Das Altpapier am 30. November 2021 Sie hätte die Welt retten können
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30. November 2021, 11:16 Uhr
Auf Twitter wurde an die eingekerkerte Journalistin und Corona-Rechercheurin Zhang Zhan erinnert. Die Landesmedienanstalten meinen es gut, drohen aber, sich im großen Internet zu verzetteln. Die Medienpolitik freut sich auf "ganz viel Input von außen". Und einer der sehr vielen deutschen Fernsehpreise heißt jetzt anders. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
Ein publizistisch relevanter Tweet-Storm: #FreeZhangZhan
Wenn es auf Twitter stürmt, dann stürmt es ... wie lautet der Fachbegriff: Shit? Oder ereignen sich in Filterblasen, in denen genügend Katzenvideos geteilt werden, doch auch noch Candystorms? Dass das kleinste der großen sogenannten sozialen Netzwerke (dessen Gründerchef übrigens just überraschend zurücktrat, offenbar weil Twitter "nicht annähernd an die Anzeigenerlöse von Facebook heran" kommt) sich auch für publizistisch sinnvolle Kampagnen nutzen lässt, zeigte sich am gestrigen Montag zwischen 10.00 und 11.00 Uhr deutscher Zeit. Da veranstaltete eine Initiative von Amnesty Deutschland, dem PEN-Zentrum, den Reportern ohne Grenzen sowie den Journalistengewerkschaften DJV und dju einen "Tweetstorm".
Zwar zeigt Twitter eingeloggten Nutzern keineswegs gleichzeitig genau dieselben Trends an, sondern jedem und jeder immer leicht andere ("relevantere" würden auf höhere Anzeigenerlöse zielende Manager sagen). Aber #ZhangZhan trendete. Und Zhang Zhan ist ein Name und hat ein Gesicht, den und das man sich merken sollte. Inzwischen befindet sie sich in einem chinesischen Gefängnis und im Hungerstreik und soll "kaum noch in der Lage sein zu laufen oder ihren Kopf aufrecht zu halten". So steht es in einem heute auf der SZ-Medienseite, online punktgenau gestern Vormittag erschienenen Porträt der Bürgerjournalistin. Im Frühjahr 2020 gehörte Zhang Zhan "zu den wenigen unabhängigen Stimmen, die ... aus der isolierten Stadt" Wuhan berichteten, die inzwischen als erster Hotspot der Corona-Pandemie weltbekannt ist. Zhang Zhan filmte "überfüllte Krankenhäuser" und sprach mit schikanierten Erkrankten. Nachdem sie monatelang verschwunden war, wurde sie Ende des Jahres zu vier Jahren Gefängnis, offenbar unter üblen Bedingungen, verurteilt.
"Sie wurde bestraft, weil sie die Welt informieren wollte", schrieb Carolin Emcke in einem der Tweets des Storms, und PEN-Präsident Deniz Yücel:
"#ZhangZhan hätte die Welt retten können, wenn sie ihre Arbeit aus Wuhan zu Beginn der Corona-Pandemie hätte fortsetzen können. Die Welt steht jetzt in der Pflicht, ihr zu helfen ..."
Wobei Yücel dann auch die nicht-deutschsprachige Weltöffentlichkeit im Blick hatte und "Freedom of speech knows no borders!" an englischsprachige Accounts staatlicher und staatsnaher chinesischer Medien adressierte. Ob sie konkret helfen, kann bei Zeichen, die gesetzt werden müssen, ja nicht immer eine Rolle spielen.
Zum Thema passt, außer dem ROG-Abbinder, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt "auf der Rangliste der Pressefreiheit ... Platz 177 von 180 Staaten" belegt, noch diese tagesaktuelle News: Der sympathische Zeichentricktiere-Konzern Disney (zu dessen größten Aktionären inzwischen ja Rupert Murdoch gehört, weshalb zu Disneys Zeichentrick-Angebot auch die "Simpsons" aus dem alten Fox-Portfolio gehören), eine Folge dieser Serie "mit einem Hinweis auf die blutige Niederschlagung von Protesten auf dem Tiananmen-Platz 1989" aus seinem Angebot für Hongkong tilgte. "Bis vor kurzem genoss die Sonderverwaltungszone Hongkong im Vergleich zum chinesischen Festland große künstlerische und politische Freiheiten". Inzwischen genießt Hongkong solche Freiheiten nicht mehr, aber noch ausgewählte Disney-Unterhaltung.
Die Landesmedienanstalten verzetteln sich im Internet
Die Überschrift "Nazis gehen mit Hunden auf Schüler los" setzt keine schönen Assoziationen frei, sondern allenfalls Anreize, mal rasch zu klicken, trifft zum Glück aber auch nicht ansatzweise, worum es im kurzen Artikelchen unter ihr geht.
Warum es dennoch obskur bis kontraproduktiv ist, dass das Onlinemedium, in dem der genannte Artikel erschien, nun die föderalistisch geprägte und auch sonst zersplitterte deutsche Medienaufsicht auf dem Hals hat, beschreibt Stefan Niggemeier in einem uebermedien.de-Beitrag (€), in dem er den erwähnten Artikel, offenbar weil der Internetauftritt blauerbote.com ihm auch sonst nicht sympathisch ist, lediglich als Memento verlinkte:
"Man könnte das feiern als winzigen Mosaikstein im großen Kampf gegen 'Fake News': Eine Entscheidung vielleicht mit abschreckender Wirkung für alle, die im Netz mit Unwahrheiten Stimmung machen. Aber die Sache wirft Fragen auf: Muss sich ein privates, nichtkommerzielles Blog wie der 'Blaue Bote' wirklich an journalistische Grundsätze halten? Warum drohen solchen Angeboten Sanktionen für das Verbreiten von Unwahrheiten – etablierten Presseorganen aber zum Beispiel nicht? Und ist es wirklich eine gute Idee, dass eine öffentlich-rechtliche Behörde wie die Landesmedienanstalt zu einer Art Wahrheitsprüfer im Netz wird?"
Weil Blogger Jens Bernert in Mannheim lebt, führt die Baden-Württembergische Landesanstalt für Kommunikation auf Grundlage des noch neuen Medienstaatsvertrags ein Verfahren gegen den Blog. Niggemeier, offenbar informiert vom Bernert vertretenden Medienanwalt Markus Kompa, hat bei den Medienwächtern nachgefragt und weist auf bekannt Widersprüchliches hin. Etwa darauf, dass Kategorien wie "geschäftsmäßig angeboten", wenn sie gar nicht Gewinnerzielungsabsicht bedeuten sollen, und "journalistische Sorgfaltspflicht" schnell schwammig werden, sobald es in die Details geht (wobei Niggemeier aus diesem taz-Artikel zitiert).
Falls Sie es gerade nicht parat haben: Die Landesmedienanstalten sind aus historischen, kaum noch nachvollziehbaren Gründen nur für privatwirtschaftliche, aber überhaupt nicht für öffentlich-rechtliche Medien zuständig. Sie werden aber aus dem Rundfunkbeitrag finanziert. Und ihre Chefposten vergeben die Regierungen der jeweiligen Bundesländern je nach politischem Gusto (wie sich am krassesten im kleinen Saarland zeigt, das sich eine eigene Medienanstalt leistet, im Prinzip aber überall üblich ist). So schön es ist, dass die Medienwächter, nachdem sie lange Zeit kaum sinnvolle Aufgaben erfüllen konnten, sich seit Inkrafttreten des MStV sogar so großen Fische wie Google Ireland Ltd. vorknöpfen, so dringend müssten sie sich bemühen, sich nicht aus Aktionismus in den äußerst unterschiedlichen Untiefen des Internets zu verzetteln.
"Flexibilität" klingt immer gut, aber ...
Was inzwischen auch ausdrücklich zur Diskussion im Internet steht, im offiziellen rheinland-pfälzischen Internetauftritt: "Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".
Gestern wurde hier dazu ein Wolfgang-Michal-Artikel aus dem Freitag verlinkt, der, was Rundfunkpolitik an sich angeht, informativ ist, aktuell mit seiner Überschrift "Nur noch fünf Fernsehsender?" aber etwas in die Irre führen könnte. "Lediglich fünf Sender, ARD, ZDF, die Dritten Programme, 3Sat und Arte sollen als linear ausgestrahlte Vollprogramme erhalten bleiben", heißt es da. Sind die real existierenden Dritten nicht schon allein sieben Vollprogramme oder "Sender", die durch Griff in die prall gefüllten Krimi-, Schmonzetten- und Quizshow-Archive immer genau demselben bundesweiten Publikum leicht unterschiedliche Unterhaltungsangebote ausbreiten? Na ja, die Diskussion ist halt eröffnet. Und Sorgen, dass zu wenig Öffentlich-Rechtlichen-Kritik geäußert werden wird, braucht sich niemand zu machen. Die Rundfunkkommissions-Vorsitzende und RLP-Ministerpräsidentin Malu Dreyer rechnet mit "ganz viel Input von außen".
Das schreibt Torsten Zarges bei dwdl.de und kommentiert dann den ganz aktuellen Stand der Bundesländer-Medienpolitik-Bemühungen. Er hegt einige Hoffnungen – dass der relativ neue Wortbaustein "gesamtgesellschaftlicher Diskurs" das Meinungsspektrum bei den Öffentlich-Rechtlichen erweitern kann – und einige Befürchtungen. Etwa, dass der gut klingende Begriff "Flexibilität" sich als zweischneidiges Schwert erweist:
"Was theoretisch nach weitreichender Freiheit klingt, ist praktisch mit allerlei bürokratischem Aufwand verbunden. Der Gesetzgeber erwartet ausführliche Angebotskonzepte, die darlegen, dass 'der Auftrag auch durch das veränderte Angebot erfüllt wird'. Außerdem muss für jedes neue Telemedienangebot der altbekannte Drei-Stufen-Test einschließlich Stellungnahmen von Dritten durchgeführt werden. Begrüßenswert ist die erhöhte Flexibilität aus Sicht der Anstalten und insbesondere jüngerer Nutzer dennoch, weil kein Zwang mehr besteht, sämtliche Inhalte dauerhaft im linearen TV auszuspielen."
Sollte es ernsthaft um "Strukturoptimierung" gehen, könnte ein Schritt darin bestehen, die "Drei-Stufen-Tests", die niemals irgendwelche Folgen hatten (außer vielleicht für die beauftragten Gutachter), für "Telemedienangebote", von denen im wirklichen Leben außerhalb der Staatsverträge auch keine Rede ist, abzuschaffen oder zu ersetzen.
Fernsehpreisnamens-Diskussion
Jedenfalls wird in Deutschland immer noch sehr, sehr viel Fernsehen produziert, darunter auch immer Gutes. Auch daher gibt es sehr, sehr viele deutsche Fernseh-Preise. Einer davon ist der auf den "Baden-Badener Tagen des Fernsehspiels" verliehene Hans-Abich-Preis "für herausragende Verdienste um den Fernsehfilm" (vgl. nach etwas Scrollen hier). Bzw. war es einer, denn seit kurzem heißt der just wieder (an die Produzenten Quirin Berg und Max Wiedemann, die alle übrigen deutschen Preise auch schon auf dem Kamin stehen haben dürften) vergebene Preis nur noch schlicht "Ehrenpreis für herausragende Leistungen".
Das hat mit dem Die Zeit-Artikel "Von der HJ auf den TV-Olymp" (€) zu tun, der sich der Frühphase von Hans Abichs langem, 1978 mit der Pensionierung als ARD-Programmdirektor geendetem, noch in der Nazizeit begonnenem Berufsleben widmete. Sowohl über die "knallige Verknappung" der Überschrift, hinter der Abichs spätere "Verdienste um das Fernsehen der Nachkriegszeit ... unter den Tisch fallen" würden, als auch über "Rigorismus-Reflexe" wie das schnelle Canceln von Abichs Name durch den Preisausrichter, hat sich Uwe Kammann geärgert. Als Grimmeinstituts-Chef stand Kammann lange dem relativ renommiertesten der zahllosen Fernsehpreise vor (aus dem irgendwann bloß das "Adolf" gestrichen wurde). Für epd medien, das er davor seiner Grimme-Zeit leitete, schrieb Kammann einen langen Artikel, der inzwischen online steht:
"Denn schon einen Tag nach der 'Zeit'-Veröffentlichung trennte sich die Akademie [der Darstellenden Künste, AP] vom Namenspatron, um, wie es in einer Stellungnahme heißt, die Rechercheergebnisse zu prüfen und aufzuarbeiten. 'In Anbetracht der Sachlage' wurde der Preis flugs umgetauft: in 'Ehrenpreis für herausragende Leistungen'. Ist diese postwendende Reaktion geboten, zwangsläufig, vielleicht unumkehrbar? Eine Reaktion übrigens, die selbst den Autor des 'Zeit'-Artikels 'überrascht' hat? Ist tatsächlich völlig neu, in jeder Hinsicht und in allen Aspekten unbekannt, was jetzt als Enthüllung präsentiert wird?"
Wie die rhetorische Frage schon andeutet, ist es das nicht. Es stand bereits in Lutz Hachmeisters veröffentlichter Habilitationsschrift "Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six", die zwar aus dem vorigen Jahrhundert, mithin Jahrtausend stammt, auf die interessierte Zeitgenossen aber dennoch stoßen könnten. Die Echtzeit, die vor allem dann kurz in die Vergangenheit schaut, wenn Gründe zu aktueller Aufregung trenden, ist halt auch vergesslich.
Was der 2003 gestorbene Abich in der späteren Phase seines Berufslebens tat – übrigens nachdem er in der frühen Nachkriegszeit ein später untergegangenes Filmstudio in Göttingen geleitet hatte – beleuchtet Dietrich Leder für medienkorrespondenz.de. Außerdem erinnert er daran, was Abich über die Nazizeit einst in einem Dominik-Graf-Dokumentarfilm sagte. Leder meint:
"Nach dem Bild, das er [Abich] in all seinen öffentlichen Beiträgen von sich selbst zeichnete, wäre ein selbstkritischer Bericht von ihm über die Zeit seiner Begeisterung für den Nationalsozialismus Pflicht gewesen."
Womit die "differenzierteren Reflexionen", die Kammann statt Rigorismus vorschlägt, eröffnet sind. Also falls das bisschen Aufmerksamkeit nicht sowieso wieder erloschen ist.
Altpapierkorb ("Adlerperspektive", "Blödsinn", EU-Kommission, Amazon-Fernsehen auf Medienseiten)
+++ "Lehrstück der Lernunfähigkeit", "medial inszenierte" sowie "medial befeuerte Pseudo-Ungewissheit", dann aber auch "Adlerperspektive" auf journalistischer Seite: Bernhard Pörksen wieder in Topform beim Schöpfen einprägsamer Begriffe, diesmal im "@mediasres"-Gespräch mit Altpapier-Autorin Annika Schneider. Es geht um Corona, gegen Springer-Zeitungen und auch um die jüngste Ausgabe der "Anne Will"-Show.
+++ Doppelt gegen Talkshows engagiert sich der Tagesspiegel. "Talkshows mit Politikern sind der Corona-Hotspot des Blödsinns", heißt der eine Kommentar (€), "Für ernsthafte Debatten taugen die Talkshows nicht mehr", der andere, in dem Joachim Huber außerdem Wirkungstreffer gegen die FDP gelingen ("Christian Lindner erneut windelweich. Er wolle erst mal von den Verfassungsrechtlern hören, ob eine Impfpflicht rechtlich vertretbar sei ..."). +++
+++ Weil die EU-Kommission einen von "16 Nachrichtenagenturen aus 15 Ländern" geplanten, von der dpa koordinierten gemeinsamen Newsroom in Brüssel und eine "neue mehrsprachige Website mit ausgewählten Texten" bezuschusst, befürchtet die FAZ deren inhaltliche Einflussnahme. +++
+++ Groß auf den Medienseiten von FAZ und SZ: neue deutsche Amazon-Inhalte. "Wer Redundanzen mag, wird bei dieser Serie auf seine Kosten kommen. Denn viel passiert nicht, und das wird wieder und wieder wiederholt", schreibt Johanna Adorján in einer sehr schönen Besprechung der Dokuserie "Unzensiert" (SZ, €). +++ Wenn Wladimir Klitschko im FAZ-Interview (€) zur Reality-Show "Celebrity Hunted", an der er teilnahm, sagt: "Das passt wie die Faust aufs Auge", zeugt das aber auch von Humor.
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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