Das Altpapier am 17. Juni 2021 Du Toooooooor!
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17. Juni 2021, 15:15 Uhr
Über die Chance in detaillierter Berichterstattung auch gesundheitlicher Schwächen und das angeblich sinkende, vielleicht auch nur schlingernde ÖRR-Schiff. Ein Altpapier von Jenni Zylka.
Keine Impfung, nirgends
Anscheinend kann Christian Eriksen wieder problemlos und professionell den Ball kicken, ein Glück. Über eine in Teilen kritikwürdige Berichterstattung zum Herzstillstand des dänischen Nationalspielers (siehe Altpapier vom 14.6.) hinaus hatten sich natürlich in Nullkommanichts Gerüchte gebildet, allen voran das, dass Eriksen kurz vor dem Zusammenbruch geimpft worden sei. Absoluter Blödsinn, wie man schnell erfahren konnte – dennoch schlägt Google, und das ist wiederum so bezeichnend, bei der Eingabe seines Namens als erstes "Impfung" vor – noch vor "Frau" und "Diagnose", und auch vor "Vermögen".
Die "wilden Spekulationen", von denen hier zum Beispiel der Merkur berichtet, sind durch Social Media promeniert, und haben es bis in die Köpfe sehr, sehr vieler Interessierter geschafft. Dabei kann ich das Interesse an den medizinischen Hintergründen durchaus nachvollziehen (selbst Eriksen selber sagte gegenüber der Gazetto dello Sport übrigens: "Ich fühle mich jetzt besser – aber ich möchte verstehen was passiert ist"). Schließlich stellt man sich diese umfassend gesundheitlich überwachten Spitzensportler:innen als das Gesündeste und Stärkste vor, was sich auf den Rasen der Welt bewegt.
Der BR hat darum die Aufmerksamkeit genutzt, um die Relevanz von genügen Defibrilatoren auf der Welt und in jeder Situation noch einmal deutlich zu machen, erklärt, wieso auch junge, fitte Menschen durchaus einen Herzstillstand haben können, und zitiert einen Experten namens Bernd Böttiger:
"Mit Blick auf den erst 29 Jahre alten Eriksen sagt Böttiger: "Bei jüngeren, gesunden Menschen sind all diese Dinge sehr, sehr selten, aber nicht ausgeschlossen." Bei Sportlern, die einen Herz-Kreislaufstillstand erlitten, könnten Entzündungen ausschlaggebend sein. Möglicherweise könne eine Grippe oder ähnliche Erkrankung unbemerkt auf das Herz schlagen. Der Herzstillstand könne die Menschen dann aus heiterem Himmel treffen – "selbst wenn man noch so aktiv und gut in ärztlicher Behandlung ist", mahnt Böttiger."
Starke kranke Sportler:innen
Die taz half heute zudem mit einem Text über den niederländischen Fußballer Daley Blind, der mit einem implantierten Defibrillator spielt, dabei, diese Annahme der zwingend 100%ig gesunden Sportler:innen geradezurücken: Bewegungsprofi, leidenschaftliche:r Amateur:in oder überhaupt mobil kann man nämlich auch mit angeblichen "Schwächen" sein. Eine im Sinne der Vielfalt wichtige Feststellung, die bei der noch immer starken Trennung von "normalen" Sportereignissen und denen für Sportler:innen mit Handicaps eine wichtige Rolle spielt.
Hier ist ein Auszug aus der tröstlich-futuristisch (jedenfalls für mich als Technik und Schulmedizin-Fan) klingenden Geschichte Daley Blinds aus der taz:
"Dass irgendetwas nicht stimmt mit seinem Herz-Kreislauf-System, bemerkte er während eines Champions-League-Spiels von Ajax Amsterdam beim FC Valencia 2019. Er ließ sich mit Schwindelgefühlen auswechseln, weitere Untersuchungen ergaben, dass der Profi eine Herzmuskelentzündung hatte. Daraufhin wurde ihm der Defibrillator eingesetzt, ein Gerät, das Leben retten und Ängste vor einem Zusammenbruch lindern soll. Sobald sich die Herzfrequenz zu stark erhöht, sendet der ICD einen oder mehrere Stromstöße, um die Rhythmusstörung zu beheben."
Und selbst wenn, wie es weiter heißt, dieser "ICD" ebenfalls bereits fehlerhaft arbeitete, glücklicherweise ohne Folgen, bin ich mal wieder begeistert von den Freuden der Technik.
Abgesehen davon, um die durch dieses Schicksal vermutlich leicht gesunkene Lesestimmung ein wenig zu heben und aus gegebenem Anlass hier noch schnell ein Ausschnitt aus meiner Lieblingsbeschreibung von Fußball, selbstverständlich von meinem Lieblingsdichter Heinz Erhardt:
"Vierundvierzig Beine rasen
durch die Gegend ohne Ziel,
und weil sie so rasen müssen,
nennt man das ein Rasenspiel.
Rechts und links stehn zwei Gestelle,
je ein Spieler steht davor.
Hält den Ball er, ist ein Held er,
hält er nicht, schreit man: "Du Tooooooor!""
(Es geht noch ein bisschen weiter, aber der letzte Gag ist eigentlich schon der Höhepunkt.)
Schnöder Mammon?
Und zu einem weiteren Thema, bevor die heutigen 36°C erreicht, und damit die letzten funktionierenden Gehirnzellen geschmolzen sind: Die Debatte um ins Private (und damit meine ich definitiv nicht "Privatier") abwandernde, öffentlich-rechtliche Nachrichtensprecher:innen und Moderator:innen ist noch nicht vorbei.
Der Tagesspiegel zitiert good old and wise Dagmar Berghoff (denn die muss es ja wissen), die gestern in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland anlässlich ihrer ersten Tagesschau-Moderation vor 45 Jahren (!) nochmal die These mit der schlechten Bezahlung unterstrichen hat, welche die Kolleg:innen in Scharen (stimmt ja gar nicht, aber so klingt es derzeit manchmal) abwandern lässt:
"RTL und Sat.1 zahlen natürlich viel mehr als die ARD. Das ist gar kein Vergleich. Es könnte natürlich sein, dass Jan Hofer auch das Geld gereizt hat",
vermutet Frau Berghoff. Laut Tagesspiegel stimmt zwar nicht mehr, was sie als Gehalt gespeichert hatte (vielleicht waren’s ja auch D-Mark? Ha…), aber das spielt angeblich keine Rolle:
"Für die ARD ist es nicht vorstellbar, ihren "Tagesschau"-Sprechern mehr zu bezahlen, wenn Berghoff mit ihrer 257-Euro-Einschätzung auch nicht ganz richtig liegt. "Der aktuelle Satz liegt bei 274,39 Euro für eine 'Tagesschau'-Ausgabe um 20 Uhr", sagt Marcus Bornheim, Chef von ARD aktuell, auf Tagesspiegel-Nachfrage."
Ppph. Die paar Kröten mehr… Interessant sind ihre Antworten auf die rnd-Fragen nach einen Gender Pay Gap (gab es anscheinend in dem Bereich damals nicht), und nach der mangelnden Flexibilität des ÖRR, die viele, ich auch (hier im Freitag), als Mitgrund für den vermeintlichen großen Abgang vom stolzen ÖRR-Pferd vermuteten:
"…bei der Flexibilität konnte ich mich bei der ARD nie beklagen. Ich habe viele Sendungen, Talkshows und Radioformate gemacht, auch große Shows aus Paris oder Reisesendungen. Ich habe nie gefragt, ich habe es einfach gemacht."
Nun ist Flexibilität aber auch ein sehr großes Wort, dass sich auf viele verschiedene Bereiche anwenden lässt. Wenn sie damit unterschiedliche etablierte Formate meint, hat sie bestimmt Recht – wenn sie die Reaktionsgeschwindigkeit auf gesellschaftliche Veränderungen und die Etablierung neuer Formate meint, eventuell nicht ganz. Aber ich will bestimmt nicht mit Frau Berghoff streiten!
Und als letztes noch kurz Kollege Steffen Grimberg in der taz dazu, der sein Gutes in der Diskussion bereits gefunden hat:
"Etablierte Läden ändern sich eben erst, wenn es wehtut. Daher hat die Abwanderung auch ihr Gutes. Die Privaten müssen plötzlich Relevanz beweisen. Denn Filme und Serien abnudeln können die Streamingdienste einfach besser."
Zusammenfassend könnte man sagen: Ruhig, Brauner. Das passt ja eh sehr oft.
Altpapierkorb (... mit potentiellen neuen ZDF-Chef:innen, Magenta TV und einer impfkritischer Schauspielerin)
+++ Der Spiegel bringt eine umfassende Reportage über zwei Bewerber:innen für den Posten der oder der ZDF Chef:in. Könnte interessant werden – die eine will Diversität und Veränderung, der andere nicht…
+++ Die FAZ kritisiert hier die Berichterstattung über die EM bei Magenta TV.
+++ Und die Berliner Zeitung hat die Schauspielerin Eva Herzig interviewt, die sich für eine Rolle nicht gegen Corona impfen lassen wollte, und das Gespräch betitelt mit "Da wird ein ungeheurer Druck ausgeübt". Man sollte sich vielleicht selbst ein Bild davon machen, ob man den Rest des Interviews nun tendenziös findet oder sachlich – jedenfalls werden Konflikte wie diese uns weiter begleiten.
Neues Altpapier kommt am Freitag.
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