Das Altpapier am 15. November 2021 Gemeinnützigen Journalismus boostern
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15. November 2021, 12:26 Uhr
Dass Journalismus dem Allgemeinwohl nutzt, scheint sich in den Koalitionsverhandlungen niederzuschlagen. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Wahlsendungen von ARD und ZDF beliebig recycelt werden dürfen, zeigt ein Gerichtsurteil. Ein Altpapier von Annika Schneider.
Booster für gemeinnützigen Journalismus
Ortsverschönerung, Schach, Kleingärtnerei, Amateurfunk und Kriminalprävention: All das sind Zwecke, deren Förderung die Abgabenordnung als "gemeinnützig" einstuft. Der Journalismus steht bislang nicht auf der Liste, obwohl vermutlich niemand bestreiten würde, dass zumindest die seriösen Teile der Branche einen äußerst wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl leisten (und schon lange darüber diskutiert wird, zum Beispiel in diesem Altpapier).
Die neue Regierungskoalition will das womöglich ändern: Horst Röper, mit seinem Forschungsinstitut Formatt langjähriger Beobachter der deutschen Zeitungslandschaft, zeigt sich in einem Interview in der Wochenzeitung Kontext, die der Samstagsausgabe der taz beilag, "vorsichtig optimistisch", dass die neue Bundesregierung den Non-Profit-Journalismus stärken könnte. Die Arbeitsgruppe Medien bei den Koalitionsverhandlungen habe sich dafür ausgesprochen.
Kontext hat an dem Thema natürlich ein eigenes Interesse: Die Zeitung engagiert sich im Forum gemeinnütziger Journalismus, zusammen mit Vorzeigeprojekten wie Katapult, Correctiv, Netzpolitik.org, dem Netzwerk Recherche und vielen anderen.
Moment mal, mag man da einwenden: Belegen diese Beispiele nicht, dass gemeinnütziger Journalismus schon jetzt möglich ist? Schließlich buhlen alle genannten Projekte mit dem Argument ihrer Gemeinnützigkeit um Spenden. Wie das Forum allerdings auf seiner Internetseite schreibt, liege es bislang im Ermessen der zuständigen Finanzämter, ob sie die Gemeinnützigkeit anerkennen wollen.
"Oft fehlt es in den Ämtern an Erfahrungswissen und Vorbildern. Für die Gründer*innen bedeutet dies eine enorme Rechtsunsicherheit, die als Hemmschuh im Gründungsprozess wirken kann. Und gerade bei regional- und lokaljournalistischen Initiativen lässt sich oft kein passender gemeinnütziger Zweck in der Abgabenordnung heranziehen. (…) Aber selbst wenn die Gründung erfolgreich war, schwebt die mögliche Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei der jetzigen Rechtslage jederzeit als Damoklesschwert über den Projekten."
Das Thema sei schon in der letzten Legislaturperiode verhandelt worden, sagt Horst Röper im Interview – gescheitert sei es nicht an den Medienpolitikern, sondern an den Finanzpolitikern. Im Juli 2020 hatten die Grünen einen entsprechenden Antrag im Bundestag gestellt (taz), der dann aber auf Empfehlung des Finanzausschusses mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD und FDP abgelehnt wurde.
"Jetzt bin ich optimistischer, dass wir endlich einen Durchbruch erzielen, der für die Vielfalt im Journalismus unverzichtbar ist",
sagt Röper, und er liefert für diese Unverzichtbarkeit auch einen Grund:
"(Die Printmedien) leisten heute nicht mehr das, was sie früher geleistet haben, nämlich Vielfalt und Qualität, weil die Kassen das nicht hergeben."
Viele Verleger würden da wohl lautstark protestieren – wer mit Chefredakteuren von Lokalzeitungen spricht, hört ja ohnehin oft heftigen Widerspruch gegen die Binse vom "Zeitungssterben", mit Verweis auf alle möglichen Digital- und Videoprojekte. Die zunehmende Zeitungskonzentration ist allerdings wohl – auch dank Röpers Forschung – unstrittig, wie beispielhaft die jüngste Einkaufstour der Passauer Neuen Presse in Bayern zeigt (siehe SZ). Und Konkurrenz, auch gemeinnützige, belebt bekanntlich das Geschäft.
Röper schlägt nun ein neutrales Gremium vor, das Förderanträge von Medienunternehmen anhand von Bilanzen und Leistungen prüft, aber staatsfern ist, damit kein Ministerium oder Finanzamt Druck auf Redaktionen ausüben kann.
Am Berliner Verhandlungstisch saßen mit Heike Raab (SPD), Tabea Rößner (Grüne) und Carsten Broda (FDP) ausgewiesene Medienfachleute (die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe ist beim Privatsenderverband Vaunet nachzulesen). Abwarten also, ob die Finanzexpertinnen und -experten auch diesmal wieder die Bremse ziehen. Aber dass sich alle drei Parteien – anders als noch in der letzten Legislaturperiode – einigen konnten, ist ja schon einmal ein gutes Signal. Ich habe natürlich nichts gegen Kleingärtner und Amateurfunkerinnen, würde mir aber doch zutrauen, als Journalistin ebenso viel zum Gemeinwohl beizutragen.
Qual der Wahl beim HR
Drei Mal hat der HR-Rundfunkrat Ende Oktober gewählt, dreimal stand es mit 16:16 unentschieden. Wer im März 2022 Nachfolger von Intendant Manfred Krupp wird, ist also weiterhin offen. Krupp hatte sich zuletzt für Werbung in der ARD-Mediathek ausgesprochen, gleichzeitig gegen eine gemeinsame Plattform mit dem ZDF (Altpapier). Möglicherweise ist es also Zeit für frischen Wind. Zur Wahl stehen Florian Hager und Stephanie Weber, oder, wie Imre Grimm beim RND schreibt: "ein Mann fürs Programm und den digitalen Wandel" und "eine Frau mit dem Blick fürs Geld und das betriebliche Tagesgeschäft". Hager ist stellvertretender Programmdirektor und Channel-Manager in der ARD-Mediathek, Weber HR-Betriebsdirektorin.
Grimm hat nun von Beschäftigten im Sender vernommen, dass die sich eine Doppelspitze in der Intendanz wünschen – eine Lösung, die es bei keiner anderen Rundfunkanstalt gibt und die der Rundfunkratsvorsitzende auch für unrealistisch hält, weil sie vom HR-Gesetz nicht vorgesehen ist. Fraglich wäre zudem, wie ein doppeltes Intendantengehalt finanziert werden könnte (im letzten Jahr lag der Sender der FAZ zufolge 90 Millionen Euro im Minus). Dass die beiden Spitzenkräfte sich jeweils mit einer halben Stelle im Tandem-Prinzip zufriedengeben, ist ja eher nicht zu erwarten.
Im HR blickt man allerdings eher inhaltlich auf den Vorschlag. So sagte eine "leitende Mitarbeiterin" dem RND:
"Allein, dass Florian Hager überhaupt bereit sei, zum HR zu wechseln, sei eine gewaltige Chance. "Das ist, als käme Jürgen Klopp bei einem Drittligaverein vorbei und würde sagen: 'Ich würde gern hier arbeiten und mache euch einen guten Preis.' Das darf man sich nicht entgehen lassen – statt zu sagen: "Och nö, der Bernie vom Stammtisch hat das bisher aber gut gemacht.‘"
Die nächste Wahlrunde steht in zweieinhalb Wochen am 3. Dezember an.
Nachklapp zum Wahlabend bei "Bild live"
Kurzer Rückblick: Wer sich am Wahlabend der Bundestagswahl nicht zwischen den verschiedenen TV-Sendern entscheiden konnte, war bei "Bild live" zwischenzeitlich am besten aufgehoben – denn dort waren neben dem eigenen Programm auch die Livestreams von ZDF und ARD eingeblendet. Zu sehen waren um 18 Uhr die ersten Prognosen, später auch ein längerer Ausschnitt der "Berliner Runde" sowie zwei Interviews. Abgesprochen war das nicht, weswegen die beiden öffentlich-rechtlichen Sender ankündigten, rechtliche Schritte zu prüfen – wegen Urheberrecht.
Eine erste Entscheidung ist nun gefallen, und zwar beim Landgericht Köln. Es hat in großen Teilen dem ZDF Recht gegeben, wie die SZ berichtet:
"Das Gericht gehe davon aus, dass die Nutzung im Fall der Berliner Runde unverhältnismäßig war, sagte der ZDF-Sprecher. Bei der Übernahme eines kürzeren Interview-Ausschnitts gehe das Landgericht hingegen von der Zulässigkeit der Übernahme im Rahmen der Schrankenregelung zur Berichterstattung über Tagesereignisse aus."
Endgültig geklärt ist die Sache damit noch nicht. Zum einen berichtet DWDL, dass Springer überlegt, Rechtsmittel einzulegen. Zum anderen läuft auch noch das Verfahren der ARD gegen den Verlag. Die Springer-Vertreter hatten laut SZ damit argumentiert,
"die Bundestagswahl sei ein zeithistorischer Moment von überragendem öffentlichen Interesse gewesen".
Das hat noch einmal die Debatte darum angefacht, ob die beitragsfinanzierten Inhalte der Öffentlich-Rechtlichen nicht allen kostenlos zur Verfügung stehen sollten – vor allem, wenn es um eigenproduzierte Sendungen ohne Fremdinhalte geht. Bei Übermedien hatte sich nach der Wahl dazu unter anderem ZDF-Fernsehratsmitglied Leonard Dobusch geäußert, der sich schon lange für mehr Creative-Commons-Lizenzen bei öffentlich-rechtlichen Sendern einsetzt.
Aus Sicht des Durchschnittsnutzenden lässt es sich auf jeden Fall schlecht erklären: Erst finanziert die Allgemeinheit die Produktion einer Wahlsendung. Dieses Kernelement der Demokratie darf dann aber nicht möglichst breit und von allen in die Gesellschaft getragen werden, sondern bleibt denen vorbehalten, die ARD, ZDF und Co. einschalten. Das ist in der öffentlich-rechtlichen Legitimationsdebatte verschenkte Munition.
Stefan Niggemeier, der das Verhalten der Bild "außerordentlich frech" fand, kam Ende September im Übermedien-Artikel dennoch zu dem Schluss:
"Würde man öffentlich-rechtliche Inhalte wie die Sendungen am Wahlabend unter eine freie Lizenz stellen, könnte auch eine rechte Brüllbude wie 'Bild-TV' davon profitieren und legal ihren Krawall mit entsprechenden Inhalten anreichern. Will man das? Man kann die Frage umdrehen: Will man auf eine solche Lizensierung, von der alle profitieren, nur deshalb verzichten, weil es auch rechte Brüllbuden tun?"
Altpapierkorb (Ungenannte Fixer, Mockridge vs. Spiegel, Ukraine)
+++ Dass Korrespondentinnen und Korrespondenten viele ihrer Informationen, Kontakte und O-Töne von so genannten Fixerinnen und Fixern beziehen, ist den meisten Mediennutzenden vermutlich nicht bekannt. Dabei sind die Kräfte vor Ort oft das Rückgrat der Berichterstattung. Interessante Einblicke bietet deswegen ein taz-Text, der die Arbeit einer Journalistin in Armenien beschreibt. Dass Ani Paitjan auch als Fixerin tätig ist, erwähnt Autorin Daniela Prugger im Artikel nur kurz. Sie beschreibt stattdessen die nervenaufreibende Kriegsberichterstattung in Bergkarabach. Das Beispiel zeigt aber, dass Fixerinnen keinesfalls reine Infolieferanten sind, sondern ihre eigenen journalistischen Kompetenzen mitbringen: "Ihre lokale Expertise ist unverzichtbar. Sie teilen ihre Kontakte, ihr Wissen über die Region, die politische Lage und den Konflikt mit den eilig eingeflogenen Kollegen, die oftmals weder das Land noch die Sprache kennen." Die Namen der lokalen Medienschaffenden stehen trotzdem nur äußerst selten über dem fertigen Beitrag. +++
+++ "Das Bild eines Mannes, der sich nicht im Griff hat" zeichnete im September der Spiegel (€) von Comedian Luke Mockridge. Wenig überraschend ging der Entertainer dagegen juristisch vor, hat in einer ersten Runde am Freitag aber nun den Kürzeren gezogen: Die Berichterstattung sei im Kern rechtmäßig gewesen, nur vier Sätze zu einem Nebenvorwurf müssten entfernt werden, twitterte Spiegel-Autorin Ann Katrin Müller (via Meedia). Mockridge starte aber einen zweiten Versuch beim Landgericht Hamburg. +++
+++ 2018 hat ein Immobilienbesitzer die für ihre Unabhängigkeit renommierte ukrainische Zeitung "Kyiv Post" übernommen, nun feuert er die gesamte Redaktion. Florian Hassel berichtet in der SZ über den Fall, bei dem die Beschäftigten aus dem Fernsehen erfuhren, dass eine neue Redaktion aufgebaut werde. Als sie den Zeitungseigentümer zur Rede stellten, entließ er sie und sperrte den Zugang zum Redaktionsserver. Damit droht eine Publikation zu verschwinden, die Hassel zufolge in der Ukraine einzigartig ist und auch Diplomaten und Geschäftsleuten als wichtigste Infoquelle dient. +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.
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