret, wenn Unterhaltung zwar im öffentlich-rechtlichen Auftrag stünde, aber quasi in zweiter Reihe? Wie und von wem ließe sich gegebenenfalls Trennschärfe herstellen zwischen einem Unterhaltungs- und einem Kultur-, Bildungs- oder Informationsformat, wenn man nicht in die überkommenen Muster einer Unterscheidung in E- und U-Programm zurückfallen wollte? Was würde wegfallen?

Gesamtgesellschaftlich interessant wird die Diskussion dann, wenn man nicht nur die Interessen der Unterhaltenden anhört, sondern auch die Perspektiven derer einbezieht, die unterhalten werden sollen. Also die von den, tja, Leuten. Was ist öffentlich-rechtliche Unterhaltung, ihr Leute da draußen?

Tom Buhrow behauptet, zu wissen, was sie meinen. Er beruft sich auf den "Zukunftsdialog" mit Zuschauerinnen und Zuschauern (Altpapier) und sagt:

"Eine für mich eher überraschende Aussage war die eines ostdeutschen Bürgers, dass Serien wie 'Weissensee' oder 'Charité' für ihn Bildungs­angebote seien. Aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer ist eine Abgrenzung der Genres in 'Kultur', 'Bildung' oder 'Unterhaltung' also anscheinend antiquiert."

Das Problem ist nur, dass ein ostdeutscher Bürger nur ein einzelner ist – und man immer auch jemanden finden wird, der zum Beispiel die Ansicht vertritt, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen sich auf Nachrichten und mehrfarbige Herleitungen des Satzes des Pythagoras beschränken sollte. Ein User im Kommentarforum unter dem Gastbeitrag von Christian Franckenstein bei faz.net bemängelt zum Beispiel eine allgemeine Seichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsprogramms, Stichwort "Sturm der Liebe".

Wer hat Recht? Der Bürger, der im Unterhaltungsprogramm "Weissensee" Bildung sieht, oder der, der sich von "Sturm der Liebe" nicht mal unterhalten fühlt? Die Antwort ist wohl: beide irgendwie. Joachim Huber begründet das im Grunde heute im Tagesspiegel, wenn er schreibt:

"Es gehört zu den Grunderfahrungen der Menschen, dass sie sehr viel mehr darin übereinstimmen, worüber sie gemeinsam trauern, als darüber, worüber sie gemeinem lachen. Unterhaltung ist individualistisch."

Kurz, Unterhaltung ist nach dieser Definition, wenn Menschen sich unterhalten fühlen. Für manche ist der Fernsehgarten gute Unterhaltung, für andere die "heute show", für Roger Willemsen war es, wie er 2014 in der Süddeutschen Zeitung schrieb, das "Dschungelcamp", weil das "fast die einzige deutsche Fernsehshow" sei, "die Subtext-Lektüren erlaubt": "Sieht man dagegen eine jener großen ARD- und ZDF-Familienshows voller veritabler Prominenter, die sich für keinen altbackenen Quatsch zu schade sind, dann lässt das ausnahmslos eine schlichte, wenn nicht einfältige Rezeption zu, die keinen Zehnjährigen überfordert." Auch das gilt es zu bedenken: dass Unterhaltungsfernsehen nicht unbedingt besser davon wird, dass es möglichst niemanden verstören darf.

Die medienpolitische Diskussion über den Unterhaltungsauftrag ist deshalb so interessant, weil sie nicht nur auf die Frage hinausläuft, ob Unterhaltung bei ARD und ZDF (und Deutschlandradio) "ein gleichberechtigter Baustein oder ein am Rande geduldeter Füllstoff sein soll", wie Torsten Zarges es bei DWDL formuliert hat. Sondern eben vor allem auch darauf, was das eigentlich ist: öffentlich-rechtliche Unterhaltung. Tom Buhrow definiert sie im FAZ-Interview so: "Wir führen zum Beispiel keine Menschen vor und ha­ben den Anspruch einer wertschätzenden Unterhaltung."

Ich würde aber mal davon ausgehen, dass man noch ein paar andere Kriterien definieren könnte. Wirklich schade, dass man Roger Willemsen nicht mehr fragen kann. Bitte weiter diskutieren!

Wenn Journalisten für Politiker sprechen

Es gibt viele Wege aus dem Journalismus. Auch eine interessante Diskussion ist schon deshalb die, ob Journalistinnen und Journalisten in den Sprecherberuf wechseln sollten. (Oder um mal anders zu fragen: Muss das denn sein, herrje?) Stephan Lamby beschäftigt sich aus gegebenem Anlass in einem Text für Übermedien mit dem Thema. Und er hat recht, wenn er sinngemäß schreibt, man könne es ihnen nicht verbieten. Freiheit der Arbeitsplatzwahl und so.

Aber das ist nicht der Punkt in dieser Debatte. Der Punkt ist der:

"Journalist:innen müssen die Nähe zur Politik und Wirtschaft suchen, um Personen und Vorgänge zu verstehen, um Informationen zu erhalten. Aber sie müssen ebenso Distanz wahren, um Beißhemmungen zu vermeiden. Politikjournalist:innen sollten daher nicht in der Partei sein, über die sie berichten; Wirtschaftsjournalist:innen sollten keine Aktien des Unternehmens besitzen, über das sie berichten, und Sportjournalist:innen sollten nicht Mitglied des Vereins sein, über den sie berichten. Die Welten des Journalismus und der Politik müssen – gerade beim Wechselspiel von Nähe und Distanz – stets durch eine rote Linie getrennt sein. Übertreten verboten!"

Wer vom Journalismus in eine Behörde wechselt, übertritt sie aber nun einmal. Und auch wenn die konkreten Journalistinnen und Journalisten, die im Zuge des Regierungswechsels in die Regierungskommunikation wechselten, "über jeden Zweifel erhaben" seien, wie Lamby schreibt, bleibe doch ein Verdacht, und der tue "dem Journalismus nicht gut".

Er fordert:

"Um bei künftigen Seitenwechseln den Verdacht auf unlautere Motive und parteiische Berichterstattung zu verringern, sollte in Arbeitsverträgen von Journalist:innen kein Rückkehrrecht nach einem Wechsel in die Politik mehr aufgenommen werden. Wer als Journalist:in einmal in der Politik war, sollte anschließend nicht in alter Position über seine ehemaligen Kolleg:innen und Chef:innen oder deren Konkurrenten berichten."


Altpapierkorb (Gazeta Wyborcza, Alaa Abd el-Fattah, "In 80 Tagen um die Welt")

+++ In Polen hat das Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, "wonach außereuropäische Investoren sich mit maximal 49 Prozent an polnischen Medienunternehmen beteiligen dürfen" (dw.com). Das war auch im Altpapier gestern kurz Thema. Heute nun geht es in der Süddeutschen Zeitung in einem ausführlichen Text (Abo) um "Polens führende Zeitung", die Gazeta Wyborcza (GW), die von ihrem Verlag mit dem "boulevardesken Infotainmentportal" gazeta.pl, zusammengelegt werden sollte, "das vom Anzeigenverkauf lebt und inhaltlich kaum etwas mit der GW gemein hat". Befürchtet wird nun "eine publizistische Zähmung" nach dem Vorbild freier Medien in Russland oder Ungarn.

+++ Der ägyptische Blogger Alaa Abd el-Fattah sei wegen angeblicher Verbreitung von Falschnachrichten zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, berichtet netzpolitik.org unter Berufung auf einen Tweet seiner Schwester.

+++ Eine "Dirigentin der Vielstimmigkeit" sei die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, findet Uwe Mantel bei DWDL.

+++ Die taz bespricht eine Neuverfilmung von Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt" fürs ZDF. Findet’s aber nicht so gut: "Mehr als harmlose Unterhaltung für die ganzen Familie, vom Großvater bis zur Enkelin, will, soll und kann es nicht sein. Es fehlt halt ein bisschen dieser spezifische – nun ja – ernsthaft-sehnsuchtsvolle Sound der alten Abenteuervierteiler."

+++ Die SZ derweil kümmert sich um die Mockumentary "Die Discounter" bei Amazon Prime: "deutsche Comedy der guten Sorte. Aber weil die Serie sich stark an den internationalen Formaten anlehnt, muss sie sich an ihnen auch messen lassen, und da stinkt sie ab."

Neues Altpapier erscheint am Mittwoch.

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