Teasergrafik Altpapier vom 4. Oktober 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 4. Oktober 2021 Nur viel huschi-huschi ist nicht gut

04. Oktober 2021, 09:14 Uhr

Die Hohenzollern bekommen für ihren Umgang mit Journalisten einen Negativpreis. Eine neue internationale Großrecherche ist in der Welt – die "Pandora Papers". Maren Kroymann sagt etwas. Und: Neues von der Medienforschung. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Ein Negativpreis für die Hohenzollern

Der Spiegel schreibt in seiner aktuellen Ausgabe (Abo) über eine Untersuchung des Historikers Stephan Malinowski, aus der hervorgehe, wie nahe die Hohenzollern dem NS-Regime standen. Mittendrin im Text diese Passage: "Viele Beobachter glauben, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Sprecher der Hohenzollern, wolle die kritische Aufarbeitung der Familiengeschichte behindern. Der 45-jährige Unternehmer bestreitet das."

"Viele Beobachter glauben" – ich kann nur mutmaßen, aber das klingt, als sei der Absatz von der Rechtsabteilung vor Veröffentlichung geprüft worden. Ich halte das allerdings nicht für eine sonderlich verwegene Mutmaßung. Texte über die Verbindungen zwischen Hohenzollern und NS-Regime dürften mittlerweile zu denen gehören, die in vielen Medienhäusern verlässlich vor Veröffentlichung der Rechtsabteilung vorgelegt werden.

Anne Haeming hat 2020 für Übermedien einen gut recherchierten Artikel über den Umgang der Hohenzollern mit Journalistinnen und Journalisten geschrieben. Es habe sich herumgesprochen "unter denjenigen, die sich mit den Hohenzollern befassen, dass diese häufig rechtliche Schritte einleiten". Aus den inkriminierten Passagen sei ablesbar, "wie nuanciert die Vorwürfe sind". Und weil selbst wegen Detailfehlern eine Unterlassungserklärung drohe, bestehe die Gefahr, "dass Redaktionen ihrer Informations- und Aufklärungspflicht nicht mehr nachkommen – prophylaktisch", schrieb sie.

Es ist deshalb denkbar, dass viele Beobachter glauben, es sei keine ganz schlechte Idee der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, den Hohenzollern in diesem Jahr ihren Negativpreis für den "Informationsblockierer des Jahres" zu verleihen: die "Verschlossene Auster". Begründet wurde die Wahl "mit dem Umgang von Georg Friedrich Prinz von Preußen mit Journalist:innen und Wissenschaftler:innen", wie es in der Pressemitteilung vom Samstag heißt:

"Über Gerichte und Anwaltsschreiben versucht der Sprecher der Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Berichterstattung zu beschneiden, die sich um die historisch bedeutsame Frage dreht, ob seine Vorfahren dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet haben und ob er damit zu Recht oder zu Unrecht auf Entschädigung für enteignete Immobilien und Kunstwerke streitet."

Dass der Sprecher Berichterstattung beschneiden wolle, ist freilich – wie ja auch dem mutmaßlich faktengecheckten Spiegel zu entnehmen ist – nicht die Deutung der Hohenzollern. Sie werden vom Netzwerk Recherche zitiert mit dem Satz, dass "das Vorgehen von Georg Friedrich Prinz von Preußen sich zu keiner Zeit gegen eine Berichterstattung als solche, sondern gegen die Verbreitung von Falschinformationen innerhalb von einzelnen Berichterstattungen richtete".

Nicht auszuschließen ist allerdings, dass viele Beobachter glauben, es handle sich hier um eine spitzfindige Formulierung. Sophie Schönberger, Professorin für Kunst- und Kulturrecht an der Universität Düsseldorf, hielt für das Netzwerk Recherche die Laudatio auf die Hohenzollern, also die Preisbegründungsrede. Und sagte, nachdem sie von etwa 80 juristischen Verfahren gesprochen hatte, die sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht stützen:

"Es ist wichtig, dass es Grenzen für den öffentlichen Diskurs gibt, die auch juristisch durchgesetzt werden müssen. Dies gilt auch und gerade für Fälle, in denen ein einzelner Betroffener sich auf dem Zivilrechtsweg gegen Äußerungen vorgeht, die ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen. Gerade an unserem Beispiel sehen wir aber auch, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht instrumentalisiert werden kann, um eine öffentliche Debatte zu ersticken. Und an diesem Wort sehen sie im Übrigen schon die Tragweite des ganzen Problems. Denn auch gegen die Aussage, er wolle eine Debatte ersticken, ist Georg Friedrich Prinz von Preußen ironischerweise juristisch vorgegangen – allerdings ohne Erfolg."

Sie schloss ihre Laudatio mit dem Satz: "Der Preis ist verdient." Nicht auszuschließen ist, dass das auch viele Beobachter so sehen.

Eine internationale Großrecherche: die Zahlen

Es gibt generell viele Preisverleihungen in der deutschen Medienwelt. Gut denkbar ist, dass bei irgendeiner in der näheren Zukunft die Rechercheurinnen und Rechercheure der sogenannten Pandora Papers anwesend sein werden; in Deutschland sind das nicht wenige Journalistinnen und Journalisten vom öffentlich-rechtlich-privaten Rechercheplaneten NDR/WDR/Süddeutsche Zeitung. Bei den Pandora-Papers-Recherchen handelt sich um die nächste Enthüllungsgroßbaustellenkooperation nach den Panama und den Paradise Papers. Diesmal werden aufgedeckt: "die Geschäfte Hunderter Politiker und Amtsträger mit Briefkastenfirmen weltweit", wie es exemplarisch bei NDRs tagesschau.de heißt.

Zu mehr als zum großzügigen Überfliegen der Sache bin ich zugegebenermaßen noch nicht gekommen. Aber die bei internationalen Datenleck-Recherchen mittlerweile üblichen Zahlenhinweise, mit denen Relevanz angekündigt wird, sind vorhanden: Mehr als 600 Journalistinnen und Journalisten von 150 Medienorganisationen aus 117 Ländern hätten knapp 11,9 Millionen vertrauliche Dokumente von 14 Offshore-Dienstleistern vor sich. Die Daten gäben Aufschluss über Geschäfte von mehr als 330 Politikern und Amtsträgern aus 91 Ländern, darunter 35 amtierende und ehemalige Staats- und Regierungschefs. Außerdem würden 130 Milliardäre auftauchen, darunter mehr als 40 russische Oligarchen. Der Datensatz sei 2,94 Terrabyte groß. Laut SZ ist es damit im Vergleich mit Cablegate (1,7 GB), Offshore-Leaks (260 GB), Swiss-Leaks (3,3 GB), Panama Papers (2,6 TB) und Paradise Papers (1,4 TB) der größte.

Ich habe wenig bis keine Zweifel an der Relevanz der Recherchen und an der Arbeit der beteiligten Kolleginnen und Kollegen. Aber dass GB und TB die richtigen Währungen für Relevanz sind, da bin ich mir nicht so sicher. Wenn ich das Manuskript dieser Altpapier-Kolumne zum Beispiel als Pages-Dokument abspeichere, hat es 416 KB, als .docx aber nur 19 KB. Welches Dokument ist wichtiger?

Was beim Comedypreis geschah

Seit Freitag wurden, neben der "Verschlossenen Auster", mindestens zwei weitere Medienpreisverleihungen veranstaltet: der "Deutsche Filmpreis" und der "Deutsche Comedypreis". Anja Rützel, eine führende Einordnerin von Scheißfernsehen, hat sich für den Spiegel die Verleihung angetan und sah insgesamt Erwartbares:

"Als eine 'Spitting Image'-Puppe von Angela Merkel tranigen Neunziger-Humor servierte, dessen Pointen sich weitgehend darauf beschränken, irgendjemanden 'Hackfresse' zu nennen, wollte man schon ermattet abschalten."

Es kam dann aber doch noch ein Programmteil, der nicht völlig wurst war. Maren Kroymann, die den Ehrenpreis bekam, kritisierte, live bei Sat.1, unter anderem Sat.1:

"Ein Kollege von uns hat Übergriffe gemacht, und eine junge Kollegin hat das gesagt. (…) Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche hier für diesen Preis und auch von dem Sender die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind (…). Ich würde mir wünschen, dass ihre Geschichte gehört wird, dass diese Frauen ernst genommen werden, dass sie respektiert werden. Dass man ihnen glaubt."

So wird sie u.a. im Spiegel-Artikel zitiert. Bei dem beliebten Künstler könnte es sich, wie viele Beobachter glauben, um Luke Mockridge handeln. Dessen Comedypreis-Nominierung sei tags zuvor aus dem Wettbewerb genommen worden, "um Cast und Crew zu schützen", wie Anja Rützel weiß – "womöglich aber auch, um das Thema generell von der Veranstaltung fernzuhalten". Das wäre dank Maren Kroymann und einiger anderer nach hinten losgegangen. Es gibt in der Berichterstattung über den Comedypreis im Grunde kein anderes Thema als Kroymanns Rede, immer im Zusammenhang mit dem Mockridge-Fall (den Der Spiegel vor knapp zwei Wochen mit neuen Recherchen wieder an die Öffentlichkeit geholt hat).

"In diesem Saal sitzt ein Elefant", ist Anja Rützels Text über den Comedypreis überschrieben. "Frau Kroymann hat Eier" ist der dpa-Beitrag betitelt, der bei taz.de erschienen ist. "Maren Kroymann kritisiert Vorgehen" steht unter der Spitzmarke "Vergewaltigungsvorwürfe gegen Luke Mockridge" bei tagesspiegel.de. Und bei dwdl.de heißt es: "Causa Mockridge ist das Thema des Abends: Comedypreis ernst wie nie: Kroymann und Brugger setzen ein Zeichen".

Das Problem des Huschi-only-Lesens

Interessante Studie, über die epd Medien in der aktuellen Ausgabe berichtet: "Nutzer traditioneller Medien haben höheres Politikwissen". Da freut sich der innere Boomer, hat er’s schließlich schon immer gewusst. Aber, lieber innerer Boomer, nein, nur Überschriften lesen reicht nicht! Und nein, der Videotext (mit dem sich die Youtuber von Ultralativ auf sehenswerte Art beschäftigt haben) ist auch nicht das einzig wahre Internet!

Schauen wir lieber etwas genauer rein in die Ergebnisse. In der Studie u.a. zweier Universitäten aus Barcelona, die auf Englisch und offen zugänglich in "The International Journal of Press/Politics" erschienen ist, werden fünf Standard-Typen von Nachrichtenkonsumentinnen und -konsumenten identifiziert:

  • Minimalisten, die nur gelegentlich Nachrichten konsumieren
  • Social-Media-Nutzer
  • Traditionalisten, die ihre Informationen durch traditionelle Medien und öffentlich-rechtliche Fernsehsender beziehen
  • Online-Nachrichten-Sucher, die aktiv und ausgewählt nach Informationen im Netz suchen
  • Hyper-Konsumenten, die alle Typen von Medien häufig nutzen

Von diesen fünf Typen habe die dritte Gruppe, die der sogenannten Traditionalisten, zu denen sicher auch die eine oder andere Traditionalistin gehört, das beste Wissen über Politik, so die Studie. Die Ergebnisse lassen sich aber nicht einfach auf Deutschland umlegen. Denn verglichen werden unter dem Studientitel "Navigating High-choice European Political Informational Environment" nicht Print- und Internetuser, sondern verglichen werden Nutzung und die Informationsqualität politischer Nachrichten in 17 europäischen Staaten – und auch Medienlandschaften in den unterschiedlichen Ländern. Die Autorinnen, Laia Castro und Ana Sofia Cardenal, fassen zusammen:

"'In Ländern mit einem starken, gut finanzierten und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in Ländern mit hohen Abonnentenzahlen für traditionelle Zeitungen und für Publikumszeitschriften sind die Nachrichtenkonsumenten in der Regel besser informiert als im Mittelmeerraum', so Castro. Vor allem in Griechenland, Spanien und Italien spielten kostenlose Online-Medien eine signifikante Rolle."

Das klingt nach Internetkritik. Man kann die Studie aber nicht als Beleg für die mangelnde Qualität von Onlinemedien heranziehen, in denen schließlich auch die Inhalte von sogenannten traditionellen Medien zu finden sind (im Fazit der Studie ist von traditionellen Medien "in ihren On- und Offlineformaten" die Rede, diese Trennung ist überholt). Und man sollte die Studie auch nicht als Beleg für die Qualität der sogenannten traditionellen Häuser heranziehen, dazu leisten Bildblog oder topfvollgold zu gute Arbeit. Man darf die Studie eher im Zusammenhang mit der großen Auswählbarkeit von Medieninhalten verstehen, also im Zusammenhang mit der Entwicklung von "low- to high choice media environments". Das Problem, um das es hier geht, ist also nicht in erster Linie schlechtes Handwerk oder mangelnde Vielfalt. Das Problem ist, dass in einer bunten Onlinemedienwelt Leute verleitet sind, Nachrichten nur im Vorbeifliegen wahrzunehmen.

"Die Menge und ständige Verfügbarkeit von Informationen über Soziale Netzwerke und Internetportale" hätten ein so großes Ausmaß erreicht, so die Studie, dass dadurch die Qualität der Informationen, die die Nutzer erreichen, eingeschränkt sein könnte. "Qualität ist wichtiger als Quantität", so die beiden Autorinnen.

tl;dr: Viel kurz huschi-huschi is nisso gut.

Altpapierkorb (Faszination Zwitscherdienst, Karola Wille im Interview, ARD-Protest, Sondierungsjournalismus)

+++ Unser inoffizieller Beitrag zur heute beginnenden Themenwoche "Faszination Vögel" unseres MDR: eine kurze Einlassung zum sogenannten Zwitscherdienst namens Twitter. Nehmen wir den Tweet einer Deutschlandfunk-Redaktion vom Freitag: "Grüne verzichten auf Forderung nach Tempolimit von 130 auf Autobahnen". Eine typische Twitter-Verknappung, die aber in die Irre führt. Wer Nachrichten ausschließlich über Social Media bezieht, könnte nach der Lektüre des Tweets davon ausgegangen sein, dass es in der kommenden Legislaturperiode wohl keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen geben wird. Das stimmt aber so nicht unbedingt. Auf deutschlandfunk.de stand es viel genauer: "Grünen-Fraktionschef Hofreiter sieht Tempolimit nicht als Bedingung für Koalition." Das ist etwas anderes als ein Verzicht auf die Forderung. Es gehe nicht um einzelne Spiegelstriche, sondern um einen Aufbruch in eine Klima-Neutralität, wird der Politiker in der ausführlicheren Meldung zitiert.

Die Deutschlandfunk-Twitterteam hat den irreführenden Tweet nach Kritik in mehreren weiteren Tweets korrigiert; etwa in diesem: "Korrektur: Grünen-Fraktionschef @ToniHofreiter hat nicht auf ein #Tempolimit verzichtet. Er macht es nur nicht zur Bedingung für einen Koalitionsvertrag." In diesem Fall wurde ein Fehler also rasch korrigiert. Es sind nur erstens nicht alle Social-Media-Teams so offen für Selbstkritik und Korrekturen wie in diesem Fall das des Deutschlandfunks. Zweitens starren nicht alle Social-Media-Nutzer unentwegt in ihre Timelines und sehen deshalb nicht unbedingt auch eine Korrektur

+++ Mehr MDR: im Tagesspiegel. Joachim Huber hat Intendantin Karola Wille interviewt.

+++ "Die ARD hat dagegen protestiert, von einer Pressekonferenz des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis mit seinem ungarischen Kollegen Viktor Orban ausgeschlossen worden zu sein. Nach Angaben des Senders lagen vor Ort Namenslisten von Medien aus, die keinen Zugang erhalten sollten." Das meldete die SZ am Freitag, in der Printzeitung am Samstag.

+++ "Was man immer vergisst, wenn man am endlosen Wahlkampf-Journalismus leidet und dessen Ende herbeisehnt: dass auf den Wahlkampf-Journalismus der Sondierungs-Journalismus folgt", schreibt Stefan Niggemeier im Übermedien-Newsletter und fasst im weiteren Verlauf zusammen, wie die Locken aussehen, die auf die Glatze gedreht wurden. Exemplarisches Fundstück aus dem RBB-Programm: "Wir können hier nur mutmaßen, aber es leuchtet noch fast jedes Fenster im Haus relativ hell."

+++ Der Göppinger Kreis-Anzeiger (und andere Medien, die die dpa beziehen) berichtete dieser Tage, dass ein Göppinger Unternehmen, Teamviewer, die erste "datenschutzkonforme Lösung für Online-Unterricht" auf den Markt gebracht habe. Das ist keine medienjournalistische Nachricht, eine netzjournalistische aber schon. Alle Datenströme blieben in der EU und unterlägen damit unserem strengen Datenschutz. "Völlig überraschend" komme das Produkt, schreibt das WDR-Blog Digitalistan.

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.

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