Das Altpapier am 13. November 2017 "Ich will einen fairen Prozess"
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Gleich drei Dauerbrenner heute: Die #MeToo-Debatte geht mit Betrachtungen des "publizistischen Mainstreams" weiter. Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue meldet sich im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen im "Spiegel". Und Deniz Yücel hat aus der Haft ein Interview gegeben. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Die Themen von heute sind nicht neu: #MeToo. ARD vs. Verlage. Das Thema aber, das uns schon am längsten begleitet, ist ausgerechnet die Inhaftierung des Türkei-Korrespondenten der Welt, Deniz Yücel, der seit geschlagenen neun Monaten wegen Betreibens von Journalismus in türkischen Gefängnissen sitzt und dort immer noch auf seine Anklageschrift wartet.
Yücel hat der taz.am wochenende (deren Redakteur ich bis April gewesen bin) ein ausführliches Interview gegeben, in dem er unter anderem von den Haftbedingungen erzählt. Es ist eine Mischung aus Gefängnis-Leak und politischer Analyse. Wie die anderen Texte, die aus seiner Zelle in Istanbul nach außen drangen, hat er auch, wie taz-Redakteurin Doris Akrap schreibt, seine Antworten über seine Anwälte übermittelt. Ein zentraler Yücel-Satz ist dabei dieser:
"Ich will einen fairen Prozess. Und den am besten gleich morgen. Nicht mehr. Nicht weniger."
Es ist ein Interview, das man, findet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
"so wütend man über die Willkür, welche Yücel erfährt, auch sein mag, doch mit Erleichterung liest, schon weil Yücel einigermaßen aufgeräumt wirkt, seelisch stabil, was ja keine Selbstverständlichkeit ist, angesichts der Einzelhaft, mit welcher er zurechtkommen muss".
Das ist so – wobei man natürlich nicht weiß, wie es hinter den schriftlichen Interviewantworten aussieht. Und wobei der Eindruck der Stabilität auch daher rührt, dass Yücel nach wie vor wie ein Journalist formuliert, wenn er veröffentlicht. Die Fähigkeit, zu differenzieren, die er auch etwa schon in deutschen Talkshows (bei Maybrit Illner 2016, zu sehen natürlich bei Youtube) zeigte, in denen er etwa zugleich die türkische AKP kritisierte und dem AKP-Vertreter gegen die CSU beisprang, hat er sich jedenfalls offensichtlich erhalten. Er sagt etwa:
"Türkische Staatsanwälte haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie beides können: sowohl seriöse Anklageschriften als auch fantastische Literatur."
Auch von hier einfach mangels besserer Ideen: #FreeDeniz !
Wie würde Deniz Yücel den #MeToo-Diskurs analysieren? Keine Ahnung, was dabei herauskäme, aber das wäre ja gerade der Witz.
#MeToo im "publizistischen Mainstream"
Wir sind in dieser Debatte, an der kaum ein Medium vorbeikommt, bei der Frage angekommen, was davon zu halten sei, wenn der der sexuellen Übergriffe bezichtigte Schauspieler Kevin Spacey aus einem Film, "Alles Geld der Welt" von Ridley Scott, geschnitten wird, kurz nachdem die Anschuldigungen in der Welt sind.
Die Süddeutsche bzw. sueddeutsche.de haben mittlerweile mindestens drei Kommentare (1, 2, 3) mit etwa der gleichen These veröffentlicht: dass es nichts bringe bzw. falsch sei, Spaceys Kunst nun unsichtbar zu machen.
Claudius Seidl schreibt im argumentativ recht vielseitigen Feuilletonaufmacher in der FAS, "man" möchte Scott sowie Netflix und Sony – und eigentlich alle, die zusammengefasst "Hollywood" heißen – Heuchler nennen:
"Die Leute (…), die Spacey die Rolle des J. Paul Getty in 'Alles Geld der Welt' gegeben haben, die wussten, wenn sie nicht die perfekten Deppen sind oder blind, taub und viel zu ahnungslos für ihren Job, ganz genau, wen sie da engagierten. Sie sollten die Konsequenzen ihres Handelns tragen. Und den Film mit Spacey herausbringen. Der potentielle Flop wäre noch eine sehr milde Strafe für jahrelanges Augen- und Ohrenzuhalten."
Auch Die Welt sieht Heuchelei; genau wie die NZZ, die darüber hinaus allen Ernstes von einer "Säuberungswelle" spricht, was ein Problem der Debatte doch einigermaßen auf den Punkt bringt: Es wird rhetorisch hier und da ziemlich auf den Putz gehauen. Thea Dorn spricht in einem Deutschlandfunk-Interview im Kontext mit der Gesamtdebatte gar von "moralischem Totalitarismus".
Irgendwas wird an Adam Soboczynskis Kritik aus der Zeit schon dran sein: Er schreibt, "(e)s ist bei den Überreizungen der Sexismus-Debatte – anders als manchmal behauptet – nicht etwa Prüderie am Werk, oft auch keine verfeinerte Moral, sondern häufig ein guter Schuss medialer Geilheit".
Georg Diez hat in seiner Spiegel-Online-Kolumne allerdings ein Problem damit, den Fokus vom Thema der Debatte auf die Art der Debattenführung zu richten. Er nennt ein paar weitere der bedrohlich klingenden Begriffe, die sonst noch in Medien des "publizistischen Mainstreams" (Diez) fallen – "Hexenjagd", "The biggest crowd ever"; und als weitere Einlassungen neben Thea Dorn und Soboczynskis erwähnt er jene von Edo Reents aus der FAZ (der Philister am Werk sieht).
Diez schreibt über die deutsche Journalisten-Debatte:
"Hauptsache, es ist laut und krass und lenkt davon ab, worum es wirklich geht: Das sind die Redeweisen des Reaktionären, weil sie die Aufklärung verhindern, indem sie alles, was recherchierbar, belegbar, nachvollziehbar ist, erst einmal in einen Nebel des Verdachts verwandeln. Mittlerweile, das zeigt sich an einigen Artikeln und Stellungnahmen zur #MeToo-Debatte um sexuellen Missbrauch, ist dieses Muster bis weit in den publizistischen Mainstream auch in Deutschland vorgedrungen".
Er hat einen Punkt: Es geht in der Diskussion ja nun eigentlich um die Frage, wie wir zusammenleben wollen und was sich ändern muss, damit das geht.
Nur lässt sich der Vorwurf der Lautstärke und der Ungenauigkeit auch nicht aus der Welt schaffen, indem man "Selber laut und krass!" sagt. "Diese Diskussion allein, die unter den Bedingungen der digitalen Demokratie ihre Form erst noch finden muss, verstört, so scheint es, manche Menschen elementar", schreibt Diez, und da hat er recht. Allerdings auch mit dem Hinweis, dass diese Diskussion unter den Bedingungen der digitalen Demokratie ihre Form noch finden muss. Neben dem "System von Missbrauch", das die einen sähen, und dem "System des Verdachts", das, so Diez, die anderen sähen, steht eine Publizistik der Aufregung.
Die Öffentlich-Rechtlichen haben die meisten Abos
Wenn es aber nun schon um den Einsatz des Lautstärkereglers in Diskussionen geht, können wir auch gleich mit Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen weitermachen. In der SZ drückte Kolumnist Norbert Frei nochmal eine Tube Senf zum Konflikt rund um das "Staatspresse"-Wort aus und positionierte sich dabei gegen die Verlegerkampagne.
Und nach dem Titel über "Die unheimliche Macht" namens ARD und ZDF (der auch seinerzeit hier im Altpapier Thema war), hat die Redaktion des Spiegels nun wohl den Fuß vom Gaspedal genommen und lässt Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue, der damals auch schon zitiert wurde, einen Beitrag schreiben (€). Der ist ganz schön genervt von der besagten Kampagne und lässt sich auch auf Seitenstränge wie Diskussionen über Indikativ und Konjunktiv nicht ein:
"In wutschnaubenden Texten von sonst abgewogen und zierlich formulierenden Autoren verschwimmen die Grenzen von Kommentar und Bericht, die Angegriffenen kommen in der Regel nicht zu Wort, inhaltliche Kritik wird mit falschen Gehaltsangaben und angeblichen Privilegien der öffentlich-rechtlichen Redakteure vermischt, es wimmelt von Reizwörtern".
Der "unverhohlene Druck auf Staat und Parteien" sei "ohne Maß und das kriegerische Vokabular auch im Konjunktiv oder Irrealis eigentlich weit unter Niveau".
Allerdings, und da wird es interessant, stellt er in den Raum, dass auch bei den Öffentlich-Rechtlichen in atmosphärischer Hinsicht Fehler gemacht wurden:
"Wie viele Themen saugen wir täglich aus den Zeitungen, ohne die Quelle unserer Erkenntnisse immer korrekt zu nennen? (…) Haben wir den wirtschaftlichen Kampf der Verlage nach dem Einbruch des Anzeigengeschäfts wirklich ernst genommen? (…) Waren wir solidarisch, als Zeitungstitel aufgegeben und viele Redakteure und Redakteurinnen entlassen wurden?"
Raue schreibt – was für eine irre Idee –, man könne doch vielleicht mal nach Kompromissmöglichkeitren suchen:
"Wo sind die zentralen wirtschaftlichen Interessen der Verleger im Netz? Können sich die öffentlich-rechtlichen Angebote aus diesen Bereichen zurückziehen, ohne ihre Kernaufträge aufzugeben? Wo gibt es Kooperationsmöglichkeiten, die den Wettbewerb nicht verzerren? Gibt es möglicherweise Clearingstellen, durch die die Konflikte kollegial und kompromissorientiert bereinigt werden, ohne das lautstarke Herbeirufen des Staats?"
Er sei nicht sehr optimistisch, aber einen Punkt, mit dem die Gespräche beginnen könnten, hat er:
"Wenn ich mir die Abo-Listen der Redaktionen anschaue, frage ich mich manchmal, wer noch Zeitungen lesen wird, wenn es die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr geben sollte."
Wenn man die Verlage so nicht für die Öffentlich-Rechtlichen einnimmt – ja wie denn dann?
Altpapierkorb (Paradise Papers, Öffentlich-Rechtliche international, Ronja von Rönne, "Unter Drei")
+++ Der New Yorker schreibt über die Süddeutsche Zeitung, die Zeitung hinter den "Paradise Papers" (siehe etwa dieses Altpapier). Es wird historisch: "As the story goes, the same printing press that had been used to print 'Mein Kampf', whose publisher was based in Munich, was melted down and reconfigured, and then used to print the first issue of Süddeutsche Zeitung, on October 6, 1945." Und es geht ums Mittagessen im SZ-Hochhaus: "We were going at 11:30 A.M., and everyone was thinking, what the hell are these guys doing? (…) This is very German."
+++ Ist das Programm der Öffentlich-Rechtlichen auftragsgemäß? In Österreich schaut man da nach einer Beschwerde der Privaten gerade genauer hin (Der Standard).
+++ Auch in der Schweiz gibt es bekanntlich derzeit eine selten scharfe Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die NZZ und Die Zeit schreiben aktuell dazu.
+++ In der taz geht es um Jost Müller-Neuhofs Kampf gegen Hintergrundgespräche "unter drei": "Müller-Neuhof vom Berliner Tagesspiegel hat einen Erfolg in seinem Kampf gegen geheime staatliche Pressearbeit erzielt. Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss mitteilen, ob er Journalisten vertraulich über den Putschversuch in der Türkei informiert hat."
+++ Ronja von Rönne bei Arte (als ein Kopf von "Streetphilosophy", samstags) – das beschäftigt etwa den Tagesspiegel , die Süddeutsche und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die schreibt: "Dass Ronja von Rönne und ihre Gesprächspartner in einer halben Stunde nicht beantworten können, woran die Menschheit seit 2500 Jahren rumgrübelt: logisch. Aber diese ständige Abfolge potentieller 'Neon'-Cover (…) ist auch nichts anderes als der nie austrocknende Strom pseudodeeper Social-Media-Sinnsprüche vor pittoresken Sonnenuntergängen."
+++ Die FAS porträtiert auf der Medienseite zudem Christina Hecke, "die 38-jährige Hauptdarstellerin der neuen ZDF-Reihe 'In Wahrheit'". Die SZ vom Samstag derweil porträtierte die Akzent- und Dialekttrainerin Samara Bay, die Schauspieler auf Film- und Fernsehrollen vorbeteitet.
+++ Gestorben ist der Texaner John Hillerman, der – unter anderem, aber natürlich vor allem – in der Serie "Magnum" die schrullige britische Servicekraft Higgins spielte. Die SZ ruft ihm nach.
+++ Die SZ (Montag) bespricht "Gekauft, gekocht, gewonnen", eine Kochshow mit Discountereinkäufen (Kabel1), die FAZ (Samstag) die letzte Staffel von "Club der roten Bänder" (Vox, Montag, 20.15 Uhr) und die FAZ (Montag) den "Spreewaldkrimi" (ZDF, 20.15 Uhr). Und wiederum in der SZ geht es um die Arte-Reihe "Spätvorstellung", in der nun "an drei aufeinander folgenden Montagen" Jubiläumsfilme zu sehen sind. Danach "werden die Filme für mindestens 30 Tage in der Mediathek zu sehen sein. Dank dem schönen Namen der Reihe behalten sie aber die dunkel glimmende Aura vom herausfordernden, in der Nacht verborgenen Programm."
+++ Die FAZ scheint einen Narren an den Glossen des Deutschlandfunks gefressen zu haben – um diese hier ging es seinerzeit mehrfach. Am Samstag ging es auf der Feuilleton-Eins um Silke Burmesters Kolumne bei @mediasres (siehe Altpapier vom Freitag).
+++ Mehr von Silke Burmester: bei Übermedien, wo ihre Betrachtungen des Kritikers veröffentlicht sind: "Der Kritiker ist die romantischste Figur im Journalismus. Denn er liebt. Er nörgelt aus Liebe. Er ist der Bewahrer. Der Umweltaktivist des Kulturbetriebs."
+++ Ebenfalls bei Übermedien wurde der Begriff des "Klüngelmännchens" (für Marc-Jan Eumann) erfunden.
+++ Und die SZ noch über Solutions Journalism, der Missstände aufdecke, aber auch zeige, "wie sie beseitigt werden können".
Frisches Altpapier gibt es am Dienstag.