Teasergrafik Altpapier vom 18. Mai 2021: Porträt Autor René Martens
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Das Altpapier am 18. Mai 2021 Gate’s noch?

18. Mai 2021, 13:01 Uhr

Springers Welt verbreitet unberechtigte Manipulationsvorwürfe. Dresdner Hooligans attackieren Journalist*innen. Armin Laschet legt sich bei keinem Thema fest. Thomas Bellut will keine "Super-Mediathek". Ein Altpapier von René Martens.

Die Welt in gewohnter Form

Das Suffix -gate geht ja weiterhin gut als Suffix oder vielleicht besser denn je. Was läuft gerade gut? #DiviGate, #DiviGateGate und #WeltGate. Hintergrund: Ein Forscherteam um Matthias Schrappe hat in einer "Ad-hoc-Stellungnahme" die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) der Manipulationen bezichtigt, und die Zeitung Die Welt hat es aufgegriffen. Andere wiederum haben nachgewiesen, dass die via Springer-Medium verbreiteten Angriffe unberechtigt sind.

Worum geht es konkret? In einem Welt-Interview (€) zur Ad-hoc-Stellungnahme sagt Schrappe unter anderem:

"Die Angst vor knappen Intensivkapazitäten oder der Triage war unbegründet. Und es steht weiter fest, dass das vielen Entscheiden während des gesamten Pandemieverlaufs bewusst gewesen sein muss."

Eine anderes Statement lautet:

"Es gab in den Krankenhäusern offensichtlich die Tendenz, Patienten ohne Not auf die Intensivstation zu verlegen."

Die rechtsradikale Twitter- und Facebook-Publizistik war darob erst einmal aus dem Häuschen und nahm die Veröffentlichung zum Anlass, den gestrigen Tag als eine Art inoffiziellen Feiertag auszurufen. Beziehungsweise: Die Berichterstattung wurde, wie der Volksverpetzer schreibt,

"sofort dankend von Rechtsextremist:innen und Querdenker:innen aufgegriffen. Auf Facebook wird der Artikel vor allem von verschwörungsideologischen Seiten geteilt, auch von einer AfD-Bundestagsabgeordneten."

Der Volksverpetzer beschreibt ausführlich fünf "Fakes" in der Stellungnahme von Schrappe und Co., der grüne Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen, der vor seiner Zeit im Parlament Oberarzt der Ärztlichen Leitung des Rettungsdiensts Berlin war, benennt acht falsche oder irreführende Behauptungen und beklagt die Missachtung "wissenschaftlicher Standards".

Malte Kreutzfeldt, der sich in der taz und bei Twitter mit der fragwürdigem Papier beschäftigt, greift unter anderem folgenden Einzelaspekt heraus:

"Schrappe (behauptet), dass in Deutschland weitaus mehr Coronapatienten auf Intensivstationen liegen als in anderen Ländern. Rund 60 Prozent aller Coronapatienten, die im Krankenhaus behandelt werden, liegen dem Papier zufolge auf Intensiv. Diese Rechnung enthält aber gleich mehrere Fehler: Unter anderem arbeitet Schrappe dabei mit unvollständigen Daten und falschen Annahmen zur Liegedauer. Bei korrekter Rechnung ergibt sich ein Wert von rund 30 Prozent, der nicht sehr viel höher ist als in vergleichbaren anderen Ländern wie Belgien und der Schweiz."

Der Tagesspiegel greift eine Reaktion der Betroffenen auf:

"Die Divi, der Marburger Bund Bundeverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) weisen (…) die irreführenden Vorwürfe vom Spiel mit der Angst, der Manipulationen offizieller Statistiken und sogar die Unterstellung, rein aus finanziellem Interesse Patienten intensivmedizinisch zu behandeln, aufs Schärfste zurück."

Auch t-online geht im Rahmen eines "Faktenchecks" auf die Kritik der Attackierten ein. Und der Volksverpetzer ordnet die Berichterstattung über das vermeintliche #DiviGate in einen größeren Zusammenhang ein:

"Es ist in letzter Zeit relativ deutlich geworden, dass in der WELT-Redaktion entweder Personal sitzt, das derartigem verschwörungsideologischen Denken anhängt oder zynisch die teilungsfreudige Blase von Rechtsextremist:innen, Pandemie-Leugner:innen und Co. mit vermeintlicher Bestätigung ihrer wissenschaftsfeindlicher Weltanschauung bedienen will. Oder beides."

"Ein unfassbarer Akt der Gewalt"

Einen Angriff auf zwei junge Journalisten, die am Sonntag für den Twitter-Account @vuecritique über Hooligan-Krawalle in Dresden berichtet hatten, nimmt Sarah Ulrich in der taz zum Anlass, darauf hinzuweisen, wie wichtig bei der Berichterstattung über die rechtsradikale Szene Vor-Ort-Reporter und Fotografen sind, die schlecht oder gar nicht bezahlt werden und/oder im Hauptberuf gar keine Journalisten sind.

Erst einmal schildert Ulrich den Vorfall (siehe auch Belltower News):

"Kurz nach einer Eskalation greifen Hooligans die beiden gezielt an und prügeln den Fotografen zu Boden. Er kriecht weg, setzt sich an ein Auto, nach fünf Minuten kommen Ersthelfer, messen den Puls, halten ihn durch Fragen und Schütteln bei Bewusstsein. Immer wieder wird er bewusstlos, erst nach einer knappen halben Stunde kommen Sanitäter:innen und bringen ihn in ein nahegelegenes Krankenhaus. Am Ende stellen Ärzt:innen ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Prellungen im Bauchbereich fest."

Ulrichs Einschätzung:

"Gerade bei solchen Demos und Ausschreitungen sind viele freischaffende Journalist:innen vor Ort und arbeiten dort oftmals ohne festen Auftrag. Ein Großteil des Wissens, was die Presse über rechte Netzwerke hat, basiert auf diesen engagierten Einsätzen. Die prekäre Situation der Medienlandschaft führt dazu, dass diese Arbeit nicht selten unbezahlt bleibt."

Ihr Fazit:

"Es braucht diese Menschen, die von Ausschreitungen, von Gewalteskalation, von radikalisierten Protesten und rechten Demonstrationen berichten. Und da ist es völlig egal, ob diese nun von einem großen Fernsehsender bezahlt werden oder für ein kleines Twitterprofil arbeiten. Die Dokumentation von Ausschreitungen wie jenen in Dresden vergangenen Sonntag ist inzwischen mehr als ein Beruf – es ist ein Engagement, das es zu schützen gilt. Egal ob mit oder ohne Presseausweis."

Attackiert wurde auch eine freie Fotografin der Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN). Darüber berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf einen Artikel der DNN und deren Chefredakteur:

"(Sie) sei von mehreren Männern ins Gesicht geschlagen und getreten worden (…) Auch ihre Ausrüstung habe Schaden genommen. 'Die Kollegin hat Prellungen erlitten und ist sehr angefasst und mitgenommen von dem Vorfall', sagte Chefredakteur Dirk Birgel (…) Sie sei in der Nähe des Stadions während der zweiten Halbzeit aus einer Gruppe von Dynamo-Fans von insgesamt drei unbekannten Männern attackiert worden, ebenso ein weiterer Fotograf, der sich neben der Frau aufgehalten habe. 'Es ist ein unfassbarer Akt der Gewalt und ein Angriff auf die Pressefreiheit', so Birgel. 'Unsere Mitarbeiterin hat nichts weiter getan, als das Geschehen zu dokumentieren. Aber schon das ist einigen sogenannten Fußballfans zu viel.' Er habe solch einen massiven Angriff auf einen Kollegen oder eine Kollegin noch noch nicht erlebt, sagte Birgel weiter."

Der Mann ohne Festlegungen

Und wie war Armin Laschet bei "Pro Sieben Spezial"? Nach Annalena Baerbock (siehe Altpapier) und Olaf Scholz (siehe u.a. Zeit Online) war der nordrhein-westfälische Ministerpräsident der dritte Gast bei der "Kanzlerkandidatenbefragung, die den Polit-Talk auch nicht erneuert". So lautet jedenfalls die Einschätzung von Holger Gertz (SZ). Er schreibt weiter:

"Ob der Schlager ’60 Jahre und kein bisschen weise’ für ihn programmatisch wäre, oder doch 'Wunder gibt es immer wieder', fragte (Linda) Zervakis, auf der Suche nach dem Menschen im Politiker Laschet. Aber den legt niemand so leicht frei. Der als Schlagerfreund angekündigte Laschet gestand noch nicht mal zu, ein Schlagerfreund zu sein, er legte sich da nicht fest, er legt sich überhaupt nicht fest. Käme Merz in die Regierung Laschet? Mal sehen. Würde er, Laschet, einer Regierung Baerbock als Minister dienen? Werden alles tun, das zu verhindern. Korruption bei CDUlern? Gibt's anderswo auch. Kurzenstreckenflüge abschaffen? Was sind denn Kurzstrecken? Und so weiter."

Die interessanteste Passage? Wohl jene, in der es um Hans-Georg Maaßen ging:

"Der sei, wiederholte Laschet, nicht rechtsradikal und kein Antisemit. Und genau an der Stelle hätte man versuchen müssen, das Gespräch zu lenken auf das Hintergründige: die Bedeutung antisemitischer Codes und Narrative. Das aber - die nötige Vertiefung - wird nur halbherzig angegangen in einem Format, das sich stattdessen immer wieder besonders der Auflockerung verpflichtet fühlt. Wo nachfassen und tatsächlich zielgerichtetes Durchgrillen gefragt wäre, legten Klamroth und Zervakis Ja-oder-nein-Spiele ein, zur Auflockerung."

Auch bei Arno Frank (Spiegel, €) geht es um diesen Teil der Sendung:

"Wirklich interessant wird es mit Hans-Georg Maaßen. Hier fährt Laschet einen Begütigungskurs, der ihm noch auf die Füße fallen könnte. Ein Antisemit sei das nicht, betont er, sonst hätte er spornstreichs die Partei zu verlassen. Auch wenn 'Experten' das Gegenteil behaupten, hört Laschet lieber auf sein Bauchgefühl und will die Kirche im Dorf lassen."

Laschets Botschaft lautet mit anderen Worten: Egal, was die Wissenschaft sagt (in diesem Fall die Politikwissenschaft und die Antisemitismusforschung) - ich sehe es halt anders. Abgesehen von den Spezifika des Falls Maaßen: Hier kommt eine Haltung zum Ausdruck, die man von Laschet ja auch bei anderen Themen (Pandemie, Klimawandel) kennt.

Altpapierkorb (mehr FDP-Wahlprogrammexegese, ZDF-Intendant Bellut gegen gemeinsame Online-Plattform der öffentlich-rechtlichen Sender)

+++ Rundfunkpolitikreformideen (I): Mit der FDP-Bundestagswahlkampfforderung nach "einem moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk" (Altpapier von Montag) beziehungsweise den Reaktionen darauf befassen sich unter anderem Joachim Huber im Tagesspiegel und Daniel Bouhs für Übermedien. Huber meint, es sei widersprüchlich, einerseits eine Senkung des Beitrags zu fordern und andererseits "die Konzentration auf Information, Kultur und Bildung", weil Letzteres sich mit einem "Kostensenkungsprogramm" gar nicht vereinbaren lasse. Und Bouhs weist darauf hin, dass die FDP sich im Vergleich zu 2017 eher entradikalisiert habe beziehungsweise - was den "Rundfunkbeitrag und die damit finanzierte Apparate" angeht - "zumindest für den Moment vergleichsweise zahm geworden" sei.

+++ Rundfunkpolitikreformideen (II): Gegen eine "öffentlich-rechtliche Super-Mediathek" (dwdl.de) argumentiert ZDF-Intendant Thomas Bellut im Interview mit der FAZ (75 Cent bei Blendle) - wohingegen sich unter anderem die oberste Medienpolitikerin jenes Bundeslandes, in dem das ZDF seinen Sitz hat, vor zwei Monaten für so ein Projekt ausgesprochen hat, und zwar ebenfalls in der FAZ (€). Bellut sagt nun: "Eine gemeinsame Plattform der öffentlich-rechtlichen Sender streben wir nicht an. ARD, ZDF und Deutschlandradio brauchen auch künftig eigene Adressen und gebündelte Angebote, um sich im Wettbewerb mit privaten Anbietern und globalen Plattformen behaupten zu können (…) Als Demokrat halte ich es für falsch, so viel Informationsmacht, über die der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt, in einer Hand zu bündeln (…) Man muss dabei auch bedenken, dass die Zeitungslandschaft an Vielfalt einbüßt und auch die privaten Sender unter starkem Druck der US-Plattformen stehen. Außerdem behaupten sich die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihrer jetzigen Struktur sehr gut im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer (…) Eine einheitliche Plattform ist keine Lösung für unsere wichtigste Aufgabe, einen möglichst großen Teil der Gesellschaft zu erreichen." Ob der nächste ZDF-Intendant, der Mitte März 2022 auf Belluts Sessel Platz nehmen wird, das auch so sieht, ist aber noch mal eine andere Frage.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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