Teasergrafik Altpapier vom 07. Juli 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 07. Juli 2020 Die Medienpolitik will gar nicht verstanden werden

07. Juli 2020, 10:06 Uhr

Die deutsche Medienpolitik ist spitze bei der Schöpfung abstruser Fachbegriffe. Hat sie eine Zukunft? Zumindest bekommt Deutschland nun ein Gesetz, das unter einem attraktiven Namen erstmals auch die Passwort-Herausgabe vorsieht. Und wie steht es um den europäischen Medien-Föderalismus? Irlands Datenschutzbehörde ist EU-weit für Facebook zuständig und besitzt "kafkaeske" Qualitäten. Aber jetzt ist etwas passiert ... Ein Altpapier von Christian Bartels.

"Um Verständnis absichtsvoll nicht bemüht"

Ein Internetmonat entspricht sieben Menschenmonaten, oder wie geht die Regel? Jedenfalls ist es schon etwas her, dass Lutz Hachmeister bei der Berliner Tagung "Zukunft Medienpolitik" der Heinrich-Böll-Stiftung einen Vortrag gehalten und mit dem Satz, dass die deutsche eher keine Zukunft habe, weil sie "ja nicht mal eine Gegenwart" hat, begonnen hat.

Darum ging es in diesem Januar schon mal im Altpapier "Dinosaurier, die zu Panthern werden", und ums von Hachmeister skizzierte "Dritte System" neben dem überkommenen Dualen dann auch in einer [von mir verfassten] Medienkorrespondenz-Meldung. Jetzt ist der gesamte Vortrags-Text auf neun Seiten in der Sommerausgabe der gedruckten Medienkorrespondenz (Titelseite) erschienen. Online steht er noch nicht. Weite Verbreitung ist Hachmeisters pointierten Thesen jedenfalls zu wünschen. Zum Beispiel der einleitenden,

"dass mit der inzwischen völlig abstrusen Begriffstrennung von 'Rundfunk' und 'Telemedien' oder mit terminologischen Schöpfungen wie 'Medienintermediäre' auch im brandneuen 'Medienstaatsvertrag' der Bundesländer geradezu darauf abgezielt wird, dass man sich einer medienrechtlich verfestigten Formelsprache befleißigt, die sich um Verständnis absichtsvoll nicht bemüht. Offenbar soll alles im kleinen Kreis derjenigen verbleiben, die sich in Deutschland seit Jahrzehnten mehr oder weniger folgenlos um Fragen der 'Medienregulierung' bemühen. Dieser closed shop mit hergebrachten Pfründen, Gutachteraufträgen und Pöstchen in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien und Kommissionen wirkt zunehmend paradox bei einem Politikfeld ...",

in dem es eigentlich ja um Kommunikation und Öffentlichkeit oder Öffentlichkeiten geht.Grundsätzliche Kritik dessen, was in Deutschland als Medienpolitik betrieben wird, findet nur noch selten und in kaum beachteten Nischen statt  – auch deshalb, weil es der Medienpolitik selbst so am liebsten ist. Das ungefähr ist eine der Thesen.

Positionen erarbeiten, die in Arbeitsprozesse einfließen können ...

Andererseits, ein kleiner Flügel der deutschen Medienpolitik hebt im EU-Rahmen gerade ab. In derselben MK-Ausgabe und auch online hat sich Volker Nünning die neue Webseite eu2020-medienkonferenz.de angesehen, die "Die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien" (wie am Dienstagmorgen noch unten im Copyright steht) zum Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ins Netz gestellt hat. In diesem

"Rahmen möchte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einen Beitrag zur Sicherung der Medienvielfalt in Europa leisten. Durch die COVID-19-Pandemie ist die Bedeutung einer unabhängigen, vielfältigen Medienlandschaft und qualitativ hochwertiger journalistischer Inhalte für den demokratischen Meinungsbildungsprozess besonders deutlich geworden. Daher hat es sich die BKM für die Ratspräsidentschaft zur Aufgabe gemacht, Diskussionsforen zu aktuellen medienpolitischen Fragen anzubieten und daraus Positionen zu erarbeiten, die in den weiteren Arbeitsprozess auf EU-Ebene einfließen können ...",

lädt die Bundes-Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters MdB, in feinstem Medien-Bürokratisch zu einer "digitalen Konferenzserie zur EU-Medienpolitik" ein, deren Auftaktveranstaltung heute um 16.00 Uhr mit einem fünfminütigen Grußwort der Bundeskanzlerin persönlich beginnen soll. Nünning ließ sich erläutern. welche Ideen dahinterstehen:

"Bei der Sicherung von Medienpluralismus müsse etwa auch der Bereich 'Wettbewerb und Binnenmarkt' mitgedacht werden, so der BKM-Sprecher ... Hierfür gelte 'es einen wirksamen Mechanismus zu entwickeln, der einerseits dieses wichtige Thema fest im EU-Politikbetrieb verankert und andererseits aber auch die hier ganz wesentlichen Kompetenzen der Mitgliedstaaten wahrt'. Zur Sicherung der Medienfreiheit gehöre auch 'eine wirksame grenzüberschreitende Durchsetzung von europäischen Regelungen für Medienanbieter'. Das funktioniere 'zum Teil noch nicht ausreichend gut und wird daher auch Thema sein' ..."

Heißt: Die deutsche Bundes-Medienpolitik (die eigentlich ja vor allem Bundesländer-Sache ist, weshalb die im Bundeskanzleramt angesiedelte Staatsministerin für Kultur und Medien selbst mit Dingen wie dem neuen deutschen Medienstaatsvertrag so gut wie gar nichts zu tun hat) will ihr großes, multi-institutionelles Einerseits-Andererseits noch gründlicher in die EU einfließen lassen. 

Ein Gesetz u.a. zur Passwort-Herausgabe

Dabei gibt es bereits handfeste medienpolitische Konflikte, wenn man einen weiteren Medien-Begriff, der sog. soz. Medien einbezieht, anlegt.  Die EU-Justizkommissarin Vera Jourova, die heute auch mit-video-konferieren (und mit vollem Titel als "Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Kommissarin für Werte und Transparenz und für die Themen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Desinformation und Medienpluralismus zuständig", vorgestellt) wird, hat den "deutschen Alleingang im Kampf gegen Hass und Hetze" kritisiert. Das melden etwa heise.de und der Standard.

Worum geht's? Vor allem um das Mitte Juni von der Groko-Mehrheit im Bundestag beschlossene "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität", dessen Krassheit in der dauer-aufgeregten deutschen Diskussion noch kaum durchschien – sicher auch dank des geschickt gewählten Namens-Bausteins "Bekämpfung des Rechtsextremismus". Es handelt sich genau genommen um ein Gesetzespaket, das "aus diversen Änderungen an mehreren Gesetzen, insbesondere dem Telemediengesetz (TMG), dem Strafgesetzbuch (StGB), der Strafprozessordung (StPO) und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)" besteht, schreibt Holger Bleich im c't-Magazin des Heise-Verlags. Und zwar unter der Überschrift "Warum ein neues GroKo-Gesetz die Meinungsfreiheit einschränken wird":

"Bislang müssen Plattformen mit mehr als zwei Millionen Nutzern – de facto also insbesondere Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und TikTok – von Nutzern gemeldete, als rechtswidrig erkannte Inhalte binnen 24 Stunden entfernen. Nun müssen sie von sich aus die gesperrten Beiträge auch behördlich melden, samt zugehöriger IP-Adresse und Portnummer, und zwar über eine definierte Schnittstelle direkt ans Bundeskriminalamt (BKA), das dann die Eingaben prüfen und gegebenenfalls strafrechtliche Ermittlungen aufnehmen soll. Nur unter bestimmten Umständen und frühestens vier Wochen nach Meldung soll der gemeldete Nutzer von der Übertragung seiner Daten ans BKA informiert werden."

Es drohe etwa die Gefahr, dass die Plattformen lieber zuviele Inhalte als rechtswidrig einstufen, sperren und ans BKA weiterleiten als zu wenige (und dafür dann bestraft werden). Die wohl gravierendste Änderung betrifft allerdings das bisherige Tabu Passwort. Künftig können Behörden "beim Verdacht auf bestimmte, schwerwiegende Äußerungsdelikte die Herausgabe von Bestandsdaten, auch von Nutzer-Passworten, von jedem Teledienst verlangen". Teledienst? Im Gesetzestext ist von "Telemediendiensten" die Rede –  einem Kernbegriff der eingangs erwähnten, absichtsvoll unverständlichen medienpolitischen Formelsprache. "Dies betrifft wohlgemerkt nicht nur die großen vom NetzDG umfassten Plattformen, sondern jedes Webforum und jede Website", schreibt c't.

Es ist jedenfalls ein krasses Gesetz. Wird es das große Problem der Hasskommentare, die zweifellos zu physischer Gewalt anstacheln, mildern und mittelfristig die meisten Menschen, die etwas posten, zur Mäßigung veranlassen? Wird es kurzfristig eher die Staatsanwaltschaften weiter überfordern? Die Stellung der übermächtigen Plattformen Facebook, Youtube und Twitter noch weiter stärken, oder eher Hasskommentar-verdächtige Diskussionen auf neue, kleinere Plattformen mit weniger als zwei Mio Nutzer lenken? Und wird es autokratische bis diktatorische Regime etwa in der Erdogan-Türkei oder in Russland veranlassen, nach dem Vorbild des deutschen Rechtsstaats ebenfalls Gesetze zu erlassen, die "Tele"-Dienste zur Passwort-Herausgabe zwingen? Spannend wird es jedenfalls.

Jasper von Altenbockum, Politik-Haudegen der FAZ, sieht es in einem Kommentar heute so, dass hinter der Kritik der EU-Kommission erfolgreiche Hegemionalpolitik der Bundesregierung steht, deren "sanfter Druck" nun tatsächlich zu EU-weiten Regelungen führe.

"Designed to delay" (Irlands Datenschutz)

Was offenkundig ist: dass der europäische Föderalismus mit seinen Ideen wie dem Herkunftslandprinzip innerhalb der EU (demzufolge beispielsweise deutsche Medienwächter nicht gegen luxemburgisch-zypriotische Porno-Portale einschreiten können, da diese ja in anderen EU-Mitgliedsstaaten zugelassen sind... ) im globalen, komplett von US-amerikanischen und chinesischen Plattformen dominierten Internet nicht viel zu melden hat.

Schließlich haben die meisten US-amerikanische Plattformen sich ihren Sitz in der EU in Irland genommen und fallen deshalb unter die Zuständigkeit der irischen Datenschutzkommission (Data Protection Commission/ DPC). Wozu das führte, schildert noyb.eu, die (englischsprachige) Initiative des Wiener Datenschützers und Facebook-Gegners Max Schrems mit Bezug auf die EU-weite Datenschutz-Grundverordnung/ DSGVO (deren englische Abkürzung GDPR lautet):

"Complaints on 25 May 2018. Within the first hours that the GDPR became applicable, noyb.eu filed four complaints on behalf of individual users. While one complaint against Google was handled by the French regulator (CNIL) within months and lead to a fine of €50million, the other complaints were forwarded from Austria, Germany and Belgium to the Irish DPC, where they are still being 'processed'."

Die Initiative ärgert sich

"on this extremely slow procedure that de facto deprives Europeans of their rights under the GDPR when they file against a company that is based in Ireland and therefore 'regulated' by the DPC".

Ja, in einem Originalzitat ärgert sich Schrems mit Bezug auf einen deutschsprachigen tschechisch-jüdischen Schriftsteller:

"The procedure is Kafkaesque and seems to be almost designed to delay user complaints for years and thereby protect US multinationals that are headquartered in Ireland".

Aber immerhin, öffentlich machte sie den Ärger in dieser Form, weil, wenn nicht der noch relativ junge EU-Medien-Föderalismus, dann doch das Rechtsstaats-Prinzip an sich funktionierte. Schrems hat nun "einen Teilerfolg" erzielt in seinem Kampf gegen Instagram und Whatsapp als Arme des Datenkraken Facebook, übersetzt der Standard:

"Der irische High Court lässt eine Klage gegen die irische Datenschutzkommission (DPC) wegen übermäßig langer Verfahrensdauer zu ...."


Altpapierkorb (TikTok, Kalbitz, Polen, Russland, Wuhan, Prückner, "Zapp")

+++ Wohl einer der stärksten und attraktivsten neuen Gegenspieler einer europäischen Medienpolitik, falls die zustande kommt: das chinesische TikTok. Eine Zusammenfassung vieler jüngerer Datenschutz-Bedenken, die noch weit übers kürzlich publik gewordene Zwischenspeicher-Auslesen hinausgehen, liefert t3n.de.

+++ Über "Stimmungsmache des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda gegen den Welt-Korrespondenten Philipp Fritz" berichtet in Springers Welt u.a. Deniz Yücel.

+++ In ihrer Kritik am gestern hier erwähnten Andreas-Kalbitz-Interview im RBB-Fernsehen zitiert und verlinkt die taz einen Journalisten von Springers Bild ("Dass Kalbitz Rechtsextremist ist, sei bisher noch nicht bewiesen, schreiben die rbb-Kolleg:innen im Kommentarbereich unter dem Interview. Auf Anfrage des Bild-Chefreporters Michael Sauerbier bestätigt Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller jedoch: 'Kalbitz ist ein erwiesener Rechtsextremist.'"

+++ Die "Geldstrafe von umgerechnet 6200 Euro", zu der die Journalistin Swetlana Prokopjewa im nordwestrussischen Pskow verurteilt wurde, "ist etwas mehr als ein durchschnittliches russisches Jahresgehalt", berichtet die FAZ-Medienseite. +++ "Wie man in Russland Meinung macht", schildert Irina Chevtaeva im epd medien-Tagebuch.

+++ Wer sich für die ARD-Wuhan-Dokus-Debatte interessiert (AP gestern), sollte auch noch Manfred Riepes inzwischen online erschienene "Anmerkungen zu 'Wuhan - Chronik eines Ausbruchs'" lesen ("Auf die Frage, ob die Dokumentation gesendet worden wäre, wenn sie nicht vorab in der "Süddeutschen Zeitung" kritisiert worden wäre, räumte SWR-Justiziar Hermann Eicher gegenüber dem epd ein: 'Das ist möglich'").

+++ Tilo-Prückner-Nachrufe, die über "Tatort" und "Rentnercops" hinausgehen und an richtig gute Kinofilme erinnern, die bloß im öffentlich-rechtlichen Gebrauchsfernsehen der Gegenwart nicht auftauchen, schrieben Sandra Kegel für die FAZ und Fritz Göttler für die SZ. +++ Eigentlich könnten solche Filme ja Stoff fürs "Festival der Wiederholungen" ("@mediasres") sein, das im Sommer wegen ausfallender, eigentlich täglich stundenlang eingeplanter Sportereignisse bevorsteht ...

+++ Und "willkommen im Dilemma der klassischen Verlagshäuser!", ruft Jürn Kruse bei uebermedien.de dem NDR-Medienmagazin "Zapp" zu, weil das nun den "Spagat ... vollführen muss", einerseits "konsequenter den Weg ins Digitale [zu] beschreiten", und andererseits zugleich "den alten Vertriebsweg Fernsehen mit regelmäßigen Sendungen" zu bedienen, und "das alles – wie gesagt – mit deutlich weniger Mitteln" als zuletzt. Wobei das reduzierte "Zapp"-Budget natürlich dennoch aus dem Rundfunkbeitrag kommen wird (wie das des Altpapiers). Das unterscheidet es dann schon noch von klassischen Zeitungen.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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