Teasergrafik Altpapier vom 10. Mai 2021: Porträt der Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 10. Mai 2021 In der Roboterdisco

10. Mai 2021, 11:45 Uhr

In einem WAMS-Interview erklären vier Beteiligte ihre Sicht auf #allesdichtmachen. Und die Polizei will saubere Berichterstattung. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Stigma oder strukturelle Probleme?

Awa, mach koi Ferz! Die Polizei in Baden-Württemberg prescht vor: Wie die Süddeutsche Zeitung am Sonntag berichtet, haben die dortigen Beamt:innen "Publizistische Grundsätze" veröffentlicht, so genannte "Richtlinien für die polizeiliche Berichterstattung".

Denn seit verschiedenen Medien nach der vermaledeiten Kölner Silvesternacht 2015 vorgeworfen wurde, die Herkunft von Tatverdächtigen absichtlich nicht zu erwähnen, um bloß nicht in ein bestimmtes Horn zu tuten, hatte der Deutsche Presserat den Pressekodex geändert – schon bei "begründetem öffentlichen Interesse" dürften Informationen über Staatsangehörigkeit nicht verschwiegen werden. Jenes Problem, über das Redaktionen bei der Berichterstattung also oft grübeln, kann man laut SZ mit dem Dilemma vergleichen, in dem die Polizei bisher oft steckte:

"Denn in der täglichen Praxis ist die Abwägung für die Polizei ebenso wie für Redaktionen oft nicht einfach. Ist die Nennung des Hintergrunds Stigmatisierung? Oder erklärt sie strukturelle Probleme? Besonders schwierig wird es, wenn es nicht um die Staatsangehörigkeit geht, sondern um eine mögliche Migrationsgeschichte."

(Wer sich diese Richtlinien mal genauer anschauen will, kann das hier tun.) Ob das Beispiel auch in anderen Bundesländern Schule macht, wird sich zeigen, die SZ zitiert jedenfalls aus dem Papier, dass die Polizei sich bei den Regeln an denen des Deutschen Presserats orientiert:

Die Staatsangehörigkeit werde genannt, "sofern im Einzelfall ein sachlich begründetes öffentliches Interesse hieran besteht, oder auf Nachfrage der Medien". Bei Verkehrsdelikten oder Delikten wie Ladendiebstahl spiele die Herkunft in der Regel keine Rolle.

Und, sehr interessant:

"Anders als der Presserat schränkt die Polizei noch weiter ein: Wenn es sich bei den Tatverdächtigen um Kinder handelt, sei die Staatsangehörigkeit grundsätzlich nicht Teil der Berichterstattung."

Was eint die Täter?

Was, könnte man auch fragen, ist denn überhaupt ein berechtigtes oder sachlich begründetes öffentliches Interesse? Und wenn die SZ schon so schön und richtig mit den strukturellen Problemen daherkommt: Inwiefern ist es vielleicht wichtig, dezidiert das Geschlecht von Tatverdächtigen zu nennen, sofern man es kennt? Denn könnten dahinter nicht auch strukturelle Probleme stecken, die einerseits eventuell so verbreitet und alltäglich sind, dass sie keine:r mehr laut aussprechen will, die aber andererseits nicht verschwinden, wenn man weiterhin nicht hinterfragt, wieso es sich bei den meisten Delikten, Stichwort Silvesternacht, um männliche Täter handelt?

Wie schon oft gesagt: Viele Täter eint das Geschlecht eher als der kulturelle Hintergrund beziehungsweise die Herkunft.

Würgen statt Niesen?

Aber dass bloß niemand denkt, am zurückliegenden Wochenende habe es nix Neues zum Thema #allesdichtmachen gegeben! Pustekuchen! Die "Welt am Sonntag" (hier ein Artikel dazu, das Interview liegt aktuell nur als E-Paper vor, Anm. d. Red.) kam nämlich mit einem Interview mit vier Beteiligten, unter anderem Volker Bruch, um die Ecke. Zunächst jedoch zu einer Antwort der Schauspielerin Miriam Stein auf die Frage, was sie mit der Aktion (sie hatte sich ironisch über das Testen geäußert) habe erreichen wollen:

"Persönlich finde ich gezieltes Testen gut, habe aber ein Problem mit den regelmäßigen, verpflichtenden Tests, besonders an Schulen. Ein positives Testergebnis heißt eben nicht automatisch, dass man erkrankt oder infektiös ist. Ich frage mich, warum wir unser Leben seit einem Jahr an Inzidenzzahlen ausrichten, die auf den Ergebnissen dieser PCR-Tests basieren."

Leider kam daraufhin keine Nachfrage – etwa dahingehend, dass die PCR Tests ja genau darum gemacht werden, weil die Schultests (die gar keine PCR Tests sind) oft ungenau beziehungsweise falschpositiv sind. (Und dass die so gewonnenen Inzidenzzahlen auch nur eine von vielen Möglichkeiten darstellen, überhaupt einen Richtwert zu bekommen, wird schon sehr lange und laut diskutiert: Dass man statt dieser Zahlen beispielsweise die Anzahl von freien Intensivbetten im Krankenhaus nehmen kann, hatte hier unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland über das Modell Frankreich berichtet. Auch dazu gibt es übrigens unterschiedliche Meinungen.)

Die Schauspielerin Nina Gummich erzählt jedenfalls im gleichen WAMS-Interview:

"Es hieß im Hinblick auf meinen Clip: Als Prominente kannst du doch sagen, was du willst! Aber ich habe mich für die hingestellt, die sich das nicht leisten können. Das kann die Maskenbildnerin sein, die Angst hat, ihren Job zu verlieren, weil sie keinen Nasenabstrich machen möchte, sondern nur einen Rachentest."

Verstehe ich nicht ganz: Will jemand keinen Nasenabstrich machen, weil die Stäbchen so kitzeln? Und könnte man, wenn dem so wäre, nicht vielleicht darum bitten, jene Schnelltests zu besorgen, bei denen beide (doofen) Dinge möglich wären, Nase kitzeln UND Würgereiz, so dass man sich Regen oder Traufe aussuchen kann? Hat Gummich den Clip tatsächlich für unterprivilegierte Kolleg:innen mit empfindsamen Nasen ins Netz gestellt?!

Nun ja. Es geht im weiteren Verlauf viel um Positionierung und Zuspruch und die Idee, wie Bruch behauptet,

"die Kritik an den Maßnahmen aus dieser als extremistisch gebrandmarkten Ecke zu holen."

Diesen Text im Tagesspiegel, zu dem es unter anderem Kritik in der Welt gab (siehe Altpapier vom Freitag) nennt er zudem "Hetzartikel".

Stein findet ebenfalls, dass man den "Rechten die Exklusivität des Themas wegnehme", weil eben "alle über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen reden dürfen."

Wer talkt drüber? 

Was alles ein bisschen so klingt, als sei die Kritik an den Coronamaßnahmen der Regierung, die Unzufriedenheit mit unklaren Entscheidungen, fehlender finanzieller Unterstützung und unlogischen Regeln seit einem Jahr tatsächlich ausschließlich an AfD- bzw. Rechten-Stammtischen und in dementsprechenden Veranstaltungen geäußert worden. Wie man darauf kommen kann, ist mir absolut schleierhaft – man muss sich ja nur die Talkshowtitel der letzten Monate angucken. Hier mal ein bunter Frühlingsstrauß:

"Heute lockern, morgen Lockdown?" (Maybrit Illner)

"Bundes-Notbremse in Kraft – Durchbruch oder "Tiefpunkt" in der Pandemiepolitik?" (Anne Will)

"Ungeimpft, ungeschützt, unbeschult – lässt der Staat die Familien im Stich?" (Hart aber fair)

"Lockdown – weil Bund und Länder versagen?" (Maybrit Illner)

"Scheitert Deutschland in der Krise?" (Hart aber Fair)

"Bürokratie, Impfdebakel und steigende Infektionszahlen – hilft jetzt nur die Notbremse?" (Anne Will)

"Virus ohne Grenzen – hat Europa die Kontrolle verloren?" (Maybrit Illner)

"Wer profitiert von Angst und Spaltung?" (Maybrit Illner)

Und mein Favorit: "Impfen, Masken, Mutationen" (Maybrit Illner)

Soviel zur Rettung des Themas aus den Händen der Rechten. Noch ein letztes Wörtchen zum WAMS-Interview: Bruch antwortet auf die Frage, ob es sinnvoll sei, einer Partei beizutreten (sein Mitgliedsantrag zu "Die Basis" wurde publik), zu der auch Personal der "Querdenken"-Bewegung gehört, wenn man eine Diskussion in der Mitte der Gesellschaft tragen will:

"Der basisdemokratische Ansatz (jener Partei "Basis") ist hochinteressant. Ich muss nicht mit allen Menschen in allen Punkten einer Meinung sein, aber wenn man sich gemeinsam auf unterstützenswerte Inhalte einigt, kann man sich auch gemeinsam dafür einsetzen."

Klingt doch schon genauso, wie andere Politker:innen, die eine Frage nicht beantworten wollen. Gummich dagegen stellt enigmatisch fest:

"Ich möchte in Zukunft nicht in einer klinisch reinen Roboterwelt leben, in der man desinfiziert zu dritt in die Disco gehen kann und wo sich die Schmutzigen heimlich im Wald treffen."

Was mich ja allein von den Bildern her ein bisschen triggert, muss ich zugeben, obwohl ich nicht verstehe, wo sie diese Bilder hernimmt. Ich hätte jedenfalls große Lust sowohl auf die Roboterwelt, als auch auf die Disco. Vor allem aber auf das heimliche Treffen mit den Schmutzigen im Wald.

Altpapierkorb ( ...mit den Golden Globes, ausspionierten Journalist:innen und Ken Jebsen)

+++ Viiiiiel und auch sehr berechtigte Kritik nach wie vor an der HFPA, die die Golden Globes verleiht, hier zum Beispiel in der SZ. Allerdings bin ich noch immer unsicher ob der Formulierung, wie die SZ schreibt, die HFPS sei "unfassbar weiß" gewesen – hier nochmal ein etwas älterer Variety- Artikel, in dem die Mitgliedsstruktur etwas verdeutlich wird. Von den (überwiegend weiblichen) Mitgliedern stammen,

"35% from non-European countries including Egypt, North Africa, Japan, India, Bangladesh, Philippines, Brazil, Argentina, Mexico and Chile."

Man müsste vielleicht in diesem Fall eher sagen, dass keine schwarzen Journalist:innen dazugehören. Nicht-weiße gibt es schließlich jede Menge. Die HFPA-Vorsitzende Meher Tatna bezeichnet sich zum Beispiel selbst im genannten Artikel als "Person of Color".

+++ Die taz berichtet hier von amtlichem Stoff zu einer "Die Unbestechlichen"-Fortsetzung: Unter Trump hat sich die US-Regierung heimlich Telefonnummern dreier Mitarbeiter der Washington Post verschafft, um Informant:innen zu ermitteln, hier der Original-Artikel.

+++ Und hier im Tagesspiegel ein wenig Neues zum Verfahren der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gegen den Kanal von Ken Jebsen.

Am Dienstag gibt es das neue Altpapier.

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