Das Altpapier am 23. September 2021 Es geht um Waffengleichheit
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23. September 2021, 12:31 Uhr
Der Erstenthüller der Vorwürfe gegen Nemi El-Hassan soll ein früherer Al-Kaida-Anhänger sein. Die Medientrainerin Emily Laquer erklärt ihre Arbeit. Wenn man die Trielle als Unterhaltung betrachtet, waren sie gar nicht so schlimm. Ein Altpapier von René Martens.
Inhalt des Artikels:
- Wer ist der Hintermann der Enthüllungen in Sachen El-Hassan?
- Was sagt die Trainerin der Aktivistinnen?
- Welches Angela-Merkel-Bild haben Yellow-Press-Leser und Leserinnen?
- Ist Christine Strobl eine Frau von morgen?
- Altpapierkorb (das vorerst letzte Wort zu den Fernsehdebatten und andere Rückblicke auf den bildbewegten Wahlkampf)
Wer ist der Hintermann der Enthüllungen in Sachen El-Hassan?
Die Debatte um Nemi El-Hassan, die eigentlich ab November im WDR Fernsehen "Quarks" moderieren sollte, hat uns seit Anfang der vergangenen Woche schon sechsmal beschäftigt - aber es ist immer noch nicht alles gesagt zu den Vorwürfen gegen die Ärztin und Journalistin, vor allem, weil die Sache am Mittwoch noch mal eine neue Wendung bekommen hat.
Henrik Merker ist für Zeit Online der Frage nachgegangen, woher die Vorwürfe, die vor allem El-Hassans Teilnahme an einer vom iranischen Regimes organisierten Demo 2014 betreffen, "eigentlich kommen – und wer mit ihnen welche Interessen verbindet".
Die "Spur", schreibt Merker, führe "zum antimuslimischen Aktivisten Irfan Peci", der früher "V-Mann des Verfassungsschutzes" und "Anhänger der Terrororganisation Al-Kaida" gewesen sei. Merker weiter:
"Nach seinem Ausstieg aus der Szene gab sich Peci zunächst als geläuterter Islamist, wirkte an Aufklärungsprojekten mit und war häufiger Interviewpartner verschiedener Medien. Doch im Laufe der Zeit driftete Peci immer weiter in die rechte Szene ab."
Peci habe El-Hassans Demoteilnahme "bereits am 9. August 2021 in einem Livestream öffentlich gemacht", also "gut einen Monat vor Bild." Falls aufgrund dessen, dass als erstes ein antimuslimischer Aktivist die Demoteilnahme El-Hassans publik machte und als zweites die Bild-Zeitung, der Eindruck entstehen sollte, dass Springers antimuslimische Aktivisten ihre Infos von dem an anderen Fronten umtriebigen antimuslimischen Aktivisten bekommen haben, muss ich diesem Eindruck an dieser Stelle vorsorglich ausdrücklich widersprechen. Merker fasst ein Statement eines Springer-Sprechers dann auch unter anderem mit den Worten zusammen, dass das erwähnte Videomaterial "dort im Haus nicht bekannt gewesen sein soll".
In diesem Video, in dem Peci und einige Gesinnungsgenossen zu hören sind, werde, so Merker, "der öffentlich-rechtliche Rundfunk als 'Maschinerie' bezeichnet, deren vermeintliche politische Korrektheit man hier für die eigenen Ziele – El-Hassan ins Abseits zu stellen – nutzen könne. Antisemitismus sei bei den Öffentlich-Rechtlichen schließlich nicht gern gesehen."
Da hatten sie im Prinzip den richtigen Riecher. Merkers Text endet folgendermaßen:
"Offenbar war Bild der Zeitpunkt der Veröffentlichung, ganz im Sinne der YouTuber, enorm wichtig, nämlich möglichst schnell nach der Verkündung der Quarks-Personalie durch den WDR am Freitag, 10. September. Nemi El-Hassan wurden am darauffolgenden Sonntag von Bild nach eigenen Angaben nur eine Stunde und 15 Minuten Zeit eingeräumt, um auf die Vorwürfe gegen sie zu reagieren."
Da hatte El-Hassan dann gewissermaßen ihren Christian-Drosten-Moment. Dem hatte im Mai 2020 ein Typ von der Bild-Zeitung bekanntlich eine Frist von einer Stunde gegeben - was zu einem der geflügelten Worte des Jahres 2020 führte ("Ich habe Besseres zu tun") und dem Presserat rügenswert erschien.
Was sagt die Trainerin der Aktivistinnen?
Neulich haben einige rechte Medienonkel am Rad gedreht, weil beim Auftritt ihres Arminators in der "ARD Wahlarena" als Befragerinnen aktivistische Schülerinnen dabei waren, die die linksradikale Medientrainerin Emily Laquer gecoacht hatte. Im taz-Interview sagt Laquer nun:
"Ich habe niemanden geschickt, für die ARD Wahlarena haben sich die Aktivistinnen selbst auf der Webseite beworben. Es wird versucht, aus einem völlig normalen Vorgang einen Skandal zu konstruieren. In einem Talkshow-Training haben wir drei Tage lang geübt, wie man in den Medien auftritt. Und das ist wichtig. Politiker:innen geben Unsummen für Medientrainings aus. Wenn Aktivist:innen sich vorbereiten, ist das ein Gegengewicht, stellt Waffengleichheit her."
Wobei Lacquer dann auch noch betont, dass die "Coaching"-Arbeit ihrer noch relativ neuen Agentur nicht auf einer inhaltlichen Ebene stattfindet, sondern dass hier eingeübt wird, wie man in TV-Debattensendungen agiert:
"In dem halben Jahr, seit es die Medientrainings gibt, haben wir 270 Aktivist:innen, von Pflegekräften bis zu Klima- oder antirassistischen Bewegungen gecoacht. Die Positionen und Forderungen, die sie anschließend in Talkshows und Interviews äußern, sind ganz allein ihre eigenen."
Welches Angela-Merkel-Bild haben Yellow-Press-Leser und Leserinnen?
"In die tiefsten Niederungen des Boulevards" hinabgestiegen, "die mit dem Begriff des Journalismus nicht mehr adäquat zu fassen sind", ist Nils Markwardt für den Freitag, und zwar, um herauszufinden, welche Form der "Berichterstattung" dort Angela Merkel zuteil wird - was relevant ist, weil Neue Post, Freizeit Woche und wie sie alle heißen unter anderem "dadurch publizistisches Gewicht (bekommen), dass sie insbesondere von der wahlentscheidenden Ü-60-Generation 'gelesen' werden".
Auf den Titelseiten macht Markwardt "Muster" aus:
"'Überraschender Neu-Anfang' (frau aktuell, 28.08.21), 'Die Wahrheit über ihre Ehe' (Freizeit Vergnügen, 14.09.21), 'Alles aus! – Droht ihr jetzt ein Leben in bitterer Einsamkeit' (Woche Heute, 28.10.20) (…) 'Bitteres Ende! Sie hat ihr Glück für die Pflicht geopfert' (Neue Post, 20.01.21)."
Markwardts Analyse:
"Wird an diesen Geschichten zum einen deutlich, dass selbst die mächtigste Frau Europas auf ihre Rolle als Gattin reduziert wird, zeigt sich zum zweiten eine narrative Konstante darin, dass die Kanzlerin, ganz gleich, ob nun von vermeintlicher Zweisamkeit oder Trennungsschmerz die Rede ist, sich auf der Suche nach dem kleinbürgerlichen Glück befindet. Denn unabhängig davon, ob vermeintliche Eheprobleme oder 'jede Menge Stress und Überstunden' (Freizeit Vergnügen) die Kanzlerin quälen, besteht der erzählerische Fluchtpunkt fast all dieser Berichte in der existenzialistischen Vision eines biedermeierlichen Schrumpfkonservatismus, wonach Lebensglück sich aus der Kombination von Ehe und gemütlicher Überschaubarkeit ergibt."
Das reizt durchaus zu Spekulationen über das Wahlverhalten dieser Massenblätter-Zielgruppe am kommenden Sonntag - wie auch folgende Einschätzung des Autors:
"Dass die Kanzlerin, die biografisch und persönlich stets eine Herausforderung für den männerbündlerischen BRD-Konservatismus war, vom Ü-60-Boulevard dennoch einen Nimbus kleinbürgerlicher Hausfrauen-Solidität verliehen bekommt, ist aus geschlechterpolitischer Perspektive freilich fatal, aus christdemokratischer Binnensicht indes eine Art publizistisches Geschenk."
Ist Christine Strobl eine Frau von morgen?
Aus ganz anderen Gründen als "eine Art Geschenk" dürfte man es aus "christdemokratischer Binnensicht" empfunden haben, als die Intendantinnen und Intendanten der ARD 2020 CDU-Mitglied Christine Strobl zur Programmdirektorin gewählt haben.
Im Juli und August haben wir an dieser Stelle ausführlich über das erste große Vorhaben der im Mai angetretenen Strobl berichtet: die Reformen, die sie und andere Programmhierarchen der ARD in München für den "Weltspiegel", für "ttt", "Plusminus", "Echtes Leben" und die Politikmagazine planen. Es gab Kolumnen zu den geplanten Änderungen beim "Weltspiegel", solche mit dem Schwerpunkt Politikmagazine, eher allgemeine Betrachtungen zur Rolle der Magazine und auch ein paar Gedanken zu "Echtes Leben". Mittlerweile kann man sich ja fragen, was aus den Reformplänen geworden ist. Welche werden umgesetzt, welche werden abgeschwächt?
Nun hat Christine Strobl dem Tagesspiegel ein ausführliches Interview gegeben (das für 39 Cent bei Blendle zu haben ist), aber Konkretes zu den genannten Fragen findet man da nicht. Aber dafür, dass der Drops gelutscht ist, spricht zumindest folgende Formulierung:
"Die Debatte über Sendeplätze erscheint mir manchmal wie eine Debatte von gestern."
Wenn Christine Strobl, die keine Frau von gestern ist, sondern eine von morgen, das so sagt, muss man das als Wink an jene auffassen, die gerade ihre Sendeplätze verteidigen - und die sich nach diesem Satz (der sinngemäß schon öfter gefallen ist in der Debatte) vielleicht vorkommen wie Museumswärter.
Ab Anfang 2022 wird bei der ARD übrigens eine weitere Spitzenposition mit einer Frau besetzt. RBB-Intendantin Patricia Schlesinger wird Vorsitzende des Senderverbunds, und relativ lange dpa-Textfassungen dazu findet man beim Redaktionsnetzwerk Deutschland und meedia.de. Schlesinger folgt auf Tom Buhrow, über den es im dpa-Text heißt:
"WDR-Intendant Buhrow wird im Dezember zwei Jahre als ARD-Vorsitzender hinter sich haben, in der er den öffentlich-rechtlichen Verbund durch eine Zeit voller Unwägbarkeiten und Krisen auf Kurs halten musste."
Das klingt ein bisschen so, als hätte es ein Bot geschrieben. Jenen, die jetzt ihre Rückblicke auf die Amtszeit Buhrows vorbereiten (wird ja langsam Zeit!), sei also gesagt: Da geht noch was!
Altpapierkorb (das vorerst letzte Wort zu den Fernsehdebatten und andere Rückblicke auf den bildbewegten Wahlkampf)
+++ Der Wahlkampf ist noch nicht vorbei, und vielleicht ruft ja während der Produktion dieser Kolumne auch noch jemand die allerletzte heiße Phase aus, aber Zeit für Bilanzen ist auch schon. Samira El Ouassil holt in ihrer für Übermedien (€) medienhistorisch weit aus: "Die Vorlage für amerikanische Präsidentschaftsdebatten (und dementsprechend über Bande für ähnliche TV-Debatten weltweit) war (…) die in den fünfziger Jahren sehr beliebte Quizshow (…) Denkt man das Triell also als eine Art Quiz mit Politikerinnen, ergeben die ganze Statik und die Anordnung plötzlich Sinn. Es ergibt Sinn, den Teilnehmenden komplizierte Fragen zu stellen, bei denen sie sich bewähren müssen, während man als Zuschauerin vielleicht nicht folgen kann. Es ergibt Sinn, hinterher berichten zu wollen, wer dieses politische Quiz gewonnen und verloren hat und mit wieviel Punkten Vorsprung, auch wenn das eine seltsam wattige Information ist, da keiner genau erklären kann, was 'beim Triell gewinnen' eigentlich bedeutet (…) Und man schließt seinen Frieden mit diesem Format, weil man feststellt, es wollte nie eine Auseinandersetzung sein können, es ist politische Unterhaltung."
+++ "Das ZDF gewinnt überraschend das Rennen um die beste politische Dokumentation dieses Wahlkampfes gegen Rekordmeister Stephan Lamby" - so formuliert Cornelius Pollmer in der SZ das Ergebnis eines zumindest von ihm ausgerufenen Wettbewerbs. Pollmer jedenfalls findet Winnie Heeschers und Lars Seefeldts "Macht. Wechsel. - Der Kampf ums Kanzleramt" besser als Lambys "Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr" (Altpapier, Medienkorrespondenz).
+++ Pia Stendera schließlich kommentiert für die taz das im Kern schon ältere, durch kleine Umbaumaßnahmen nun zu "Laschets Wahlspot mit einem Querdenker" gewordene CDU-Video, dessen Entstehungsgeschichte - Klimaschützer raus, Querdenker rein - im Altpapier von Mittwoch skizziert wurde: "Armin Laschet (…) ist nicht auf dem rechten Auge blind, sondern blinzelt verschmitzt. Die CDU wirbt mit einer 'Richtungsentscheidung für Deutschland’. Armin Laschet macht die Richtung der CDU auf den letzten Metern deutlich. Damit dreht er nicht nur linkeren Parteien, sondern auch Opfern rechter Gewalt unmissverständlich den Rücken zu (…) Gute Berater würden Laschet und der CDU eine Erkenntnis nahelegen, die zahlreiche Politikwissenschaftler:innen längst teilen: Im Zweifel geht die Stimme der Wähler:innen eher ans blaue Original." Das ist zwar ein beliebter Topos unter Politikjournalisten und -journalistinnen, aber wenn eine Partei, die 2013 zum ersten Mal bei der Bundestagswahl angetreten ist, das "Original" wäre, hätten die Rechtsextremen vorher ja quasi Fälschungen gewählt, ohne das entsprechende Original zu kennen. In der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 - seit 2002 erscheinen alle zwei Jahre neue Fassungen - heißt es: "Während Menschen mit einer rechtsextremen Einstellung vor 2014 überwiegend die SPD und CDU wählten", habe sich "ihre Priorität" nunmehr geändert, und zwar zu Gunsten der AfD. Aber: Auf die Frage, welche Partei sie bei der Bundestagswahl wählen würden, nannten bei den Befragungen für die 2020er-Studie immerhin noch 20,8 Prozent der "geschlossen-rechtsextrem Eingestellten" die CDU, 3,8 Prozent die CSU und 11,8 Prozent die SPD."
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.
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