Das Altpapier am 22. September 2020 Die Preise sind heiß
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22. September 2020, 12:45 Uhr
Tesla-Chef Elon Musk räumt in wenigen Tagen gleich zwei deutsche Medienpreise ab. Einen von Axel Springer, einen für die vielen Kameras in seinen Elektroautos. In beinahe letzter Minute wurde Tiktok gerettet. Wer hat denn nun gewonnen: US-Präsident Trump oder Chinas Diktatoren? Und wo ist die u.a. in Deutschland und Belarus erfolgreiche App Telegram eigentlich zuhause? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
- Hurra, der Deutsche Comedy-Preis. Hurra, ein Axel Springer Award!
- Mit der DSGVO Tesla-Elektroaustos stilllegen?
- Die aktuellen Tiktok-Narrative
- Das Erfolgsrezept von Telegram
- Altpapierkorb (Assange-Prozess, Wahlempfehlung, Maria Schraders "autarke Doppelkarriere", Palantir & Habermas, Ethos auf Lesbos, Italiens neue Tageszeitung)
Hurra, der Deutsche Comedy-Preis. Hurra, ein Axel Springer Award!
Wunderbar vielfältig ist die deutsche Landschaft der Medienpreise, also der von und/oder an Medien bzw. Medienmenschen vergebenen Preise. Derart viele Medienpreise, Preiskategorien und -träger gibt es, dass einerseits "die Richtigen ... so oft, dass es praktisch egal ist", ausgezeichnet werden können, und überdies noch jede Menge weitere, also weniger richtige, weil sie zu den Firmen, denen die Preisveranstaltungen gehören, oder zu deren Kunden gehören.
Das ungefähr wirft Stefan Stuckmann bei uebermedien.de dem renommierten Deutschen Comedypreis ("Anke Engelke und Bastian Pastewka haben zusammen insgesamt 25 mal gewonnen und waren 43 mal nominiert") vor, der anders als sein Name suggeriert der inzwischen in einer französischen Fernsehfirma aufgegangenen, aber historisch (nach unten scrollen/ wischen...) verdienstvollen Kölner Brainpool AG gehört.
Die Internetadresse deutscher-comedypreis.de verwandelt sich gerade übrigens in voting.deutscher-comedypreis.de, weil über man über kommende preisträger mit- äh...voten kann. "Der Deutsche Comedypreis ist ein schlechter Witz", lautet die Überschrift auf uebermedien.de. Solange es bloß ein schlechter Witz ist und nicht dutzende, manchmal auch mittelmäßige, die durch frenetischen Applaus des angeheiterten Studiopublikums in die Länge gezogen werden, bleibt es doch im Rahmen, ließe sich friedfertig einwenden.
Andererseits kann die Meinungsvielfalt, die es in vielen Bubbles sogenannter sozialer, aber aber auch klassischer Medien zusehends schwer hat, sich immerhin in Preisen spiegeln. So hat zum Einen gerade Axel Springer, der dynamische, knapp zur Hälfte von New Yorker Finanzinvestoren besessene Medienkonzern aus Berlin, den neuesten Träger seines allerpompösesten Preises bekanntgegeben. Der nächste Axel Springer Award geht an, tataa:
"one of the most creative entrepreneurs and most brilliant engineers of the digital age",
wie Springer-Chef Mathias Döpfner in der online nur auf englisch, nein doch auch auf deutsch (danke für den Hinweis) verfügbaren Pressemitteilung hudelt: an den Chef des Elektroauto-Herstellers Tesla, Elon Musk. (Klicken Sie auf axel-springer-award.com. Das psychodelische Farb-Schauspiel, das Springer da angerichtet hat, bereitet Freude!) Bisschen nüchterner ließe sich sagen: So viel Unheil wie seine Vorgänger Jeff Bezos und Mark Zuckerberg, die Springer Award-Preisträger waren 2018 bzw. 2016, hat Musk bisher noch nicht angerichtet und wird es womöglich auch nicht mehr tun (wenn nicht aus eigenem Altruismus, dann deshalb, weil Bezos und Zuckerberg ja weiter an der globalen und darüber hinausgehenden Durchsetzung des datengetriebenen Plattformkapitalismus arbeiten...). Zum Anderen allerdings hat Musks bekannteste Firma Tesla gerade erst einen deutschen Preis abgeräumt. Einen Negativpreis.
Mit der DSGVO Tesla-Elektroaustos stilllegen?
"Oscars für Datenkraken" habe die französische Le Monde die deutschen Big Brother Awards genannt, schreibt Digitalcourage e.V. auf der Übersichtsseite zur 20. Ausgabe seiner Negativpreise. Die Jüngsten wurden am vorigen Freitag in Bielefeld vergeben (Video, Digitalistan-Bericht). In der fluiden Kategorie "Mobiltät" ging der Preis also an Tesla. Es lohnt sich, die ausführliche Lauda- (oder eher Damna-?)tio zu lesen, die vor allem auf "die Rechte, die sich die Firma von Elon Musk in den AGB einräumen lässt", abhebt.
Wie oft im Internet, können da Anwender bzw. Kunden den Bedingungen zwar theoretisch widersprechen. Doch das könne den AGB zufolge zu "einer lediglich eingeschränkten Funktionalität, ernsthaften Schäden oder Funktionsunfähigkeit" am Fahrzeug führen, dürfte praktisch also kaum je getan werden. Und Teslas Elektroautos enthalten außer Batterien (künftig womöglich noch tolleren, denn just am heutigen Dienstag ist, allerdings erst ab 22.30 Uhr MEZ, "Tesla Battery Day") auch Kameras, die sowohl ins Innere des Autos wie auch nach außen filmen, lautet einer der Digitalcourage-Kritikpunkte:
"Ein absolutes No-Go nach europäischem Datenschutzrecht ist auch die Dauererfassung der Autoumgebung, also des öffentlichen Raums. Wenn Menschen gefilmt und aufgezeichnet werden, die nur an einem Auto vorbei gehen, ohne dass sie sich konkret verdächtig machen, ist dies klassische illegale Vorratsdatenspeicherung. Im öffentlichen Raum rund um einen Tesla werden wir erfasst, verfolgt, gefilmt, und möglicherweise identifiziert, je nachdem, welche Technik im Auto gerade aktiv ist. Wir wissen nicht, was davon das Auto gerade tut. Ebenso ist die für die Betroffenen nicht erkennbare Video-Erfassung des Innenraums, die in bestimmten Modellen möglich ist, unzulässig. Für uns ist offensichtlich: Die Tesla-Autos sind schlicht und einfach unzulässig. ..."
Gespeichert werden die Daten, auch wenn Tesla sich da nicht festlegt, sondern einfach Blanko-Zustimmung erteilen lässt, natürlich in den USA. Was zur geopolitischen Frage führt, was denn nun aus Tiktok, der bislang noch einzigen nicht-amerikanischen Milliarden-App wird.
Die aktuellen Tiktok-Narrative
Es gab eine hollywoodfilmreife Last-Minute-Rettung: In der Nacht zum Montag "konnte eine Sperre der App in den US-amerikanischen App-Stores von Apple und Google im letzten Moment abgewendet werden", fasst Chris Köver bei netzpolitik.org zusammen.
Der kalifornische Software-Konzern Oracle und die Supermarkt-Kette Walmart sind die glücklichen Gewinner zumindest der US-amerikanischen Tiktok-Geschäfte. Ein noch ausführlicherer deutschsprachiger Artikel bei futurezone.at zitiert den Initiator dieses Deals, den US-amerikanischen Präsidenten Trump, mit der bei Fox News getätigten Aussage "Sie werden die totale Kontrolle darüber haben, sie werden die Mehrheitsbeteiligung besitzen", und ordnet das dann Trumps brachial unverblümter Machterhaltungspolitik zu:
"TikTok hatte bereits einen Cloud-Deal mit einem anderen US-Unternehmen - Amazons IT-Tochter AWS. Trump ist häufiger mit Attacken gegen den Gründer und Chef des Online-Händlers, Jeff Bezos, aufgefallen. Bezos gehört privat die Zeitung 'Washington Post', in der Trump oft kritisiert wird. Oracle-Gründer Ellison ist dagegen einer der prominentesten Unterstützer Trumps im Silicon Valley. Walmart wiederum ist ein Amazon-Konkurrent."
Andererseits allerdings gibt es Verlautbarungen der chinesischen Tiktok-Eigentümers Bytedance, demzufolge das nun geplante Geschäft "keinen Transfer irgendwelcher Algorithmen und Technologien" vorsehe. Und wem wieviele Anteile an der neuen, "wahrscheinlich in Texas" (Trump laut futurezone.at) zu gründenden Firma namens "Tiktok Global" beteiligt sein werden, ist noch unklar:
"Oracle und Walmart sollen Minderheitsaktionäre werden und künftig einen Anteil von 20 Prozent halten. Inklusive amerikanischer Investoren, die heute schon an Tiktoks chinesischem Mutterkonzern Bytedance beteiligt sind, soll die App aber künftig zu etwas mehr als 50 Prozent in amerikanischer Hand sein",
So fassten die in New York bzw. Shanghai postierten Korrespondenten der FAZ in einem ersten Artikel zusammen. Es "kommen aus Amerika und aus China ... unterschiedliche Angaben darüber, wer Tiktok künftig kontrollieren wird", heißt es in einem Artikel desselben Autorengespanns in der heutigen gedruckten Ausgabe ("Verwirrung um Tiktok"). Die Süddeutsche lehnte sich in Gestalt ihres China-Wirtschafts-Korrespondenten Christoph Giesen weiter aus dem Fenster und bilanzierte bereits einen "Erfolg für Peking" (wobei man womöglich berücksichtigen muss, dass große deutsche Medien ähnlich oft, wie Trump Trump-Erfolge ausruft, Trump-Misserfolge sehen, und damit auch nicht immer recht hatten ...) .
Jedenfalls prallen Narrative aufeinander: Sowohl Chinas Diktatoren als auch Trump erklären sich, wie jeweils immer, zu Siegern und können vorläufig sicher gut damit leben, dass die andere Seite dasselbe genau andersrum auslegt, weil die andere Seite in der Wahrnehmung ihrer Zielgruppen sowieso nicht eigenständig vorkommt.
Interessant aus deutscher Sicht wäre, wohin denn künftig die Daten europäischer Tiktok-Nutzer fließen und gespeichert werden: bei Tiktok Global in Texas oder bei Bytedance in Peking? Vielleicht können sie auch in eine Kompromisslösung einfließen und einfach an beiden Stellen gespeichert werden. Datenmengen zu vervielfachen, kostet schließlich weder Zeit noch Geld.
Das Erfolgsrezept von Telegram
Wenn eben von Tiktok als bislang noch einziger nicht-amerikanischer Milliarden-App die Rede war, stimmt das nicht uneingeschränkt. Es gibt ja noch Telegram, das global sehr, sehr unterschiedlich betrachtet – und also genutzt wird. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen fasst Sebastian Leber im Tagesspiegel so zusammen:
"Das von Bund und Ländern eingerichtete Kompetenzzentrum jugendschutz.net sieht Telegram inzwischen ... als 'zentrale Ausweichplattform für rechtsextreme Propaganda'. International hat Telegram einen ganz anderen Ruf. Vor sieben Jahren gegründet, zählt die App inzwischen zu den zehn meistgenutzten der Welt – und auch auch zu den zehn mit den aktuell meisten Downloads. In vielen autoritär geführten Ländern ist Telegram ein wichtiges Instrument der demokratischen Opposition: In Belarus etwa organisieren sich die Gegner von Präsident Lukaschenko über die App."
So unterschiedlich die jeweiligen Nutzer und ihre Ansichten sein dürften, die Mechanismen lassen sich vergleichen: Wer anderswo deplatformt wird, geht gern zu Telegram. In Deutschland kommt dem Netzwerk zugute, dass es gesetzlich, also netzwerkdurchsetzungsgesetzlich, gar nicht als Plattform gilt:
"Telegram fällt nicht unter das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, laut dem rechtswidrige Inhalte vom Seitenbetreiber innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde gelöscht oder gesperrt werden müssen. Das Gesetz gilt nur für soziale Netzwerke, nicht für Messengerdienste. Hetzer, deren rassistische Posts auf Facebook, Youtube und Twitter gelöscht wurden, wechselten zu Telegram und zogen Gleichgesinnte nach sich."
Offenbar genau solche Bewegungen sorgen für einen Pluralismus der Plattformen – und dafür, dass trotz aller Dominanz der Google- und Facebook-Angebote weitere Anbieter groß werden können. Ist das eher gut, weil: Vielfalt, oder eher schlecht, weil: "Verschwörungsschleuder" (jugendschutz.net/pdf), oder gibt es sinnvolle Ansätze, das für Deutschland und Belarus jeweils völlig anders zu betrachten? Offene Frage.
Und weil Trump diese Frage Tiktok-halber auf die Tagesordnung setzte: Wo ist dieses Telegram ansässig? Dazu der Tsp.:
"Ein Geheimnis macht das Unternehmen um seinen Standort. Die 'New York Times' behauptete einmal, Telegram sitze in Berlin, dabei bezog sich die Zeitung auf eine falsche Fährte, die der Dienst selbst gelegt hatte. Mittlerweile heißt es, die wichtigsten Köpfe hinter Telegram hätten sich in Dubai niedergelassen, aber auch dies bleibt ein Gerücht. Die Finanzierung ist ebenfalls unklar, die Nutzung kostenlos, Werbung gibt es keine."
Tatsächlich sprechen die offiziellen Telegram-FAQ von
"... based in Dubai. Most of the developers behind Telegram originally come from St. Petersburg, the city famous for its unprecedented number of highly skilled engineers. The Telegram team had to leave Russia due to local IT regulations and has tried a number of locations as its base, including Berlin, London and Singapore. We’re currently happy with Dubai, although are ready to relocate again if local regulations change."
Die Fähigkeit, den Ort zu wechseln, ist originär digital und in Zeiten wie diesen sicher sinnvoll. Ein Grund, Antworten in offiziellen FAQs zu vertrauen, ist das natürlich nicht. Z.B. der ebd. weiter unten, zur Frage "Why not just make all chats 'secret'?" aufgestellten Behauptung von der "most secure solution currently possible for a massively popular messaging application". Dazu schreibt Sebastian Leber:
"In dieser Woche wurde bekannt, dass das iranische Regime jahrelang die Telegram-Kommunikation von Oppositionellen überwachte. Deutsche Ermittler können seit mindestens fünf Jahren in Chats von Verdächtigen mitlesen, taten dies auch bei Anis Amri. Allerdings ohne einzuschreiten."
Angaben aller Seiten zu misstrauen, vielleicht nicht im gleichen Ausmaß, aber grundsätzlich, bleibt einstweilen das Sicherste.
Altpapierkorb (Assange-Prozess, Wahlempfehlung, Maria Schraders "autarke Doppelkarriere", Palantir & Habermas, Ethos auf Lesbos, Italiens neue Tageszeitung)
+++ "Der Ablauf der Anhörungen verläuft absurd und ist einer Demokratie unwürdig. Fast könnte man glauben, dass die Corona-Pandemie tatsächlich dafür instrumentalisiert wird, um Freiheitsrechte einzuschränken", schreibt die Berliner Zeitung zum britschen Prozess gegen den seit Jahren unwürdig eingekerkerten Julian Assange. "Und trotzdem: Die meisten deutschen Medien berichten über den Gerichtsprozess und seine Absurditäten nur verhalten oder mit angezogener Handbremse."
+++ Nicht für Joe Biden, aber gegen Donald Trump zu stimmen, empfiehlt die Zeitschrift Scientific American ihren Leser. Dazu interviewt die SZ Chefredakteurin Laura Helmuth.
+++ Um die Emmys, die echten amerikanischen, ging es gestern an dieser Stelle. Die "zumal in der deutschen Filmlandschaft" "ungewöhnlich autarke Doppelkarriere" der preisgekrönten Regisseurin Maria Schrader würdigt heute Claudia Tieschky auf der SZ-Meinungsseite. +++ Die neue Serie nicht von, aber mit Schrader, "Deutschland '89", bespricht der Tagesspiegel.
+++ Der Chef der gerade an die Börse gehenden umstrittenen Firma Palantir, Alex Karp, "hat an der Frankfurter Goethe-Universität unter Jürgen Habermas studiert und hier auch seinen Doktortitel gemacht". Daran erinnert dieser Artikel im FAZ-Wirtschaftsressort (55 Cent bei Blendle).
+++ Dem Medien-Ethos derzeit auf Lesbos widmet sich Deutschlandfunks "@mediasres".
+++ Und der ziemlichen Sensation, dass in Italien eine neue Tageszeitung gegründet wurde, widmet sich nun auch die taz.
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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