Das Altpapier am 21. Juli 2020 Das Intellektuelle Darknet
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21. Juli 2020, 10:56 Uhr
Donald Trump ist die Ursache von allem. So scheint es. In Bedrängnis richtet er momentan besonders viel Schaden an. Ausgerechnet Fox News hat ihn nun schlecht aussehen lassen. Eine neue Bewegung in den USA wehrt sich jetzt gegen das Lagerdenken. Sie sieht in der Differenz auch etwas Verbindendes. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
Rückkehr der Briefings
Wenn wir in vier Jahren Trump-Präsidentschaft in den USA irgendetwas gelernt haben, dann gehört dazu sicher auch die Erkenntnis, dass die Redewendung "Lügen haben kurze Beine" falsch ist. Lügen haben doch recht lange Beine. Medien versuchen seit vier Jahren mit eher mittelmäßigem Erfolg, irgendetwas zwischen diese Beine zu stecken, um sie zu Fall zu bringen. Dabei befinden sie sich, um dieses Bild zu verlassen, in einem Dilemma. Einerseits möchten sie keine Unwahrheiten verbreiten, andererseits können sie nicht ignorieren, was der amerikanische Präsident sagt. Beides lässt sich im Moment nur schwer vereinbaren.
Donald Trump hat nun angekündigt, wie unter anderem CNN berichtet, seine täglichen Covid-19-Briefings wieder aufzunehmen, die er vor einigen Wochen eingestellt hatte, weil natürlich auch er abwägen muss, unter welchen Umständen welche Propaganda sinnvoll ist. Die Briefings hatten eine gute Quote, doch sie lenkten die Aufmerksamkeit unweigerlich auf Corona. Die gute Quote scheint nun vorübergehend wieder wichtiger geworden zu sein. Aber wie gehen die Sender mit den Briefings um?
Mark Lukasiewicz, Dekan der Lawrence-Herbert-Schule für Kommunikation in Hempstead (New York), schrieb am Montag bei Twitter:
"And the simplest step for @cnn @msnbc @foxnews would be to NOT carry the 'briefing' live; wait for actual facts and science (if any) to be delivered; skip the live lying, obfuscation, and deflection. @realDonaldTrump says it’s about ratings – cable nets don’t have to go along."
Wenn es allein um die Wahrheit gehen würde, wäre das wahrscheinlich der einzig mögliche Weg, um zu verhindern, dass ein notorischer Pinocchio ungefiltert Unwahrheiten über alle Kanäle herausbläst, die im schlimmsten Fall Menschen das Leben kosten können – wie vor einigen Wochen, als er dazu riet, sich Desinfektionsmittel zu spritzen, um sich vor Corona zu schützen. Doch es geht hier eben nicht nur um die Wahrheit, sondern auch um den Glauben von Menschen, und der wird davon beeinflusst, auf welche Weise Informationen zu ihnen gelangen.
Wer bereit ist, sich auf Informationen von Donald Trump zu verlassen, der hält es mit ziemlicher Sicherheit auch für möglich, dass Medien, die sich dazwischenschalten, die Botschaften verfälschen, und das tun sie natürlich auch, nur verfälschen sie die falschen Botschaften im Idealfall so, dass sie nachher richtig sind. Dann entsprechen sie aber nicht mehr dem, was Trump-Anhänger für richtig halten wollen. Insofern stellt sich die Frage, ob es wirklich einen Unterschied machen würde, wenn Sender Trump nicht mehr live sprechen ließen. Möglicherweise würde das Misstrauen in ähnlicher Geschwindigkeit wachsen, wie die Zahl der verbreiteten Unwahrheiten sänke.
Punktsieg für Wallace
Michalis Pantelouris hat sich für Übermedien (€) mit diesem Glaubensphänomen beschäftigt, denn letztlich müssen auch die Menschen, die auf seriöse Medien vertrauen, sich auf etwas verlassen, also etwas glauben. Pantelouris schreibt:
"Die Wahrheit – um mal einen philosophischen Begriff sehr nachlässig in die Diskussion einzuführen – ist, dass Menschen eine so riesige Menge Faktoren in ihre Entscheidungen einbeziehen, dass das Ergebnis nur noch gefühlt werden kann. (…) Wem wir Glauben schenken, kann unendlich viele Ebenen haben."
In diesen Raum zwischen der Realität und der Wahrnehmung klinken sich Medien nun ein und vermitteln je nach Standpunkt einen Ausschnitt der Realität, eine bestimmte Deutung, aber möglicherweise fügen sie auch etwas hinzu, das die Realität so gar nicht hergibt. Pantelouris:
"Wer jemals eine Nacht mit Jetlag in einem amerikanischen Hotel gelegen und Fox News geschaut hat, der lebt danach mit dem schizophrenen Gefühl, einerseits plötzlich jenes dunkle Amerika verstanden zu haben, das einen Präsidenten wie die rachsüchtige Möhre Donald Trump unterstützt – andererseits aber die Welt nicht mehr zu verstehen. Die Erklärung ist relativ simpel: Fox arbeitet sehr umfassend mit gefühlten Wahrheiten, die mit unserer Wahrnehmung von Realität nicht in Einklang zu bringen sind."
Überraschenderweise ist ausgerechnet Fox News nun gelungen, was vielen Medien seit vier Jahren so schwergefallen ist; der Sender hat in Gestalt von Moderator Chris Wallace Donald Trump mehrfach live korrigiert, seinen Unwahrheiten Tatsachen gegenübergestellt und ihn am Ende schlecht aussehen lassen. Christian Zaschke beschreibt das für die Süddeutsche (€):
"Als Trump zum Beispiel behauptete, sein demokratischer Rivale Joe Biden wolle die Budgets der Polizei zusammenstreichen, erwiderte Wallace freundlich, das stimme nicht. Trump empörte sich, Wallace blieb ruhig und beharrlich. Schließlich ließ sich der Präsident Unterlagen bringen, um seine Äußerungen zu beweisen. Wallace behielt recht."
Das klingt erstaunlich einfach. Dass es in diesem Fall anscheinend besser funktionert hat als so oft in der Vergangenheit, könnte daran gelegen haben, dass Wallace es nicht auf eine Konfrontation anlegte, sondern Trump auf eine zugewandte Weise widersprach und ihn so an einer schwachen Stelle erwischte. Zaschke schreibt:
"Der Journalist hat Trump nicht vorgeführt, er hat sich nicht mit ihm angelegt, wie es der CNN-Kollege Jim Acosta gerne tut, er hat ruhig seine Fragen gestellt, und er hat ruhig widersprochen, wenn der Präsident mal weniger und mal mehr von der Wahrheit abwich."
Wallace schlug Trump mit seinen eigenen Waffen. Er relativierte dessen Angeberei, indem er sie überbot. Als Trump etwa einen kognitiven Test ansprach, den er gemacht hatte und über den viel diskutiert worden war, sagte Wallace, er habe den Test auch gemacht, die Aufgaben seien relativ leicht gewesen. Damit macht Wallace etwas sehr Geschicktes. Er nutzt die gleiche Technik wie Trump. Versucht man eine Erzählung zu entkräften, indem man sie sie als falsch darstellt, verstärkt man ihre Wirkung unter Umständen nur, weil man sie dabei auch wiederholt. Wallace entkräftet die Erzählung, indem er ihr eine neue gegenüberstellt, eine noch bessere Variante.
Das Interview zeigt, dass es durchaus möglich ist, Donald Trumps Manipulationen etwas entgegenzusetzen. Aber zu viel Hoffnung, dass man nun endlich ein Mittel gefunden haben könnte, ist wohl auch nicht angebracht. Die schiere Masse der Unwahrheiten, die Trump verbreitet, macht eine andere Reaktion als den Filter und die zeitversetzte Ausstrahlung von Live-Statements nahezu unmöglich. Bei einer einzigen Rede im Rose Garden des Weißen Hauses in der vergangenen Woche hat Dominik Lauck 19 Unwahrheiten gezählt – und für den ARD-Faktenfinder freundlicherweise gleich auch korrigiert.
Die Differenz als neue Gemeinsamkeit
Über eine Ecke auch mit Donald Trump zu tun hat die Auseinandersetzung bei der New York Times, die Anfang Juni nach der Kündigung des Meinungsressort-Chefs James Bennet öffentlich wurde und sich öffentlich fortsetzte, nachdem auch die konservative Kommentatorin Bari Weiss die Zeitung verließ (zuletzt hier im Altpapier). Sie hatte beklagt, dass der zulässige Meinungskorridor bei der Times sehr eng geworden und das von Twitter geprägte Meinungsbild für die Redaktion eine sehr große Bedeutung habe. Simon Strauß beschäftigt sich nun in einem Beitrag im FAZ-Feuilleton (55 Cent bei Blendle) mit der "Tribalisierung der Anschauungen" und einer intellektuellen Bewegung, die sich Intellectual Dark Web nennt. Freunde sagen: I.D.W.
Gegründet hat den Zirkel der Mathematiker Eric Weinstein, der für den konservativen Investor Peter Thiel arbeitet und dessen Bruder Bret seinen Job als Biologie-Professor gekündigt hatte, nachdem er den Campus einen Tag lang aus Protest gegen Rassismus verlassen sollte, aber nicht wollte. Das war, so beschreibt Strauß es, einer der Anlässe für die Gründung der Bewegung, die keine Mitgliedsausweise vergibt, der man aber offenbar relativ leicht beitreten kann, "indem man beweist, 'dass man keine Angst hat, dem eigenen Stamm entgegenzutreten'", so heißt es im Text von Strauß. Damit gehört mittlerweile auch Bari Weiss dazu. Und es ist nicht so unwahrscheinlich, dass die Bewegung bald auch in Deutschland die ersten Mitglieder finden wird.
Strauß schreibt:
"Was am I. D. W. so anziehend wirkt, ist der in der Tat erzliberale Versuch, sich über die politischen Lager hinweg Meinungen zuzugestehen und sie zu debattieren. Eben nicht zu 'löschen' oder zu 'diffamieren', sondern robust zu diskutieren. Anstatt sich in gleichgesinnte Meinungsumfelder zurückzuziehen und sich gegenseitig einen Opferstatus zu bestätigen, scheint hier alle Hoffnung auf dem konfrontativen Meinungsaustausch zu liegen."
Die Gemeinsamkeit, die eine Diskussion überhaupt erst möglich macht, wäre nach diesem Verständnis auch der Zweifel an den eigenen Gewissheiten, mindestens aber das Eingeständnis, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Oder wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer es vor Jahren dem Spiegel so schön gesagt hat: "Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte."
In der Auseinandersetzung bei der New York Times müsste, um diese anscheinend verloren gegangene Gemeinsamkeit wiederherzustellen, vielleicht zuallererst geklärt werden, wo die Konfliktlinien verlaufen. Geht es tatsächlich nur um eine Auseinandersetzung zwischen den eher Liberalen und den Konservativen? Geht es um einen Generationenkonflikt?
SZ-Redakteur Jörg Häntzschel hat eine andere Vermutung. Er sagt im Interview mit dem Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, es sei wohl eher
"(…) Konflikt zwischen den Leuten, die prominent sind, die Professuren haben, die bekannt sind, die Bestseller schreiben, und auf der anderen Seite eben diejenigen, die noch nicht so erfolgreich sind, die es schwer haben, in den Universitäten hochzukommen, oder in den Medien. Es sieht aus wie ein Generationenkonflikt. In Wirklichkeit ist es doch vielleicht eher ein Konflikt zwischen denen, die fest im Sattel sitzen, und denen die auch gern mal ans Ruder kämen."
Die Ursache für das alles sieht auch Häntzschel beim amerikanischen Präsidenten. Die Frage sei: "Wie weit müssen sie gehen, den Leuten, die Trump wählen, ein Forum zu geben?" Auf diese Dilemma lasse sich, so Häntzschel, die gesamte Debatte zurückführen.
Altpapierkorb (LfM vs. LfM, Berliner Zeitung, Institut für Rundfunktechnik, Abschied von Q, Die Tricks der Pressestellen)
+++ Eine Landesmedienanstalt kann die andere nicht verklagen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag entschieden, schreibt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite (55 Cent bei Blendle). Die Landesmedienanstalten in Rheinland-Pfalz und Hessen hatten dagegen geklagt, das der Sender Sat1 seine Lizenz in Rheinland-Pfalz zurückgegeben und in Hamburg neu beantragt hatte. Dass sie gar nicht klagen durften, erfuhren die beiden unterlegenen Landesmedienanstalten nun witzigerweise nach mehreren Instanzen vom Gericht.
+++ Die Berliner Zeitung steht nach acht Monaten wieder ohne Geschäftsführer da. Michael Maier ist ab sofort nur noch Herausgeber, berichtet unter anderem Kress. Maier selbst habe dem Manager-Magazin gesagt, er wolle sich auf eine Position konzentrieren. Das Magazin will dagegen aus dem Unternehmen gehört haben, er sei mit der Umstrukturierung einfach überfordert.
+++ Fast alle britischen überregionalen Tages-, Sonntags- und Abendzeitungen haben ihre Auflage im Juni im Vergleich zu Mai gesteigert, allerdings nur in einer Größenordnung zwischen einem und drei Prozent. Das bedeute, dass der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr bei vielen Zeitungen im zweistelligen Bereich liege, schreibt Franz Scheele für die Werben & Verkaufen.
+++ In dieser Woche dürfte sich entscheiden, wie es mit dem Institut für Rundfunktechnik (IRT) weitergeht, berichtet Anika Blatz für die SZ-Medienseite. Das IRT ist dem Forschungsinstitut der öffentlich-rechtlichen Sender. Es hat viele technische Standards für Hörfunk Fernsehen und Internet entwickelt. Das ZDF war im Dezember 2019 ausgestiegen, danach hatten auch die übrigen Gesellschafter sich zurückgezogen. Anfang Juli hatte die FAZ berichtet, das Institut werde weiterbestehen (Altpapier).
+++ Andrea Dernbach berichtet für den Tagesspiegel über ein Projekt der Deutschen Journalistenschule in München, das dazu beitragen soll, Opfern in den Medien eine Stimme zu geben. Wo das Problem liegt, wird schon in einem kurzen Dialog deutlich, der Teil des eines 15-minütigen Gesprächs zwischen Yvonne Backhaus-Arnold, der stellvertretenden Chefredakteurin des Hanauer Anzeigers, und Armin Kurtovic ist, dessen 22-jähriger Sohn Hamza bei dem rassistischen Attentat in Hanau im Februar ermordet wurde. Der Dialog geht so: "'Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir als Zeitung festgestellt haben, wie weit weg wir von Ihnen allen sind eigentlich. Also von Ihnen allen oder von Ihrem Hintergrund. Wir wussten von vielen Opfern überhaupt nicht … wir beherrschen die Sprache nicht', sagt sie. 'Wir reden doch alle perfekt Deutsch', antwortet er."
+++ Das im Jahr 1986 gegründete und wohl schon seit Längerem nicht mehr ganz so fitte Musik-Magazin Q stellt den Betrieb ein. Alexis Petridis schreibt in seinem Nachruf für den Guardian: "Without wishing to sound melodramatic, its closure seems to signal the final passing of the music press as we once knew it. What’s left are specialist titles, small operations surviving on small circulations and magazines that concentrate largely on the past. The latter suggests that the only people who still buy music titles in quantity are old enough to remember the music press at its height."
+++ Nachdem Daniel Bouhs neulich in einem Beitrag für das NDR-Medienmagazin "Zapp" über die zweifelhaften Methoden berichtet hatte, mit denen das Bundesverkehrsministerium versucht, kritische Berichterstattung zu verhindern, schreibt nun der Spiegel über seine eigenen Erfahrungen mit Presseanfragen mit genügend Vorlauf: "Der SPIEGEL schickte dem Kanzleramt daher noch am Freitagabend genau zu diesem Punkt einen umfangreichen Katalog mit Nachfragen. Das zuständige Bundespresseamt versprach, sie bis Montag zu beantworten. Am Montagmorgen jedoch bat man um Aufschub. Es seien noch umfangreiche Aktenrecherchen zu dem Vorgang notwendig. Keine zwei Stunden später dann veröffentlichte Regierungssprecherin Demmer die neuen Details in der Regierungspressekonferenz, wonach die Kanzlerin persönlich das Thema Wirecard bei ihren chinesischen Gesprächspartnern angesprochen habe."
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.
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