Das Altpapier am 16. September 2020 Tausende Herzchen
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16. September 2020, 10:35 Uhr
Lobbyschlachten sind kein Ponyhof, und der alte Zeitungsverleger-Präsident Mathias Döpfner ist auch der neue (trotz "Aktivismus in Form von Boulevard-Agitation"). Am anderen Ende der Welt sollen Google und Facebook gezwungen werden, ihre Algorithmen offenzulegen. In der Redaktion einer deutschen Qualitätszeitung steht der "umfangreichste Stellenabbau" ihrer Geschichte bevor. Und: Spiegeln Likes und Retweets den Bedeutungsverlust der Medien? Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
- BDZV-Wahl mit (kleiner) Überraschung
- Solingen, Aktivismus, Mehrwertsteuer (Döpfners Rede)
- Aufschlussreiches Experiment in Australien
- Hohe Zahlen von der SZ (Digi-Abos, Stellenstreichungen ...)
- "Irre Spiegelung des Bedeutungsverlusts der Medien"
- Altpapierkorb (Prominenten-Namensnennung, Netzneutralität, Minsks "Silicon Valley", Deutschlandfunk, #Somuncu, BR-Intendanz)
BDZV-Wahl mit (kleiner) Überraschung
Feuchte Augen zeugen von Emotionalität oder sogar Authentizität. Wer feuchte Augen hat, hat oft recht, zumindest: gefühlt. Wer am Montag feuchte Augen gehabt soll: Springer-Chef Mathias Döpfner.
Zumindest hat Ulrike Simon sich das von Beobachtern, die der Stimmenauszählung zur Wahl des Zeitungsverlegerverbands-Präsidenten beiwohnten, sagen lassen. Der bisherige Präsident wurde wiedergewählt, das war keine große Überraschung, bloß, dass er einstimmig gewählt wurde. Simon schreibt bei horizont.net (nicht €, aber @) von einem "nordkoreanisch anmutenden Wahlergebnis". Altpapier-Leser wissen natürlich, dass sie da eines der spektakulärsten Verlegerverbandspräsident-Döpfner-Zitate (aus dem Jahre 2017) remixt.
Dabei habe es im Verband am Präsidenten, dessen Konzern ja auch keineswegs viele Zeitungen mehr herausgibt, durchaus Kritik gegeben:
"Es gibt Verleger, die sagen, Mathias Döpfner sei kein guter BDZV-Präsident. Ihren Namen nennen sie nicht, aber sie finden, als Springer-Chef könne er sich nicht in jene versetzen, die ihr Geschäft im Regionalen machen. Andere kritisieren, Döpfner schade mit Bild dem Ansehen der gesamten Branche."
Der Kongress des Zeitungsverlegerverbands BDZV, nicht zu verwechseln mit dem Zeitschriftenverlegerverband VDZ, fand Anfang dieser Woche mit über tausend Teilnehmern "erstmals ausschließlich virtuell im Internet" (kress.de) statt, als "hybrides Digital-Event" (horizont.net). Wobei das Podium sozusagen in einem Fernsehstudio in Berlin-Tempelhof stand.
Solingen, Aktivismus, Mehrwertsteuer (Döpfners Rede)
Dort hielt Döpfner am gestrigen Dienstag, dann wieder gefasst, eine Rede, die vollständig etwa in Springers Welt zu lesen oder beim BDZV als PDF runterladbar wäre. Als Video gibt es die Rede, wenn ich nichts übersah, derzeit nicht vollständig.
Aber den in den Medienmedien meistzitierten Ausschnitt, in dem Döpfner Fehler seines Verlags im "Fall der fünf getöteten Kinder" in Solingen eingestand ("Wir haben den Schutz von Minderjährigen in diesem Fall eindeutig missachtet") – und so geschickt relativierte, dass das gleich wieder Kritik nach sich zog (wie sie sich etwa unterm eben verlinkten Tweet zeigt).
Ansonsten zeigt die Rede, bevor sie mit einem "Wir schaffen...", nein: "Packen wir es an" endet, was für Döpfner als Verbandspräsident spricht. Der BDZV ist halt ein Lobbyverband, dessen Aufgabe nicht darin besteht, auf dem Ponyhof der Öffentlichkeiten neben anderen Lobbyverbänden zu grasen. Konkurrierende Lobbys – der Öffentlich-Rechtlichen, der sog. soz. Medien – sind aufmerksamkeitsstark. Döpfner ist es auch. Heute in der FAZ lobt Michael Hanfeld die "Ernsthaftigkeit, mit welcher er den Kampf um das führt, was er ins Zentrum seiner Rede stellte: die Unabhängigkeit der Presse", ohne die Rede komplett zu unterschreiben ("Dass der Journalismus der 'Bild' Aktivismus in Form von Boulevard-Agitation ist, gehört unseres Erachtens allerdings auch zur Wahrheit.")
Zwar blickte Döpfner einleitend rasch rund um die Welt, aber nicht nach Nordkorea (schon weil der BDZV die Streitigkeit mit den Öffentlich-Rechtlichen nach seinen, Döpfners Vorstellungen geklärt hat, und auch ohne dass das den Öffentlich-Rechtlichen sehr geschadet hätte), und daher auch auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk milde. Stattdessen gilt scharfe Kritik der "Bundes-Presse-Subvention" , die der Bundestag im Juli überraschend beschloss (Altpapier):
"Konzeptionell hat sich das duale System in Deutschland bewährt. ARD und ZDF leisten einen wichtigen Beitrag, um aufwändige Produktionen und Korrespondenten-Netze zu finanzieren. Gut ist dieses System allerdings nur, solange es auch wirklich dual ist. Wenn private Verleger Schritt für Schritt in staatliche Abhängigkeit geraten, endet das duale System ... Deshalb müssen wir, die deutschen Zeitungen, besonders vorsichtig und kritisch sein, wenn es darum geht, Subventionen vom Staat oder von digitalen Plattformen anzunehmen."
Um das, was in noch immer ungeklärter Form beschlossen wurde, habe der Verband "nicht gebeten. Im Gegenteil". Nun bat er sozusagen um eine eine Mehrwertsteuer-Senkung bis -Streichung für Medien (noch 'ne FAZ-Meldung). Ein Dauerbrenner in Verlageverbands-Kongressen ist außerdem gerechte "Plattformregulierung", natürlich auch deshalb, weil solche Forderungen, wenn sie nicht zu ungeschickt formulierten Gesetzen führen, meist vergeblich sind.
Aufschlussreiches Experiment in Australien
Was Döpfner aktuell erwähnt, "das australische Modell", verdient Aufmerksamkeit. Der down under diskutierte Gesetzesentwurf kam das eine oder andere Mal kurz im Altpapier vor, z.B. wegen dieses taz-Artikels.
Nun hat sich Adrian Lobe für medienwoche.ch den "News Media Bargaining Code" der Wettbewerbsbehörde ACCC genau angesehen, weil er "in Sachen algorithmischer Transparenz Pflöcke einschlagen" könnte. Lobe stieß auf eine "in der allgemeinen Berichterstattung bislang kaum beachtete Neuerung",
"die Signalwirkung für weitere Rechtsgebiete haben könnte: Es verpflichtet Plattformen, Verlage mindestens 28 Tage vor Änderungen des Algorithmus zu informieren. Laut dem Entwurf betrifft dies alle Modifikationen, die den Traffic betreffen, das Ranking von News hinter einer Bezahlschranke sowie die allgemeine Darstellung, beziehungsweise Präsentation von Nachrichten und das Anzeigenumfeld. Und: Google und Facebook müssten Nutzerdaten, die bei ihnen anfallen, an die Verlage weitergeben. Die Vorschrift ... ist nicht viel mehr als ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell der Tech-Konzerne. Die Algorithmen sind so etwas wie der heilige Gral des Informationskapitalismus."
Ums heilige bzw. milliardenschwere Geschäftsgeheimnis der Datenkraken tobten in Australien bereits heftigste Lobbyschlachten, in denen die explizit im Gesetz benannten Google und Facebook natürlich keine Interessenvertretungsverbände benötigen, deren Präsidenten dann aufrüttelnde Reden zu halten versuchen. Google blendete einfach
"in der australischen Version seiner Suchmaschine eine Pop-up-Anzeige ein, die auf einen 'offenen Brief an die Australier' verlinkte. Darin warnte Google seine Nutzer davor, dass die Suchfunktion sowie die Suchdaten von dem Gesetzesvorhaben bedroht seien. ... 'Das Gesetz würde uns zwingen, einer Geschäftsgruppe – dem Nachrichtengeschäft – einen unfairen Vorteil gegenüber jedem, der eine Webseite, einen Youtube-Kanal oder ein kleines Geschäft hat, zu geben', heisst es in dem offenen Brief. Dass Google seine Benutzeroberfläche als Lobbyplattform instrumentalisiert, hat es in dieser Form bislang noch nicht gegeben. Die Verbraucherschutzbehörde ACCC warf Google daraufhin vor, Falschinformationen zu verbreiten."
Insofern bahnt sich ein auch für den Rest der Welt spannendes Experiment an: ob die großen kalifornischen Plattformen den kleinen Kontinent Australien eher brauchen als dieser Google und Facebook. Einerseits stünden "Konkurrenzsuchmaschinen wie Bing oder DuckDuckGo ... bereits in den Startlöchern", andererseits bestünde die Gefahr, dass ungefähr jeder vierte Australier gar keine australischen Nachrichten mehr mehr verfolgt, wenn diese auf den genannten Platformen nicht mehr auftauchten, und Australiens Demokratie somit "eine wichtige Sauerstoffquelle entzogen" wäre.
Hohe Zahlen von der SZ (Digi-Abos, Stellenstreichungen ...)
Hinein ins deutsche Zeitungsgeschäft, das sich zwar längst bemüht, "konstruktiv" immer auch positive Nachrichten zu übermitteln, selbst allerdings weitgehend bloß für nicht gute Nachrichten gut ist. Zwar hat die Süddeutsche Zeitung auf dem Zeitungskongress einen "Innovation Award" gewonnen (für eine "neue, flexiblere Abo-Struktur ..., die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz das für jeden Nutzer passende Abonnement auswählt" – was zur Anschlussfrage führen könnte, wo genau die Vorteile gegenüber der menschlichen Intelligenz der Abonnenten wohl liegen). Und die Südwestdeutsche Medienholding haut wie alle Zeitungsverlage laufend Erfolgs-Pressemeldungen raus, etwa von im August '20 erstmals erreichten, in der Tat imposanten "150.000 Digital-Abonnenten".
Doch die – ebenfalls hybride – Redaktionsversammlung der Süddeutschen am Dienstagmittag, von der Anne Fromm in der taz berichtet, hatte nichts mit Aufbau-Plänen zu tun. Sondern mit dem "umfangreichsten Stellenabbau in der Geschichte der Zeitung", sagt zumindest der Betriebsrat. "Bis zu 50 RedakteurInnen sollen gehen, das ist etwa ein Zehntel der Redaktion", schreibt Fromm.
Der positive Aspekt: Statt mit Entlassungen wolle der Verlag mit Anreizen in Form von sechsstelligen Summen (zuzüglich "30.000 Euro 'Schnellentscheiderprämie'" für Festangestellte, die schnell aufgeben) arbeiten. Doch dass die "vielfältige und qualitativ hochstehende digitale Publizistik", von der er in den Erfolgs-Pressemeldungen schwadroniert, durch solche Maßnahmen nicht gefördert wird, erst recht nicht in Zeiten, in denen alle Medien auf immer noch mehr Plattformen publizieren müssen (oder zu müssen meinen), liegt auf der Hand.
"Irre Spiegelung des Bedeutungsverlusts der Medien"
Rasch nochmals ein Blick in die Schweiz: Über den "ökonomisch und technisch bedingten Bedeutungsverlust der Medien" schrieb Rainer Stadler vor anderthalb Wochen die letzte Ausgabe seiner Medienkolumne in der Neuen Zürcher Zeitung. Sie ist lesenswert, weil er dafür größere Zeitspannen als im Echtzeit-orientierten Journalismus üblich in den Blick nahm und zurück in Zeiten schaute, als Medien noch nicht so zusammengewachsen waren. Z.B. die Anbieter unterschiedlicher Zeitungsgenres:
"Vor dreissig Jahren konnten die Zeitungsredaktoren hochmütig-entspannt auf die Boulevardjournalisten hinunterschauen, welche täglich um heisse Schlagzeilen kämpften, damit ihre Produkte an den Kiosken Käufer fanden. Nun sitzen alle im selben Boot."
Oder die vor bzw. hinter Kameras agierenden Journalisten:
"Presseleute konnten einst über die Eitelkeit von Fernsehjournalisten spötteln, denen man vorhielt, sich allzu wichtig zu nehmen. Nun leuchten die verführerischen Scheinwerfer auch jenseits der Kameras. Etwa in Form der Kommunikationswährungen von Facebook und Co. Wer mit seinen Beiträgen Tausende Herzchen, Kommentare und 'Retweets' gewinnt, mag schnell zur Überzeugung gelangen, etwas Bedeutendes vollbracht zu haben. Die Akkumulation von Applaus und Zulauf entspricht zwar dem unternehmerischen Ziel der Selbsterhaltung eines Betriebs, doch diese Marktzwänge stimulieren gleichzeitig die Selbstverliebtheit der Informationsvermittler ..."
Okay, ob Eitelkeiten früher weniger auftraten waren oder bloß weniger sichtbar waren, darüber ließe sich streiten. Jedenfalls:
"Die Selbstinszenierung des Medienpersonals steht in kuriosem Widerspruch zu innerbetrieblichen Entwicklungen. Die Digitalisierung erzwingt nämlich den Aufbau von Apparaten, die rund um die Uhr rattern und die einzelnen Beschäftigten in Schemata pressen, welche den individuellen Spielraum einschränken und die Entfremdung fördern. Jeder ist jederzeit ersetzbar. Noch mehr als früher. Der Starkult gleicht insofern einer irren Spiegelung des ökonomisch und technisch bedingten Bedeutungsverlusts der Medien."
Den ökonomischen Bedeutungsverlust, der sich zu großen Teilen zugunsten von Google und Co vollzieht ("Allein Google erzielte gemäss Geschäftsbericht 2019 der Mutterholding Alphabet im vergangenen Jahr einen Anzeigenerlös von 134 Milliarden Dollar", heißt's im oben verlinkten medienwoche.ch-Artikel), soll die Streichung von Redakteuren kompensieren, die schließlich ersetzbar sind. Falls das überhaupt gut gehen kann: nicht mehr lange. Auch das ist ein Thema, mit dem Verlageverbände offen umgehen müssen.
Altpapierkorb (Prominenten-Namensnennung, Netzneutralität, Minsks "Silicon Valley", Deutschlandfunk, #Somuncu, BR-Intendanz)
+++ Die beste gedruckte Medienseite des Landes bleibt die der FAZ. Heute kommentiert dort (€) Rechtsanwalt Martin Huff den "wegweisenden Beschluss" des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zur Namensnennung prominenter Beschuldigter in Strafverfahren. +++ Und Matthias Rüb berichtet aus Rom, wie der 85-jährige Carlo De Benedetti gerade nochmals eine Tages(!)-Zeitung gründete (diese). +++ Und Platz für den Hinweis, dass das ZDF "eine Dokumentation, die zu dem Qualitätsangebot zählt, wofür man gern Rundfunkbeitrag zahlt", "buchstäblich mitten in der Nacht versendet", blieb auch noch. Um diese online bereits anguckbare geht's.
+++ Die taz hat in der ostpolnischen Großstadt Bialystok das belarussische Exilradio Racja besucht. +++ Auf das "Silicon Valley Osteuropas" am Rande von Minsk, das sich nun leert, blickt heise.de Telepolis.
+++ Das erste EuGH-Urteil zur Netzneutralität (netzpolitik.org) betrifft deutsche Angebote "vermutlich nicht" (spiegel.de).
+++ Den "Paukenschlag" des EuGH, das mit den USA ausgehandelte "Privacy Shield" für europarechtswidrig zu erklären, hat Irlands datenschutzfeindliche Justiz erst mal wieder ausgehebelt, ärgert sich die FAZ im Wirtschaftsressort.
+++ "Es gibt im Deutschlandfunk eben nicht die eine Meinung, sondern wir sind dafür da, dass wir die Welt auch in ihren Meinungen und Kommentierungen spiegeln", sagte Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien zum vorgestern hier erwähnten Aufreger ("@mediasres").
+++ Der nächste Aufreger!? "Der rbb und ganz konkret wir, also radioeins, haben ein Problem. Einer unserer Mitarbeiter, macht, naja, was war das in dem Schroeder & Somuncu-Podcast? Witze? Comedy? Und kübelt alle beschissenen Begriffe, die es gibt, um Menschen zu diffamieren, auf einmal raus", schrieb das RBB-Programm dann ins Netz. Und Frank Lübberding für faz.net gleich "ein Lehrstück".
+++ Und die SZ-Medienseite macht gespannt auf die KandidatInnen-Suche für die Nachfolge des Bayerischer Rundfunk-Intendanten Ulrich Wilhelm. Am heutigen Mittwoch dürfte sie ein entscheidendes Stück vorankommen.
Neues Altpapier gibt's dann wieder am Donnerstag.
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