Teasergrafik Altpapier vom 30. August 2021: Porträt Autor Christian Barthels
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Das Altpapier am 30. August 2021 Jetzt ging's los

30. August 2021, 09:50 Uhr

Die heißere Wahlkampf-Phase begann am Sonntagabend mit dem ersten Triell bei RTL. Wer hat gewonnen? Da ist ungefähr jede denkbare Meinung vertreten. Im Vorprogramm am Samstagabend traten Markus Söder und Robby Habeck im "einzig wahren" "Duell der Herzen" auf. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Medienschau zum Triell Nr. 1

Niedrige Erwartungen sind leicht zu erfüllen oder sogar zu übertreffen. Davon profitierte das erste im Trio der Trielle, die bis zur Bundestagswahl noch bei der Meinungsbildung über die drei Kanzlerkandidaten helfen sollen.

Bzw.: "Kanzler*innen-Triell", wie die Grünen (außer mit Sternchen immerhin auch, für Traditionalistinnen und Traditionalisten, mit Bindestrich) twitterten. Gewaltiges Medienecho gab es bereits vorweg und natürlich live. Auf Twitter ging es unter unendlich viel anderem auch um den Drehort ("Das Studio sieht ein bisschen aus als würden sie in nem Hallenbad Star Trek nachspielen wollen ...", fand Lenz Jacobsen in keineswegs böser Absicht) und ums Publikum ebd. ("Masken? Mindestabstand? Im Backstagebereich: Egal").

Eine beliebte Onlinejournalismus-Form sind im Nachhinein nach unten offene Liveticker. Während faz.net eher mit-stenografierte, überzeugt der österreichische Standard durch Distanz ("Fast so spannend wie ein Tatort"). Der Ticker des Tagesspiegels überzeugt durch Multiperspektivität und -medialität (hier weiter mit Einblicken ins "VIP-Zelt"), geht aber in die Länge. Und was sich ein vierköpfiges Team bei spiegel.de so zufunkte, wirkt im Nachhinein wie halb- bis dreiviertelprivater Chat, der sich ein bisschen sehr an eigenen Witzchen ("Triell, die kleine Meerjungfrau") freut. Wobei die Überschrift überkorrekt zutrifft: "Triell bleibt ohne klaren Sieger oder Siegerin".

Das ist ja, was in nachrichtlichen Medien jeweils am meisten interessiert: wer denn nun gewonnen hat. Dazu sind sämtliche denkbaren Ansichten vertreten. "Wer hat gewonnen? Baerbock und Laschet" heißt's etwa am Ende der zeit.de-Analyse in FAQ-Form. "Scholz gewinnt erstes Wahl-Triell vor Baerbock und Laschet", meldet indes welt.de im Nachrichten-Stil, dabei bloß auf Basis der "Blitzumfrage..., die das Institut Forsa im Auftrag der Sender direkt im Anschluss veröffentlichte", eben um gleich überall zitiert zu werden.

"Und so ging dieses Triell ohne klaren Sieger zu Ende", newslettert Martin Knobbe aus dem Spiegel-Hauptstadtbüro. "Das Triell hat eine Siegerin": "die demokratische Kultur" hält t-online.de-Chefredakteur Florian Harms dagegen (weiter unten übrigens scharfen Breitseiten gegen das "Geplapper auf Twitter", diese "aktivistische Selbstbeschäftigung vieler Journalisten"). Gabor Steingarts "Morning Briefing" (anmeldepflichtig) sieht ungefähr dasselbe, bloß andersrum ("Das deutsche Verhältniswahlrecht bringt immer mehr als einen Gewinner hervor. Das bedeutet: Die Gegner von gestern sind die Koalitionspartner von morgen").

"Einerseits bleibt die Diskussion lebhafter als sämtliche Kanzler-Duelle der vergangenen Jahre - aber die Diskutanten laufen auch immer wieder ihren jeweiligen Lieblingsthesen hinterher. Was mehr Verwirrung als Klarheit schafft", notiert, echt etwas verwirrt, Nico Fried für sueddeutsche.de. "Das Triell war "ein kleiner, aber wichtiger demokratischer Erfolg", kommentiert der schon erwähnte Lenz Jacobsen bei zeit.de und fährt fort: "Sie finden, das sei übertrieben? Dann haben Sie vielleicht zu viel erwartet". Hohe Erwartungen haben eben den Nachteil, leicht enttäuscht zu werden.

Bisschen Fernsehkritik zum Triell Nr. 1

Von wem wenig bis gar nicht die Rede war: vom veranstaltenden Sender RTL und seinen Moderationsteam.

Vom "schläfrig wirkenden Moderatoren-Duos Pinar Atalay und Peter Kloeppel" schreibt Stefan Reinecke im taz.de-Kommentar, in dem allerdings grundsätzliche langfristige Aversion gegen Laschet die Oberhand gegenüber aktueller Analyse gewannen. Womit er wiederum recht hat: "Das Triell der drei Kanzlerkandidaten wurde von RTL wie ein Fussball-Match inszeniert, mit Günther Jauch als Oliver Kahn". Das Rahmenprogramm ist ja, auf RTL wie bei ARD und ZDF, immer ein Appell, nun aber wirklich um- oder auszuschalten.

Eine vorrangige Fernsehkritik bietet dwdl.de, lobt das Moderatorenduo nicht so ("Dass das Triell lebhafter wurde als nach der Aufwärmrunde zu befürchten stand, lag dann auch weniger an den Fragen von Kloeppel und Atalay ..."), sieht darin aber auch Positives:

"Dass RTL wesentliche Themenkomplexe bereits abgearbeitet hat, dürfte Herausforderung und Ansporn zugleich sein, Baerbock, Laschet und Scholz in den nächsten Wochen noch etwas mehr zu fordern als es beim ersten Aufeinandertreffen der Fall war. Dass es in diesem Herbst nicht nur eine einzige Debatte gibt, die noch dazu nicht notgedrungen dem Zwang unterliegt, von gleich vier Fragestellern präsentiert zu werden, ist in jedem Fall ein Gewinn."

Zumal es ja Themen gibt, die noch gar nicht vorkamen und fürs zweite (ARD/ZDF)  und/oder dritte Triell (Pro Sieben) viel Potenzial böten. Positiver sieht wiederum Jacobsen den RTL-Ansatz:

"All das konnte auch deshalb gelingen, weil Moderator Peter Kloeppel und Moderatorin Pinar Atalay nur dann eingriffen, wenn es nötig war. Sie gaben die Themen vor und brachten die Diskussion in Fahrt, gelegentlich hakten sie nach, ansonsten ließen sie die drei reden. Die freundliche Souveränität der beiden unterschied sich aufs Angenehmeste von den aufdringlichen Aufgeregtheiten vergangener Duell-Moderatoren."

"Kleines Duell" Söder vs. Habeck

Aufmerksamkeitsstrategisch geschickt im Vorprogramm des erste Triells platziert hat eine wohl nicht Jamaika-Farben-farbige, aber bunte Koalition aus Spiegel, t-online.de und vice.com "Die einzig wahre Wahlkampfdebatte" (spiegel.de) bzw. das "#DuellderHerzen" (vice.com, in dessen Berliner Sitz es stattfand) bzw. "die Söder-Habeck-Debatte", wie t-online.de sie nüchtern nannte: also eine Diskussion zwischen den prominenten Nicht-Kanzlerkandidaten Markus Söder und Robert Habeck. Kam denn niemand auf die Idee "Duell der geringsten Übel"? Okay, das hätte wohl trotz des Superlativs nicht berauschend geklickt (und womöglich einem der Teilnehmer oder gar beiden Unrecht getan).

"Was die Duell-Zuschauer an diesem Abend gespürt haben dürften: den Schwung und die Dynamik, die von sowohl Söders als auch Habecks Worten ausgeht. Die Gabe, noch unentschlossene Wähler oder Wechselwähler auf die Seite ihrer Partei zu ziehen, hätten beide gehabt",

analysierte spiegel.de hinterher – als Mitveranstalter natürlich befangen. Gibt's auch unbefangenere Stimmen? Ja. Es sei "wohltuend, dass konzentriert und aufschlussreich wirklich nur über Inhalte gestritten wird", fand der Tagesspiegel. Dass es tatsächlich relativ inhaltlich zuging, trifft ja auch aufs Triell zu. Vielleicht also zeichnet sich tatsächlich ab, dass der Wahlkampf in der heißeren Phase an Niveau gewinnt ... 

Was meint eigentlich die Bild-Zeitung zum Triell? Ungefähr: Alliterationen gehen immer ("Klare Kante statt Trödel-Talk"). Als frischgebackene Mischform aus Zeitung, Internet-Dings und Fernsehsender, der außer Nachrichten melden auch Nachrichten machen will, steckt Bild in einer ungewohnten bis undankbaren Rolle ...

Eine Woche Bild-Zeitungs-Fernsehen

Ein Fernsehprogramm ist eben keine einzelne Sendung. Es zu konsumieren erfordert mehr Zeit und Geduld als eine schnell (und je größer die Schrift ist, desto noch schneller ) durchblätterbare Zeitung, erst recht beim Beurteilen. Insofern sind am Wochenende erst die ersten gründlicheren Betrachtungen von Bilds Ambitionen, zum Fernsehen zu werden, in Zeitungen erschienen.

"Zu großen Teilen wirkt 'Bild Live' wie eine Dauerwerbesendung für Bild, wobei es schwer zu sagen ist, was schwerer zu ertragen ist: die Dauerhaftigkeit oder der Werbungscharakter. Ständig bescheinigen sich die Bild-Leute gegenseitig ihre Klasse oder behaupten, wegen der gewöhnlichsten Geschichten ihrer Kollegen und Kolleginnen Gänsehaut zu bekommen. ... Wie sehr die Eigenproduktion von Nachrichten das Prinzip des Senders ist, sieht man in der Talkrunde 'Viertel nach Acht' ... Ihr Untertitel 'Die Show, die Schlagzeilen macht' ist nicht nur metaphorisch gemeint: Jeder zweite Satz aus dem Geplauder der Promi-Gäste wird sofort abgetippt und noch in der Sendung als Banner eingeblendet ...",

brachte Harald Staun in der FAS (€) auf den Punkt. Wobei Schlagzeilen-Machen, ob aus nichts oder echt nachrichtlichem Stoff, ja zum klassischen Handwerk der Bild-Medien gehört.

"Die allermeisten dieser Gespräche werden sehr gut geführt und sind im besten Sinne zupackend",

notierte Cornelius Pollmer in der Samstags-SZ (€) zu den gar nicht wenigen Interviews, die der neue Sender außer mit Kanzlerkandidaten auch mit (gerade noch) amtierenden Bundesministern wie Heiko Maas oder Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer führte. Was natürlich nicht heißt, dass die SZ vom neuen Sender begeistert ist. Schließlich gibt es neben den relativen Höhepunkten auch den "riesigen Rest der neuen Sendefläche", der ebenfalls befüllt werden muss. Pollmer bringt rüber, dass er viel Zeit damit verbracht hat:

"Dienstag: 'Hier ist Bild Live', sagt Thomas Kausch, und dann mündet die ewig oszillierende Zwischenmusik endlich in einen Jetzt-geht-es-los-Schlussakkord. Kausch fragt einen Kollegen, ob er beim Dreh für eine Doku womöglich 'ganz emotionale Erlebnisse' gehabt habe? Hatte er. Dann Breaking News zu einem Giftanschlag in Darmstadt. Das heißt, keine wirklichen Neuigkeiten. Nur die 'Information', dass Bild-Reporter auf dem Weg dorthin seien, man werde später live zu ihnen schalten. Schnitt. Es läuft ein Trailer für die Premiere des Formats 'Achtung Fahndung' ... "

Ein dreiköpfiges taz-team hat sich Bilds Fernsehen ebenfalls angetan. "Das Wort 'Nachrichtensender' ist für 'Bild Live' zu hoch gegriffen", lautet eine seiner Thesen. Im Kritikpunkt, dass

"das Programm in Sachen Qualität weiter extrem auseinander[fällt]. Da wackelt immer mal die Kamera, Schrift wird zu kurz eingeblendet, Text passt nicht zum gesprochenen Inhalt. Den Bild-Zeitungsjournalist*innen, die zum Teil durchs Programm führen, mangelt es an Kamerapräsenz und Sprechausbildung, das wirkt unbeholfen und verspannt, was das Dranbleiben bei einigen Sendungen selbst für Bild-Fans anstrengend machen könnte",

steckt freilich, dass die Qualität auch nicht ganz schlecht ist. Am Ende raten die drei von der taz auch allen, "routinierte Häme" und "erwartbares Bashing" zu unterlassen, um sich lieber inhaltlich auseinanderzusetzen. Der Fairness halber: Müsste jemand das komplette Programm etwa unserer ARD, mit allem Nachmittags-Boulevard, den zahllosen Eigen-Werbetrailern und der "ewig oszillierenden Zwischenmusik" ansehen, würde die Begeisterung deutlich größer sein?

Insgesamt gibt es jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, mehr nachrichtlich so oder so relevantes Fernsehen denn je in Deutschland. Und das ist unter zahlreichen Aspekten (darunter dem, ob alle das lange durchhalten) spannend.


Altpapierkorb (Afghanistan, Wahlkampf-Dienstleister und "Sentiment", Frequenzfragen)

+++ Saad Mohseni, Betreiber des afghanische Fernsehsenders Tolo News und neulich schon von Michael Hanfeld befragt (Altpapier), äußert sich in weiteren Interviews (Spiegel, FAS) weiterhin vorsichtig: "Im Moment herrscht vor allem Verwirrung", zu Gewalt gegen Journalisten kommt es aber auch.

+++ "Das Verständnis von denen ist, dass sie Wahlen überall machen können. Sie machen Wahlkämpfe im Irak, in den Niederlanden, in Pakistan – erfolgreich. Sie sagen, dass sie mit ihren digitalen Mitteln aus Wählerprofilen das sogenannte Sentiment, also die Gefühle der Wähler herausarbeiten können. Wenn man das kennt, kann man politische Botschaften so zuschneiden, dass sie treffen", sagt Filmautor Peter Kreysler im SZ-Interview über in London ansässige Wahlkampf-Dienstleister, um die es in der heutigen ARD-Doku "Wahlkampf undercover" geht.

+++ Und die Frage nach Frequenzen, die für digitalen Rundfunk (der nicht so boomt, aber theoretisch wichtig ist) oder für Mobilfunk (der durchaus boomt) genutzt werden können, wirft der Spiegel knapp anhand eines Papiers aus der "ARD-Fachabteilung für Frequenzmanagement" auf.

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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