Das Altpapier am 4. August 2021 Dramatik statt Zusammenhänge
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05. August 2021, 08:53 Uhr
Eine neue Inszenierung in Armin Laschets Wahlkampf sorgt sogar in den USA für Belustigung. Der Journalist, der in Berlin einen verletzten Polizisten vor dem Querdenker-Mob schützte, gibt ein Interview. Einige Medien tragen durch irreführende Headlines zum Thema Impfen dazu bei, die Impfbereitschaft zu untergraben. Ein Altpapier von René Martens.
Inhalt des Artikels:
- Laschets Four-Seasons-Moment
- Der Journalist, dein Freund und Helfer
- Mehr in Sachen Volker Bruch
- Verantwortungsloser Reichweitenjournalismus
- Die Rolle der Medien bei der Verbreitung der Impfskepsis
- Altpapierkorb (tatenlose Schlichtungsstelle, nutzloses Digitalprojekt aus Doro Bärs Laden, der Dokumentarfilm "Bruderliebe")
Laschets Four-Seasons-Moment
Das Gartenbaugeschäft Four Seasons Total Landscaping aus Philadelphia ist hier zu Lande möglicherweise schon wieder etwas in Vergessenheit geraten, nachdem es im Herbst 2020 kurzzeitig weltberühmt gewesen war, weil Donald Trumps Anwalt Rudy Giuliani auf einem Parkplatz des Unternehmens eine Post-Election-Pressekonferenz abhielt. Trumps Leute hatten die Medien dort hin bestellt, weil sie glaubten, dort befinde sich das Hotel Four Seasons.
Eine Art Déjà-vu-Erlebnis gibt es nun im bundesdeutschen Wahlkampf. Möglich gemacht hat es ein Foto von Armin Laschet, wie er in Schleiden in der Eifel an einem Redepult zu sehen ist, das vor einem Müllberg aus Hochwasserschadensgegenständen steht. Einige Versionen des Bildes erwecken sogar den Eindruck, Laschet stehe mitten im Müll.
"We’d like to extend a warm hand of welcome to our German counterparts in Press Conference venue excellence",
twitterte der Parodie-Account @TotalSeasons dazu. [Nachtrag: In der ersten Fassung hieß es irrigerweise, die „in PR-Dingen plietsche Landschaftsgärtnerei“ selbst habe dies getwittert. Danke für den Hinweis an @La_Mut - RM].
"Wer zur Hölle im Team kam auf den Gedanken, dass es eine gute Idee wäre, den Ministerpräsidenten visuell als Schrottauktionator zu inszenieren!?",
lautete dazu, ebenfalls bei Twitter, der Kommentar Marco Fechners. Ohnehin zeige sich in "diesem Wahlkampf" ein "erstaunliches Versagen visueller Kommunikation, insbesondere im Laschet-Team", so Fechner weiter. Laschet im Müll - das liefert natürlich unzählige Anregungen für Memes und Wortspiele (und wenn man das englische Wörtchen Trash in die Spielereien mit einbezieht, sind es noch mehr). Aber ob er in Sachen "visuelle Kommunikation" "versagt" hat, wissen wir frühestens am Abend des 26. September. Dass die Beschäftigung mit Laschets unfreiwilliger Witzigkeit ablenken könnte von der Beschäftigung mit seinen politischen Positionen oder den politischen Fragen, bei denen er es vorzieht, so zu tun, als habe er keine Position - diesen Gedanken sollte man natürlich auch weiterhin im Blick haben (siehe Altpapier).
Der Journalist, dein Freund und Helfer
Am Montag haben wir an dieser Stelle einen Fotografen erwähnt, der während der gewaltsamen Auseinandersetzungen bei den verbotenen rechten Demos in Berlin versuchte, einen am Boden liegenden Polizisten zu schützen.
Der Spiegel hat den in Thüringen lebenden Kollegen, der als @demoticker twittert, für ein Videointerview ausfindig gemacht. Warum hat er so gehandelt? Der Fotograf sagt, wenn er dort gelegen hätte, und nicht in der Lage gewesen wäre, sich zu wehren, hätte er sich auch gewünscht, dass jemand versucht einzugreifen.
Auf den Bildern, die der Spiegel in dem Zusammenhang zeigt, sieht man, wie der verletzte Polizist sich am Boden rückwärts robbend aus der Gefahrenzone zu bewegen versucht, während wiederum der Journalist versucht, unter anderem durch das Ausbreiten seiner Arme den "wütenden Mob", wie er es selbst nennt, davon abzuhalten, den am Boden Liegenden weiter zu verletzen.
Mehr in Sachen Volker Bruch
Die erneute Berichterstattung des Tagesspiegel über das politische Wirken des rechtsoffenen Schauspielers Volker Bruch, der am Sonntag in Berlin mit marschierte (Altpapier von Dienstag), greift nun beispielsweise die Berliner Morgenpost auf. "Volker Bruch auf Querdenker-Demo: 'Das sagt der Schauspieler'", lautet die Headline, und im Text wird er "der TV-Star" oder der "'Babylon Berlin’-Star" genannt. Der Duktus passt teilweise überhaupt nicht dazu, dass es hier um eine Person geht, der sich bestens mit dem Umsturzphantasten Anselm Lenz vom "Demokratischen Widerstand" zu verstehen scheint und auf einem Foto für die Zeitung eben dieser Organisation wirbt (was sowohl in dem Tagesspiegel- als auch im Morgenpost-Beitrag zu sehen ist). Am Tag, an dem das Foto entstand, verbreitete der "Demokratische Widerstand" Gaga-Meldungen wie die, dass "in Europa Stand heute fast 20.000 Menschen durch die umstrittenen Corona-Impfungen gestorben" seien.
Seit Montag wird bei "Babylon Berlin" übrigens wieder gedreht, und man kann den Regisseuren und Produzenten nur wünschen, dass sie die sozialen Dynamiken in den Griff bekommen, die immer dann entstehen, wenn vernunftbegabte Menschen mit einem Spinner zusammenarbeiten müssen.
Verantwortungsloser Reichweitenjournalismus
Die taz-Medienseite hat vor zwei Wochen eine Sommerserie mit dem Titel "Manöverkritik" gestartet. "Welche Chancen ergeben sich für den Journalismus nach der Pandemie?", lautet eine der Leitfragen. Anne Haeming und Judyta Smykowski haben die ersten beiden Essays geschrieben. In der dritten Folge von mir geht es nun um die Unterschiede zwischen Wissenschaftsjournalismus auf der einen und Politik- und Nachrichtenjournalismus auf der anderen Seite:
"Während Wissenschaftsjournalist:innen zum Beispiel darauf schauen, wie oft jemand in der Fachliteratur zitiert wird, um einen Experten einschätzen zu können (…), hat der Politikjournalismus andere Maßstäbe. 'Wenn einer a sagt, sucht der Politikjournalist jemanden, der b sagt.' Das sei beim Streit über Meinungen völlig legitim, sagt (Franco) Zotta. 'Aber bei den Fragen, über die wir in den letzten eineinhalb Jahren gestritten haben, ist das nicht der richtige Zugang.'"
Bei dem zitierten Kollegen Zotta handelt es sich übrigens um den Geschäftsführer der Wissenschaftspressekonferenz (WPK).
Was konkret könnte also der Politik- und Nachrichtenjournalismus vom Wissenschaftsjournalismus lernen? Vielleicht einen anderem Umgang mit inhaltlicher Substanz. Denn:
"Im digitalen Politik- und Nachrichtenjournalismus zählt ja nicht die Qualität oder Relevanz einer Politikeräußerung, sondern die bei der Verbreitung zu erwartende Reichweite. So werden ohne jegliche weitere Einordnung abstruse politische Positionen verbreitet, die aus anderen Gründen gefährlich sind als eine irrelevante Mindermeinung eines in die Öffentlichkeit drängenden Wissenschaftlers. Die Geschäftsmodelle von Friedrich Merz oder Hans-Georg Maaßen funktionieren nur deshalb, weil der Journalismus in dieser Hinsicht verantwortungslos handelt."
Eine Rolle im Text spielt auch das von den Wissenschaftshistorikern Naomi Oreskes und Erik M. Conway verfasste Buch "Merchants of doubt" (Händler des Zweifels), das Mitte Juli auch der Meterologe Özden Terli im ZDF erwähnte - als es darum ging, warum manchen Menschen die Rolle des Klimawandels bei den Hochwasserkatastrophen immer noch schwer zu vermitteln sei. Terli spricht hier die Desinformationskampagne an, die die Ölindustrie seit Jahrzehnten betreibe und die in Oreskes’ und Conways "Klassiker" wissenschaftshistorisch aufgearbeitet werde.
Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, welche (finanzielle) Macht die Desinformationskampagneros immer noch haben - dem sei ein Blick in den inzwischen wöchentlich erscheinenden "Heated"-Newsletter der amerikanischen Klimajournalistin Emily Atkin empfohlen. Sie schreibt:
Das Projekt Climate Power hat nun aber erfahren müssen, dass Letzteres teilweise gar nicht so einfach ist. Das im Bereich Außenwerbung tätige, auch im deutschsprachigen Raum aktive Unternehmen Clear Channel hat zum Beispiel lieber auf 45,000 Dollar verzichtet, anstatt in der Region Washington D.C. Climate-Power-Plakatwände mit der Botschaft "Putting profits over people. That’s the oil and gas way” aufzustellen. Offenbar aus Angst vor jenen sehr wichtigen Kunden, die Climate Power angreift.
Aus anderen Gründen hat Climate Power Werbung dieser Art bei Twitter nicht unterbringen können (während es bei Facebook und Spotify beispielsweise keine Probleme gab).
Die Rolle der Medien bei der Verbreitung der Impfskepsis
In der vergangenen Woche war an dieser Stelle die Rede von der teilweise weichzeichnerischen Berichterstattung über Impfgegnerinnen und -gegnern, die oft auch zur Weiterverbreitung von Anti-Impf-Propaganda beiträgt. Wie internationale Medien auf andere Weise möglicherweise ebenfalls dazu beitragen - das ist aktuell beispielsweise Thema in einem Beitrag auf der Medienseite der FAZ (75 Cent bei Blendle) und beim Schweizer Magazin Republik.
Die Frankfurter werfen einen Blick in die USA:
"Ausgerechnet die renommiertesten Häuser in der US-Nachrichtenlandschaft blamierten sich in der vergangenen Woche mit ungenauer Berichterstattung über eine neue Covid-Studie der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. Womöglich leisteten sie damit der Impfskepsis und der rasanten Verbreitung der Delta-Variante Vorschub",
konstatiert Nina Rehfeld. Die "großen amerikanischen Medienorganisationen" setzten "vielfach auf Dramatik anstatt auf Zusammenhänge", schreibt sie weiter - und nennt dafür folgendes Beispiel:
"NBC veröffentlichte die Headline 'Covid-Durchbruchsfälle: Mindestens 125 000 vollständig geimpfte Amerikaner positiv getestet.' Dass dies indes weniger als 0,08 Prozent der bislang mehr als 164 Millionen voll vakzinierten Amerikaner sind, wurde erst aus der Unterzeile ersichtlich. Nate Silver, der die Statistik-Website FiveThirtyEight führt, ätzte: 'Exklusiv: Mindestens 35 000 000 ungeimpfte Amerikaner Covid-positiv getestet.'"
Wenn sich "große" Häuser "blamieren" - in dem Artikel ist in dem Zusammenhang auch von der New York Times und der Washington Post die Rede -, blamieren, darf man vielleicht nicht allzu sehr darauf hoffen, dass weniger große Häuser es nicht tun.
Andere konkrete Schwächen in der Berichterstattung über das Impfen nennt die Republik. Auch hier geht es um den, vorsichtig formuliert: irreführenden Umgang mit Zahlen. Oliver Fuchs nennt Beispiele aus den USA, Schweiz und Kanada. Er schreibt:
"Solche Nachrichten können Unsicherheit und Misstrauen auslösen: Hält die Impfung etwa gar nicht, was sie verspricht? Dieses Misstrauen untergräbt die Impfbereitschaft. Doch hinter solchen Zweifeln steckt ein grundlegendes Missverständnis darüber, was die Impfungen gegen Sars-CoV-2 können und was nicht."
In einem Tweet fasst die Redaktion schließlich drei Kernaussagen zusammen, unter anderem:
"Ja, auch mit Impfung können Sie krank werden. Aber schwer krank werden die allerwenigsten (0,004 %)."
Altpapierkorb (tatenlose Schlichtungsstelle, nutzloses Digitalprojekt aus Doro Bärs Laden, der Dokumentarfilm "Bruderliebe")
+++ "Was war eigentlich mit der 'Schlichtungsstelle'?" - so lautete neulich im Altpapier eine Zwischenüberschrift, die sich auf ein Gremium bezog, in dem Vertreterinnen und Vertreter der Öffentliche-Rechtlichen und der Verlage eigentlich Streitfälle klären wollte, die die vermeintliche "Presseähnlichkeit" von öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten betreffen. Mit dieser "Schlichtungsstelle" befasst sich heute auch die SZ: "Das Gremium soll anlassbezogen zusammentreten und vermitteln, wenn Verlage ein Angebot von ARD, ZDF oder Deutschlandradio für unzulässig halten (…) Allerdings hat bislang noch kein Verlag die Schlichtungsstelle aktiviert."
+++ "Peinlich", "nutzlos" - mit diesen Worten kommentiert Jana Ballweber für netzpolitik.org die Qualitäten einer "intelligenten Suchmaschine", die auf der Homepage der Bundesregierung zu finden ist und auf eine Idee der Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, zurück geht. Ballweber kritisiert diese Suchmaschine, weil sie "völlig irrelevante Ergebnisse liefert, an manchen Stellen nicht mal mit der Suchfunktion der Homepage mithalten kann und überdies noch schwer zu finden ist".
+++ Den heute bei Arte zu sehenden Dokumentarfilm "Bruderliebe", der die Geschichte eines Mannes erzählt, der seinen schwer verunglückten Bruder pflegt, lobt Oliver Jungen in einer FAZ-Rezension (für 75 Cent bei Blendle). Der Film sei "in seiner Intensität unvergleichlich". Beziehungsweise: "Ein so nahscharfes, ehrliches und bei allen tragischen Voraussetzungen zärtlich hoffnungsvolles Porträt der Humanität in ihrer Alltagsgestalt gibt es selten zu sehen." Dabei zeigt der Sender nur eine "verstümmelte Fassung" (Jungen), nämlich eine, die 40 Minuten kürzer ist als die Kinoversion. Nun ist die Formulierung "verstümmelt" vielleicht etwas over the top, weil es gang und gäbe ist, dass Arte kürzere Fassungen von Dokumentarfilmen zeigt, damit sie ins Sendeschema passen. Unschön ist die Praxis, die Jungen hier kritisiert, natürlich dennoch.
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.
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