Das Altpapier am 28. September 2021 Offene Frage
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28. September 2021, 10:33 Uhr
Ist das Fernsehen der Bild-Zeitung was völlig anderes als Googles Youtube oder Facebook sind, wenn es um die Übernahme von ARD- und ZDF-Inhalten geht? Der ohnehin große Bundestag wird noch größer, aber auch (um eine profilierte Medienpolitikerin) ärmer. Außerdem: Innovative Medienberufe im Topmanagement (Innovationsdirektor, Kreativ Direktorin VIP). Ein Altpapier von Christian Bartels.
Eine Spannung, die Springer schürt
Medienrechtliche Spannung liegt in der Luft, die die Bild, also das Medium, das inzwischen Zeitung, Fernsehsender und so ziemlich alles dazwischen ist, offenbar gezielt schürt. Ausgerechnet, wenn es an Wahlabenden immer am spannendsten ist, um 18.00 Uhr bei Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen, übernahm am Bundestagswahl-Sonntag Bilds Fernsehen unangekündigt und ungenehmigt die Live-Signale von ARD und ZDF. Und zeigte sie im ins eigenen Programm nebeneinander. Das wirft Fragen auf – die der Springer-Konzern offenkundig auch größer gestellt wissen möchte, wie seine Antworten auf die zahlreichen Anfragen nahelegen.
"Zapp", das Medienmagazin des NDR, schildert erst mal:
"Wie ein Sportreporter kommentierte Moderator Kai Weise um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen von ARD und ZDF, im Splitscreen mit Reaktionen von den Wahlpartys der Parteien. Das hatte durchaus Mehrwert, denn die Zahlen von Infratest dimap (ARD) und Forsa (ZDF) unterschieden sich um einige Prozentpunkte - hier gab es sie auf einen Blick."
Aus dem kleinen Unterschied strickt übrigens die SZ die durchaus vorwurfsvolle Formulierung, dass "die ARD-Prognose die Diskussion in eine falsche Richtung lenkte", aber das nur am Rande. Später dann bei der auch oft spannenden "Berliner" bzw. Elefanten-/Generalsekretärs-"Runde", die ARD und ZDF traditionell gemeinsam ausrichten und übertragen, übernahm Bild-TV noch mal das öffentlich-rechtliche Programm. Sowie bei weiteren Gelegenheiten (etwa als das ZDF SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil interviewte, wie t-online.de sah). Da hat der NDR, der ja für die aktuelle Politikberichterstattung der ARD zuständig ist, in Form von "Zapp" natürlich nachgefragt. Springers Pressesprecher reagierte
"mit einem umfangreichen Statement auf den Vorwurf, man habe das Sendebild von ARD und ZDF geklaut: 'Die Bundestagswahl war ein zeithistorischer Moment. Wir haben im Rahmen unserer aktuellen Wahlberichterstattung die stark unterschiedlichen Prognosen mit klarem Quellenhinweis live zitiert und ausgewählte Sequenzen aus der 'Berliner Runde' übernommen und für unsere Zuschauer eingeordnet. Bei diesem Gesprächsformat handelt es sich um ein nachrichtliches Ereignis von überragender Bedeutung, das von ARD und ZDF als gebührenfinanzierter Rundfunk zentral veranstaltet wird, aber auch für Menschen relevant ist, die sich am Wahlabend auf anderem Wege informieren möchten.' Auf die Frage, ob das möglicherweise eine Urheberrechtsverletzung darstellt, antwortet der Sprecher nicht."
Wobei dem NDR wie allen anderen Anfragenden aber durchaus Springers freundliches Angebot übermittelt wurde, dass, "falls sich aus der Übernahme ... Ansprüche von ARD und ZDF ergeben sollten", man "gerne bereit, diese zu begleichen" sei, allerdings mit der Ergänzung: "Wir würden dann allerdings davon ausgehen, dass ARD und ZDF Leistungsschutzrechte auch gegenüber den GAFA-Plattformen in gleicher Konsequenz geltend machen." GAFA steht für Google, Amazon, Facebook und Apple, also die kalifornischen Plattformen bzw. Datenkraken, denen ARD und ZDF viele Inhalte nicht nur selbstredend unentgeltlich zur Verfügung stellen. Vielmehr tun sie ja aktiv viel, um ihre Inhalte dort zu verbreiten.
"Bild-Sprecher Christian Senft verwies ... auf das inkonsequente Vorgehen der Öffentlich-Rechtlichen beim Leistungsschutzrecht: Gegenüber den großen Digitalkonzernen, die häufig Inhalte übernehmen, würden die Sender auch nicht so konsequent vorgehen",
schreibt die Süddeutsche und verweist auf entsprechende Beschwerden der Privatmedien-Verwertungsgesellschaft Corint Media. ARD und ZDF hatten auf dwdl.de-Anfrage noch in der Wahlnacht angekündigt, "rechtliche Schritte" zu erwägen (AP gestern). Da dürften die Justiziariate allerdings zu knabbern haben, denn dieses Thema ist medienrechtlich ungeklärt. Demographie-Paragraphen, denen zufolge riesengroßen, höchstprofitablen internationalen Plattformen, Inhalte zur Verfügung gestellt werden dürfen, da sie dort auch junges Publikum erreichen dürften, wohingegen dasselbe vergleichsweise kleinen nationalen Wettbewerbern, die "mit Studiogästen wie Thomas Gottschalk, Katarina Witt oder Heino" ("Zapp") das ältere Publikum locken, das ohne Weiteres auch ARD oder ZDF direkt einschalten könnte, verweigert werden kann, enthält noch kein Medienstaatsvertrag. Ob die dort sogenannten "Intermediäre" nicht auch oder in allererster Linie selber Medien sind, zählt zu den Fragen, um die die Medienpolitik erfolgreiche weite Bogen machte.
Eine radikale Lösung riss Leonhard Dobusch, der sozusagen fürs Internet im ZDF-Fernsehrat sitzt, auf Twitter an:
"Das Problem ist nicht, dass 'Bild' hier das Programm von ARD & ZDF übernommen hat. Das Problem ist, dass zeithistorische, urheberrechtlich unproblematische Inhalte von Öffentlich-Rechtlichen nicht sowieso unter freien Lizenzen stehen. Dann könnten *alle* sie nutzen."
Klingt nach einem sehr weiten Weg. Aber hey, herrscht nicht gerade eine Art Aufbruchsstimmung?
Der Bundestag wird größer, aber um eine Medienpolitikerin ärmer
Wenn man davon ausgeht, dass die Wahl nicht wegen des eigentlich gewohnten Chaos im rot-rot-grünen Musterland Berlin wiederholt werden muss, hat sich der neue Bundestag gefunden. 735 Mitglieder wird er umfassen und damit noch größer als der vorige Bundestag, aber nur um 26 MdBs. "Diese Tatsache wurde am Wahlabend nahezu überall mit einer gewissen Erleichterung kommentiert, hatten manche kurz zuvor mit noch mehr Parlamentariern gerechnet", schreibt dazu die FAZ heute (online ähnlich). Die Bertelsmann-Stiftung hatte vor kurzem an die tausend MdBs für möglich gehalten.
Einerseits ein schöner Erfolg für die Merkel-Groko, dass der Bundestag seinen Status des in Mitgliederzahlen weltgrößten demokratischen Parlaments, den er seit dem Brexit schon besaß, noch leicht ausbauen konnte. Mehr MdBs bedeuten ja: noch mehr Gesprächspartner für Talkshows und andere Journalisten. Und sie können mit ihren Aufwandspauschalen (gut aufgelistet auf glaeserner-abgeordneter.de, wobei Florian Ponold bereits vor der Wahl "was Neues" anstrebte, also dem Parlament nicht weiter angehören wird) z.B. auch Social-Media-Teams bezahlen, die die Diskussionen auf Twitter, Facebook und Co noch weiter bereichern.
Andererseits: Trotz der gestiegenen Größe gehören nicht alle dem Bundestag weiter an, die es wollten. Nicht mehr dabei sein wird eine der sehr wenigen profilierten MedienpolitikerInnen des bisherigen Parlaments: die Grüne Margit Stumpp, die sich etwa in der von Wirtschaftsminister Altmaier sehr zwischenzeitlich geführten Pressesubventionsdebatte hervortat, twitterte sie. Das ist wirklich schade. Schon weil die Frage, ob Journalismus nicht gemeinnützig werden kann, auch weiter auf der Liste der ungeklärten verharrt. Wie sieht's mit der anderen profilierten MedienpolitikerIn aus? Tabea Rößner, ebenfalls grün, hat es offenkundig geschafft.
Falls die CDU bei der nächsten Regierung nicht mitmischt, würde ja der Posten der Staatsministerin für Kultur und Medien, der zumindest unter medienpolitischen Aspekten zuletzt sehr zurückhaltend (für die Deutsche Welle, eine Filmförderungs-Gießkanne und gelegentliche Grußworte) genutzt wurde, frei. Wie wär's?
Wahlabend-Fernsehbesprechungen im Schnelldurchlauf
Zurück zum Wahlabend. Natürlich sind nach den gestern hier erwähnten Wahlabend-Fernsehkritiken weitere aufgelaufen. "Diese Bundestagswahl hat die Qualität eines Krimis", schreiben im Tagesspiegel Joachim Huber und Kurt Sagatz, die aber wissen, dass es beim Fernsehkrimi vor allem auf Quantität ankommt. +++ Seine Wahl-Fernsehabend zwischen "Des Kaisers neue Kleider" auf 3sat und "Fluch der Karibik" auf Sat.1 schildert Kurt Kister auf der SZ-Medienseite (€) und ist Edelfeder alten Schlags genug, um mit Formulierungen wie "die Schande Niederbayerns" (über Hubert Aiwanger) und "die Big Sister des Haltungsfernsehens" (über Tina Hassel) das Lesen zu belohnen. +++ Und in einer weiteren seiner zahlreichen Glossen zum Thema reißt Micha Hanfeld die These an, dass die aktuellen Kanzlerkandidaten vor allem in "Scripted-Reality"-Formaten performen mussten, während "der politische Journalismus... inzwischen fast als Beigabe" erscheine. +++ Dietrich Leder hat den Wahlabend ebenfalls akribisch beobachtet und CDU-Mann Norbert Röttgen gleichzeitig in unterschiedlichen Interviews bei ARD und ZDF gesehen (medienkorrespondenz.de), aber immerhin wohl nicht bei Bild-TV. Und falls noch ein ausgeruhter, längerer Text zum engeren Trielle-Triell der Sendergruppen bzw. Senderfamilien (Altpapier) interessiert: Heike Hupertz' "Bilanz des dreifachen Dreikampfs" für epd medien steht inzwischen online:
"Ein 'Weiter so' wird es für ARD und ZDF im Informationsangebot auf längere Sicht ebenso wenig geben wie für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Auch in dieser Hinsicht waren die Trielle sehr aufschlussreich."
Da ist sie wieder, diese Art Aufbruchsstimmung.
Innovative Medienberufe
So dynamisch, wie die Medien sich immer entwickeln, kann kaum erstaunen, dass es auch immer wieder neue Medienberufe gibt. Eine besondere Innovation gelang dem Südwestrundfunk, der nun nach eigenen Angaben "als erste ARD Landesrundfunkanstalt die Themen Innovation und Digitalisierung auf Topmanagement-Ebene an"-siedelt. Im dwdl.de-Interview nennt der frischgebackene Innovationsdirektor Thomas Dauser gute Argumente, warum so was sinnvoll ist:
"Bei uns bleibt es nicht bei Fensterreden, wenn es um die digitale Transformation geht. Wir meinen das sehr ernst und die Aufwertung zu einer Direktion ist in dieser Hinsicht ein starkes Signal. Das führt auch zu Aufmerksamkeit bei den Kreativen der Branche und anderen Talenten, die mit uns noch stärker als bisher zusammenarbeiten wollen"
Klar, welcher sog. Kreative, welches Talent dreht nicht ganz anders auf, wenn sich statt irgendeiner UnterabteilungsleiterIn ein waschechter Direktor meldet? So stark dieses Signal in die öffentlich-rechtliche Zukunft leuchtet, darf es kein Anlass sein, auf den Lorbeeren zu ruhen. Die private Konkurrenz schläft nicht und erhob "die Journalistin und langjährige Moderatorin von 'Exclusiv' Frauke Ludowig" zur "Kreativ Direktorin VIP" bei RTL Deutschland:
"In ihrer neuen Funktion zeichnet sie sender- und plattformübergreifend verantwortlich für die Entwicklung von Inhalten aus der Welt der Stars und Prominenten."
Wenn bald Ludowig mit ihrem Direktorin-Renommee alle VIPs zu RTL lockt und niemand Prominentes mehr die zahllosen Pilawa-Hirschhausen-Plasberg-Quizshows bevölkert, die immer im Multiple-Choice-Verfahren Wissen vermitteln und außerdem erfolgreich das Publikum abholen, das hinterher dann auch noch bei Nachrichten, Talkshows und sonstigen Informationsprogrammen hängen bleibt, müssen die Alarmglocken schrillen. Hoffentlich kann Programmdirektorin Strobl dafür sorgen, dass unsere ARD konkurrenzfähig bleibt!
Altpapierkorb (Google-Klimaschaden, Apple mal erfolglos, sparende Sportsender, Netzwerk Recherche)
+++ "Klimaforscher aus Frankreich haben ausgerechnet: Wir müssten 23 Bäume pro Sekunde pflanzen, um den weltweit durch Google-Anfragen erzeugten Klimaschaden auszugleichen. Fast zwei Millionen Bäume pro Tag", wirft der WDR-Blog Digitalistan klima-, energie- und netzpolitisch in die anlaufenden Koalitionsverhandlungen.
+++ Apple, der Datenkrake mit gutem Image, wächst immerzu in allen Bereichen, in denen er sich engagiert? Nö. "Apple TV+ blieb bis zur Jahresmitte 2021 angeblich unter der Grenze von 20 Millionen Abonnenten in USA und Kanada" und sieht sich deshalb "in der Lage, Bühnenhelfern bei der Produktion seiner TV-Shows und Spielfilme einen geringeren Lohn zu zahlen" (heise.de mit Berufung auf CNBC).
+++ Tiktok, die (außer man möchte das schwedische Spotify mitzählen) einzige nichtkalifornische Datenkraken-Plattform, "hat die Marke von einer Milliarde mindestens einmal im Monat aktiver Nutzer geknackt" (welt.de via dpa).
+++ Dem "rein kaufmännisch ... nachvollziehbaren", aber sportjournalistisch fatalen Trend, dass Medien, die immer teurere Sportrechte einkaufen können, später dann bei den Reise- und Produktionskosten sparen und ihre Kommentatoren vorm Monitor statt im Stadion arbeiten lassen, geht Tilmann P. Gangloff im epd medien-Tagebuch nach.
+++ Und das Netzwerk Recherche wurde 20 Jahre alt, will die Party später nachholen, aber hat sich ein Magazin zum Geburtstagsgeschenk gemacht, das sich hier runterladen lässt.
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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