Das Altpapier am 25. August 2020 Landolf Ladig im Sommerinterview?
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25. August 2020, 12:30 Uhr
Der MDR hat Björn Höcke heute zum Interview eingeladen. Das ist eine schlechte Idee. Und schon die Ankündigung lässt nichts Gutes erwarten. In der Debatte geht es um nicht weniger als um die Frage, ob Beiträge wie dieser im öffentlich-rechtlichen Rundfunk möglich sein sollen. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Höcke und das Paradoxon der Toleranz
Seit der MDR Björn Höcke zum Interview eingeladen hat (Altpapier), läuft im Netz eine Diskussion über die Frage: Muss das denn wirklich sein? Georg Restle hatte schon Ende vergangener Woche mit Karl Popper argumentiert: Toleranz macht es notwendig, die Intoleranten nicht zu tolerieren. Oder wie Restle sagte, die Grenze verlaufe "da, wo es um Parteien oder Politiker geht, die unseren demokratischen Freiheiten und Grundrechten 'feindlich gegenüberstehen". Seine Meinung war, man sollte Höcke nicht interviewen.
ZDF-Chefredakteur Peter Frey hatte schon im vergangenen Jahr angekündigt, Höcke nicht mehr in Talkshows einzuladen. Und so würde es auch der nd-Landeskorrespondent und MDR-Sportreporter Max Zeising handhaben wollen (ursprünglich stand hier MDR-Landeskorrespondent, das haben wir korrigiert, Anm. Altpapier). Er schreibt bei Twitter:
"Als Beschäftigter des @mdrde bin ich überhaupt nicht einverstanden mit der Entscheidung meines Arbeitgebers, Bernd #Hoecke zu interviewen. Die Pflicht zur Ausgewogenheit entbindet nicht von der Berufung auf demokratische Werte und ihre Konsequenzen. #KeineMinuteAfD"
Auf der Gegenseite argumentieren nun zum einen die Menschen, die der Auffassung sind, auch Interviews mit Faschisten wären für das Publikum irgendwie aufschlussreich. Zu dieser Fraktion gehört unter anderem der MDR selbst, der uns hier im Altpapier unter seinem eigenen Dach die Möglichkeit gibt, ihn zu kritisieren. Und damit ist auch schon genau das beschrieben, worum es im Kern geht. Wenn Höcke seine Vorstellungen umsetzen könnte, käme so etwas nämlich nicht mehr vor. Der MDR antwortet bei Twitter auf den Vorwurf, man biete "einem dezidierten Faschisten" eine Bühne wie folgt:
"Wir bieten Herrn Höcke keine Bühne, es handelt sich um ein journalistisches Format. Herrn Höcke werden Fragen zu aktuellen Themen gestellt."
Natürlich gibt es verschiedene Argumente, die dafür sprechen würden, Höcke einzuladen. Zum Beispiel die Überzeugung, dass die Menschen schon selbst in der Lage sein werden, einen Demokraten von einem Faschisten zu unterscheiden. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass es dem Faschisten immer auch darum geht, die Demokratie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, also die Menschen dazu zu bewegen, auf demokratische Weise für die Einschränkung oder gar Abschaffung dieser Regierungsform zu stimmen.
Beim MDR ist man dennoch der Meinung, dass eine gewisse Gruppe von Menschen, die sich noch nicht so ganz sicher ist, mit einem kritisch geführten Interview durchaus erreicht werden können.
Anne Hähnig und Martin Machowecz schrieben in der vergangenen Woche in der Zeit:
"Der MDR setzte als eine der ersten ARD-Anstalten besonders stark auf Bürger- und Zuschauerbeteiligung, auch Wutbürger lädt man in Sendungen ein. Zugleich haben AfD-kritische MDR-Dokus viele Preise gewonnen. Er mache dabei die Erfahrung, dass auch AfD-Wähler für Argumente zugänglich seien, sagt Peuker (MDR-Chefredakteur Torsten Peuker, Anm. Altpapier). Wenn ein Kalbitz sage, dass man auf den Gräbern der 68er tanzen werde – dann fragten sich auch AfD-Sympathisanten: Was ist denn da los?"
Für ein Interview mit Höcke könnte auch sprechen, dass man so den Kritikern den Wind aus den Segeln nimmt, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorwerfen, bestimmte Positionen zu unterdrücken (Kennwort: Ich bin kein Fan von Höcke, aber…). Sammelbegbriff: "Haltungsjournaille". Wer diese Argumente in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten möchte, werfe am besten einen Blick in die Kommentare unter dem Tweet von Max Zeising.
Die Differenz zwischen jenen, die ein Höcke-Interview befürworten, und den Gegnern besteht letztlich in der Antwort auf die Frage: Ist der Höcke denn wirklich so schlimm?
Zumindest in diesem Punkt ließe sich journalistisch Klarheit schaffen. Höckes eigene Veröffentlichungen sind da sehr aufschlussreich. Vor allem aber sind es die des Publizisten Andreas Kemper, der nachgewiesen hat, dass Höcke mit großer Wahrscheinlichkeit hinter den Texten des Neonazis Landolf Ladig steckt.
Kemper schreibt nun bei Twitter:
"Ob das (ein Interview mit Höcke, Anm. Altpapier) sinnvoll ist, darüber lässt sich streiten. Ich halte es nicht für sinnvoll. WENN aber Faschisten zu Wort kommen, DANN sollte der MDR zumindest ein Gegengewicht herstellen. Wie oft wurde im Fernsehen plausibel die Identität von Höcke mit dem Neonazi Ladig dargelegt?"
Kemper attestiert dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem Tweet eine Schieflage nach rechts.
"Die Schräglage beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, immer wieder die Faschisten in langen Interviews zu Wort kommen zu lassen, gleichzeitig aber vor einer fundierten Kritik zurückzuschrecken, ist das Problem. Also nicht nur das Faschisten-sprechen-lassen. #AfD #MDR #WDR",
Diesen Eindruck könnten die öffentlich-rechtlichen Sender leicht aus der Welt schaffen, und zwar mit einer fundierten Kritik. Ob dem MDR das gelingt, werden wir heute noch sehen. Das Interview mit Lars Sänger beginnt um 11 Uhr. Die Ankündigung auf der MDR-Seite lässt allerdings nichts Gutes erwarten. Dort lächelt AfD-Fraktionschef Björn Höcke freundlich in die Kamera. Der Text beginnt mit dem Satz: "2019 war das bislang erfolgreichste Jahr in der Politikerlaufbahn von Björn Höcke."
Aber warten wir erst einmal ab. Manchmal erlebt man ja doch noch Überraschungen.
Nachtrag des Autoren von 12 Uhr:
Auf Youtube können Sie sich das Interview mit Björn Höcke schon einmal ansehen. Mehr dazu morgen im Altpapier.
Altpapierkorb (Corona-Tarifvertrag, Verkaufte Sendezeit, Tiktok, Serieninitiative, Studie zu Bezahlstrategien)
+++ Die Gewerkschaften DJV und dju (Verdi) haben sich mit den Verlagen auf einen Corona-Tarifvertrag geeinigt, der es möglich macht, die Wochenarbeitszeit zu verringern sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu kürzen, berichtet Uwe Mantel für DWDL. Im Gegenzug wollen die Verlage auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten.
+++ Der Organisator einer Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen gibt in einem Video offen zu, Sendezeit bei einem regionalen TV-Sender gekauft zu haben. Für den Sender könnte das jetzt teuer werden. Thomas Wagner berichtet für das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres.
+++ Die Videoplattform TikTok will nicht in den USA verboten werden und hat deswegen nun eine Klage eingereicht, berichtet unter anderem die Zeit unter Berufung auf mehrere Agenturen.
+++ Der NDR-Programmdirektor Fernsehen, Frank Beckmann, hat im DWDL-Interview mit Thomas Lückerath acht neue Serien angekündigt und in diesem Zusammenhang von der "größten Serieninitiative des NDR seit zehn Jahren" gesprochen. Mit dabei sind unter anderem eine Comedy-Serie mit dem vielversprechenden Namen "Das ist ja nichts". Oder eine Mini-Krimi-Serie nach einem 25 Jahre alten realen Fall, der zufälligerweise gelöst wurde, während das Drehbuch entstand. Daher gibt’s jetzt auch noch "eine True-Crime-Doku über den vielleicht größten Serienmord in der Geschichte Norddeutschlands".
+++ Und noch eine gute Nachricht: Buzzfeed Deutschland ist vorerst gerettet. Die Ippen-Gruppe steigt als "Partner" ein, berichtet unter anderem Aurelie von Blazekovic auf der SZ-Medienseite. Chefredakteur Daniel Drepper sagt: "Die inhaltliche Ausrichtung wird sich nicht ändern. Wir werden weiterhin Unterhaltung, Listen, Quizze, Videos und Food-Inhalte sowie aufwendige Recherchen veröffentlichen." Spannend wird vor allem sein, ob Ippen sich die aufwendigen Recherchen auch dauerhaft leisten wird.
+++ Seit Michael Schumacher vor sieben Jahren beim Skifahren verunglückt ist, verdient die uringelbe Presse Geld mit Meldungen über seinen Gesundheitszustand und vermeintlich aktuellen Bilder. Mats Schönauer erklärt für Übermedien anhand von vielen Beispielen dieses niederträchtige Geschäftsmodell.
+++ Die Medienwissenschaftler Christian-Mathias Wellbrock und Christopher Buschow haben im Auftrag der Landesanstalt für Medien eine Studie über Bezahlmodelle im Journalismus erstellt. Dazu haben sie 6.000 Fragebögen ausgewertet, wie Marlis Prinzing für den Tagesspiegel berichtet. Ein Ergebnis: Auch Print-Medien können zum Erfolg von digitalen Bazahlmodellen beitragen – als "Türöffner und Identitätsstifter".
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.
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