Das Altpapier am 22. Oktober 2021 Angst oder Adel, das ist hier die Frage
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22. Oktober 2021, 13:09 Uhr
In die Diskussion um die Äußerungen von Springer-Chef Döpfner schalten sich nun doch einige BDZV-Häuser ein. Außerdem wird die Frage diskutiert: Wohin entwickelt sich die Bild ohne Reichelt? Und es gibt neue Entwicklungen zum Gezerre um Auftrag, Beitrag und Rundfunkstaatsvertrag für die Öffentlich-Rechtlichen. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Was Döpfner aus BDZV-Reihen entgegenschlägt
Jetzt also doch. In der mittlerweile weit verzweigten Diskussion rund um die Medien-Ereignisse der Woche bei Axel Springer blieb es mit Blick auf Döpfers DDR-Aussage zunächst aus Verlagskreisen ziemlich still. Auf Anfrage von Boris Rosenkranz für Übermedien wollte sich am Mittwoch noch kaum jemand aus den Chefetagen anderer Häuser aus dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) zu dem äußern, was Springers Vorstandsvorsitzender und BDZV-Präsident Mathias Döpfner in einer privaten SMS über "den neuen DDR Obrigkeits Staat" und "zu Propaganda Assistenten" gewordenen Journalisten schrieb. Der Konzern und auch Döpfner selbst ordneten die Aussagen als überspitzt und als Ironie ein.
Lediglich Funke-Geschäftsführer Christoph Rüth kritisierte den Inhalt der vieldiskutierten SMS (z.B. Altpapier gestern) auf Übermedien-Anfrage als "völlig unpassend" und "dem Amt eines BDZV-Präsidenten nicht angemessen", auch wenn Springer die Aussagen mittlerweile eingeordnet habe. Nun melden sich doch noch einige andere Stimmen zu Wort. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Madsack Mediengruppe, Thomas Düffert, sagte der dpa am Donnerstag (hier bei Spiegel und FAZ):
"Die aus einem privaten Umfeld heraus nun öffentlich gewordenen Aussagen von Herrn Döpfner sind für alle Journalistinnen und Journalisten der Madsack Mediengruppe und sicherlich auch darüber hinaus eine unangemessene und verfehlte Herabsetzung."
Düffert, der auch Döpfers Stellvertreter im BDZV-Präsidium ist, forderte mit Blick auf die Statements von Döpfner und Springer: "Grundsätzlich sollte jedoch auch in privaten Diskussionen kein Zweifel an der Integrität und Unabhängigkeit der Redaktionen der Zeitungsverlage aufkommen, sondern diese gerade gegen derartige Vorwürfe verteidigt werden."
Der Bruns-Verlagsgeschäftsführer (Mindener Tageblatt) Carsten Lohmann sagte gestern im Gespräch mit Deutschlandfunks @mediasres, er sei schockiert von der Aussage des BDZV-Präsidenten, auch wenn sie im privaten Bereich getroffen worden sei:
"Ich finde, dass jemand, der oberster Repräsentant der Tageszeitungen in Deutschland ist, mit so einer Aussage nicht mehr haltbar ist."
In dem Interview spielt auch Lohmanns Perspektive als Geschäftsführer eines kleinen Verlags eine Rolle. Er kritisiert grundsätzlich, dass der Verlegerverband in den vergangenen Jahren verstärkt die Interessen der größeren Verlage, als die der kleineren vertreten habe, etwa bei der eigenen Verbandsreform oder mit Blick auf das Leistungsschutzrecht. "Der BDZV vertritt in vielen Teile unsere Interessen sehr wohl, in einigen nicht", so Lohmann.
Viele andere Mitglieder des Verbands haben sich bisher nicht geäußert. Der BDZV selbst sieht die Ereignisse als Springer-Angelegenheit an und will "keine einzelnen Vorgänge unternehmerischer Tätigkeiten von Mitgliedsverlagen" (Zitat bei Übermedien). Außerhalb des Verbands legte der Stern-Co-Chefredakteur Florian Gless Döpfner einen Rücktritt nahe.
Wie verändert sich nun die Bild?
Aber blicken wir nochmal zurück zur Bild und den Veränderungen, die dort nach Julian Reichelts Abgang als Chefredakteur nun anstehen könnten. Mats Schönauer und Moritz Tschermak (als BildBlog-Macher langjährige kritische Beobachter der Zeitung) haben sich dazu auf der SZ-Medienseite (€, hier bei Blendle) Gedanken gemacht und blicken zunächst auf die Entwicklungen des Boulevard-Blatts unter Reichelts Leitung:
"Mit Reichelt wurde es düsterer, politischer, spalterischer. Die Schmuddelgeschichten des Boulevards rückten in den Hintergrund. Stattdessen auf Seite eins: Angst, Wut, Chaos. Kombiniert mit wiederkehrenden Motiven wie dem Islam oder Wladimir Putin oder den Kriegen in Syrien und Afghanistan und dem diesbezüglichen Versagen, das Reichelt der deutschen Politik attestierte."
Sie vermuten, dass der Fokus auf Außenpolitik geringer werden dürfte
"und auf keinen Fall mehr so obsessiv und radikal wie unter Julian Reichelt. Einige der Themen, die ihm sehr am Herzen lagen, sollen beim Rest der Redaktion auf deutlich weniger Begeisterung gestoßen sein, konnte man intern immer wieder hören."
Stattdessen beobachten Schönauer und Tschermak wieder mehr Promi- und Royal-Stücke. In diese Entwicklung passe auch die Einstellung von Tanja May zum 1. Oktober als Unterhaltungschefin und stellvertretende Chefredakteurin. May kennt sich in dem Bereich aus, sie hatte zuvor als Klatschreporterin und stellvertretende Chefredakteurin für die Bunte gearbeitet. Und auch eine Aussage des neuen Bild-Chefs scheint in diese Richtung zu deuten:
"Werden Promigeschichten und Adelsklatsch wieder stärker in den Mittelpunkt rücken - statt Politik, Putin, Islam? Johannes Boie jedenfalls, der nun Reichelts Nachfolger als Bild-Chef wird, sagte laut Medieninsider in seiner Antrittsrede vor der Belegschaft, solche Scoops wie die Baby-News bei Helene Fischer seien 'der Hammer'."
Ebenfalls in der Süddeutschen (€, auch bei Blendle) kritisiert Georg Streiter, ehemaliger Politikchef bei Bild, die Linie Reichelts und Döpfners. Beide hätten nicht verstanden, was die Grundlage für "anständigen" Boulevardjournalismus sei, schreibt er und formuliert das folgendermaßen romantisch:
"Kurze Texte, viele Bilder. Schnell konsumierbare Schnipsel für die Kaffeepause. Und vor allem: möglichst sensationell. Gern auch übertrieben - bis an die Grenzen des Erlaubten, aber eben auch nicht darüber hinaus. (…) Die richtige Mischung aus Fakten, Fiktionen, Tatsachen und Träumereien ist für den Erfolg auf dem Boulevard so wichtig wie das geheime Leberwurst- oder Cola-Rezept."
Reichelt, aber auch Döpfner hätten das nie richtig verstanden, kritisiert Streiter. Sie hätten mit der Zeit "den Kompass aus dem Auge verloren" und seien "in den Nebel der Macht geraten", schreibt er "caspardavidfriedrichesk" und mahnt:.
"Wenn Journalisten eigene Macht verspüren, ist ihre Integrität bedroht. Verloren sind sie in dem Moment, in dem sie glauben, diese Macht auch einsetzen zu sollen. Schlimmstenfalls sogar für eigene Interessen. Über diese Grenze ist Döpfner schon 2007 gegangen, als er seine Bild-Zeitung wochenlang eine Kampagne gegen den Mindestlohn für Briefzusteller fahren ließ, weil Springer den Postzusteller PIN kaufen wollte. Unvergessen ist eine 'spontane' Demonstration ausgebeuteter PIN-Zusteller in Berlin, die vor dem Brandenburger Tor 'freiwillig' sangen: 'Sechs Euro sind doch auch schon fair!'"
Die Recherchen zur problematischen Kultur bei Bild und auch in anderen Häusern scheinen derweil weiter zu laufen. Daniel Drepper, Leiter des Ippen-Investigativteams, sagte gestern Nacht bei "Markus Lanz", Juliane Löffler, die federführende Journalistin hinter der Recherche, sei mit weiteren hinweisen "überschwemmt" worden. Dabei gehe es um Missstände bei Springer, aber auch andernorts. Das Team prüfe die Informationen.
Auftrag, Beitrag, Staatsvertrag
Zum Schluss noch ein Blick auf das medienpolitische Buzzword Rundfunkbeitrag bzw. Rundfunkstaatsvertrag. Seit Mittwoch beraten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten bei ihrer Jahreskonferenz über verschiedene Länderbelange. Und der neue Rundfunkstaatsvertrag, mit dem ein geänderter Auftrag für die öffentlich-rechtlichen Anstalten kommen würde, gehört spätestens seit dem BGH-Urteil zu Sachsen-Anhalts Blockade des Verfahrens zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags zu den dringenderen Belangen. (Das betrifft natürlich auch den MDR, auf dessen Medien-Portal das Altpapier erscheint.)
Helmut Hartung schreibt auf der FAZ-Medienseite (€, hier bei Blendle), die Länder hätten sich bei den Beratungen in der Rundfunkkommission "einmütig auf einen Entwurf über eine Novellierung des Auftrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" verständigt. Die Ergebnisse sind nicht völlig überraschend: Laut Hartung sollen etwa weniger Programme konkret bei den Anstalten beauftragt werden, damit sie selbst in Absprache mit ihren Gremien entscheiden können ob und wann lineare Angebote weitergeführt, in Onlineformate umgewandelt oder ganz eingestellt werden.
"Künftig sollen nur das Erste, das Zweite und die dritten Programme beauftragt werden. Allerdings wollen die Länder die Öffentlich-Rechtlichen weiterhin zu einem Kinderangebot verpflichten. Eine mögliche Beauftragung von Arte und 3Sat ist noch nicht entschieden, aber wahrscheinlich, da hier internationale Vereinbarungen existieren. Wird der Medienstaatsvertrag so bestätigt, könnte der Bayerische Rundfunk ARD-alpha in eine Wissensplattform verwandeln und Phoenix möglicherweise zusammen mit Angeboten von tagesschau.de und zdf.info zur Informationsplattform werden. Bei Unterhaltungsprogrammen soll im Entwurf eine Eingrenzung vorgenommen und Unterhaltung als Format definiert werden, das vor allem Kultur und Wissensinhalte vermittelt."
Weitere Infos, auch zu Streitfragen zwischen den Ländern, werden im FAZ-Text ebenfalls erläutert. Bei der PK heute könnte es weitere Details geben. Zum Ablauf der Reform schreibt Hartung schon mal:
"Die öffentliche Anhörung soll Mitte November beginnen und mehrere Wochen dauern. Anfang nächsten Jahres will die Rundfunkkommission die Stellungnahmen analysieren. Im März 2022 soll der Ministerpräsidentenkonferenz der Entwurf übergeben werden. Danach werden die Landtage informiert und müssen nach Möglichkeit bis Jahresende über den neuen Medienstaatsvertrag abstimmen."
Wenn die Länder diesen Fahrplan etwas besser befolgen als die Deutsche Bahn den ihren, könnte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (Kef) die Änderungen des Auftrags noch bei der Festlegung des neuen Rundfunkbeitrags berücksichtigen. Der an den Auftrag gekoppelte Rundfunkbeitrag werde auf Grundlage des Entwurfs aber nicht unbedingt sinken, mutmaßt Hartung bereits als Leseanreiz in der Überschrift.
Altpapierkorb (Ben Smith zu Springer und Politico, Auswirkungen großer Investigativ-Recherchen, IVW-Zahlen, Twitter Spaces)
+++ Jochen Wegner hat für die Zeit (€) mit dem NYT-Journalist Ben Smith über die US-amerikanische Perspektive auf die Ereignisse rund um Springer gesprochen. Dabei ist auch der Teil interessant, bei dem es um die Übernahme des US-Portals Politico durch Springer geht.
+++ Altpapier-Autorin Annika Schneider widmet sich bei Deutschlandfunks @mediasres der Frage, warum großangelegte Recherchen wie zu den Pandora Papers oder CumEx-Files meist schnell wieder aus den Schlagzeilen und auch von der politischen Bühne verschwinden.
+++ Bei Meedia hat Jens Schröder die Zahlen der neuen IVW-Analyse aufbereitet.
+++ Reinhard Scolik, Programmdirektor Kultur beim BR, verlässt den Sender vorzeitig, berichtet der Kurier und dwdl.de.
+++ Über den Streit zwischen einer ehemaligen Redaktionsleiterinund einem Dokumentarfilmer mit dem SWR hat Anne Fromm für die taz recherchiert. Es geht um den Umgang mit Vorwürfen wegen sexueller Belästigung.
+++ Twitter öffnet seine Audio-"Spaces" für alle.
Neues Altpapier gibt‘s wieder am Montag.
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