Teasergrafik Altpapier vom 11. November 2021: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 11. November 2021 Olle Kamellen

11. November 2021, 13:31 Uhr

Weiter geht’s mit Nostalgiekritik, diesmal bei der Neuauflage von TV Total. Desinformation im Netz könnte es dagegen eventuell bald schwerer haben. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Früher war alles besser, heute ist alles schöner

Vielleicht liegt es ja am heutigen Datum, und den dazu im Rheinischen sogar vom Himmel regnenden ollen Kamellen. Doch dass früher zwar alles besser war, heute aber alles schöner ist, wussten schon Torfrock. Insofern kommt einem die zunehmende Ver-Nostalgisierung der Unterhaltungsbranche, die mit einer zarten Vergreisung einhergeht, noch absurder vor: Was steckt dahinter, wenn Fernsehshows, Bands und Formate Jahre später da weitermachen, wo sie aus gutem Grund (Zenit überschritten, auserzählt, keinen Bock mehr) aufgehört haben? Oder, wie eine andere, recht bekannte Unterhaltungstruppe ebenfalls trotz der in ihrem zähen Fortbestehen innewohnenden Inkonsequenz nicht müde wird, zu fragen: Who wants yesterday’s papers? Who wants yesterday’s girl?

Immerhin hat "TV Total", das seit Mittwoch wieder wöchentlich auf ProSieben ausgestrahlt wird, einen Anspruch, der über das pure Unterhalten hinaus gehen könnte: "TV Total" ist ein medienkritisches Format, das, wie es gestern hieß, "richten und strafen wird für den ganzen Schrott, den es da draußen gibt." Stefan Raab produziert zwar nicht mehr sich selbst vor der Kamera, sondern nur noch seinen Nachfolger Sebastian Pufpaff, die Late Night-Show zeigt sich darüber hinaus mit all ihren Alleinstellungsmerkmalen (Laienansage aus dem Publikum, fahrender Schreibtisch, "Nippelboard", Studioband) im gleichen Gewand wie bis 2015, als Raab sich nach 17 Jahren in den Hintergrund zurückgezogen hatte.

Doch inhaltlich merkte man der ersten Ausgabe an, wie "dated" ihre Inhalte und deren Präsentation größtenteils geworden sind: Es erscheint einem oberflächlicher als damals, wenn angesichts relevanter, präsenter und anstrengender Debatten über Dinge wie "cancel culture" und strukturelle Ungerechtigkeiten Pufpaff mit dann doch meist eher harmlosen Seitenhieben auf die rein männliche Studioband ("wie bei der CSU") oder den Kleiderstil der beiden ABBA-Männer ("Bahnhofsmission") daherkommt. Und sich vor allem der Wiederauferstehung jener anderen "Früher war alles besser"-Show widmet, "Wetten, dass..?" nämlich, um richtig zu bemerken: "Dort werden andauernd neue alte Menschen reingeführt!". Der Spiegel (€) urteilt in seiner Kritik:

"»TV Total« war zur Premiere der Neuauflage also pubertär und parasitär wie eh und je: Mit den – ho ho ho – Peinlichkeiten der Konkurrenz füllte man das eigene Programm. Wobei Pufpaff umso besser wurde, je weniger pubertär er sich gab. Meint: Wenn er das Scheitern der Anderen zeigte und dabei auch einen gewissen medienkritischen Scharfsinn aufblitzen ließ."

Wollt Ihr den totalen Schlagerboom?

Denn das tat er zuweilen doch, zum Beispiel bei einem Vergleich einer "Schlagerboom"-Moderation von Florian Silbereisen (übrigens das beste Beispiel dafür, dass spießiger Konservativismus nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun haben muss) mit einer anderen, nun ja, "Anmoderation":

"Pufpaff ist ja nicht so blöd, wie er oft tut, und »TV Total« wollte ja auch immer Fernsehkritik sein. Die gelang Pufpaff am Mittwoch auf erschreckend komische Art und Weise, als er die ARD-Show »Schlagerboom« mit Florian Silbereisen ins Visier nahm. Gezeigt wurde ein Ausschnitt, in dem der Schlagertitan in einer Mehrzweckhalle die Menge mit den Worten aufstachelt: »Wollt ihr den Schlager nach zwei Jahren Pause endlich wieder so feiern, wie er nur beim ›Schlagerboom‹ gefeiert wird?« Im Anschluss wurde die Sportpalast-Rede von Joseph Goebbels aus dem Februar 1943 gezeigt – und die »Wollt ihr«-Diktion und das Ausflippen des Reichspropagandaministers zeigten tatsächlich frappierende Ähnlichkeiten mit Silbereisens krakeeltem Mobilisierungsfanal."

Als weitere, passende Vergleiche hatte die fleißige TV-Total-Redaktion noch Mel Gibson als Braveheart bei seinem Schotten-Pep Talk gegen King Edward I., und die King Bob-Szene aus dem Minions-Film gefunden. Und dass TV Total sich über Pleiten, Pech und Pannen bei Bild TV lustig machte, war recht unterhaltsam, aber auch wieder erwartbar: Die Springer-Fernsehleute machen’s einem einfach zu leicht.

Dennoch, darüber sind sich die meisten Kommentare bislang einig, kehrt mit "TV Total", das einem früher bitter und respektlos vorkam, erstaunlicherweise eine gewisse Naivität zurück – vielleicht, weil Raab selbst immer etwas Bitteres, Verbissenes hatte, das Pufpaff fehlt. Ein Empfinden, das andere ganz anders interpretieren: Raabs Format kam, wie der Stern als anscheinend uneingeschränkter Raab-Fan schwelgerisch anmerkt, die Zeit entgegen, in der es vieles noch nicht gab:

"Er machte Dinge möglich, die bis dahin unvorstellbar waren – indem er beispielweise den Eurovision Song Contest zuerst mit Guildo Horn und später selbst mit "Wadde hadde dudde da" aufmischte. Er holte Weltstars in seine Show und zeigte sie von einer Seite, die man bis dahin nicht gesehen hatte – unvergessen, wie Raab mit Will Smith für Begeisterungsstürme sorgte. Kurz gesagt: Raab erfand viralen Content, bevor es viralen Content überhaupt gab."

Der Stern gerät sogar noch arger ins Schwärmen:

"Er setzte neue Maßstäbe, ohne dabei seine Unverfrorenheit zu verlieren. Das ist der Grund, weshalb bis heute Zuschauer:innen von einst in Erinnerungen schwelgen und seine Clips noch immer auf Youtube anschauen. Raab war größer als seine eigene Show."

Dauerzappen ist nicht mehr lustig

Klingt narzisstisch, aber das wundert einen in dem Business nun gar nicht. Auch der Tagesspiegel analysiert die neue Show in Bezug auf ihre Zeit:

"Und zweitens, nach 65 Minuten Show, da kann Pufpaff noch so sehr die Rampensau geben und als schwangere Helene Fischer bei 'Wetten, dass..?' aufkreuzen: Irgendwie ist es mit dem Dauerzappen nicht mehr ganz so lustig und abendfüllend wie 2015. Vielleicht sind wir mit Influencer- und Trash-TV-Ausrutschern auf Twitter, Instagram & Co. zu dauerberieselt. Vielleicht können das mittlerweile auch 'heute-show' und Böhmermann besser."

Beide "vielleichts" könnte man sich sparen: Das ist so. Dass die Quote trotzdem überragend war, 2,86 Millionen Menschen aller Altersstufen schauten gestern zu, sogar 27,2% der 14 bis 49jährigen, liegt natürlich auch an der Neugier, die ProSiebens kurzfristige Ankündigung schürte, ebenso wie am bereits erwähnten Willen zur Nostalgie und der diffusen Hoffnung, früher sei irgendetwas besser gewesen. Viele Twitter-Kommentare deckten dieses Feld mit Aussagen wie "fühlt sich an wie immer". Aber eigentlich, seien wir mal ehrlich, waren wir einfach nur jünger.

Diffuse Sehnsucht nach Heimat

Aber um noch einen letzten Gedanken zum Thema Nostalgie loszuwerden: Der Stern hat dazu nämlich einen Historiker namens Tobias Becker zu Rate gezogen, und zitiert ihn wie folgt:

"Im Angelsächsischen löste sich das Wort nach etwa 200 Jahren langsam vom Raum ab und beschrieb nun weniger die Heimat, den Ort, wo man Kind war, sondern ging stattdessen eher auf die Zeit über. Man sehnte sich nicht mehr nach einem Ort, sondern bezog sich mehr und mehr auf eine frühere Zeit", so Becker. 'Nostalgia' kannten in Mitteleuropa bis in die 1960er Jahre höchstens Exilanten wie Theodor W. Adorno."

Was sehr interessant ist und psychologisch viel erklärt – nostalgisch war man also ursprünglich, weil man einen bestimmten Ort vermisste, nicht die Zeit. Der Stern schreibt weiter:

"Er sieht die Nostalgie aber zu Unrecht in Verruf. 'Die Nostalgiekritik basiert auf der Annahme, dass immer irgendwie alles neu sein müsse, aber fast alles in der Kultur geht immer auf irgendein Vorbild zurück und macht dann damit etwas Neues. Inspiration kommt nie aus dem Nichts, sondern aus dem Rückbesinnen.'"

Natürlich hat er Recht damit. Allerdings ist das mit dem "alles neu" im Medienbereich schon eine spezielle Sache. Denn wie eingangs schon mit Mick Jagger erwähnt: Who wants yestersday’s papers?

Intervention in der Echokammer

Noch schnell zu einem weiteren Thema, das, nun ja, aus einer Zeitung von gestern stammt, ähem: Die taz macht sich in einem langen Artikel über das Thema "Desinformation im Netz" Gedanken. Anlass ist die einjährige Reform des Medienstaatsvertrags, der seit November 2020 eben auch Netzinhalte mitbeachtet, als Anlass analysierte die taz den Umgang der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) mit dem verschwörungsideologischen Portal KenFM, bei dem brieflich ein "Verstoß gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten" angemahnt wurde, natürlich mit dementsprechenden Reaktionen:

"Es gehört zu Ken Jebsens Geschäftsmodell und ideologischem Programm, trotz seiner enormen Reichweite über die Beschneidung der Meinungsfreiheit zu jammern: 'Der digitale Raum in der "Corona-BRD"' werde täglich enger, so Jebsen im Oktober 2020. Zensur sei inzwischen 'alltäglich' und mache 'freien Journalismus zu einem Spießrutenlauf'. Der Brief der MABB dürfte ihm da gar nicht ungelegen gekommen sein. 'Wenn das Wahrheitsministerium Maulkörbe verteilt' betitelte er seine erste öffentliche Replik auf das Schreiben und warf der Anstalt vor, einen 'digitalen Scheiterhaufen zu errichten'."

Die taz weist in diesem Zusammenhang auch nochmal auf einen wichtigen Begriff hin, der in Zusammenhang mit der verfahrenen Situation, die Diskussionen in vielen Fällen nicht mehr zulässt, immer wieder fällt:

"'Echokammer' ist eins der Schlagworte, mit denen Kommunikationswissenschaftler schon seit einem Jahrzehnt die Mechanik sozialer Medien zu beschreiben versuchen: ein sich selbst verstärkender virtueller Umgang mit Gleichgesinnten, der zu einer sich stetig verfestigenden Verengung der Weltsicht führt. Eine Radikalisierungsmaschine. Das zeigt sich auch hierzulande."

Neben vielen deutschen und internationalen Beispielen für die genannten Phänomene hat die Zeitung sich darüber hinaus in dem sehr lesenswerten und umfassenden Text zum aktuellen Stand der Beobachtungen schlau gemacht:

"Die taz hat alle 15 Landesmedienanstalten gefragt, wie sie von dem neuen Instrument Gebrauch machen. Dreizehn von ihnen schickten Antworten. Demnach gab es im ersten Jahr bislang mindestens 216 Prüfverfahren. Nur in rund 15 Fällen wurden sogenannte Hinweisschreiben verschickt. Förmliche Verfahren gab es nur in einer Handvoll Fälle. Diese Zahl kann sich jedoch noch erhöhen, wenn auf die Hinweisschreiben nicht reagiert wird."

Zumindest teilweise hätten die stärker kontrollierten Sorgfaltspflichten jedenfalls zu Ergebnissen geführt:

"Doch auch die Intervention der Medienaufsicht wird Wirkung gezeigt haben. KenFM ist nicht das einzige Portal, das im Anschluss an eine solche Intervention verschwand. Die Landesmedienanstalt NRW hatte im Frühjahr auch dem extrem rechten Jugendportal Flinkfeed geschrieben. Mittlerweile ist das mit AfD-Fraktionsmitarbeitern des Düsseldorfer Landtags verbandelte Portal aus dem Netz verschwunden."

Das ist doch mal eine zaghaft gute Nachricht.


Altpapierkorb ( ...mit Jauch vs. Yellow Press und YouTube vs. Thumbs down)

+++ Apropos Desinformation: Übermedien berichtet, wie und wieso Günther Jauch sich konsequent gegen Falschinformationen über sich in der Yellow Press zur Wehr setzt, selbst wenn es nur eine falsche Zahl ist. All diese erwirkten Gegendarstellungen enden mit dem Satz "Herr Jauch hat Recht". Und das kann man angesichts des gesamten Themas nur unterschreiben: Aber sowas von!

+++ Und die FAZ schreibt, dass der Daumen-nach-unten auch bei YouTube demnächst verborgen werden könnte. Finde ich gut. Oder hab ich etwa selbst schlichtweg Schiss vor Kritik?!

Neues Altpapier gibt's am Freitag.

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