Teasergrafik Altpapier vom 26. November 2020: Porträt Autor René Martens
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Das Altpapier am 26. November 2020 Haselnuss oder Haseloff?

26. November 2020, 11:29 Uhr

In der im Dezember bevorstehenden Abstimmung zur Rundfunkbeitragserhöhung in Sachsen-Anhalt geht es um mehr als 86 Cent. Die Ufa feiert eine Selbstverpflichtungserklärung in Sachen Diversity. ZDF-Intendant Thomas Bellut lobt zur absoluten Unzeit eine Reportage-Reihe von Arte. Ein Altpapier von René Martens.

Wird Sachsen-Anhalt das nächste Thüringen?

Die Meldung, dass die CDU Sachsen-Anhalt ihren Landesparteitag auf den 30. Januar 2021 verschiebt, um dort dann ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im kommenden Juni aufzustellen, wäre normalerweise ja kein Thema für diese Kolumne. Ein Teil der Überschrift zu den entsprechenden dpa-Meldungen in Springers Welt und Bauers Volksstimme bietet dann aber doch die Möglichkeit, zu einem der derzeit wichtigsten Altpapier-Themen überzuleiten.

"Haseloff-Kür Ende Januar?", texten die Nachrichtenagenturleute, und das Fragezeichen bezieht sich zwar darauf, ob "dieses Datum" angesichts der Imponderabilien der Pandemie "haltbar ist". Aber: Ob der derzeitige Ministerpräsident Reiner Haseloff zum Spitzenkandidaten "gekürt" wird, könnte auch von anderen Dingen abhängen, nämlich von der Abstimmung seiner Fraktion zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags Mitte Dezember. Siehe dazu ausführlich auch zwei in dieser Woche erschienene Altpapiere, das von Montag und das von Dienstag.

Haseloff scheint, erstens, für die Erhöhung zu sein, und ist, zweitens, eindeutig gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD, seine Fraktion will aber mit der AfD gegen die Erhöhung stimmen. Tun Haselofffs Leute das, stünde er in dieser Hinsicht als hausmachtloser Regierungschef da, was nun wirklich keine optimale Voraussetzung wäre, um bei der kommenden Landtagswahl als Spitzenkandidat ins Rennen zu gehen.

Robert Meyer hat für das ND unter der Überschrift "Koalitionsbruch wegen 86 Cent" aktuelle Stimmen unter anderem von Stefan Gebhardt, dem medienpolitischen Sprecher der sachsen-anhaltinischen Linken-Fraktion, und Dorothea Frederking, der medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, eingeholt.

"Diese unheilige Allianz erinnert an den Tabubruch von Thüringen, als mit Hilfe von CDU- und AfD-Stimmen Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt wurde",

sagt Gebhardt. Und die Grüne Frederking:

"Wenn sich die CDU mit der AfD verbündet, dann ist das ein Tabubruch."

Dass ein "Tabubruch" droht, ließe sich übrigens selbst dann nicht sagen, wenn man den Begriff nicht für sinnentleert hielte. Bereits 2017 haben CDU und AfD in Sachsen-Anhalt gemeinsam abgestimmt.

Frederking bemerkt gegenüber Meyer dann noch, dass die CDU selbst gegen "schlüssigste Sachargumente" resistent sei - eine Haltung, die man auch so verstehen könnte, dass es den christdemokratischen "Rebellen" (Martin Machowecz, Die Zeit) eher nicht um die Sache geht, sondern darum, eine strategische Duftmarke zu setzen.

Die Mitteldeutsche Zeitung geht ausführlich auf eine Erklärung des Grünen-Landesvorstandes von Mittwochabend ein:

"Es ist für uns nicht vorstellbar, dass eine Regierungsvorlage im Parlament durch eine der Regierungsfraktionen und in Zusammenarbeit mit der antidemokratischen AfD abgelehnt wird (…) Die CDU Sachsen-Anhalt muss sich entscheiden, ob sie das Bündnis der Stabilität in der politischen Mitte fortsetzen möchte, oder ob sie mit denen, die unsere Demokratie angreifen und verächtlich machen, gemeinsame Sache macht. Nicht weniger steht in den nächsten Wochen auf dem Spiel."

Beim Spiegel haben sie unter anderem ein Zitat von AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner parat: "Wir als AfD sind bereit, der CDU zu helfen, gegen die Erhöhung der Rundfunkgebühr zu stimmen und damit ein Zeichen zu setzen." Das sei ein "vergiftetes Angebot", findet Spiegel-Redakteur Severin Weiland.

Die Frage wäre dann noch, wie man den Zusammenschluss nennen könnte, der bei einer Annahme dieses "vergifteten Angebots" zustande käme: Vielleicht Haselnuss-Bündnis (in Anlehnung an das Volkslied "Schwarzbraun ist die Haselnuss")? So gesehen, ginge es bei der Abstimmung um die Beitragserhöhung auch um die Frage: Haselnuss oder Haseloff?

Die potenzielle Betroffenheit des MDR soll an dieser Stelle natürlich nicht verschwiegen werden. Um es mit dem ND bzw. dem oben schon zitierten medienpolitischen Sprecher der Linken zu sagen:

"Gebhardt warnt: Der MDR gehört schon heute zu den am schlankesten aufgestellten Anstalten. 'Hier würde ein Scheitern des Staatsvertrages richtig ins Kontor schlagen, es würde definitiv zu Entlassungen kommen und selbstverständlich würde auch die Programmvielfalt darunter leiden.'"

Sind Selbstverpflichtungserklärungen "zahnlose Tiger"?

Champagner dürfte es heute geben in den Zoom-Konferenzen der TV-und Filmproduktions-GmbH Ufa, denn zwei ihrer Spitzenkräfte dominieren mit Erläuterungen zu einer unter dem Titel "Diversity Circle" aufgesetzten Selbstverpflichtungserklärung heute die Medienseiten der SZ und der FAZ. Letztere hat zu diesem Thema den CEO interviewt (Nico Hofmann), die SZ einen der Geschäftsführer (Joachim Kosack). Der Unterschied zwischen den beiden Interviews besteht vor allem darin, dass dem FAZ-Interviewer (Michael Hanfeld) die Selbstverpflichtung viel zu weit geht, während sie der SZ-Interviewerin (Claudia Fromme) nicht weit genug geht.

Hanfeld zum Beispiel sagt in dem FAZ-Gespräch (€):

"Gender, LGBTIQ, People of Color und Menschen mit Beeinträchtigungen. Nach diesen vier Gruppen fragen Sie bei jeder Produktion – nach Protagonisten, Figuren, Drehbuch, Handlung, Besetzung vor und hinter der Kamera. Da frage ich mich, welcher Freiraum bleibt da für die Kreativität derjenigen, die sich eine Geschichte ausdenken, die sie inszenieren, wenn sie eine lange Liste von Diversitätskriterien abhaken müssen?"

Nico Hofmann widerspricht (nicht nur an dieser Stelle):

"Das ist nicht unser Ansinnen. Das Ansinnen ist, mit einem anderen Selbstverständnis auf diese Gruppen zu schauen. Dass alle anderen Gruppen, Familien mit Kindern, ältere Menschen und alle anderen, die in unserer Gesellschaft leben, ebenso souverän und selbstverständlich vorkommen, ist doch gar keine Frage. Aber wenn man sich die vergangenen Jahrzehnte anschaut, muss man feststellen, dass die Gruppen, die Sie genannt haben, gar nicht beachtet oder klischeehaft wahrgenommen wurden."

Hofmann sieht auch von ihm produzierte Filme zumindest teilweise kritisch:

"Ich werde (…) auch in meinen eigenen Produktionen klischeehafte Frauenbilder finden, die ich heute so nicht mehr darstellen würde. Es geht ganz stark darum, wovon ein Stoff handelt und in welcher Zeit er spielt. Mir geht es um das Bewusstsein dafür, was wir da machen."

Ob die in Hanfelds eben zitierter Frage verwendete Formulierung "Menschen mit Beeinträchtigungen" (die er aus der Ufa-Verpflichtungserklärung übernommen hat) angemessen ist, steht auf einem anderen Blatt. Folgt man der Argumentation aus Judyta Smykowskis Geschenk-Altpapier zum Thema Inklusion, sollte man sich um den Begriff "Behinderte" nicht herumdrücken.

Claudia Fromme stellt im SZ-Interview mit Kosack unter anderem fest, dass "Selbstverpflichtung ein zahnloser Tiger" sei - und bringt außerdem eine Produktion des kommenden Jahres ins Gespräch, um ihre Kritik zu verdeutlichen:

"Wenn Sie (…) bei 'Gute Zeiten, schlechte Zeiten' die 50 Prozent Frauen vor und hinter der Kamera erreichen, dann kann das Leben von Angela Merkel nur von Männern verfilmt werden? Die Dokumentation von Stefan Aust soll eines Ihrer Leuchtturmprojekte im nächsten Jahr sein. Regie, Drehbuch, Produktion: alles Männer. Jetzt mal ehrlich."

Kosack kontert:

"Ich finde das immer ein bisschen putzig, wenn aus dem Feuilleton kommt: Jetzt müsst ihr aber! Dass wir seit Mitte der Neunziger in den so verpönten täglichen Serien längst viel weiter sind, das wird nie gesagt, das Ganze wird als Unterhaltungsquatsch abgestempelt. Bei der Angela-Merkel-Dokumentation aber sollen wir das jetzt umsetzen, obwohl wir es woanders längst tun?"

Mich würde ja noch interessieren, ob der Maskenfreiheitskämpfer Aust ("Die Maske muss der Maske wegen getragen werden. Als Symbol für Gehorsam den Maßnahmen der Regierung gegenüber") bei den Dreharbeiten die Hygienevorschriften einhält, aber das ist natürlich ein etwas exotisches Anliegen.

Die Querfront der Häme

Mit den Jahresrückblicken fängt’s ja nun auch langsam an. Markus Lanz war gestern dran, und das Altpapier legt in der kommenden Woche los mit dem Revue passieren lassen, also relativ früh für unsere Verhältnisse. Eine Art Jahresrückblick hat auch Vice-Chefredakteur Felix Dachsel für meedia.de verfasst. Es geht unter anderem um "das Ende von Bento" und "das Zurückstutzen von Zett". Der erste Teil des Textes besteht aus Hämekritik:

"Wir junge Medien hatten ein hartes Jahr, einige sind auf der Strecke geblieben (…) Ich schreibe diesen Text, weil ich mich über die Schadenfreude wundere, mit der einige Kollegen unsere Turbulenzen kommentieren. Ich wundere mich, weil ich nicht verstehe, woher dieses Selbstvertrauen kommt. Als sei (sic!) nicht überall Krise, Kurzarbeit, Anzeigenschwund (…) Man könnte eine gesamte Galerie des Gruselns ausstatten mit hämischen Tweets, die das Ende von Bento bejubelten. Es jubelten nicht irgendwelche Trolle, sondern Kollegen. Auch solche, die sich selbst wahrscheinlich als "namhaft" bezeichnen würden. Diese Schadenfreude hat, das könnte diese Galerie zeigen, eine gewisse Tradition. Von Jan Böhmermann, der einst aus öffentlich-rechtlicher Halbdistanz sein Gift über das junge Spiegel-Portal kippte, bis zu Don Alphonso, dem neurechten Fahrrad-Hooligan, der sich mit dem Gedanken aus seiner Fahrradgarage wagte, Bento richtete sich doch nur an 'Provinzstudierende eines beruflich komplett sinnlosen Faches'. Böhmermann, Don Alphonso: die Querfront der Häme."

Da hat Dachsel natürlich einen Punkt, zumal in Sachen politischer Haltung Bento von Böhmermann ja gar nicht weit entfernt war. Außerdem schreibt der Vice-Chef:

"Auch wenn das Klischee reizvoll ist und intellektuell entlasten mag (die berichten nur über Minderheiten, sind süchtig nach Gendersternchen, haben lustige Überschriften, machen Clickbait), es lohnt ein zweiter und dritter Blick: Warum gibt es junge Medien? Warum sollte es sie auch weiterhin geben?"

Auf einen Spoiler verzichten wir jetzt. Diese zwar nicht in jeder, zum Beispiel ganz gewiss nicht in autoren-altersdurchschnittlicher, aber in manch anderer Hinsicht dann doch junge Kolumne wird die Fragen im Blick behalten.


Altpapierkorb (der lange Arm des Pressefreiheitsfeindes Orban, ein Lob für die Arte-Reihe "Re:" zur absoluten Unzeit, die ersten "Aspekte"-Sendungen mit geändertem Konzept)

+++ Für die SZ blicken Matthias Kolb und Cathrin Kahlweit besorgt auf die Medienpolitik Viktor Orbáns jenseits der ungarischen Grenzen: "Mindestens seit 2018 kaufen Mittelsmänner der Regierungspartei Fidesz die Medienunternehmen befreundeter Partner auf oder schicken Kapitalspritzen und Know-how. Beispiel Slowenien: Geschäftsleute aus dem Umkreis des Orbán-Beraters und Spindoktors Árpád Habony haben in den Fernsehsender Nova24TV, die Wochenzeitung Demokracija und das Boulevard-Portal Ripost.news investiert." In einem Kommentar zu dem Thema schreibt Kahlweit, Slowenien sei eine "leichte Beute". Denn: "Der Ministerpräsident, Rechtspopulist und Orbán-Freund Janez Janša, ist seit März zum dritten Mal an der Macht." Orbán komme "mit dieser Strategie seinem Traum von einem neuen Großungarn näher."

+++ In einem Interview mit medienpolitik.net lobt ZDF-Intendant Thomas Bellut das werktägliche Arte-Reportageformat "Re:", zu dem das ZDF Filme beisteuert: "In den jährlich fast 200 Filmen geht es um Europa in seiner Vielfalt, um seine Bewohnerinnen und Bewohner und deren Lebensumstände. Geschichten, die auf Augenhöhe erzählt sind, erklärend, ohne zu belehren." Abgesehen davon, dass bei "Re:" viel zu oft gute Themen durch das Strickmuster ruiniert werden, kommt Belluts Bemerkung zur Unzeit, weil in der vergangenen Woche unter dem Titel "Militant und rechtsextrem. Der III. Weg und die Neonazi-Szene" der schlechteste Film lief, der in dieser Reihe bisher zu sehen war. Produziert hat ihn das ZDF. Es handelt sich trotz der einen oder anderen "kritischen" Bemerkung de facto um ein "Werbefilmchen" für die Nazi-Partei, wie bei Twitter der freie Journalist Johannes Grunert (der mich erst auf diesen Film aufmerksam gemacht hat) feststellt. Dass das Format "Re:" überhaupt nicht geeignet ist für eine Reportage über eine Nazi-Partei, hätte beim ZDF und Arte eigentlich jeder, der mit dieser Reihe zu tun hat, wissen können. Möglicherweise schämt man sich bei Arte mittlerweile für diesen imageschadensbringenden, allerbestenfalls naiven Film, jedenfalls ist "Militant und rechtsextrem" in der Videoübersicht auf der "Re:"-Website - wo der Film eigentlich zwischen "Retter in der Klimanot? Wenn Stroh zum Baustoff wird" und "Gekaufte Bräute: Bulgariens Roma-Heiratsmarkt" platziert sein müsste - derzeit nicht zu entdecken. Über das Suchfenster in der Arte-Mediathek ist er aber auffindbar, und die ZDF-Mediathek hält den Film auch parat.

+++ Und die Medienkorrespondenz geht in einem längeren Beitrag darauf ein, wie sich die ZDF-Sendung "Aspekte" entwickelt hat, seitdem sie offiziell als "Kulturreportage"-Format firmiert und - eine weitere Veränderung - noch später läuft als bisher. "Mitternachtsreportagen" lautet die ironische Überschrift.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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