Das Altpapier am 14. April 2021 Klagen über Klagen
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14. April 2021, 08:46 Uhr
116 Menschen sollen sich bei der BBC beschwert haben, dass es zu einfach sei, sich dort über die Prinz-Philip-Berichterstattung zu beschweren. Bevor auch in Deutschland das Fernsehprogramm für die Royals geräumt wird, gibt es Kritik an den kalkulierten Ausfällen eines Fantasieprinzen – und an Sat.1. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Ziehen die Royals nicht mehr?
Der Fürst von Liechtenstein, Hans-Adam II., wer auch immer das ist, macht mal wieder keinen Stich. Er steht ganz unten im 30-Tage-Aufmerksamkeitsranking des PMG-Presse-Monitors zum Thema "Europas Royals im Vergleich". Auf den anderen hinteren Plätzen befinden sich Großherzog Henri von Luxemburg und Dänemarks Königin Margrethe II. Erwartungsgemäß putzt die britische Queen Elizabeth II. alle anderen weg. Die Königin des Vereinigten Königreichs, Nordirlands und von Netflix führte das Ranking sogar schon an, bevor vergangene Woche ihr Mann, Prinz Philip, 99-jährig verstorben ist.
Am Samstag wird Hans-Adam II. im Aufmerksamkeitsranking wohl auch nicht aufholen. Wie gestern hier schon angerissen, hegen allerlei Fernsehanstalten Berichterstattungspläne über Prinz Philips Beerdigung. Das ZDF überträgt knapp zwei Stunden lang. Unsere ARD, die gegenüber der Mainzer Horst-Lichter-Monarchie den Kürzeren zog, bleibt die Mickrigkeit einer etwas später beginnenden "Brisant extra"-Ausgabe in der Länge eines Samstagabendkrimis. RTL ist eh dabei. Der Fernsehsender der Welt ebenfalls. Und nun wissen wir: Sat.1 auch.
Sat.1 will sogar eine halbe Stunde vor der Konkurrenz beginnen. "Gut möglich, dass die Kölner", also RTL, "vor dem Hintergrund der Ankündigung des Konkurrenten auch noch einmal am Programmablauf schrauben wird", schreibt DWDL. Hoffen wir, dass es hilft. Bedauerlich nur, dass man die Gesamtsumme der verfügbaren Marktanteile nicht einfach mal über die 100 hinaus ausdehnen kann wie, sagen wir, Inzidenzgrenzen. 138 Prozent Marktanteil für jeden einzelnen übertragenden Sender – das wär’s ja mal.
"Der Wetteifer der deutschen Sender kann nur mit der Erwartung einer großen Zuschauerquote erklärt werden", schrieb gestern schon der Tagesspiegel. Aber ob die Rechnung aufgeht? Er warnte mit Blick auf die britischen Einschaltquoten: "die Republikaner sind eine nicht zu unterschätzende Größe."
Nach Prinz Philips Tod hatte die BBC nämlich ihr Programm umgestellt und auf nationale Trauer eingerichtet und musste zur Kenntnis nehmen, dass das gar nicht sonderlich goutiert wurde. ITV, dem privaten Hauptkonkurrenten der BBC, erging es ähnlich. Und Channel4 während eines abendlichen News-Specials auch. BBC One, der Kanal, den die Briten in Momenten nationaler Bedeutung einschalten, verlor sechs Prozent im Vergleich zur Vorwoche, schreibt Deadline. BBC Two sogar 65 Prozent.
Und nicht nur das: Die BBC habe zudem allerhand "Beschwerden über den Umfang der Fernsehberichterstattung über den Tod des Herzogs von Edinburgh erhalten" und deshalb eigens ein Beschwerdeformular eingerichtet, meldete sie, ohne Zahlen zu nennen, mit denen die Daily Mail aber gerne assistierte: Es sei mit mehr als 110.000 Beschwerden "die höchste Anzahl" gewesen, die – nun in majestätischen Versalien – "JEMALS" dort eingegangen sei.
Ziehen die Royals vielleicht gar nicht mehr? Oder haben sich die politischen Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammengetan und stürzen sich, weil jedes Ziel ein gutes ist, hier auf eine Art britische "Umweltsau"? Oder woran lag es sonst? Der Guardian vermutet, das Ganze weise "auf ein tieferes Problem hin, nämlich die Fähigkeit eines nationalen Senders, das Land zu zwingen, gemeinsam um eine einzelne Person zu trauern, und das in einer Zeit, in der das Publikum zersplittert".
Denkbar ist das, aber denkbar ist auch sonst allerhand. 233 Personen hätten sich, fasst rnd.de die britische Berichterstattung zusammen, wohl darüber beklagt, "dass nicht alle Moderatoren als Zeichen der Trauer schwarz trugen". Und dann habe es auch noch jene 116 Menschen gegeben, die sich beschwert hätten, dass das von der BBC als Reaktion auf die vielen Beschwerden eingerichtete Beschwerdeformular es zu einfach gemacht habe, sich zu beschweren.
Wäre die BBC konsequent, würde sie ein Beschwerdeformular einrichten, mit dem man sich über das Beschwerdeformular beschweren kann. Und ein Beschwerdeformular, um sich über das Beschwerdeformular über das Beschwerdeformular zu beschweren.
Die meisten Zuschauer aber, heißt es bei der Welt, haben sich offenbar dann doch vor allem darüber beklagt, dass wegen der Prinz-Philip-Berichterstattung bei BBC One "ihr Lieblingsprogramm kurzfristig ausgefallen sei" – eine Kochshow. An dieser Stelle wird es nun auch für einen gewissen deutschen Sender womöglich knifflig. Im ZDF lief am vergangenen Samstagnachmittag noch eine Ausgabe von "Bares für Rares", der Kochshow ohne Kochen. Diese Woche wird sie wohl entfallen. Da wünscht man das Beste!
Unterhaltung bei Sat.1
Nun hat Deutschland keine eigenen Royals, über die man sich ärgern kann oder auch nicht. Aber mit diesem Mangel ist es nicht erklärbar, dass in diesen Tagen ein "Fantasieadliger" (SZ) in zahlreichen Medienressorts auftaucht: Marcus Prinz von Anhalt, Kandidat einer Sat.1-Reality-Show, ein "Bordellunternehmer, der nach abendlicher Druckbetankung dermaßen homofeindlichen Schmutz von sich gibt, dass man sich ganz unironisch die Ohren abschneiden möchte", wie Ulrike Nimz in der Süddeutschen Zeitung schreibt.
Erklärbar ist seine Präsenz in Medienredaktionen damit, dass das Unterhaltungsprogramm von Sat.1 unterirdisch ist und man das, was er da zur besten Sendezeit von sich gegeben haben soll (ich habe diese Folge nicht gesehen, kenne aber das Format, und wer will, findet alles, was gesagt wurde), nicht ironisch weglächeln kann. Zu "Promis unter Palmen", die Sendung, um die es geht, formulierte Anja Rützel, die Expertin des Spiegels für solche Formate, schon vor einem Jahr einen hilfreichen Verbraucherhinweis: "Sie lieben Trash-TV? Dann schauen Sie das nicht!" Damals ging es um die Verbreitung von Mobbing-Dynamiken, und sie schrieb:
"Fernsehen darf Weltsichten ausstellen, die schrecklich sind und schmerzen – aber es steht dann auch in der Pflicht, diese schiefen Werte zu kommentieren, einzuordnen oder zu bewerten. Also: eine Haltung zu beziehen. Aber wenn die Off-Stimme nicht einschreitet, um Sexismen und Mobbing zu benennen, werden diese Gafflustfütterungen gefährlich – weil sie Verurteilenswertes ohne eine Einordnung eben vor allem auch reproduzieren."
Nun, ein Jahr später, wiederholt sich der Vorgang auf andere Art, und die nachholenden mausgerutscht-Distanzierung des Senders half ihm dann auch nichts. Sie wird ihm jedenfalls richtigerweise nicht abgenommen. Joachim Huber, noch am zurückhaltendsten, schreibt im Tagesspiegel:
"Die Homophobie wurde benutzt, um 'Promis unter Palmen' anzuschieben. Mehr Kalkül geht nicht, weswegen das Urteil nur so lauten kann: Für Geld macht Sat 1 alles, auch das Richtige im Falschen."
Alexander Krei meint bei DWDL:
"Dass die Sendung jetzt erneut in die Schlagzeilen geriet, dürfte durchaus kalkuliert gewesen sein – warum sonst sollte man einen Mann an einem Unterhaltungsformat teilnehmen lassen, der in der Vergangenheit unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Menschenhandel verurteilt wurde, mit der AfD sympathisierte und mit Beleidigungen von sich reden machte?"
Anja Rützel again bei spiegel.de:
"Diese Auftaktfolge und das produktionsseitige Kalkül hat 'Promis unter Palmen' nach dem desaströsen Auftakt im vergangenen Jahr endgültig zerstört. Wenn man sich, den Trash-TV-Menschen und dem Fernsehen noch einen letzten Rest von Würde zugestehen will, kann man – darf man – diese Sendung nicht anschauen."
Matthias Schwarzer beim Redaktionsnetzwerk Deutschland:
"Unter diesen Umständen ist Sat.1 … nicht mehr als eine skrupellose Plattform für unerträgliches Proll-TV, das zur besten Sendezeit Homophobie fördert."
Samira El-Ouassil schließt ihre ausführliche Betrachtung bei Übermedien:
"Fernseh-Unterhaltung kann man nicht schreiben ohne das Wort 'Haltung'."
Und Ulrike Nimz zieht in der SZ das Publikum mit zur Verantwortung: "Was gutes von schlechtem Trash-TV unterscheidet, mag für Formatfremde mitunter schwer auszumachen sein. Wo Menschliches grell ausgeleuchtet wird, gibt es Schlagschatten. (…) In Premium-Formaten wie dem Dschungelcamp wird Devianz jedoch nicht ausgestellt und reproduziert, sondern kommentiert, entlarvt, verurteilt. Wer gewinnt, bestimmen die Zuschauer. Meist ist es der am wenigsten verdorbene Kandidat. Promis unter Palmen ist das Stanford-Prison-Experiment unter den Trash-Sendungen: Kontrollverlust statt Konfro-Lust. Und natürlich – das gehört zur Wahrheit – mit Top-Quoten. Verantwortung hört ja beim Zuschauer nicht auf."
Die Kritik, kurz gesagt, ist ziemlich einhellig. Keine Rezensentin, kein Rezensent verteidigt diese Show – was mancher vielleicht als einen Mangel an Vielfalt begreifen könnte. Und weil die Kritik nicht nur einhellig, sondern in gewisser Weise auch vorhersehbar ist und die Aufmerksamkeit für die Show nur vergrößert, kann es sein, dass demnächst in einem Hintergrundgespräch irgendein produzierender Visitenkartist zynisch über das dämliche Feuilletong lacht, das unter Garantie jedes Mal in die Tonne trete, was beim Publikum dann eben doch "funktioniert". Ach ja, gähn. Wenn eine Dreckssendung allerdings eine Dreckssendung ist, dann ist es eben so. Daran können Kritiker*innen dann auch nichts ändern.
Altpapierkorb (ProSieben-Interview mit Baerbock/Habeck, "Lovemobil"-Debatte, erste Reuters-Chefredakteurin)
+++ In der taz findet es Jagoda Marinić gar nicht so toll, dass ProSieben, wie an dieser Stelle gestern vermerkt, das erste Interview mit der Kanzlerkandidatin oder dem -kandidaten der Grünen bekommen wird: Strategisch sei es vielleicht nicht unklug von den Grünen, medienpolitisch aber falsch. Nur, worauf gründet die Strategie? Darauf, dass nicht alles schlecht ist in der ProSiebenSat.1-Familie. Marinić schreibt: "Pro7 hat im letzten Jahr in Sachen innovativer Formate bei gesellschaftlich brisanten Themen ARD und ZDF hinter sich gelassen. Pro7 hat sich in Zeiten, in denen ARD und ZDF bei manchen Themen Ethik und Gesetz für Meinung halten, für eine klarere journalistische Haltung entschieden."
+++ In der Debatte über den Film "Lovemobil" haben nun auch die Deutsche Akademie für Fernsehen (Daff) und der Bundesverband Filmschnitt Editor (BFS) Position bezogen, meldet die FAZ (€). Kritisch sehe die Akademie, dass Redaktionen, Filmförderungen und Festivals Erzählweisen bevorzugten, die "dokumentarische Unebenheiten" möglichst eliminieren würden. Und von den Cutter, auch interessant, heißt es, "bei Sichtungen und Abnahmen erlebe man es immer wieder, dass Redakteure 'Dramaturgien und Spannungsbögen erwarten, die mit Spielfilmen vergleichbar sind'" und fordern, die Fehler im Fall "Lovemobil" dürften nicht dazu führen, "dass dem künstlerischen Dokumentarfilm nun grundsätzlich ein journalistisches Korsett verpasst wird".
+++ Und die Süddeutsche schreibt, die Nachrichtenagentur Reuters werde nach 170 Jahren zum ersten Mal von einer Frau geführt, Alessandra Galloni. "Bekanntheit erlangte sie 2004 mit ihrer Berichterstattung über die spektakuläre Pleite des emilianischen Milchkonzerns Parmalat, für die sie auch ausgezeichnet wurde."
Neues Altpapier erscheint am Donnerstag.
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