Das Altpapier am 31. Mai 2021 Stehen Fernsehgeräte bald hochkant?
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31. Mai 2021, 09:52 Uhr
In Großbritannien ist nicht alles, was glänzt, golden. Allerdings hat die BBC eine irre Idee, um junge Leute wieder vor die Fernsehgeräte zu holen. Bertelsmann will wieder mit Apple und Amazon konkurrieren. Wie menschenverachtend ist das Privatfernsehen? Und der "ARD-Zukunftsdialog" geht in eine noch heißere Phase... Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
Britische Pressefreiheit, britischer Fußball ...
Der FC Chelsea hat die Champions League gewonnen. Glückwunsch! Da passt ein Artikel, der schon am Mittwoch in der FAZ stand und eigentlich auch da (als es um die Folter Julian Assanges ging) schon ins Altpapier gepasst hätte . "Wie das britische Justizsystem die Pressefreiheit gefährdet", lautete die Print-Überschrift (Blendle). Die inzwischen erschienene Onlineversion (ebenfalls €) trägt den Titel "Warum russische Oligarchen in London Narrenfreiheit haben". Jedenfalls beschreibt FAZ-London-Korrespondent Jochen Buchsteiner, wie ein Netzwerk nicht-oppositioneller russischer Geschäftsleute gegen die frühere Financial Times-Moskau-Korrespondentin Catherine Belton wegen ihres Buchs "Putin’s People" vorgeht:
"Die Studie ist nun Gegenstand von Verleumdungs- und Datenschutzverfahren in London. Vier russische Milliardäre und der vom Kreml kontrollierte Ölkonzern Rosneft haben den Verlag Harper Collins in London verklagt – drei von ihnen auch die Autorin persönlich. Die Klageführer sind die Oligarchen Michail Fridman und Pjotr Awen sowie Schalwa Tschigirinskij und Roman Abramowitsch, der Eigentümer des Fußballclubs Chelsea".
Falls Sie anglizistische Akronyme schätzen: SLAPPs wäre eines und steht für "strategic lawsuits against public participation". Strategisch seien solche Klagen, weil es weniger darum geht, am Ende als Sieger vom Platz zu gehen, als darum, vorher "den Preis für Kritik in die Höhe zu treiben". Und die britische Regierung habe zumindest "kein Interesse, die Geschäfte der Londoner Anwaltsindustrie zu schmälern", wenn sie sie nicht sogar international fördert, weswegen inzwischen auch "Verfahren, an denen keine Briten beteiligt sind, vor Londoner Gerichten ausgefochten" würden. Es handelt sich also um eine weitere Facette der Globalisierung, ähnlich wie im Vereinsfußball. Beim clubmäßig betrachtet rein englischen Champions League-Finale wirkten ja auch nicht sehr viele Briten mit. So sehr also Phänomene wie Fußball in seinem Ursprungsland oder die BBC, die Royals-oder Rosamunde Pilcher dazu einladen mögen: Zu allzu großer Anglophilie besteht kein Anlass. (Und Julian Assange sitzt weiter im Londoner Folterknast).
Bertelsmann und seine, äh, starken Marken
"RTL United" ist kein Fußballverein, auch wenn derjenige vom RTL-Hauptsitz seine Bundesliga-Zugehörigkeit auf auch nicht unspektakuläre Weise doch noch retten konnte. Vielmehr handelt es sich sozusagen um einen Begriff "Markenarchitektur", der wie viele andere zwischen "TV Now", "RTL +/plus" und "Bertelsmann Content Alliance" vielleicht nur vorübergehend besteht oder sich gar nicht an die große Öffentlichkeit richtet. "Rebranding" lautet der Anglizismus für so etwas, das zumindest Werbeagenturen und Grafikgestaltern Brot gibt.
Um Zukufts-Pläne bei Bertelsmanns RTL geht es im Power-Manager-Interview, das dwdl.de mit RTLs Geschäftsführungs-Vorsitzenden Bernd Reichart führte. Die Namen mit "now", die Bertelsmann-Online-Dings zurzeit noch tragen – also tvnow.de und audionow.de ("Deutschlands Audio-Plattform. Hier hörst du alles!") – werden zugunsten einer umfassenderen Plattform zum Sehen, Hören und Lesen unter dem Traditionsnamen "RTL+" verschwinden. So wolle Bertelsmann, das ja weiterhin der größte deutsche Medienkonzern ist, mit den ganz großen Anbietern konkurrieren:
"Auch Apple und Amazon haben den Reiz erkannt, verschiedene Mediengattungen zu bündeln. Ich glaube fest daran, dass man sich mit einem umfassenden digitalen Abo abheben kann von denen, die allein auf Video-Streaming setzen, auch wenn Video der Motor ist und bleibt. Wenn Sie beim Abendessen mit Freunden über Guido Maria Kretschmers Einrichtungstipps, den neuen Stoff von Sebastian Fitzek, Promi-News von Frauke Ludowig oder aktuelle Themen von Jan Hofer sprechen, dann ist gar nicht mehr entscheidend, ob Sie es gesehen, gehört oder gelesen haben. Hauptsache, RTL+ ist die Plattform, auf der Sie alles finden."
Auch wenn es womöglich die Lebensqualität erhöht, wenn man mindestens drei der genannten Prominenten auf allen Kanälen möglichst selten begegnet: Eine bemerkenswert konkrete Vision hat Reichart da formuliert. Und ziemlich deutlich gesagt, dass der traditionsreiche Zeitschriftenverlag Gruner+Jahr in dieses RTL-Dings eingehen wird. Fleißige Vorarbeit wurde dort ja geleistet:
"Nach dem Vorbild der Youtube-Influencer werden seit einigen Jahren Zeitschriften von TV-Promis promotet: von Barbara Schönebergers 'Barbara' über Eckart von Hirschhausens 'Gesund leben' bis zu Guidos 'Deko Queen'. Da darf sich der Star-Designer Guido Maria Kretschmer dann über seine fünf Windhündinnen Alaiya, Aimee, Undine, Ivy und Idaya auslassen, im Rahmen einer 'Happy dog – happy life'-Geschichte ..."
Das schreibt nun Wolfgang Michal im Freitag (in der inzwischen vorigen Ausgabe, aus dem hier am Mittwoch Seeßlens Sophie-Scholl-Instagram-Artikel empfohlen war). Der so lange wie lesenswerte Text "Gruner + Jahr – das bittere Ende der Story" ist inzwischen frei online erschienen. Michal steigt szenisch ein im Jahre 2000, auf dem absoluten Höhepunkt der Markt- und Meinungsmacht von G+J, sodass es dann, wie es wie es in der Natur von Höhepunkten liegt, bergab geht – und bietet überraschende Neubewertungen. Zwischenzeitlich ergreift Michal beinahe Partei für Thomas Middelhoff, der einen "deutsch-amerikanischen Tech-Riesen ... auf Augenhöhe mit Google, Amazon, Facebook und Netflix" erschaffen wollte und tatsächlich frühzeitig am Start war. Angesichts aktueller Bertelsmann-Bemühungen, Apple und Co nun mit Hilfe von Kretschmer, Hofer und Ludowig und Co begegnen zu können, ergibt das Sinn.
Als RTL plus ein junger Privatfernsehsender war, hieß sein großer Hauptkonkurrent Sat.1, das es – ganz ohne Umbenennung – immer noch gibt. Dort tut sich gerade auch eine Menge. Die am Freitag hier ausführlich besprochene Show "Plötzlich arm, plötzlich reich" hat Sat.1 nun komplett abgesetzt, bekommt aber weiter reichlich Kritik zu lesen. Während Peer Schader (dwdl.de) trotz allem noch freundliche Ideen hat, wo Sat.1 Potenzial besäße, legt Aurelie von Blazekovic in der SZ gleich doppelt nach. "Schaltet man sich an einem beliebigen Tag durchs deutsche Privatfernsehen, stößt man überall auf die Herabwürdigung Schwächerer", schreibt sie auf der Medienseite (€) und nennt dort auch RTL2- und RTL-Shows. "Menschenverachtend"/ "Pure Menschenverachtung" lauten die Überschrift ihres Kommentars auf der Meinungsseite.
Jetzt aber in unsere ARD!
Die Kultur, die Jugend und die ARD-Zukunft
"Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk junge Menschen erreichen kann? Man möge doch die Fernseher künftig hochkant stellen, so Christian Zöllner von der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. Er ist Miterfinder des fabmobil, ein fahrendes Kunst- und Zukunftslabor für die Oberlausitz. Ein mit Digitaltechnik und Werkzeugmaschinen ausgestatteter Doppeldeckerbus für junge Menschen im ländlichen Raum, die Kultur vor allem auf dem Smartphone konsumierten ..."
Starker Einstieg in den Aufsatz "Wie Kultur uns einen kann", den MDR-Intendantin für die FAZ-Medienseite (€) vom Samstag verfasste. Diese Burg Giebichenstein steht übrigens nicht in der Lausitz, sondern dort in Halle, wo der Saalestrand tatsächlich noch hell anmuten kann. Im weiteren Verlauf des dann doch recht steinmeierlich-staatstragenden Texts geht es um den Beitrag im ideellen ("... das Verständnis des gesellschaftlichen Wertbeitrags bei den Bürgerinnen und Bürgern, in der Politik und in den Medienhäusern selbst ...") wie im materiellen Sinne: "Mit der ausgebliebenen Beitragserhöhung verzögert sich zunächst der Start dieses neuen digitalen Kulturangebots", also der "digitale Kulturplattform", die als ARD-Gemeinschafteinrichtung ebenfalls in Halle geplant war, aber einstweilen auf Eis liegt. Und so schön Sätze wie "welche gemeinschaftsbildenden Möglichkeiten im Digitalen liegen und welche Chancen sich bieten, wenn wir Kultur dialogisch-partizipativ und mithilfe sich fortentwickelnder technischer Möglichkeiten weiterdenken ..." klingen mögen, ein paar Auskünfte dazu, wie verhindert werden kann, dass durch ein digitales Kultur-Dings Kultur im engeren Sinne aus den linearen Programmen noch weiter ausgelagert wird, wären nicht schlecht, bevor die Planungen weitergehen.
Zur Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk junge Menschen erreichen kann, kommt eine frische Idee aus England: "Eine Untersuchung der BBC im vergangenen Jahr habe ergeben, dass es 'sehr gute Argumente' gebe, den Kanal für jüngere Zuschauer zurück ins lineare Fernsehen zu bringen", schreibt erneut Aurelie von Blazekovic (heute fast in Hanfeld-Ausmaß...) auf der SZ-Medienseite.
Programme für die Jugend, Programme mit Kultur: Die Zukunft der ARD ist ein weites Feld. Da passt, dass just heute der "ARD-Zukunftsdialog" in seine zweite, öffentlichere Phase geht – in solch juvenil-empathisch-wertschätzendem Wording ("Wir freuen uns, dass Du Dir Zeit nimmst und Dir über die Zukunft der ARD Gedanken machst ..."), dass einem gleich das Herz aufgehen muss.
Was war das noch mal, der "ARD-Zukunftsdialog"? Einen Überblick über die schon für 2020 geplante, dann aber wegen Corona verschobene sowie umgemodelte Aktion gab dwdl.de zum Start der der ersten Phase (und formulierte dabei die "aber doch begründete Hoffnung, dass die ARD sich intensiv mit den Ergebnissen beschäftigen wird"). Einen gut zu hörenden Rückblick auf diese erste Phase, in der nicht zuletzt zutage gefördert worden sei, dass von außen auf die ARD blickende Menschen "immer wieder" "mehr Meinungsvielfalt gefordert" hätten, sowie "mehr Mut", gaben Jörg Wagner und Daniel Bouhs im RBB-"Medienmagazin".
Zumindest für Medienmedien-Entertainment dürfte der Zukunftsdialog also sorgen.
Altpapierkorb (Aust, Heribert Faßbender, "Talk-Sensation", verlässliche kleine Zielgruppen, "die eigentliche Herausforderung in sozialen Netzwerken")
+++ Wie prominent jemand auch immer ist: Wer neue Medieninhalte herausbringt, tingelt dann durch viele Sendungen und Formate und/oder gibt Interviews. Daher ist Stefan Aust, kurz seinem Auftritt in der Zeit (Altpapier), auch in der FAS zu lesen (Blendle). Was immer man von ihm hält: Sätze wie "Ich beobachte heute oft im Journalismus, dass zu viele Leute sich als Aktivisten fühlen und glauben, sie müssten den Leuten unbedingt etwas erzählen, was sie gefälligst glauben sollen", sitzen. Die Replik der Interviewer (Julia Encke und Tobias Rüther) tut's dann auch: "Andererseits steht der Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt für das, was Journalisten, wie Sie es eben beschrieben haben, nicht sein sollten: Er wirkt wie ein FDP-Aktivist". +++ Die Welt dagegen (die Aust herausgibt), druckte dezent einen Buch-Auszug.
+++ "Eine Talk-Sensation" (Joachim Huber, Tagesspiegel): Der RBB steigt beim "Riverboat", der "sehr erfolgreichen MDR-Talkshow" ein und aus seiner eigenen Prominenten-Talkshow dafür aus.
+++ Aus einer Heribert-Faßbender-Geburtstagswürdigung eine kleine Geschichte der Fußballfernsehkommentierung ("...Befreiungsschlag vom Sprechzettelwesen ...") machte die FAZ.
+++ "Kleine, spezielle Zielgruppen sind aus wirtschaftlicher Sicht oft verlässlicher als das breite Publikum", schreibt die taz in ihrem Bericht über E-Mail-Newsletter als "neue Journalismus-Modelle im Netz".
+++ Nach Georg Seeßen, um dessen "@ichbinsophiescholl"-Kritik es am Mittwoch hier ging, hat sich mit Nora Hespers jemand mit Instagram-Faible mit diesem vermeintlichen Digital-"Leuchtturm" der ARD befasst. "Die eigentliche Herausforderung in sozialen Netzwerken ist nicht das Senden, sondern das Kommunizieren. Und die erfährt in den Redaktionen nach wie vor viel zu wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung", heißt es in ihrer so differenzierten wie ausführlichen Analyse auf uebermedien.de.
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.
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