Das Altpapier am 13. Juli 2020 Die Diversity-Checker*innen
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13. Juli 2020, 08:05 Uhr
Macht es Sinn, die Diversität fiktionaler Produktionen durch einen Fragebogen ankurbeln zu wollen? Und wieso ist Melania Trumps Schuhgröße wichtig? Ein Altpapier von Jenni Zylka.
Der Diversitätscheck ist der neue Bechdel-Test
Obacht, ein Thema, bei dem die Katze sich eventuell in den Schwanz beißt: Die schleswig-holsteinische Filmförderung FFHSH hat in Zusammenarbeit mit Diversity-Experten und Expertinnen und Filmschaffenden eine “Diversity-Checklist“ erarbeitet, ein Fragebogen, der zum Beispiel nach der Anzahl von “People of Color“ in der zu entwickelnden Produktion fragt, nach anderen als heterosexuellen Ausrichtungen und Identitäten, nach der Darstellung von Menschen mit Handicaps und so weiter (das alles übrigens auch bei den Mitarbeitenden hinter der Kamera). Hier kann man ihn sich durchlesen. Zusammen mit den Förderanträgen sollen diese Infos bei der FFHSH eingereicht werden, und dafür sorgen, dass
“unsere Alltagsumgebung und die vielfältige Gesellschaft in ihrer Diversität“
abgebildet wird, ohne
“in Klischees zu verfallen oder unbewusste Vorurteile zu bestätigen“,
wie es auf der Homepage heißt. Und wenn man sich anschaut, was bei den einschlägigen Statistiken zu dem Thema stets herauskommt (hier eine große Studie der Malisa-Stiftung über Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen, mit einem niederschmetternden Ergebnis) dann müsste man der FFHSH auf die Schulter klopfen: Könnte diese umfassend erweiterte Form des guten alten Bechdel-Tests nicht wirklich der richtige Weg sein, um jegliche Art von Diskriminierung, Sexismus und Rassismus abzubauen, und zudem auch noch die Fiktion helfen zu lassen, ein realistischeres Bild unserer Gesellschaft zu zeichnen?
Jetzt.de hat zudem erfahren, dass
“keine Einschränkung für den Förderantrag“ sei, wenn “Filmemacher*innen vor den Gremien, die über die Förderung entscheiden, beispielsweise gut begründen können, warum die Rollen nur mit weißen Menschen besetzt sind oder warum ein Großteil des Teams männlich ist“.
Wie kreativ ist Vielfalt?
Da gibt es bestimmt ein paar schöne Diskussionen. Wenn aber dieser Vorstoß aus Schleswig-Holstein zumindest dazu führen könnte, diese doch noch eher dürftig diversen Kinder- und Jugendfilmsettings etwas bunter zu machen (hier ist zum Beispiel der Cast aus der “Bibi & Tina“-Serie), dann kann man sich doch freuen.
Aber die Kritik an der Idee ist ebenfalls verständlich, zumindest teilweise: Es geht doch darum, bei der Besetzung eben nicht auf Hautfarbe oder Nationalität zu achten – wie kann man diese Kriterien dann überhaupt anwenden? Und: Greift man mit diesen Fragen nicht viel zu sehr in die kreative Freiheit eines oder einer Filmschaffenden ein, der oder die alle handelnden Personen natürlich vor allem der Geschichte unterordnen muss?
Die Welt echauffiert sich sogar noch ein bisschen stärker, vergleicht die “Bestandsaufnahme“ mit den
“ersten Volkszählungen in China, um die waffenfähigen Männer zu erfassen“
und konstatiert eine beginnende
“Misstrauenserklärung der Förderbürokratie gegen die eigenen Künstler“.
Wo sind die Rollstühle?
Es sei ein “Korrektheitskatalog“, so heißt es weiter, der intentional an die DDR der 50er und ihrer Forderung nach sozialistischem Realismus erinnere. Danach werden noch ironisch Beispiele für deutsche Filme aufgezählt die ja nun gar nicht jenen erwünschten Kriterien entsprächen, so wie der feministische Diskursfilm “Das melancholische Mädchen“ oder Nora Fingscheidts Drama “Systemsprenger“. Was schade ist, weil der Spott die vorangegangenen Gedanken ein wenig zunichte macht, und die Liste schlichtweg nicht stimmt: Natürlich ist “Das melancholische Mädchen“ auch ein Film zum Thema Gendergerechtigkeit, und weist auf allen Ebenen einen großen Frauenanteil auf. Und in “Systemsprenger“ geht es um die Therapie eines psychisch kranken, weil traumatisierten Kindes. Die Kritik klingt eben doch ein klein wenig nach der alten Muffe vor politischer Korrektheit.
Aber man muss jetzt einfach abwarten, was die nordische Förderungsanstalt mit ihren eingezogenen Informationen anstellt, und ob danach bei den geförderten Filmen in Schwimmbadszenen vielleicht nicht mehr ausschließlich weiße Kinder malerisch Ball spielen, nicht mehr nur Menschen unter 40 sich verlieben, und nicht mehr höchstens alle 50 Filme mal ein Rollstuhl auftaucht. Und dann kann man sich weiter echauffieren – in sämtliche Richtungen.
Der Kampf für die gerechte Sache
Hier zur Abwechslung ein Beispiel für eine fiktionale Produktion, die das und vieles anderes längst und unbestritten bedacht hat. Auch Fakten sind nämlich leichter zu vermitteln, wenn man sie in ein eingängiges Narrativ verpackt. Das ist bei Kindern nicht anders als bei Erwachsenen – einst lernte man die Unterschiede zwischen “Nah“ und “Fern“ und “Über“ und “Unter“, weil Grobi sie einem vortanzte. Und jetzt lernt man alles über “NDA“ (Geheimhaltungserklärungen), “Mikrotargeting“ und “Doxing“, weil die Anwälte und Anwältinnen aus der Serie “The Good Fight“ es vorspielen.
Zudem gibt sie einen Eindruck davon, wie die Wahl Trumps eine demokratische dominierte, “minority owned“ (nämlich afroamerikanisch geführte) Chicagoer Anwaltskanzlei zunehmend in die Verzweiflung stürzt. Die Serie beginnt mit dem fassungslosen, schockgefrosteten Gesicht der Protagonistin in Anbetracht von Trumps Inauguration. Und arbeitet sich fortan an den gesellschaftlichen Veränderungen des immer mehr um seine demokratischen Werte ringenden Staates ab. So aktuell und realistisch sind die Diskurse die Helden und Heldinnen (es geht um Polizeigewalt gegen Schwarze, um #metoo und die unheiligen Allianzen zwischen Rassismus, Sexismus und Kapitalismus), dass es spannend wird, wie die Serien-Macher und Macherinnen in der hoffentlich folgenden fünften Staffel auf Corona reagieren.
Mysterium Melania Trump
Irgendwann in der dritten Staffel wird die fiktive Kanzlei jedenfalls (zunächst am Telefon) von einer Unbekannten kontaktiert, die mit schwerem osteuropäischen Akzent zu verstehen gibt, dass sie sich scheiden lassen wolle. Ihr Mann, so radebrecht die Stimme, sei jedoch unfassbar mächtig – das mit dem Ehevertrag bedürfe also einer genauen Prüfung. “FLOTUS?“ schreibt die Anwältin bei dem Gespräch fragend auf ein Blatt Papier – “First Lady Of The United States“ heißt das – ist es wirklich Melania? Oder nur eine Imitatorin?
Melania Trump bleibt – sowohl in der fiktiven wie auch in der realen Welt – ein Mysterium. Zudem jetzt auch noch bekannt wurde, dass bereits vor einer Woche eine Melania Trump-Holzstatue in Slowenien, ihrem Geburtsland, angezündet worden ist – meldet hier die Frankfurter Rundschau recht knapp. Immerhin weist der Text darauf hin, dass das Abfackeln des Abbilds einer umstrittenen Person durch den in den letzten Wochen im Rahmen der “Black Lives Matter“-Bewegung aufwallenden Bildersturm eine aktuelle Komponente beinhaltet. Andererseits scheint es sich bei dem Melania-Brand eher um eine geschmäcklerische Kunstaktion (oder Revolte) gehandelt zu haben: Die blau angemalte Statue, die 2019 von einem US-amerikanischen Künstler in Auftrag gegeben und von einem slowenischen Skulpteur mit der Kettensäge aus einem Lindenbaum geschnitzt wurde, habe nach Ansicht der Anwohnenden eh eher Schlumpfine oder einer Vogelscheuche (hier eine Bastelanleitung) geähnelt, als der Präsidentengattin. Das zitieren alle berichterstattenden Medien übereinstimmend, und belassen es dabei.
Ist Schuhgröße Privatsache?
Es scheint, als blieben die Medien bei Melania Trump einfach immer am Äußeren hängen. Vielleicht ist da auch einfach nicht viel mehr zu holen, außer Fassungslosigkeit. Gibt man sie im deutschen Google ein, erscheinen in der “Infobox“ zwei Sätze aus ihrem Wikipedia-Eintrag:
Melania Trump ist ein slowenisch-amerikanisches ehemaliges Model und als Ehefrau von Donald Trump seit 2017 die First Lady der USA. Schon als Kind trat sie als Laufsteg-Model für verschiedene Textil-Unternehmen in Jugoslawien auf und präsentierte deren Produkte in einer Illustrierten.
Dann werden noch ihr Geburtstag und –ort, ihre Größe, die Namen ihrer Kinder, ihrer Eltern und ihres Mannes aufgelistet. An zweiter Stelle: Ihre Schuhgröße.
Welchen Grund könnte das haben? Arbeitet sie heimlich zwischen ihren First Lady-Dates als Model, und die Google-Infobox hat für die Schuhmodeindustrie die Funktion einer Setcard? Das wäre verwunderlich – gibt man die Namen aktiver Models ein, kommen nirgends Schuhgrößen. Oder sind die Schuhgrößen der First Ladys eine wirtschaftlich relevante Information für US-amerikanische Bürgerinnen und Bürger? Dann jedenfalls nur die der aktiven – in welcher Größe Michelle Obama ihre Pumps kauft, oder Jackie Kennedy die ihren (viel schickeren) erstand, darüber schweigt Google.
Letzte Möglichkeit: Hängt die Angabe von Melanias Schuhgröße mit Fußfetischismus auf der Sysadmin-Seite zusammen? Dann stellt sich allerdings wieder die Frage, wieso die Info bei sonst niemandem auftaucht. Frau Trump ist garantiert nicht das einzige unfreiwillige Podophilie-Postergirl auf dieser bizarren Welt.
Altpapierkorb (Vielfalt im Diskurs, Stammbaumforschung, Duda vs. Trzaskowski)
+++ Hier in der taz nochmal ein ähnliches Thema - die Bestandsaufnahme der Diskussion um cancel culture und die Frage danach, was Zensur ist – im Zusammenhang mit dem offenen Brief im Harper’s Magazine. Es wird ihm eine “verkürzte Argumentation“ vorgeworfen, und Angst “vor dem Verlust der Deutungshoheit“ beziehungsweise keine ausreichende Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien – allerdings muss man konstatieren, dass die Diskussion zumindest jetzt dadurch immer länger wird, und das ist gut.
+++ Die Stuttgarter Zeitung schreibt, dass die Polizei in Stuttgart “Stammbaumforschung“ zu den Tatverdächtigen der “Krawallnacht“ betreibt – ein klar rassistisches Vorgehen. Im Spiegel kritisiert das Dietmar Bartsch.
+++ Und die genauen Zahlen der Wahl in Polen werden wohl erst Montag Abend vorliegen. Die Welt versucht sich dennoch schon mal an einer Einschätzung in Bezug auf die deutsch-polnischen Beziehungen.
Neues Altpapier gibt es am Dienstag
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