Das Altpapier am 6. November 2020 In der Fankurve
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06. November 2020, 15:00 Uhr
Es ist all das eingetreten, was erwartet worden war. Der amerikanische Präsident zweifelt die Rechtmäßigkeit der Wahlen an. Der Journalismus gerät an seine Grenzen. Ein Lichtblick scheint ausgerechnet Fox News zu sein. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Bernies Prognose
Was in den Tagen nach der US-Wahl passieren könnte, hat der Trump-Biograf David Cay Johnston schon vor vier Jahren dem Spiegel erzählt. Er sagte:
"Trump wird seine Niederlage nicht akzeptieren und wegreden. Er wird auf immer und ewig behaupten, dass die Wahl getürkt sei (…)"
Bernie Sanders hat am 23. Oktober in einem Interview mit Jimmy Fallon recht detailliert prognostiziert, was wir nun erleben:
"Es könnte gut sein – ich weiß nicht, was passiert, niemand weiß es –, aber es könnte gut sein, dass Trump um 10 Uhr am Wahltag in Michigan gewinnt, in Pennsylvania, in Wisconsin. Dann geht es ins Fernsehen und sagt: 'Vielen Dank Amerika, ihr habt mich wiedergewählt. Es ist vorbei. Habt einen schönen Tag.' Aber am nächsten Tag und an dem, der danach kommt, werden die Briefwahlscheine gezählt, und es stellt sich heraus, dass Biden in diesen Staaten gewonnen hat. Und an diesen Punkt sagt Trump: 'Seht, ich habe euch gesagt, dass die ganze Sache betrügerisch war. Ich habe euch gesagt, das mit den Briefwahlscheinen lief auf eine krumme Tour. Wir werden das Weiße Haus nicht verlassen.‘"
Das ist nun weiter die Situation am Freitagmorgen mitteleuropäischer Zeit. Twitter hat von den letzten sechs Tweets des amerikanischen Präsidenten fünf hinter dem Hinweis verborgen, dass einige der Inhalte "umstritten oder möglicherweise irreführend sind". In dem einen Tweet, den Twitter als unproblematisch einstufte, steht: "Pressekonferenz um 6.30 Uhr." Bei dieser Gelegenheit wiederholte Trump, was er schon vorher gesagt hatte, was aber eben falsch ist, und das wiederum führt zu einer Situation, die es in der Vergangenheit nur sehr selten gab. Aber dazu später.
Die Auflösung der Wahrheit
Donald Trump hat seine Argumentation seit Monaten vorbereitet. Immer wieder hat er die Integrität des Briefwahlsystems in Zweifel gezogen – offenkundig, um das Ergebnis im Falle einer drohenden Niederlage in Frage stellen zu können, was nun passiert. Doch das alles fügt sich in einen großen Plan, den Wolfang Blau vor einigen Tagen bei den Münchener Medientagen skizziert hat. Er sagte (ab 7.30 min):
"Es ist (…) ein journalistisches Missverständnis, zu glauben, Populisten wie Trump oder auch Johnson ginge es nur darum, Wahres oder auch Belegbares als unwahr und nicht belegbar zu verdrehen. Es geht ihnen um sehr viel mehr, und zwar darum, die Bedeutung, den gesellschaftlichen Wert von Wahrheit an sich aufzulösen. Nun fragen Sie sich wahrscheinlich: Weshalb könnte irgendjemand so etwas wollen? Wozu? Die Journalistin Nina Schick, die gerade in London ein viel beachtetes Buch über künstliche Intelligenz und Fake News veröffentlicht hat, sagt dazu: Wenn die Wahrheit und die Suche nach Wahrheit nicht mehr länger von Bedeutung sind, dann ist das Einzige, was noch zählt, die rohe Macht, das Recht des Stärkeren."
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wird das aktuelle Geschehen noch etwas verständlicher, wobei man sich lieber nicht ausmalen möchte, welche Konsequenz es letztlich hätte. Aber man muss damit rechnen, dass es zu dieser Konsequenz kommen könnte, sie wäre: Ein großer Teil der Bevölkerung würde– so unwahrscheinlich erscheint das gar nicht mehr – einen rechtmäßigen Wahlsieg nicht anerkennen. Wie ginge es dann weiter? Und vor allem: Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Das Fankurven-Paradoxon
Meike Laaf stellt in einem Beitrag für Zeit Online die Frage, ob es Facebook und Twitter gelungen ist, während und nach der Wahl gegen Falschinformationen vorzugehen. Twitter hat wie erwähnt falsche und irreführende Tweets gekennzeichnet. Meike Laaf trägt in ihrem Beitrag zusammen, welche Falschinformationen im Umlauf waren. Es ist eine lange Liste, die einzelnen Meldungen lassen sich schnell widerlegen, aber dasändert nichts an der Wirkung.
"'Das kontinuierliche Eintröpfeln von Posts, die sich auf relativ wenige Vorfälle bei der Wahl beziehen, wird verstärkt und verbreitet, als würden sie sehr viel größere Probleme signalisieren'", sagte Claire Wardle, eine der Mitgründerinnen der Fact-Checking-Seite First Draft am Wahltag gegenüber BuzzFeed News. So werde ein Narrativ geschaffen, laut dem der Wahlprozess fehlerhaft sei."
Aber kann man gegen dieses Narrativ irgendetwas ausrichten, indem man die Fakten richtigstellt? Oder anders gefragt: Kann man die Dortmunder Südtribüne in der 92. Spielminute im Champions-League-Finale mit einem Videobeweis davon überzeugen, dass der nun anstehende Elfmeter durch eine Schwalbe von Erling Haaland zustande kam?
Wahrscheinlich nicht. Und in einer ähnlichen Situation stecken nun die Medien. Der Journalismus erledigt seine Kernaufgabe, er stellt Informationen bereit und er stellt falsche Informationen richtig. Wie wirksam das ist, hängt aber allein von der Akzeptanz ab, die das übergeordnete System genießt, beziehungsweise die Medien selbst.
Um beim Fußballbeispiel zu bleiben: Die Reaktion der Fans ist für den Spielausgang letztlich nicht entscheidend. Es sei denn, der Verein hetzt diese Menschen auf, und sie stürmen das Stadium. Ob Medien und diesem Fall auch die Plattformen mit ihrer Arbeit etwas ausrichten können, hängt auch von davon ab, ob die Regelnüber Sieg und Niederlage entscheiden – oder in allerletzter Konsequenz einfach die Macht.
Wolfgang Blau erzählt in seinem Vortrag bei den Münchener Medientagen von seinem Engagement in England vor der Brexit-Abstimmung – und von seiner Ernüchterung.
"Mit diesem fast alleinigen Vertrauen in die Kraft von Zahlen, Daten und Richtigstellungen und gleichzeitigem Desinteresse an Psychologie, Motivationsforschung und Hirnforschung haben die Remainer dann nicht nur das Referendum verloren, sondern inzwischen auch vier Jahre später es nicht geschafft, den wohl mehr oder minder harten Brexit zu verhindern."
Ein psychologisches Phänomen, das in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, nennt sich "Belief Perseverance", auf deutsch: Beharrlichkeit des Glaubens. Menschen neigen dazu, an ihren Überzeugungen festzuhalten, auch wenn die Fakten ihnen widersprechen. Das kann die Überzeugungen sogar verstärken (Backfire-Effekt). Und was Menschen zuerst hören, hat für sie ein größeres Gewicht. Damit sind Gerüchte und sich schnell verbreitende falsche Informationen immer im Vorteil. Die Konsequenz für die Berichterstattung muss sein: Es reicht nicht aus, die Unwahrheiten später richtigzustellen. Es ist elementar, ihre Verbreitung zu verhindern.
Der Stecker als letztes Mittel
Über Fehler, die dabei gemacht werden, ging es im Altpapier gestern. Heute sehen wir die nächste Eskalationsstufe. Die TV-Sender ABC, CBS und NBC haben eine TV-Übertragung abgebrochen, in der Donald Trump sich erneut als Betrugsopfer dargestellt hat, wie unter anderem die Welt berichtet. Hier ist die Szene bei MSNBC zu sehen. Es hat recht lange gedauert, bis es zu so einem Schritt kam. Im April hat MSNBC bereits die Übertragung eines Corona-Briefings gekappt. Aber es war bislang eine seltene Ausnahme. Und das macht deutlich, in welchem Stadium wir uns befinden. Viel mehr geht nicht.
Natürlich ändert auch diese Entscheidung nichts daran, dass die Informationen sich verbreiten. Bei Twitter etwa ist ein Ausschnitt aus der abgebrochenen Übertragung auf Donald Trumps Twitter-Account hinter einem Warnhinweis zu finden. Dieser Hinweis ist möglicherweise als Information für die meisten Menschen nutzlos. Biden-Anhänger haben das Vertrauen in Trump als Informationsquelle ohnehin verloren. Trump-Anhänger sehen in der Information nur die Bestätigung ihrer Vermutung, dass auch die Plattformen parteiisch seien. Aber dennoch ist der Hinweis wichtig, denn er setzt weiterhin eine Marke und macht deutlich, dass es hier nicht nur um unterschiedliche Perspektiven geht, sondern um die Fortexistenz von nachprüfbaren Fakten als Maßstab.
In der Theorie wäre eine Instanz wichtig, der beide Seiten vertrauen. Und interessanterweise hat ausgerechnet Trumps Haussender Fox News zuletzt Boden gutgemacht. "Fox News hat sich in der Wahlnacht zum Helden der amerikanischen Medienlandschaft aufgeschwungen", schreibt Nina Rehfeld auf der FAZ-Medienseite. Der Sender schlug Arizona deutlich früher Joe Biden zu, als die New York Times und die Washington Post das taten, und wies auch Trumps Behauptungen zurück, er habe die Wahl "ehrlich gesagt gewonnen". Dazu muss man sagen: Diese Äußerung stammt nicht von den notorischen Trump-Vasallen im Moderations-Team, sondern von Chris Wallace, der einer der wenigen Leitfiguren beim Sender ist, die tatsächlich journalistisch arbeiten. Aber die Wirkung in dieser Situation ist dennoch nicht zu unterschätzen, denn wenn das Ergebnis am Ende feststeht und Donald Trump tatsächlich verlieren sollte, wird von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob die Menschen dem Journalismus glauben oder Präsidenten – und ob ein friedlicher Machtwechsel, falls es denn so kommen sollte, gelingt.
Der Altpapier Geburtstag
Und nun noch der Hinweis auf den Höhepunkt unserer Altpapier-Geburtstagsreihe. Heute mit gleich drei Beiträgen:
Die Fernsehkritikerin und ehemalige taz-Chefredakteurin Klaudia Wick gratuliert mit einem sehr schönen Beitrag. Der "Die Welt"-Korrespondent Deniz Yücel hat uns einen lieben und auch sehr lustigen Glückwunsch geschrieben. Und meine lieben Kollegen Jenni Zylka und Christian Bartels haben in einem Podcast in gewohnter Altpapier-Länge mit unserem MDR-Kollegen Steffen Grimberg und Welt-Medienredakteur Christian Meier über die Altpapier-Geschichte, kleine Anekdoten und über die Medienkritik gesprochen.
Zum Abschluss noch einmal ganz herzlichen Dank an alle Gratulanten und an alle, die sich mit Altpapier-Sonderausgaben an unserem Festwochen beteiligt haben.
Altpapierkorb (New York Times, Annette Milz, Berliner Zeitung, ORF)
+++ Die New York Times meldet erstmals mehr als sieben Millionen Abonnenten, berichtet unter anderem Horizont. Seit September verdient die Zeitung mehr im Digitalen als mit dem Print-Geschäft.
+++ Annette Milz gibt nach bemerkenswerten 30 Jahren an der Spitze des Medium-Magazins die Chefredaktion ab. Das gab sie am Donnerstag bekannt. Und ein Hinweis in eigener Sache: In der Titelgeschichte des aktuellen Medium-Magazins geht es um das Journalismus-Projekt RUMS in Münster, an dem ich beteiligt bin.
+++ In Österreich muss der ORF-Generaldirektor vor dem Ibiza-Ausschuss aussagen, berichtet Ralf Leonhard für die taz. Chat-Protokolle geben Hinweise darauf, dass Posten auch auf den Wunsch der Politik hin besetzt worden sein könnten.
+++ Hanna Kluth berichtet für die Zeit (€) über eine andere Form der Einflussnahme. Holger Friedrich, Eigentümer der Berliner Zeitung, mischt sich offenbar zwischendurch immer mal wieder mit Vorschlägen und Urteilen in die Arbeit seiner Redaktion ein. Hanna Kluth: "Das Modell von Chefredakteuren und Ressortleitern passe 'nur bedingt zu unserer Zielsetzung einer ergebnisorientierten Redaktion', heißt es auf der Website. Bei der Berliner Zeitung führt es dazu, dass keine Instanz mehr zwischen dem Verlegerpaar und den Redakteuren steht. 'Es gibt keinen Puffer', sagt ein Redakteur. Was die Friedrichs denken und fühlen, lande oft direkt bei einzelnen Redakteuren. Bei größeren Fragen oder Problemen, Dingen, die man grundsätzlich mit einer Chefredaktion ausmache, müsse man 'zum Friedrich rennen', sagt eine Redakteurin. 'Da spürt man ein enormes Machtgefälle.'“
+++ Burkhard Schäfers berichtet über das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres über ein Trainee-Programm des bayerischen Rundfunks, mit dem der Sender sich um mehr Diversität in der Journalisten-Ausbildung bemühen möchte.
Ein schönes Wochenende. Neues Altpapier gibt es am Montag.
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