Teasergrafik Altpapier vom 23. April: Porträt Autor Ralf Heimann
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Das Altpapier am 23. April 2021 Dammbruch

23. April 2021, 13:18 Uhr

53 deutsche Fernsehstars kritisieren die deutsche Corona-Politik. Ein berechtigtes Anliegen. Leider geht dabei so gut wie alles schief. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Größter Erfolg der Querdenkerszene

Am Donnerstagabend sind 53 Videos von bekannten Schauspielerinnen und Schauspielern im Netz erschienen, die sich, wie soll man sagen, ironisch mit der Corona-Politik der Bundesregierung beschäftigen. Mit dabei sind unter anderem Beiträge von Jan Josef Liefers, Martin Brambach, Heike Makatsch, Meret Becker, Ulrich Tukur, Volker Bruch oder Richy Müller. Der zugehörige Hashtag #allesdichtmachen verbreitete sich Donnerstagabend beinahe epidemisch. Am Freitagmittag zählte Twitter knapp 100.000 Tweets mit diesem Wort. Fangen wir am besten mit dem Positiven an, denn damit sind wir schnell durch. Also: Es ist gelungen, für diese Sache Aufmerksamkeit zu bekommen.

Kommen wir jetzt zu den nicht ganz so guten Seiten. Denn die Frage ist natürlich: wessen Aufmerksamkeit? Stefan Niggemeier schrieb am Donnerstagabend in einem Tweet:

"Bekannte, geschätzte Schauspielerinnen und Schauspieler kämpfen mit ekliger Ironie gegen #Corona-Maßnahmen. Ich kann das gar nicht glauben. Das ist grauenhaft. Nicht nur von der Zielrichtung her, sondern vor allem in der Form. #allesdichtmachen"

Später fügte er hinzu:

"Vielleicht ist es nur der Tatsache geschuldet, dass es gerade so frisch ist und alle so aufgeregt sind, aber – Es fühlt sich wie ein Dammbruch an. Der größte Erfolg der Querdenkerszene bisher. #allesdichtmachen"

Tatsächlich deutet darauf einiges hin. Hinter der Aktion steht laut Impressum die Firma Wunder Am Werk GmbH, deren Geschäftsführer ist Bernd K. Wunder. Und über den weiß Daniel Laufer von Netzpolitik.org in Richtung der Initiatorinnen und Initiatoren:

"Der laut Impressum für #allesdichtmachen Verantwortliche hat die Pandemie, die rund 3 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, schon im Mai 2020 (!) verharmlost und mit einer Grippe gleichgesetzt. Aber ihr habt wahrscheinlich nicht gewusst, mit wem ihr euch einlasst, stimmt’s?"

In dem folgenden Thread führt Laufer das noch etwas genauer aus. Wunder gehörte offenbar auch zu denen, die nicht einsahen, warum sie Masken tragen sollten – die das Ganze für Panikmache hielten. Der Sender ProSieben twittert über seinen offiziellen Account:

"Der Mann hinter der Agentur, die die Kampagne #allesdichtmachen initiiert hat, schreibt im August 2020 auf seinem Insta-Account über Menschen, die Maßnahmen gegen Corona gut heißen: "(...) Der Ausdruck #Coronazi ist somit absolut gerechtfertigt..."

Der Physiker und Datenwissenschaftler Cornelius Roemer bezweifelt allerdings, dass Wunder alleine hinter der Aktion steckt. "Das ist sicher zur Verschleierung", schreibt er. Bemerkenswert sei auch, dass niemand das Projekt geleakt habe. Roemer:

"(…) Es müssen noch viel mehr als die 53 angesprochen worden sein. Traut sich jemand darüber zu sprechen? So viele Fragen! Auf geht's Investigative!"

"Wer Spaß an Recherche hat: was ist der Zusammenhang zwischen den Schauspielern? Gleiche Filme? Agenturen? Es gibt ja eigentlich ziemlich gute Datenbanken, da kann man vielleicht Zusammenhänge herausfinden."

Weitere Fragen, die Roemer aufwirft: Wer hat die Texte geschrieben? Steckt eine PR-Firma dahinter? Roemer sieht Hinweise darauf, dass die Kampagne "zentral geskriptet" ist. Hat Hendrik Streecks PR-Berater Wolfram Winter etwas damit zu tun? Er hat die Videos und lobende Hinweise auf sie jedenfalls weiterverbreitet. Ebenso wie "führende Twitter-Querdenker" und Durchseucher", so schreibt Roemer, die zu den ersten Accounts gehörten, die alle drei zur Kampagne gehörenden Hashtags verwendeten: #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen, #lockdownfürimmer.

Lob, Kritik und Beharrlichkeit

Das könnten Hinweise darauf sein, auf wen bei der Verbreitung des Videos gesetzt wurde. Dass die Kampagne bei Corona-Leugnern und Rechtspopulisten gut ankommen würde, dürfte klar gewesen sein. Das Hass- und Hetze-Magazin Tichys Einblick gehörte dann auch zu den ersten Medien, die darüber berichteten.

Jonas Schmidt-Chanasit, einer der Virologen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie immer wieder zu Wort kamen, zum Beispiel als Kritiker von Masken, meldete sich am Donnerstagabend früh zu Wort. Er schrieb

"Ich habe jetzt alle 53 #allesdichtmachen Videos angeschaut – ein Meisterwerk – es sollte uns sehr nachdenklich machen."

Schmidt-Chanasit muss sich die 53 Videos also direkt nach Erscheinen der Reihe nach reingezogen haben. Das kann Zufall sein, weil er gerade zufällig vor seinem Rechner saß oder sein Handy in der Hand hatte. Es kann aber auch sein, dass er zu den Menschen gehörte, die für die Verbreitung der Kampagne sorgen sollten.

Aus der Schauspielerschaft kommen auch kritische Stimmen. Im Instagram-Account von Volker Bruch kommentiert Sandra Hüller: "Leute. Bitte."

Elyas M’Barek schreibt an gleicher Stelle:

"Come on, das ist doch Blödsinn. Was unterstellst du denn da unserer Regierung. Kann ich null nachvollziehen. Jeder will zurück Normalität zurückkehren, und das wird auch passieren. Wenn alle dafür sorgen, dass eine weltweite PANDEMIE bekämpft wird Mit Zynismus ist doch keinem geholfen."

Christian Ulmen, Nora Tschirner und andere kritisieren die Aktion ebenfalls. Ulmen schreibt: "Heute bisschen für Kollegen schämen." Heike Makatsch hat ihr Video inzwischen wieder zurückgezogen, wie Kurt Sagatz für den Tagesspiegel berichtet. Inzwischen gibt es auch eine Gegenaktion. Die Hashtags: #allesschlichtmachen und #nichtganzdicht.

Nathalie Grams nimmt schon mal vorweg, was in den nächsten Tagen passieren wird. Sie schreibt:

"Einige Schauspielerïnnen werden sich in den kommenden Tagen sicher über den massiven Gegenwind beschweren. Sie werden argumentieren: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Ja, das darf man. Aber man muss auch damit leben, dass solcher Unsinn nicht unwidersprochen bleibt."

Jan Josef Liefers kommentierte die Aktion noch in der Nacht zu Freitag in einem vierteiligen Thread bei Twitter. Und das geht schon so in die von Nathalie Grams prognostizierte Richtung.

"(…) eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück. Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD."

Er sei bei "all denen, die zwischen die Fronten geraten sind". Dass man die Sorgen der Menschen ernst nehmen müsse, schreibt er nicht. Aber zu einem Zeitpunkt, an dem schon zu erkennen ist, dass die ganze Aktion nach hinten losgeht, oder in dem Fall nach rechts, beharrt er weiter darauf, dass es ihm ja eigentlich um die gute Sache geht.

Er wirkt ein bisschen wie jemand, der sich im Sommer gut sichtbar eine Reichskriegsflagge ins Fenster hängt und den entsetzten Passanten erklärt, er wolle damit ja eigentlich nur die Mücken abhalten.

Zwei bessere Varianten

Aber was ist eigentlich das Problem mit diesen Videos? Es ist ja nicht so, dass es an der Politik der Bundesregierung oder auch an der Medienberichterstattung nichts zu kritisieren gäbe. Gestern Abend erst beschäftigte sich das ARD-Magazin Panorama kritisch mit der Tatsache, dass die Bundesregierung bestimmten Wirtschaftszweigen so gut wie gar nichts zumuten mag, während sie andere in ein künstliches Koma versetzt hat. Konkret ging es bei Panorama um den Versandhändler Amazon, der seiner Belegschaft sichere FFP2-Masken verbietet – allem Anschein nach, weil das Personal dann öfter Pausen machen müsste, und das kostet Geld. Man könnte diese Masken einfach verpflichtend vorschreiben. Doch das passiert nicht. Amazon gehört zu den Unternehmen, die am meisten von der Pandemie profitieren, denen aber am wenigsten zugemutet wird.

Dieses Beispiel steht stellvertretend für den Eindruck, der sich bei vielen in den vergangenen Monaten ergeben hat, und der sich von Populisten sehr gut nutzen lässt: Die Gruppen ohne große Lobby müssen alles ausbaden, damit das Geld weiter in die Taschen der Reichen und Mächtigen fließen kann.

Dabei geht es im Übrigen gar nicht um die Wirtschatskraft, sondern tatsächlich um die Lobby. Die Kreativ- und Kulturwirtschaft hat laut Bundeswirtschaftsministerium eine größere Wertschöpfung hat Energieversorger oder die chemische Industrie.

Dass sich hier nun mit den Fernsehstars eine Gruppe beschwert, die man nicht unbedingt in die Gruppe der Unterprivilegierten einordnen würde, ist das erste, wenn auch nicht ganz so wesentliche Detail. Hier melden sich also Menschen zur Wort, die seit Monaten nur noch da Urlaub machen können, wo sie ein Ferienhaus besitzen. Wie ärgerlich. So ein Eindruck könnte entstehen.

So ist es natürlich nicht. Wenn man etwas in den vergangenen Monaten gelernt hat, dann gehört wahrscheinlich dazu, dass objektive Bewertungen der empfundenen Belastungen zwar beliebt, aber wenig hilfreich sind. Man muss auch reichen und erfolgreichen Fernsehstars zugestehen, dass sie mit der Situation unzufrieden sind.

Vielleicht steckt ja hinter der Kampagne sogar der gute Gedanke: Wir nutzen unsere Reichweite, damit auch die Menschen etwas davon haben, die nicht in der Lage sind, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Auch dagegen wäre nichts zu sagen. Das wäre dann aber nicht so deutlich geworden, um nicht zu sagen: gar nicht.

Um vielleicht mal zwei Varianten zu skizzieren, die nicht zu diesem verheerenden Echo geführt hätten.

  • Deutschlands bekannteste Filmschaffende nutzen ihre Reichweite, um auf die Situation von Kunst- und Kultureinrichtungen hinzuweisen, denen nicht ganz viel Geld und Online-Gefolgschaft zur Verfügung stehen.

  • Deutschlands bekannteste Filmschaffende sprechen in einem Video über ihre Ängste, ihre Zweifel an dieser Politik, weisen im besten auf ihre privilegierte Position hin, machen vielleicht sogar konkrete Vorschläge, was besser laufen könnte.

Der mediale Unfall nimmt hier schon dort seinen Ausgang, wo die Filmschaffenden sich für das Mittel der Ironie entscheiden. Das dürfen sie, keine Frage. Alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Die Frage ist nur, welche Botschaften wollen sie senden, und welche senden sie tatsächlich?

Paradoxe Intervention

Unterstellen wir mal die gute Absicht. Sie haben das Gefühl, alles versucht zu haben, aber nicht durchgedrungen zu sein  mit ihrem Anliegen. Nun greifen sie also zum letzten Mittel. Sie verspotten die Corona-Politik. Gefühlt geht das für sie selbst wahrscheinlich immer noch als Idealismus durch, in der öffentlichen Wahrnehmung ist es längst zu Zynismus geworden.

Volker Bruch etwa sagt in seinem Video:

"Ein Jahr lang hatte ich durchgehend Angst. Doch diese Angst lässt jetzt nach. Und das macht mir Angst."

Bruch fordert die Bundesregierung auf, ihm weiter Angst zu machen. Das ähnelt einer paradoxen Intervention, also einer Therapiemethode, bei der das Ziel erreicht werden soll, indem man erst mal das Gegenteil fordert. In jedem Fall ist es Überzeichnung. Hier liegt die Annahme zugrunde: Eigentlich gibt’s doch gar keinen Grund, solche Panik zu machen. Es ist doch alles gar nicht so schlimm.

Und das ist der zentrale Punkt. Das macht die ganze Kampagne zu unerträglich. Die Schauspielerinnen und Schauspieler selbst sehen offenbar nicht, dass ihre subjektive Bewertung überhaupt kein objektiver Maßstab ist.

Sie sehen nicht, dass sich ihre Empfindung nicht mit der von anderen Menschen deckt, die sich nicht nur ärgern, weil nicht mehr so viel Geld fließt wie vorher und niemand applaudiert, sondern vielleicht auch, weil jemand nicht mehr da ist, der an Covid-19 gestorben ist.

Auch das kann man natürlich wieder anders sehen. Jan Fleischauer schreibt bei Twitter:

"#allesdichtmachen verhöhnt angeblich alle, die Angehörige wegen Corona verloren haben. Mein Vater ist im April 2020 gestorben. Weder mein Bruder noch ich konnten von ihm Abschied nehmen. So waren die Regeln, ich habe mich nie beklagt. Aber: Ich fühle mich nicht verhöhnt."

Es hängt offenbar – Grüße an den Bestätigungsfehler – mit der Einstellung und dem emotionalen Zustand zusammen, ob man sich diese Videos mit dem Gedanken "Endlich sagt’s mal einer" schaut oder mit einem gewissen Ekel. In beiden Fällen ist man bereit, über gewisse Dinge hinwegzusehen. Im einen Fall nimmt man Art und Weise hin, die man als schäbig empfinden kann, im anderen Fall verschwimmt, dass der Anlass der Kritik durchaus eine Berechtigung hat, weil die Form den Inhalt disqualifiziert. Was sich jedoch nicht leugnen lässt, ist, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler sich bei den Narrativen von Verschwörungsideologen und Rechtsradikalen bedienen.

Die rutschige Ölspur der Rechten

In der Medienkritik ergibt sich ein recht eindeutiges Bild: Imre Grimm kritisiert in einem Kommentar für das Redaktionsnetzwerk Deutschland die "überraschend schlecht geschriebenen Texte", dass von "einfachen Wahrheiten" gesprochen wird. Sie, also die Schauspielerinnen und Schauspieler, "erzählen schlicht dummes Zeug", schreibt er. Eine "eigene Meinung zu haben, ist gerade krass unsolidarisch", das sind so Sätze, die in den Videos zu hören sind. Jan Josef Liefers "ventiliert die uralte Mär von den gleichgeschalteten Medien, die während der Corona-Zeit nur Einseitiges angeboten hätten". Grimm fasst zusammen: "Zu besichtigen sind in den 53 Clips all die alten, öden Vorurteile von ‚Diktatur!‘-Schreihälsen, die sämtliche Medien pauschal in einen Topf werfen, weil sie es nicht besser wissen."

Wie so oft in solchen Fällen entsteht der Eindruck, dass sich hier etwas entlädt, das sich vorher lange in Form von Ambiguitäten aufgestaut hat. Das Gefühl, sich endlich von etwas gelöst zu haben, das dem völligen Durchblick im Weg stand. Tatsächlich aber ist hier anscheinend genau das passiert, was von den Narrativen der Rechten so bereitwillig transportiert wird: Die einfachen "Wahrheiten" lösen die unangenehmen intellektuellen Verspannungen.

Enno Park erklärt in einem lesenswerten Thread bei Twitter, warum die Schauspielerinnen und Schauspieler "in ihrer Gesamtheit rechtsradikale Inhalte transportieren". über das Video von Jan Josef Liefers schreibt er:

"Er bedient sich einer Art doppelten Ironie: Er meint das Gegenteil von dem, was er sagt, aber indem er auf grotesk verzerrte Weise Positionen wiedergibt, von denen er implizit unterstellt, dass #noCovid/#zeroCovid-Anhängerïnnen sie vertreten."

Park führt aus:

"Hier wird ironisch verbrämt, was Pediga, AFD und andere rechtsradikale Gruppen bis hin zu Verquerdenkern schon lange behaupten: Dass die Medien zentral gelenkt einförmig dasselbe berichten und zwar ausschließlich, was der Regierung genehm sei."

Und er weist auf einen wichtigen Punkt hin:

"Unabhängig von Liefers: Der Haken bei solchen Infektionserkrankungen ist nunmal, dass es nicht nur darum geht, welches Risiko man für sich selbst eingeht, sondern auch, welches Risiko man seinen Mitmenschen durch sein Verhalten aufnötigt."

Das bedeutet:

"Wer um die Konsequenzen weiß und trotzdem ‚keine Bevormundung‘ fordert, verlangt, dass es allgemein erlaubt sei, sich so rücksichtslos zu verhalten, dass andere Menschen daran sterben."

Sebastian Leber macht in einem Kommentar für den Tagesspiegel auf einen interessanten Punkt aufmerksam:

"Die Prominenten, allen voran Jan Josef Liefers, begehen zudem einen Logikfehler, den man ebenfalls von der Querdenken-Fraktion kennt: Sie unterstellen, die Befürworter der Sicherheitsmaßnahmen seien regierungstreu, ja untertänig. Das ist grob falsch. Die Regierenden werden – zu recht – ständig und heftig kritisiert."

Dieses Phänomen erklärt Hendrik Wieduwilt in einem Tweet:

"Das Gerede von den 'manipulierenden Medien' ist nichts als ein narzisstischer Umgang mit der eigenen Überforderung. Dreimal Themen gegoogelt, die angeblich 'verschwiegen' wurden und gepostet, aber es ist komplett nutzlos, vertane Zeit."

Panikmacher und seriöse Warner

Die Journalistik-Professorin Marlies Prinzing und und der Medienmanagement-Professor Florian Meißner hatten am Donnerstag schon vor Erscheinen der Kampagne bei Meedia einen Beitrag veröffentlicht, der ganz gut zum Thema passt. Überschrift: "Corona-Berichterstattung: So unterscheidet man Panikmacher von seriösen Warnern." Darin leiten Prinzing und Meißner aus Studienergebnissen einige Aussagen ab, und sie ordnen ein, welches Bild die Menschen von der Berichterstattung in Deutschland haben.

Den Vorwurf, dass Verlautbarungsjournalismus betrieben werde bestätigen sie zwar, allerdings für die ersten Wochen der Krise.

"(…) danach wurde zunehmend kritisch berichtet, in Deutschland zum Beispiel auch zur Beschaffung von Impfstoffen. Für die Anfangszeit muss man allerdings anführen, dass da niemand wirklich wusste, wie mit dieser Krise umzugehen war. Dies führte offenbar zu einer Tendenz, offizielle Positionen oder solche von Expertinnen und Experten zunächst vor allem zu verlautbaren, um uneinschätzbare Risiken gering zu halten."

Und sie schreiben:

"Es erfolgte kein Alarmismus im großen Stil, zumindest wird ein solcher in keiner uns bekannten Studie belegt. Im Gegenteil: Die große Mehrheit der Bevölkerung war laut einer Studie von Mainzer und Düsseldorfer Forschungsteams mit der Berichterstattung bis zuletzt zufrieden, insbesondere mit der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und fand die Debatte konstruktiv. Eine Minderheit sah das anders und kritisierte die Berichterstattung im Jahr 2020 als übertrieben und sensationalistisch."

Das klingt ein bisschen, als sprächen sie im letzten Satz von der aktuellen Kampagne der "Bild"-Zeitung gegen das Infektionsschutzgesetz, das man aus unterschiedlichen Gründen kritisieren kann. Die "Bild"-Zeitung schreibt auf ihrer Titelseite am Donnerstag: "Beschlossen! Merkels Einsperr-Gesetz". Online lautet der Titel: "Eine schwarze Stunde für die Freiheit". Ein Kommentar von Julian Reichelt trägt die Überschrift: "Ein Geschenk für Extremisten". Lorenz Meyer kommentiert bei Twitter: "Stimmt, liebe #Bild. Euer Kommentar zum Infektionsschutzgesetz ist ein Geschenk für Extremisten."

Rupert Sommer berichtet für Kress darüber, "wie forsch T-Online den Bild-Stil von Julian Reichelt kritisiert".

Reichelt kritisiert in seinem Text unter anderem, die beschlossenen Maßnahmen ließen sich kaum kontrollieren. Das ist gar nicht falsch. Dass die Regeln in Teilen wieder so aufgeweicht wurden, dass sie nicht mehr konsistent erscheinen, ist nicht von der Hand zu weisen. Man kann das kritisieren.

Man muss aber auch erwähnen, dass inzwischen das passiert, was viele schon seit Monaten fordern: Das Parlament entscheidet. Annika Leister schreibt, die Pandemiepolitik werde "endlich dort diskutiert und gemacht (…), wo sie hingehört: im Bundestag. Das Land ist befreit von der Ministerpräsidentenkonferenz als dysfunktionale Schaltzentrale in dieser Krise. Endlich lenken nicht mehr Landesfürsten mit sehr regionalen Interessen candycrushspielend das Pandemiegeschehen. Endlich bestimmen nicht mehr allein halbgare Informationen und gezielte Durchstechereien von einer Handvoll Machtmenschen an Deutschlands unvernünftigste Boulevardzeitung die öffentliche Diskussion. Endlich ist Schluss mit Hinterzimmer. Endlich können wir alle einschalten, das Für und Wider im Bundestag transparent im Livestream verfolgen."

Hier erfüllt die "Bild"-Zeitung gleich mehrere der Kriterien – es ist keine so große Überraschung – nicht, die Marlies Prinzing und Florian Meißner als Indiz dafür nennen, dass man Medien vertrauen kann. Zum Beispiel eben: Sie können differenzieren.

Ein anderes Kriterium wäre: Die Medien ordnen ein. Sofort.

Die "Bild"-Zeitung ordnet wie üblich nur das ein, was zur Kampagne passt. Und die Videos der Schauspielerinnen und Schauspieler passen natürlich hervorragend.

Den gesamten Freitagmorgen über stand auf der Titelseite: "Mit bitterer Ironie: Deutschlands bekannteste Schauspieler kritisieren Corona-Politik". Bemerkenswerterweise steht hier nicht: "Irrer Ironie-Hammer" oder "Wahnsinns-Aktion". Das Ganze soll offenbar möglichst sachlich erscheinen. Dass die Reaktionen überwiegend negativ ausfallen, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Jan Josef Liefers hatte schon am Mittwoch die Gelegenheit, bei "Bild" für seine Sicht der Dinge zu werben. Über dem Text stand die Überschrift: "Darum brauchen wir das Tübinger Corona-Projekt!" Kurz darauf kam die Meldung: "Boris Palmer erklärt Tübinger Modellprojekt für beendet." Zitiert wird er mit dem Satz: "Ab Montag ist also auch bei uns alles dicht." Ganz ohne Ironie.


Altpapierkorb (Finanzierungsmodelle im Lokalen, MDR-Staatsvertrag, Kinderfotos auf Pornoseiten, Polizei-Pressekodex, kritische Prognosen)

+++ Michael Meier berichtet für das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres über neue Finanzierungsmodelle für Lokalmedien. Etwas seltsam: Er erwähnt nicht, dass die Zitate aus einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am Mittwoch stammen, die er offenbar mitgeschnitten hat. Das weiß ich, weil ich mir die Diskussion angesehen habe. Dort zu Gast war unter anderem Christian Humborg, mit dem ich am Medienprojekt RUMS Münster beteiligt bin. Um das Projekt geht es auch in dem Deutschlandfunk-Beitrag. Christian Humborg kommt dort ebenfalls zu Wort.

+++ Der MDR-Staatsvertrag kann in Kraft treten. Die Landtage aller drei Beiteiligten Bundesländer haben zugestimmt, berichtet unter anderem Horizont.

+++ Ein Rechercheteam der Magazine "Panorama" und "Steuerung F" hat auf Pornoseiten Tausende Kinderfotos gefunden. Daniel Moßbrucker aus dem Team berichtet im Interview mit dem Medienmagazin @mediasres über die Recherche. Eines der Ergebnisse: Jedes vierte Bild von Pornoseiten war ursprünglich bei Facebook oder Instagram zu finden. Der Beitrag selbst lief am Donnerstagabend im ARD-Magazin Panorama.

+++ Ronald Düker beschäftigt sich in einem lesenswerten Beitrag für die Zeit (€) mit dem Umbau des WDR-Kulturradios. Unter anderem kritisiert er, dass die Ergebnisse der Untersuchungen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen wurden, die der Sender weiter geheim hält, auch vor den Moderatoren, die inzwischen teilweise gekündigt haben. Düker liegen die Ergebnisse vor. Er hat allerdings so seine Zweifel an den Methoden, mit deren Hilfe sie gewonnen wurden. Düker: "1011 Teilnehmern ab 14 Jahren wurden (…) je 20 Sekunden lange Musiksequenzen vorgespielt, aus deren Bewertung sich dann ein Ranking der Musikstile ergab. Als klassikaffin wurde übrigens eingestuft, wer die Frage ‚Wie hoch ist Ihr Interesse an klassischer Musik?‘mit ‚sehr hoch‘, ‚hoch‘ oder ‚mittel‘beantwortete. Merkwürdigerweise stellte sich ganz nebenbei heraus, dass der größte Teil der so ermittelten Zielgruppe als aktuellen Lieblingssender 1Live angab, einen WDR-Sender, der auf Popmusik spezialisiert ist."

+++ Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl gibt der Polizei in seinem Bundesland einen eigenen Pressekodex, berichtet das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres.

+++ Andrej Reisin beschäftigt sich für den ARD-Faktenfinder mit den Progosen zur Entwicklung von Infektionszahlen. Davon inspiriert hat Lorenz Matzat bei Twitter in einem Thread vier Prognosen untersucht, von Süddeutscher Zeitung, Spiegel, Tagesspiegel und RKI. "Ich meine weiterhin, dass Datenjournalist*innen davon die Finger hätten lassen bzw. die mehr kritisch diskutiert hätten müssen", schreibt er.

Neues Altpapier gibt es am Montag.

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