Das Altpapier am 13. Dezember 2021 Aufklärung statt Slogans
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13. Dezember 2021, 10:18 Uhr
Die "Bild" unterstützt Impfwerbung, will aber selbst nicht fürs Impfen werben – eine andere Zeitung schon. Das "ZDF Magazin Royale" erreicht derweil eine "nie dagewesene, journalistische Tiefe". Ein Altpapier von Annika Schneider.
Impfwerbung: Aufklärung statt Slogans
Fangen wir heute mal mit einem kleinen Quiz an: Welcher der folgenden Slogans gehört zu welchem Unternehmen?
Unternehmen | Slogan |
---|---|
1. BVG | A) Impfen lohnt sich. |
2. Lidl | B) Impfen, weil wir uns lieben. |
3. Volksbanken/Raiffeisenbanken | C) Auf diese Impfung können Sie bauen. |
4. Schwäbisch Hall | D) Wir impfen uns den Weg frei. |
Diese Claims (und 72 weitere) fanden sich vergangenen Dienstag auf einer Doppelseite in der "Bild"-Zeitung. Diverse Marken warben dort in einer Kampagne der Werbeagentur Antoni gemeinsam fürs Impfen. Die "Bild" selbst war zwar nicht dabei, hatte aber als Medienpartner den Werbeplatz kostenlos zur Verfügung gestellt. Dass somit zwar der Verlag involviert war, nicht aber die Redaktion, hat der Medienjournalist Stefan Niggemeier am Samstag bei Übermedien aufgeschlüsselt. Er schreibt:
"'Bild' hat sich nicht den Ruck gegeben, selbst Teil dieser Kampagne zu werden. Das ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig zu erkennen, und vielleicht ist genau das Kalkül: den Eindruck zu erwecken, man werbe fürs Impfen, aber an entscheidender Stelle, im eigenen Medium, genau das doch nicht zu tun. So werden einerseits Kritiker des publizistischen Krawallkurses – auch im eigenen Haus – vielleicht etwas besänftigt, andererseits aber die Leserinnen und Leser, die in 'Bild' den Schutzpatron der Ungeimpften sehen, nicht verprellt."
Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob genau diese Leserinnen und Leser von einer doppelseitigen Impfkampagne nicht ebenso verprellt werden, auch ohne redaktionellen Artikel. Niggemeier geht dann ausführlich auf die Frage ein, ob Medien überhaupt für Impfungen werben sollten. Der öffentlich-rechtliche ORF in Österreich etwa leistet mit seiner Impflotterie ganz bewusst Überzeugungsarbeit für das Impfen und lockt dafür mit teuren (nicht aus Rundfunkgebühren finanzierten) Preisen, wie etwa einem Einfamilienhaus. Das Lotteriemotto "Wer impft, gewinnt!" würde sich in die Markenkampagne gut einfügen. Zur Kritik daran hat ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz mir für den WDR Folgendes gesagt:
"Eben weil die Politik es nicht geschafft hat, Maßnahmen zu setzen, die zu einer höheren Impfquote führen, machen wir das halt als ORF. Wir haben die Reichweite. Die Politik ist ja auch in weiten Strecken nicht imstande, die Gesamtbevölkerung zu erreichen, wir schon – und tun das daher im Sinne unseres Publikums."
Ähnlich argumentiert Stefan Niggemeier für eine "Bild"-Kampagne, die ja noch nicht einmal öffentlich-rechtlich wäre – und aus seiner Sicht tatsächlich einen Unterschied machen könnte. Die gleichen Überlegungen scheinen auch die Macherinnen und Macher der "Rhein-Zeitung" angestellt zu haben. Die Zeitung hat am Wochenende nicht nur ihren Slogan, sondern gleich ihre ganze Titelzeile geändert. Statt mit dem Schriftzug "Rhein-Zeitung" grüßten Printausgabe, E-Paper und Online-Portal die Leserschaft mit dem Titel "Rhein-Impfen". Die Aktion sei eine direkte Reaktion auf die Antoni-Kampagne gewesen, heißt es in einer Mitteilung:
"Auch die Rhein-Zeitung, als wichtigste Tageszeitung im nördlichen Rheinland-Pfalz, möchte hier ihren Beitrag leisten. Gemeinsam mit der Landesregierung und über 100 (!) spontanen Partnern und Marken aus der Region, hängt sie sich innerhalb von zwei Tagen an die Aktion und leistet so ihren Beitrag für die landesweite Impfinitiative."
Dass eine solche Aktion nur diejenigen erreicht, die ihre Lokalzeitung noch als vertrauenswürdige Quelle sehen, liegt auf der Hand. Aber lassen die sich tatsächlich davon umstimmen? Die Marketing-Abteilungen der Unternehmen, die an der Antoni-Kampagne beteiligt waren, sind Profis im Werben. In Redaktionen sitzen hingegen Profis im Informieren – und genau diese Stärke sollte der Journalismus ausspielen.
In der aktuellen Ausgabe der Erfurter Cosmo-Studie, die die Impfbereitschaft der Deutschen untersucht, findet sich folgende Empfehlung:
"Angst vor der Impfung sollte aktiv thematisiert werden und durch gute, aktive und niederschwellige Aufklärungsangebote aufgefangen werden."
Und weiter:
"Vertrauensverlust führt dazu, dass mehr und bessere Regierungskommunikation relevante Teile der Gesellschaft nicht (mehr) erreichen kann. Andere Wege und Akteure in der Krisen- und Gesundheitskommunikation sollten stärker mit einbezogen werden. Wissenschaftler:innen sollten noch stärker in die Kommunikation einbezogen werden. Ärzt:innen sollten in die Lage versetzt werden, mit gut verständlichem Material zu kommunizieren."
Das richtet sich nicht direkt an Medien, beschreibt aber Aufgaben, die Medien wahrnehmen können (und im Laufe der Pandemie auch immer wieder wahrgenommen haben). Vielleicht liegt der Beitrag der redaktionellen Berichterstattung eben nicht darin, weitere Slogans zu produzieren, sondern alle verfügbaren Informationen zum Impfen einerseits und die großen Gefahren des Nichtimpfens andererseits immer wieder übersichtlich, einprägsam und persönlich aufzudröseln.
In diesem Fall ist die journalistische Praxis, dass ein Thema nur dann erneut beackert wird, wenn es einen neuen Kenntnisstand gibt, eher hinderlich. Auch der fünfte Erfahrungsbericht von einem Covid-Überlebenden und die zehnte Impfempfehlung einer lokalen Ärztin leisten noch Überzeugungsarbeit – weil sie dann eben nicht mehr als "Einzelfall" abgetan werden können. Das ist kein Aktivismus, sondern schlicht die Vermittlung eines aktuellen Stands der Wissenschaft, der bei manchen noch nicht angekommen ist.
Auch der Startschuss für die ORF-Impflotterie wurde übrigens in einer Sendung gegeben, in der von Fachleuten und einem Telefonteam ausführlich Zuschauerfragen rund ums Impfen beantwortet wurden – und zu der keine Stimmen aus der Politik eingeladen waren.
Chatten mit "Menschenhändlern"
"Facebook ist ein Monster, das niemand stoppt",
sagte Jan Böhmermann in der jüngsten Ausgabe des ZDF Magazin Royale und fasste damit das Thema der Sendung ganz gut zusammen. Die 36 Magazin-Minuten boten einen guten Überblick, warum das Facebook-Universum, das sich seit kurzem Meta nennt, in seiner jetzigen Form so gefährlich ist. Dabei war wenig Neues: Wer die Nachrichten rund um den Konzern verfolgt (zum Beispiel im Altpapier), wird das meiste schon gewusst haben. Aber so schön unterhaltsam und zugespitzt verpacken kann es dann eben doch nur ein Satire-Magazin.
Am einprägsamsten war ein WhatsApp-Screenshot, der zeigte, wie die Redaktion mit einem so genannten Menschenhändler gechattet hatte, der anbot, eine Frau "für zwei Jahre zu verkaufen" (selbst in Anführungsstrichen lässt sich diese Formulierung kaum ertragen).
Böhmermanns unterhaltsame Präsenz lässt manchmal vergessen, dass diese aufwendig recherchierten Sendungen nur dank eines Redaktionsteams mit mehr als 15 Menschen möglich sind. Daran erinnerte am Freitag DWDL-Journalist Timo Niemeier in einer Laudatio auf Hanna Herbst, die Redaktionsleiterin des ZDF-Format:
"Nicht immer sitzen alle Themen zu 100 Prozent, aber das 'ZDF Magazin Royale' ist auch durch Hanna Herbst relevanter geworden, bietet eine nie dagewesene, journalistische Tiefe - und erreicht auf diese Weise allen voran viele junge Menschen mit Themen, die sie so wahrscheinlich gar nicht mitbekommen würden."
Hinzu kommen die Journalistinnen und Journalisten, mit denen das "Magazin Royale" immer wieder kooperiert. Die Sendung ist also gerade kein Beleg dafür, dass Satire dem klassischen Journalismus den Rang abläuft, sondern vielmehr ein Schaufenster für dessen Erfolge.
Zur aktuellen Sendung gab es als non-linearen Online-Content ein halbstündiges Interview mit der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen. Das Gespräch war von Form und Inhalt her von einem "normalen" journalistischen Interview nicht mehr zu unterscheiden. (Und wird untertitelfrei komplett auf Englisch gezeigt – dass sich der typische ZDF-Rentner hierhin verirrt, schließt die Redaktion wohl von Vorneherein aus.)
Assange wird gefährlicher Präzedenzfall
Am Freitag hat ein Londoner Gericht entschieden, das Wikileaks-Gründer Julian Assange womöglich doch in die USA ausgeliefert werden darf. Ein entsprechendes Verbot wurde gekippt, die Entscheidung soll nun die britische Innenministerin treffen. Frederik Obermaier kommentiert dazu in der Süddeutschen Zeitung:
"Assange ist nicht einmal US-Bürger, er ist Australier. Wikileaks ist auch kein amerikanisches Medium. Die einzige Verbindung zu den USA liegt darin, dass Assange offenkundiges Fehlverhalten amerikanischer Politiker, Militärs und Geheimdienstler öffentlich gemacht hat."
Dieser Präzedenzfall bringe Journalistinnen und Journalisten weltweit in Gefahr, warnt Obermaier – denn wenn die USA so mit unliebsamen Stimmen umgehe, warum sollten es dann nicht auch Regierungen in China oder Russland tun?
"Ich weiß, dass es ihm nicht gut geht, dass er natürlich sehr darunter leidet unter den Haftbedingungen",
sagte Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, schon im April im Deutschlandfunk bei @mediasres über Assanges gesundheitlichen Zustand. Und weiter:
"Während meiner Arbeit über die diplomatischen Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, hat man mir leider die Zusammenarbeit in diesem Fall systematisch verweigert. Und das hat mich ja auch so schockiert, weil ich es hier nicht mit irgendwelchen Diktaturen zu tun habe, sondern mit westlichen Rechtsstaaten."
Geändert hat sich daran wohl wenig. Die "Daily Mail" berichtete, dass der 50-jährige Assange schon Ende Oktober im Gefängnis einen leichten Schlaganfall gehabt haben soll (via Spiegel).
Altpapierkorb (mit "Compact" und "Tagesspiegel")
+++ Das "Compact"-Magazin gilt beim Verfassungsschutz nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als gesichert extremistisch, berichtete die Tagesschau am Freitag. Das Medium spiele eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung von Impfgegnern. Der Innenminister von Brandenburg nennt das Magazin von Chefredakteur Jürgen Elsässer in dem Beitrag ein "zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene". +++
+++ "Die Geschichte, die nicht erscheinen sollte" hat der Tagesspiegel in seiner Sonntagsausgabe gedruckt. Es geht um die Reportage über Flüchtlinge an der bosnisch-kroatischen Grenze, bei deren Recherche Reporter Sebastian Leber Mitte November "wegen Menschenschmuggel" festgenommen und 27 Stunden lang festgehalten wurde – im EU-Mitgliedsstaat Kroatien wohlgemerkt. +++
Zum Schluss noch des Rätsels Lösung: 1B, 2A, 3D, 4C. Wer alles richtig hat, bleibt in Werbepausen wohl gerne vorm Fernseher sitzen oder klickt die Werbeclips bei YouTube nicht schnell genug weg…
Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.
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