Das Altpapier am 17. Mai 2021 Rundfunkdebatte goes Bundestagswahlkampf
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17. Mai 2021, 13:00 Uhr
Medienpolitik ist Ländersache. Was also hat die Forderung nach einem "schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk" im Bundestagswahlprogramm der FDP verloren? Gute Frage. Die man so ähnlich aber auch den Grünen stellen könnte. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Inhalt des Artikels:
- Ist eine rundfunkpolitische Forderung der FDP populistisch?
- Was läuft zwischen Spargelrezepten und Marktchecks in den Dritten?
- Geht es im "Literarischen Quartett" wirklich nur um Literatur?
- Altpapierkorb (parteipolitisch motivierte funk-Kritik aus der CDU, Social-Media-Vereinfachungen, "mediales Geschwafel und Gefloskel", Manifest "Kontrakt 18")
Ist eine rundfunkpolitische Forderung der FDP populistisch?
Rundfunkpolitik ist, so dröge sie wirken mag, ein hitziges Feld. Es geht schließlich auch um Interessen privater Unternehmen und das Geld aller Haushalte. Und nun, am Sonntag, war die Hitzigkeit mal wieder zu bewundern.
Unter dem Titel "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht eine Auftrags- und Strukturreform" hat die FDP am Wochenende im Entwurf ihres Bundestagswahlprogramms (Seite 41f.) "einen moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk" formuliert, der sich "primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren soll". Und wenn die Öffentlich-Rechtlichen "schlanker" werden sollen, heißt das natürlich: billiger. Ein entsprechender Programmantrag wurde auf dem Bundesparteitag der FDP am Wochenende knapp angenommen – gegen den Rat von Generalsekretär Volker Wissing, der die Forderung, den Rundfunkbeitrag zu senken, "angesichts der Pensionskosten bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sowie der steigenden Kosten" als "unrealistisch" bezeichnet hat.
Schauen wir noch etwas weiter in die Formulierung im FDP-Programmentwurf:
"Die Zahl der Fernseh- und Hörfunkkanäle, die von den Rundfunkanstalten betrieben werden, ist kritisch zu überprüfen. Nicht erforderliche Parallelangebote sind zu vermeiden. Im Internet sollte der ÖRR auf Bereiche begrenzt sein, die mit klassischem Rundfunk vergleichbar sind oder in direktem Zusammenhang mit ihm stehen. (…) Konkurrenz zu jedem Internet-Angebot privater Presse- und Medienhäuser ist nicht Aufgabe des ÖRR."
Erwartungsgemäß stieß das prompt auf Kritik. Rainald Becker, der für die ARD die Bundestagswahl koordiniert (kress.de), twitterte etwa, ohne Link, ohne weitere Details zur Sache: "Die FDP will den ÖRR beschneiden und den Rundfunkbeitrag senken – willkommen im Lager der Populisten." Das freilich ist selber populistisch, weil Becker versucht, die politische Position einer Partei nur mit einem Hinweis auf andere politische Parteien zu diskreditieren, ohne sich mit der Position überhaupt auseinanderzusetzen. Ihre Position hat sich die FDP keineswegs zwangsläufig bei "den Populisten" abgeschaut. Sie war – die Älteren werden sich erinnern – schon eine marktliberale Partei, bevor die AfD gegründet wurde. Sie hat auch den Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon eine Diät empfohlen, bevor das zum Nischenbreitensport wurde. Allerdings, schreibt der Medienjournalist Daniel Bouhs, der auch ein Transkript der Parteitagsredebeiträge in sein Blog gestellt hat, hat die FDP schon mal härtere Schrumpfkuren empfohlen, etwa eine Halbierung des Rundfunkbeitrags. Davon ist jetzt nicht einmal die Rede.
Frank Überall, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, übte ähnliche Kritik wie Becker, brachte aber immerhin auch ein Argument mit. Er wurde in den Agenturen nämlich nicht nur zitiert, die FDP nehme mit diesem Beschluss "Platz auf der Bank der Rundfunkgegner aus AfD und Teilen der Union". Er fügte auch noch hinzu, die Rundfunkpolitik sei bei den Ländern angesiedelt: "Der Bundestag ist nicht zuständig. Was also, liebe FDP, soll der Beschluss im Bundestagswahlprogramm?"
Und da hat Überall schon einen Punkt. Man könnte dann aber auch eine Folgefrage stellen: Was hat das Bekenntnis der Grünen "zu einem pluralistischen, kritischen und staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für alle" und der Plan, für "eine ausreichende Finanzierung" zu sorgen, dann in deren Bundestagswahlprogramm (S. 95) zu suchen? Die Grünen wollen "gemeinsam mit den Ländern" darüber debattieren, "wie öffentlich-rechtliche Medien im 21. Jahrhundert aussehen sollen". Nur weil die Grünen es aber geschickter formulieren, gilt für sie trotzdem dasselbe wie für die FDP: Der Bundestag ist eigentlich nicht zuständig.
(Für alle, die sich nicht hobbymäßig mit der Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der politischen Debatte darüber befassen, aber nachlesen wollen, worum es geht, empfehle ich Christian Bartels Jahresrückblick auf die medienpolitischen Ereignisse 2020, hier im Altpapier.)
Was läuft zwischen Spargelrezepten und Marktchecks in den Dritten?
Apropos Rundfunkbeitragserhöhungsdiskussion: Wer darin eine tragende Rolle hatte, ist Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der im Diskussionsstrang über die Repräsentation der ostdeutschen Länder monierte, "dass ARD und ZDF nach 30 Jahren" immer noch nicht "im vereinigten Deutschland" angekommen seien (Welt-Abo-Interview). Die Sender seien "in vielen Sparten Westfernsehen geblieben", er fühle sich an "Auslandsreportagen" erinnert.
Peer Schader, der Sonntagskolumnist von DWDL, zitiert diese Passagen in seinem neuesten Text genüsslich, um sodann darauf hinzuweisen, dass Haseloff womöglich etwas dünnere Bretter bohre: "Um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen, antwortete Haseloff anschließend auf die Frage, was er sich denn im Fernsehen anschaue: 'Dazu habe ich eigentlich gar keine Zeit.'"
Schader hat nun ein paar Belege dafür gesammelt, dass der Ministerpräsident offensichtlich wirklich nicht viel Zeit dazu hat und schreibt: "Ich glaube, Reiner Haseloff muss mehr fernsehen, wenn er weiter Interviews dazu geben will, wie gutes Fernsehen aussehen soll." Denn was es Haseloff zufolge kaum gebe, gebe es in den regionalen Dritten der ARD eben doch: "Es ist dort oft nur sehr, sehr, sehr gut zwischen 'Tatort'-Wiederholungen, Spargelrezepten, Heimatschwärmerei, Eisenbahnromantik, den immer selben 'Marktchecks' und einer Inflation von Camping-Sendungen versteckt."
Dass Schader auch Beispiele des MDR nennt, bei dem wir vom Altpapier untergeschlüpft sind, ist schön für den MDR, allerdings nicht der Grund, warum ich die DWDL-Kolumne hier zitiere. Ich tue das zum einen, um auf die Schwachbrüstigkeit mancher Öffentlich-Rechtlichen-Kritik hinzuweisen, die (siehe oben) nicht immer populistisch sein muss, aber es selbstverständlich sein kann. Zum anderen zitiere ich Peer Schaders Kolumne, weil auch ich mich bisweilen frage, warum die öffentlich-rechtlichen Programmschaufenster derart mit dem immergleichen Gerümpel vollgestellt sind, dass man vieles vom Rest – auch viel Gutes – nur zufällig wahrnimmt. Oder dann, wenn man sich selbst eine entsprechende Suchroutine erarbeitet hat. Schader:
"Alle diese Sendungen sind Beispiele dafür, was regionales Fernsehen zu leisten vermag, wenn es nicht bis zur Unkenntlichkeit durchformatiert worden ist und Autorinnen bzw. Autoren die Freiheit lässt, Menschen einfach erzählen zu lassen; und zwar nicht bloß, weil die vorher am lautesten geschrien haben. Diese Einblicke könnten auch für die Politik ein wichtiger Hinweis sein, etwa um eigene Versäumnisse zu erkennen – zumal es in vielen Reportagen immer wieder um dieselben Themen geht: bessere Bildung, weniger Bürokratie, mehr soziale Gerechtigkeit. (…) Vor allem aber müsste diese Art, Fernsehen zu machen, ein Ansporn für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein, das noch viel öfter hinzukriegen."
Geht es im "Literarischen Quartett" wirklich nur um Literatur?
Vielleicht, wer weiß, könnte man mit der Stärkung solcher Sendungen im linearen Programm oder in den Mediatheken jenen Pluralismus signalisieren, der den Öffentlich-Rechtlichen von ihren konservativen bis knallrechten Kritikern häufig abgesprochen wird. Wie tut man es stattdessen? Tobias Rüther entwickelt in einem längeren Text in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), der vom "Literarischen Quartett" im ZDF handelt, eine Vermutung: Man tut es mit "Quartett"-Kopf Thea Dorn und ihren Gästen.
"Denn es stellt sich inzwischen die Frage, ob es sich beim 'Literarischen Quartett' überhaupt noch um eine allein literaturkritische Sendung handelt. Oder vielmehr um ein Format, das auf dem Umweg der Buchbesprechung versucht, Politik zu machen und zwischen den Zeilen Statements zu setzen. Gegen vermeintliche Cancel-Kultur, gegen den sogenannten verengten Meinungskorridor eines politisch korrekten und gegenderten Diskurses, aber für, um einen zentralen Begriff der Gastgeberin Dorn zu benutzen, die 'Freiheit'."
Dass Rüther auch jemanden "mit Einblick in die redaktionellen Verhältnisse" gefunden hat, "der nicht genannt werden möchte", der aber wohl denkt, dass es sich um ein "unausgesprochenes Kalkül" handele, sei noch gespoilert. Hier der Link zum Abo-Text der FAS.
Altpapierkorb (parteipolitisch motivierte funk-Kritik aus der CDU, Social-Media-Vereinfachungen, "mediales Geschwafel und Gefloskel", Manifest "Kontrakt 18")
+++ Ergänzend zu den Meldungen über das Bundestagswahlprogramm der FDP (siehe oben) weist der Medienjournalist Daniel Bouhs in seinem Blog darauf hin, dass auch die Mittelstandsunion einen deutlich schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert. Er zitiert dort auch ausführlich die "ausdrücklich parteipolitisch motiviert(e)" Kritik der CDU-Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gitta Connemann an der journalistischen Berichterstattung vor allem bei funk.
+++ Ein medien- und vor allem Social-Media-kritischer Text der Spiegel-Redakteurin Alexandra Rojkov aus Tel Aviv verweigert sich einer Erklärung der Eskalation in Gaza auf sehr prägnante Weise: "Sobald ich Instagram oder Twitter öffne, sehe ich Menschen, die mir auf 280 Zeichen oder in kurzen Texttafeln einen der kompliziertesten Konflikte der Welt erklären. Sie scheinen ganz genau zu wissen, was Tausende Kilometer entfernt passiert und wer schuld daran ist. (…) Aus der Ferne wirken viele Dinge simpel. Aber je länger man sich mit etwas beschäftigt und je interessierter man ist, etwas wirklich zu verstehen, desto schwieriger wird es, eindeutige Urteile zu fällen."
+++ Claudius Seidl formuliert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (€) eine Sprachkritik, die sich gewaschen hat (mit Kernseife): "'Wie wollen Sie die Leute mitnehmen, ohne dass das Angst macht?', fragt das ZDF die Kanzlerkandidatin der Grünen. Angst scheinen Medienmenschen und Politiker aber vor allem davor zu haben, dass aus dem Geplapper eine klare Aussage werden könnte, eine Aussage, die man verifizieren oder dementieren könnte. (…) Es (…) scheint hinter all dem medialen Geschwafel und Gefloskel, hinter den schiefen Metaphern, falschen Bildern und verirrten Verben jene Konfliktscheu, Verdruckstheit und profunder Pointenlosigkeit zu wirken, wie sie das öffentlich-rechtlich-politisch-mediale System anscheinend zwangsläufig hervorbringt. Ein klarer Satz könnte schon die Kritik dessen sein, was er beschreibt."
+++ In der Süddeutschen Zeitung vom Samstag wird Drehbuchautorin Annette Hess (Blendle, 0,79€) befragt, was aus dem "Kontrakt 18" geworden ist, einem Manifest von Drehbuchautorinnen und -autoren, das deren Position in der Branche verbessern sollte (Altpapier, Altpapier): "(D)ie Sender und Produzenten haben … Richtlinien erstellt und beste Absichten versichert. 'Diese Leitlinien klingen uns aber noch zu sehr nach Lippenbekenntnissen oder Aufweichungen', sagt Annette Hess. Das bedeutet für 'Kontrakt 18': weitermachen."
Neues Altpapier erscheint am Dienstag.
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