Teasergrafik Altpapier vom 2. Dezember 2021: Porträt Autor Annika Schneider
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Das Altpapier am 2. Dezember 2021 Die Lebenszeitfresser des Internets

02. Dezember 2021, 10:15 Uhr

Das waren noch Zeiten, als man ohne nervige Cookie-Banner surfen konnte! Die Werbebranche diskutiert Wege aus dem Tracking-Wahn. Machtmissbrauch ist in Medienhäusern wohl weiter verbreitet, als manche denken wollen. Ein Altpapier von Annika Schneider.

Cookie-Banner: Lebenszeitfresser des Internets

Wie viele Stunden Ihres Lebens haben Sie schon damit verbracht, beim Surfen plötzlich aufploppende Banner mit Cookie-Einstellungen wegzuklicken? Von all den Möglichkeiten, im Netz Zeit zu vertun, ist das Abarbeiten von Datenschutz-Einstellungen ganz sicher die Ödeste. Um die Cookie-Ablehnung so unbequem wie möglich zu machen, packen die nach unserer Einwilligung gierenden Webseitenbetreiber die ganze Trickkiste aus. Da müssen winzige Schaltflächen zielgenau angesteuert und reihenweise Schieber von rechts nach links geschoben werden. Und zum Schluss ist der Button, der die Ablehnung final bestätigt, garantiert immer der unscheinbarste. Kein Wunder, dass selbst die fleißigste Userin an manchen Tagen frustriert zustimmt, wenn wieder ein Pop-up darum bettelt, Marketing-Cookies speichern zu dürfen.

Da klingt es fast zu schön, um wahr zu sein, wenn ein Dachverband der Online-Werbebranche, das Interactive Advertising Bureau Europe, auf seiner Webseite eine "post-third party cookie world" in Aussicht stellt. Das kommt insofern nicht ganz überraschend, als dass Google bereits angekündigt hat, bald in seinem Chrome-Browser auf Cookies von Dritten zu verzichten – was allerdings nicht heißt, dass seine Werbung weniger zielgerichtet sein werde, warnte die Noch-Direktorin des European Artificial Intelligence Fund, Frederike Kaltheuner, im März im Deutschlandfunk.

Genau das, nämlich weniger auf den einzelnen Nutzenden ausgerichtete Werbung fordert bei Netzpolitik.org aber Lars Konzelmann, laut Autorenzeile Techniker beim Sächsischen Datenschutzbeauftragten (im Organigramm der Behörde steht er als stellvertretender Referent). Er beschreibt das Problem so:

"Die Wenigsten wollen in ein Tracking einwilligen, was nicht einmal derjenige genau erklären kann, der es einsetzt. Genauso wollen sich nur Wenige mit einer granularen Einwilligung oder komplizierten Rechtstexten befassen, nur weil man im Internet mal ein Rezept nachschlägt oder schauen will, ob der Regen nachlässt."

Stattdessen schlägt er kontextbasierte Werbung vor. Das ist nichts Neues, sondern vielmehr ein seit Langem erprobtes und genutztes Konzept: Auf welcher Seite eine Anzeige ausgespielt wird, richtet sich dabei nicht nach der Nutzerin oder dem Nutzer, den oder die man dank Tracking vor dem Bildschirm vermutet, sondern nach dem Inhalt auf einer Seite. Beispiel: Neben einem vegetarischen Adventsrezept steht Werbung für einen Bioladen, neben einer Rezension eines Weihnachtskonzerts ein Link zu einer Klassik-CD und so weiter – eigentlich nichts Neues. Lars Konzelmann dazu:

"Warum nicht Schluss machen mit der Allgegenwärtigkeit wertloser und letztlich unwirksamer Einwilligungen und der auf tönernen Füßen stehenden Beobachtung des Verhaltens von Milliarden Menschen? (…) Warum verzichtet man nicht auf das ausufernde System der verhaltensbasierenden Werbung zugunsten eines kontextsensitiven Systems, welches die Beobachtung des Nutzerverhaltens auf klare Zwecke wie die Abrechnung von Werbeeinblendungen minimiert? Ein System, das eine Profilbildung und eine Nachverfolgung des Verhaltens über viele Websites hinweg klar ausschließt?"

Auch das bereits erwähnte Interactive Advertising Bureau prophezeit kontextbasierter Werbung als Alternative zu Third-Party-Cookies eine große Zukunft und liefert in einem Handbuch konkrete Tipps für die Umsetzung.

Tracken tun die meisten Online-Portale wohl nicht, weil sie so großen Spaß daran haben, sondern weil es die einzige Möglichkeit ist, genügend Werbeeinnahmen zu generieren. Das gilt natürlich auch für journalistische Angebote, für die die Monetarisierung von Online-Inhalten ja ohnehin eine Herausforderung ist. Einige bieten inzwischen werbe- und trackingfreie "Pur"-Abos an, wie es zum Beispiel Spiegel und FAZ tun (wobei das eigene Surfverhalten auf der Seite für den Anbieter dann natürlich trotzdem nachverfolgbar ist).

Eine flächendeckende Abkehr vom Tracking werde nur dann gelingen, wenn kontextbasierte Werbung zum Stichtag X verpflichtend würde, kommentiert denn auch ein Nutzer namens Günter Born unter dem Netzpolitik-Text. Etwas anders sieht das Lars Konzelmann: Er schreibt die Macht, ein datenschutzfreundliches Werbesystem zu etablieren, den deutschen und europäischen Medienhäusern zu und argumentiert:

"Mit datensparsam ausgespielter, kontextbasierender Werbung, die risikoarm und vor allem zweckgebunden verarbeitetet ist, würden viele Probleme auf einmal gelöst: Rechtsfragen der Einwilligung auch für Minderjährige, die bei vielen Nutzer/innen unbeliebten Cookie-Banner sowie eine selbstbestimmte, rechtssichere und zukunftsfähige Finanzierung von kostenfreien Online-Angeboten."

Bleibt aus meiner Sicht hinzuzufügen: Bestimmt würde es auch die Lesefreude beträchtlich steigern, wenn nicht hinter jedem geklickten Link auf ein Online-Portal ein Cookie-Banner wartet – was jede kurze Recherche schnell zum Klick-Marathon werden lässt.

Juliane Löffler blickt in den Abgrund

Dass Julian Reichelt den Springer-Verlag verlassen musste (siehe Altpapier), war eine der besonders spektakulären Nachrichten des vergangenen Medienjahres. Ausschlaggebend war zu großen Teilen das, was die Ippen-Journalistin Juliane Löffler mit ihrem Team recherchiert hat – damit habe sie "Mediengeschichte geschrieben", schreibt das DJV-Magazin journalist.

Zu dieser Formulierung wäre es wohl kaum gekommen, wenn es sich bei dem Beschuldigten nicht um eine polarisierende Führungsfigur aus dem Boulevard gehandelt hätte, sondern um den x-beliebigen Chefredakteur einer kleinen Zeitung. Dass Geschichten von Machtmissbrauch aber überall in der Medienwelt lauern, macht Juliane Löffler in einem aktuellen Interview mit dem journalist klar:

"Missbrauch – nicht immer, aber meist gegen Frauen – ist in der Medienbranche, aber auch in so vielen anderen Branchen so weit verbreitet, davon haben wir nur ansatzweise eine Vorstellung. Ich glaube, dass wir mit den großen und wichtigen #MeToo-Recherchen noch immer am Anfang stehen, einen tiefen Abgrund jahrzehntelanger Missstände aufzuklären."

Bei ihr würden sich "neue Quellen aus ganz verschiedenen Bereichen melden", sagt Löffler, es sind also weitere Recherchen im gleichen Themenfeld zu erwarten. Dass das juristisch anspruchsvoll sein kann und nicht ohne finanzielle Rückendeckung von Medienunternehmen geht, stellt Juliane Löffler ausführlich dar:

"Die große Frage wird also sein, ob Medienhäuser Kapazitäten für Recherchen über jede Art von Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten bereitstellen und auch Journalist*innen dafür einstellen."

Die Zurückhaltung einiger in der Branche hat der Fall Reichelt ja mustergültig gezeigt: Nach monatelangen Recherchen stoppte Dirk Ippen die Veröffentlichung in seinen eigenen Medien, als erstes berichtete dann die New York Times. Bleibt zu hoffen, dass die nächsten Enthüllungen nicht erst auf Umwegen in der Öffentlichkeit landen. Dirk Ippen habe sich bei ihr inzwischen entschuldigt und sie erkenne das an, sagt Juliane Löffler im Interview.


Altpapierkorb (Höhenflug beim ZDF, Albtraumjob Influencer, Hetze im Sport-TV, CNN-Moderator suspendiert)

+++ Die Wiederauferstehung von "Wetten dass..?" am 6. November hat dem ZDF nicht nur viel Aufmerksamkeit eingebracht (siehe zum Beispiel dieses und dieses Altpapier), sondern auch einen Rekordmonat, was die Quote angeht. Einen Marktanteil von 15,2 Prozent habe der Sender zuletzt im Februar 2002 erreicht, schreibt Meedia (€), wobei Monate mit Fußball-Großereignissen nicht eingerechnet sind. +++

+++ Wer Teenies kennt, die vom Traumberuf Influencer träumen, sollte ihnen diese Zeit-Reportage (€) zuspielen, in der Florentin Schumacher den Alltag von sieben Tiktok-Stars in einer Villa auf Ibiza schildert: "Um in den Trends der App zu bleiben, muss man ständig neue Videos liefern. 'Zwei Tage ohne Video sind für mich auf TikTok sehr viel. Der Algorithmus merkt sich das. Man wird bestraft', sagt [Influcencerin] Nadine. Die Strafe: weniger Aufmerksamkeit." Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch ein weiteres Zitat der Influencerin: "Je weniger man am Handy hängt, desto kreativer ist man und glücklicher." Neid weckt der Artikel trotz Traumkulisse ganz sicher nicht. +++

+++ WDR-Programmdirektorin Valerie Weber, zuständig für NRW, Wissen und Kultur, verlässt den Sender. Das hat der WDR gestern Nachmittag mitgeteilt und gleichzeitig eine lange Reihe von Verdiensten der Radiomacherin aufgelistet. Ihr Vertrag wäre eigentlich noch bis 2024 gelaufen, somit komme der Abschied überraschend, schreibt Alexander Krei bei DWDL. +++

+++ Offene Hetze gegen Homosexuelle war am Wochenende auf dem "führenden Sportsender in Nordafrika und im Nahen Osten" zu sehen, nämlich bei dem Kanal beIN Sports aus Katar. Wie queer.de berichtet, wetterte dort ein ehemaliger Fußballstar als Sportexperte gegen die "gefährliche Ideologie" der Homosexualität, ohne dass die Moderatoren widersprachen. Das zeigt wieder einmal, warum Katar als Austragungsort der Herren-Fußball-WM so umstritten ist. Immerhin sah sich die BeIN Media Group, zu der der Kanal gehört, im Anschluss bemüßigt, eine Pressemitteilung zu dem Vorfall zu veröffentlichen, in der sie sich allerdings nicht ausdrücklich distanzierte. +++

+++ Star-Moderator Chris Cuomo bestreitet eine der erfolgreichsten Sendungen bei CNN, ist nun aber erst einmal suspendiert. Welches konkrete journalistische Fehlverhalten ihm vorgeworfen wird, stellt der Sender in einem ausführlichen Artikel zum Thema dar und zitiert auch Cuomo selbst – um den hohen Ansprüchen der Verdachtsberichterstattung gerecht zu werden, werde ich die Anschuldigungen hier nicht wiederholen. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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