Teasergrafik Altpapier vom 25. Oktober 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 25. Oktober 2021 Wohin zeigt die Döpfner-Kurve?

25. Oktober 2021, 10:29 Uhr

Hinter uns liegt ein Wochenende der Überblicksgeschichten und Weiterdrehs: SZ, FAS, FAZ, taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Spiegel, Medienmagazine – überall gibt es Nachschlag zur Springer-Affäre. Nun mit klarem Fokus auf Konzernchef und Verlegerpräsident Mathias Döpfner. Denn kleinlauter war der wohl noch nie. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Das Wochenende der Springer-Überblicksgeschichten

Wochenenden sind zum Lesen da. Es ist daher wie so oft, wenn im Lauf einer Woche eine Recherche zur nächsten führte, ein Kommentar sich an den anderen reihte und jede und jeder etwas zu sagen hatte: Von Freitagnachmittag an erscheinen dann die großen einschätzungsreichen Überblicksgeschichten.

Die Süddeutsche Zeitung vom Samstag zum Beispiel nutzte fünfeinhalb ihrer sechs, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom Samstag fünf von sechs Medienseitenspalten. Die taz am Wochenende analysierte, "warum man das ganze System feuern müsste". Und Der Spiegel, der unter der Woche schon Text um Text zum Thema auf seinen Onlineseiten hatte, berichtet natürlich auch großgroßgroß.

Zum Paket der taz, um mit diesem mittlerweile randständigen Aspekt zu beginnen, gehört ein Blick nach Ippen. Altverleger Dirk I., dessen Eingriff in die Freiheit seiner Redaktionen vor einer Woche öffentlich wurde (Altpapier vom vergangenen Montag), wird dabei als kleiner Lokalunternehmer gedeutet:

"Ippen hatte keine Angst, einem Konkurrenten zu schaden – sondern Angst, dass Springer sich rächen könnte. (…) Springer mit seiner Macht könnte einiges daransetzen, den Konkurrenten kleinzumachen: die München-Ausgabe der Bild billiger machen, zum Beispiel, wie man es in Köln gegenüber dem Konkurrenten Express gemacht hatte. Dirk Ippen handelte demnach wie ein Lokalunternehmer und nicht wie ein Verleger mit Weitsicht, der die Tragweite einer solchen Entscheidung versteht. So hört man es auch aus dem Verlagsumfeld – Ippen hätte die Dimensionen nicht abschätzen können."

Ein kleiner Lokalunternehmer ist Ippen freilich vor allem im Vergleich mit Axel Springer. Während ersterer sich um seine Münchner tz sorgt, sitzt Springer-Vorstandschef Döpfner im Verwaltungsrat von Netflix und investiert Springer rund eine Milliarde Dollar in Politico als "Angelpunkt seiner globalen Ambitionen" (Spiegel).

Weshalb die Zuwendung der medialen Beobachter unterschiedlich groß ist. Nur für den Digitalkonzern Springer ist sie ungebrochen.

Rätselraten mit dem "Spiegel"

Der Spiegel titelt gar: mit der "Springer-Affäre". Online lautet die Dachzeile von links nach rechts "Sex, Lügen, Machtmissbrauch" – ein Stilmittel namens Klimax, wie zehnte Klassen heute womöglich im Deutschunterricht analysieren werden. Um die Stilmittelanalyse komplizierter zu machen, gibt es allerdings auch eine Grafik dazu, auf der von links nach rechts Verlegerin Friede Springer, der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner und der mittlerweile ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt zu sehen sind. Wer hat hier demnach Sex, wer lügt, wer missbraucht seine Macht? Springer, Döpfner, Reichelt, in dieser Reihenfolge? Hm. Handelt es sich hier womöglich um das Stilmittel der neugierig machenden Text-Bild-Verwirrung?

Friede Springer erscheint im Text eher als eine Art werteorientierter Gegenpol zu Julian Reichelt ("Stolz erzähle sie, dass sie aus dem Fahrstuhl aussteige, wenn Reichelt drin sei, wird kolportiert") – und auch zu Döpfner ("Der Fall Reichelt hat die beiden … zuletzt voneinander entfremdet." – Dass Reichelt auf die Meinung Friede Springers wenig gab, soll Döpfner Bewunderung abgenötigt haben, heißt es").

An solchen persönlichen Details ist die Spiegel-Geschichte nicht arm. Wenn es um eine Kreuzfahrt geht, auf der Friede S. ihrem "Ziehsohn" in seine private Trennung und neue Beziehung mit einer Julia hineinrede, was der wiederum als "Horrortrip" empfinde, wie "Eingeweihte" erzählen würden, wird’s aber schon ziemlich seifenoprig. Worauf verweist eine solche Geschichte eigentlich? Was ist daran relevant? Wahrscheinlich ist’s nur die Klatschlust, die hier den Spiegel reitet. Vielleicht aber auch die Freude daran, an einer kleinen medienübergreifenden Schnitzeljagd mitzumachen. Die besagte Julia nämlich tauchte am Wochenende namentlich auch in der Berliner Zeitung auf, die sich an eine ZDF-Sendung von Jan Böhmermann erinnert hat, in der sie im Zusammenhang mit Döpfner vorgekommen sei.

Wie auch immer: Die Spiegel-Titelgeschichte ist eher eine Erzählung, als dass sie wirklich neues Material enthielte. Auch das Titelblatt kommt einem irgendwie schon mal erzählt vor, weil das Bild-Logo, das darauf im Hintergrund zu sehen ist, schon einmal ein Spiegel-Cover zierte. (Damals bestand der Schriftzug "Bild" freilich aus Streichhölzern, passend zur Zeile "Die Brandstifter"). 2011 war das. Vielleicht kommt es einem aber auch nur deshalb so bekannt vor, weil sich so viel seitdem gar nicht verändert hat bei Bild.

Man konnte in den vergangenen Tagen den Eindruck gewinnen, Bild sei erst unter dem Chefredakteur Julian Reichelt zu einem populistischen Medium geworden, das die gute alte Ironie von früher mit rechter Verbissenheit ersetzt habe. Dieser Eindruck ist falsch. Die Spiegel-Zeile "Die Brandstifter" bezog sich damals selbstverständlich nicht auf Julian Reichelt – der war damals noch lange kein Chefredakteur. Der ehemalige BamS-Chef Michael Spreng schätzte Bild im Spiegel aber auch damals schon als grenzwertig agierendes Kampagnenmedium ein:

"Dass sie immer weiter Ressentiments schürt und den rechten Bodensatz aufwirbelt, dass sie wie ein Brandstifter zündelt, mal hier, mal da, empört Spreng. Die 'Bild‘-Schlagzeile zur 'bitteren Wahrheit über Hartz IV und Ausländer‘ und die andere zum Thema, was man 'doch wohl noch sagen dürfen‘ muss, hält Spreng nicht für Ausrutscher, sondern für gefährlich. Mag 'Bild‘ auch bei weitem nicht das ganze Wahlvolk erreichen, in der eigenen Leserschaft wiegen ihre Worte schwer. 'Durch solche Kampagnen‘, schimpft Spreng, 'wird publizistisch der rote Teppich ausgerollt für eine Partei, die noch nicht gegründet ist, geführt von einem deutschen Jörg Haider.‘ Das klingt nicht nach Mitte der Gesellschaft."

Mag sein, dass Bild unter Reichelt noch schärfer wurde; dass sie noch mehr Kampagnen fuhr. Aber Bild ist schon vor ihm Bild gewesen. Und der Springer-Chef hieß damals schon so wie heute.

Ist ein Döpfner-Rücktritt "unumgänglich"?

Mathias Döpfner steht nach der Dynamik der vergangenen Woche im Fokus der Wochenendberichterstattung. Julia Encke wirft ihm in der FAS (Abo) vor, nicht erkannt zu haben, worum es in der Reichelt-Affären-Affäre eigentlich gehe: nämlich um eine altmännliche Unternehmenskultur, die er, Döpfner, goutiere:

"Man kann seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hoodie ansprechen, mit großen Schritten den Weg der Digitalisierung beschreiten und das modernste Rem-Koolhaas-Bürogebäude in Berlin-Mitte beziehen. Wenn drinnen im modernen Büro allerdings alles nach 'Western von gestern‘-Regeln läuft, die die Bild-Männer in der Amazon-Doku 'Bild Macht Deutschland?‘ vor den Augen der Zuschauer selbstgefällig abfeierten (Frauen waren nur am Rande zu sehen), hilft die futuristische Fassade auch nicht. Dann ist sie nichts wert."

Nils Minkmar, einst bei der FAS, dann beim Spiegel, nun Autor der Süddeutschen Zeitung, beurteilt Döpfner in der Samstagsausgabe (Blendle, 0,79 Euro) unter der Überschrift "Der Präsident" als groteske Fehlbesetzung für den Digitalpublisher- und Zeitungsverlegerverband BDZV; nun geht es also um sein ach so fehlkontextualisiertes DDR-Zitat:

"Man stelle sich vor, der Bundestrainer würde die deutschen Fußballer heroinsüchtige Korruptniks schmähen und stattdessen No Limit-Wrestling empfehlen. Man stelle sich vor, dass eine Mail des Chefs der Lufthansa öffentlich wird, in der er erklärt, Fliegen sei der größte Schwindel, wer sich an Bord begebe, sei lebensmüde. In so einem Fall wären diese Personen ihren Job noch am selben Tag los, gefeuert unter dem Applaus von Bild. Für den Präsidenten des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger in Deutschland (BDZV) scheint diese Regel nicht zu gelten. Döpfner redet das tollste Zeug und bleibt dennoch der Repräsentant einer Medienkultur, die an Festtagen viel auf sich hält."

Zeigt die Döpfner-Kurve also nach unten? Der Springer-Chef hat jedenfalls wohl mittlerweile verstanden, dass es diesmal etwas enger werden könnte für ihn, speziell als BDZV-Chef, als der er 2020 bestätigt wurde (ironischerweise einstimmig, also mit einem Wahlergebnis, wie man es am ehesten aus der DDR kennt). Am Freitag hat er sich nach der von vielen Seiten kommenden Kritik an seiner Bezeichnung deutscher Journalisten als "Propaganda-Assistenten" des "neuen DDR-Obrigkeitsstaats" noch einmal (Altpapier) entschuldigt, und diesmal sogar etwas richtiger: "bei Mitarbeitern und Betroffenen des Fehlverhaltens von Julian Reichelt", wie der Medieninsider am Freitag berichtete. "Döpfners erneute Ansprache folgt auf zwei interne Auftritte in den vergangenen Tagen, die in der Belegschaft teils übel aufgenommen worden waren", hieß es dort.

Im Übermedien-Sonntagsnewsletter steht dazu: "Man kann auch einiges an dieser neuen Ansprache aussetzen, zum Beispiel, wie schal das Bekenntnis zur Wichtigkeit von Whistleblowern darin klingt, wenn sein Unternehmen vor der Veröffentlichung der Recherchen Drohschreiben verschickt hat" (Link führt zur Samstags-FAZ). "Aber es ist immerhin zweifellos die Ansprache, die Döpfner schon zwei Tage vorher hätte halten müssen."

Ein Schreiben Döpfners ging zudem raus an die sehr geehrten Damen und Herren des BDZV (bei Übermedien im Wortlaut). Der Tagesspiegel findet: "Kleinlauter, bittender, um Nachsicht heischender war noch kein Text aus der Feder des Mathias Döpfner. Denn jetzt [Anm. d. MEDIEN360G-Red.: geht] es nicht um Reichelts Kopf im Springer-Reich, jetzt geht es [um] Döpfners Kopf im BDZV-Universum."

Ist wohl so. Nils Minkmar schließt in der SZ jedenfalls: "Ein Rücktritt ist unumgänglich." Allerdings wurde das mutmaßlich geschrieben, bevor Döpfner am Freitag nach Canossa ging. Nicht vergessen darf man, was die taz schreibt: Zwar stelle sich für einige in der Branche "die Frage, ob sie von einem Mann vertreten werden wollen, der sie für obrigkeitshörige Nachrichtenkellner hält". Aber: "Viele Verleger*innen schätzen ihn dafür, wie er es immer wieder schafft, der Bundesregierung Zugeständnisse für die Branche abzuringen." Es wird schon auch ein paar BDZV-Mitglieder geben, die finden, dass man ja wohl noch Prioritäten wird setzen dürfen…

Und dann noch der US-Markt…

Döpfners Geschick oder Ungeschicklichkeit auf dem US-Markt hat darüber hinaus auch nicht die kleinste Bedeutung, wenn man alle Moves in dieser Geschichte verstehen will. Beim Spiegel ist alles rund ums US-Geschäft ausgelagert in einen zweiten Text, in dem es also um den jüngsten "Politico-Deal" geht (Altpapier), aber auch um die "New Yorker Finanzfirma KKR", die große Anteile an Springer hält. "'Wir legen enormen Wert auf eine vielseitige, inklusive Arbeitswelt‘, schreibt die auf ihrer Website." Für Springer komme der Reichelt-Skandal deshalb "zur Unzeit" und habe bereits "ersten Flurschaden" angerichtet.

Die FAS sieht Döpfners Problem eher in seiner Kommunikation rund um Politico und den Politico-Konkurrenten Axios: "Döpfner soll vorgeschlagen haben, Axios im Geheimen auch zu kaufen, Politico und Axios zu fusionieren – und den CEO von Axios gegen den Willen der Politico-Mitarbeiter zum Chef zu machen." Das nehme man ihm krumm, und das sei es, was Döpfner auf einer informellen Ebene nachhaltig schade, wird Katharina Borchert (als Silicon-Valley-Expertin) zitiert: "Man wird ihm mit Skepsis und Misstrauen begegnen."

Für die SZ ist Washington-Korrespondent Hubert Wetzel dagegen insgesamt milder gestimmt (Blendle, 0,79 Euro): "Mit Erstaunen verfolgte man in Amerika … Döpfners Lavieren im Fall Julian Reichelt", schreibt er.

"Zwar bestand, sagen Fachleute, nie ernsthaft die Gefahr, dass die US-Wettbewerbshüter den Verkauf von Politico an Springer wegen des Sexlebens und des Machtmissbrauchs eines Bild-Chefredakteurs blockieren würden. (…) Aber was Springers – und damit künftig eben auch Politicos – Reputation angeht, war die Berichterstattung über Reichelt, die prominent in der New York Times stattfand, ein Problem."

Aber Wetzel sieht auch eine andere Seite:

"Zu versuchen, Politico zu einer konservativen Meinungsmaschine zu machen wie Bild oder Welt, wäre geschäftsschädigend. Und selbst wenn – Springers Stil mag in Deutschland den einen oder die andere erschrecken, im Vergleich zu den Lügen und der Hetze, die rechte US-Medien wie Fox News, Newsmax oder das besonders unterirdische One America News Network verbreiten, wirkt das alles aber eher bieder. Vielleicht ist es einfach so", schreibt er – und deutet das als "eigentlich eine gute Nachricht":

"Politico macht guten Journalismus und hat damit wirtschaftlichen Erfolg. Springer ist bereit, eine Milliarde Dollar dafür auszugeben. Tausend Millionen Dollar. Und KKR macht dabei mit."


Altpapierkorb (SWR-Liveschalte, Pandora Papers, Trumps Netzwerk)

+++ Aufmerksamkeit richtet sich darüber hinaus auf einen "Eklat bei SWR-Liveschalte" (SWR). Ein CDU-Politiker "hatte am Freitagabend während einer Live-Schalte … zum CDU-Kreisparteitag in Mannheim die sprechende Reporterin Natalie Akbari so lange unterbrochen und kritisiert, bis diese den Beitrag abbrechen musste." Das berichten SZ.de, FAZ.net oder auch, ganz ohne Öffentlich-Rechtlichen-Kritik, bild.de.

+++ Wo ist eigentlich der Aufschrei nach der Veröffentlichung der Pandora Papers – dieses große "Stück internationaler Investigativjournalismus über die vielen, teils illegalen und unmoralischen Tricks der Reichen und Mächtigen"? Das fragt "Breitband" vom Deutschlandfunk Kultur.

+++ Und wie es Donald Trumps eigenem neuen sog. sozialen Netzwerk ergeht, weiß u.a. "Digitalistan" vom WDR.

Neues Altpapier am Dienstag.

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