Teasergrafik Altpapier vom 22. Juni 2020: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 22. Juni 2020 K-Pop macht erfinderisch

22. Juni 2020, 08:59 Uhr

Wird die Jugend durch “Social-Media-Filmchen“ nun mehr oder doch weniger politisch? Wie man’s nimmt anscheinend... Ein Altpapier von Jenni Zylka.

K-Pop gegen Trump

Diese Teenies! Und da fürchtete man immer, die Jugend habe keinen Humor mehr! Von wegen. Die juvenile Prankleidenschaft macht nicht einmal vor US-amerikanischen Präsidenten Halt. Am Sonntag berichtete zunächst die New York Times, und danach weitere Zeitungen darüber, dass

“TikTok users and fans of Korean pop music groups claimed to have registered potentially hundreds of thousands of tickets for Mr. Trump’s campaign rally as a prank.“

Hihi. Beziehungsweise LOL. Jetzt verstehe wer will, dass von allen mainstreamigen Musikrichtungen ausgerechnet die Fans des K-Pop sich zu solch beeindruckend konzertierten politischen Aktionen motivieren lassen – nutzen Rap-Freunden und -Freundinnen kein TikTok? Rn’B-Fans? Beliebers?! Oder hängt der besondere Furor der K-Pop-Community doch mit Trumps Zuschreibungen in Bezug auf die Coronakrise zusammen...? Wir erinnern uns an einen von vielen unfassbaren Trumptweets: “Asian Americans are VERY angry at what China has done to our Country, and the World.“ Schrieb er im Mai, nach einer seiner Auseinandersetzungen mit der CBS-Reporterin Weijia Jiang, die von ihm bei Pressekonferenzen im Weißen Haus regelmäßig paternalistisch beleidigt wird. Und es gab bereits Anfang Juni einen ebenso interessanten Schachzug: Da hatten Anhängerinnen und Anhänger der koreanischen Mega-Boygroup “BTS“ den vor allem von Rassistinnen und Rassisten genutzten Hashtag #whitelivesmatter mit K-Pop-Postings überflutet, damit

“statt rassistischer Kommentare positives Vibes trenden“,

wie die Jugendwelle des SWR berichtete. Andererseits, wenn man gründlich genug suchen würde, fände man garantiert für jede Subkultur und erst recht für jede Hautfarbnuance ein paar Trumptweets, die einen Boykottaufruf rechtfertigen. Man könnte die Idee mit den Fake-Tickets-Zusagen also noch ausbauen.

Woher kommt politische Gesinnung?

Aber spannend ist das schon jetzt: Der Tagesspiegel nennt die misslungene Wahlveranstaltung (statt der erwarteten19 000 Menschen kamen 6200) “Die Tulsa-Blamage“, und macht sich in einer langen Reportage an eine Analyse der Gesinnung der Trump-Gefolgschaft (leider ohne eindeutiges Fazit). Die Sache mit den TikTok-Nutzerinnen und -Nutzern ihren reservierten und dann nicht eingelösten Tickets kommt darin zwar noch nicht vor – stattdessen wird die magere Teilnahme auf misslungene Manpower zurückgeführt:

“Aber dieser Abend ist ein Einschnitt: Eine solche Fehleinschätzung der eigenen Mobilisierungskräfte hätten der Trump-Kampagne vorab wohl nur wenige zugetraut.“

Dabei würde man gern mal eine valide Studie darüber in Auftrag geben, welche Synergieeffekte durch das Nutzen bestimmter Social Media-Kanäle gegeben sind, und welche Rolle dabei Alter, Musikgeschmack und Jugendkulturzugehörigkeit führt. Der Jugendforschung in dieser Welt geht dahingehend jedenfalls nicht so bald die Arbeit aus.

Politisiert oder frustriert?

Apropos: In der taz schaut der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sogar einigermaßen positiv auf die Folgen der Krise für die Generation Z:

“Die Generation Z ist politisiert. Und diese Politisierung sitzt tief.“

Sagt er. Und weiter, in Bezug auf Fridays for Future und die Frage, ob sich die Klimakrise und die Coronakrise eventuell gegenseitig, sagen wir es mit den unter der Trockenheit leidenden Landwirtinnen und Landwirten, das Wasser abgraben könnten:

“Diese Bewegung ist weniger gegen etwas – ein großer Unterschied übrigens auch zur letzten großen Protestbewegung, den 68ern – als vielmehr für etwas. Das ist eine Generation, die mitdenkt. Und dieses Prinzip könnte sich darauf übertragen, wie diese Generation mit der Krise umgeht: Wie modernisieren wir die Wirtschaft, wie müssen Beruf und Privatleben miteinander kombiniert werden, wie sieht ein modernes Büro aus?“

Das wäre doch wirklich schön. Vor allem wo andere das ganz anders sehen – und eher Angst vor den Folgen der Jugend im Lockdown haben, hier in der Zeit thematisiert in einem Interview mit einer Psychologin:

“Draußensein ist normalerweise ein Katalysator, jetzt spielt sich alles drinnen ab, Energie und Frust stauen sich.“

Genderfreies Stuttgart

Und das passt ja tatsächlich leider wie, nun ja, die Faust aufs Polizistenauge zu dem, was man bislang über die Vorgänge in Stuttgart erfährt. Bei denen die Berichterstattung wie üblich versäumt, Genderangaben zu machen – die Herkunft der “jungen Menschen“, “Personen“ und “Randalieren aus der Partyszene“ wird dagegen allerdings wie üblich thematisiert, hier zum Beispiel in der Tagesschau:

“24 Personen seien vorläufig festgenommen worden, sagte Polizeivizepräsident Thomas Berger. Zwölf davon haben eine deutsche, zwölf eine andere Staatsangehörigkeit.“

Oder auch in der Bildzeitung:

“Ausgelöst wurden der Gewaltausbruch offenbar von einer Drogen-Kontrolle an einem 17-Jährigen, mit dem sich die anderen Jugendlichen dann solidarisierten. Bei dem kontrollierten 17-Jährigen handelte es sich laut Polizei es sich um einen deutschen Staatsbürger mit weißer Hautfarbe.“

Wenn für die auf sachliche Information gemünzte Öffentlichkeit nach Ansicht der Redaktion eine Rolle spielen soll, welche Staatsangehörigkeit, sogar welche Hautfarbe die “Personen“ oder die “Jugendlichen“ haben – wieso dann nicht ihr Geschlecht? Wenn herauskäme, dass es sich bei weit über 90% der Beteiligten um junge Männer handelte – wäre das nicht eine signifikantere Information als die Tatsache, dass die Hälfte der Festgenommenen Nicht-Deutsche sind? Man muss wirklich nicht viel verändern, einfach nur in den Satz

“Demnach waren auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen auf dem Schlossplatz 400 bis 500 Personen beteiligt.“

eine klitzekleine, aber aussagekräftige Adverb-Adjektiv-Verbindung einschieben:

“Demnach waren auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen auf dem Schlossplatz 400 bis 500 größtenteils männliche Personen beteiligt.“

Filmchen-Sucht

Schon wäre das Bild genauer - und die objektive Nachrichtenpflicht ebenso erfüllt. Stuttgarts Bürgermeister Fritz Kuhn sieht laut Welt übrigens genau das, was Trumps Tulsa-Show den Todesstoß gab, den Umgang mit Social Media, als Hauptproblem:

“Ein Grund wird Alkohol sein, ein anderer die Sucht, in sozialen Medien mit Filmchen zu kommen.“.

Auch hier also kein Hinweis weit und breit darauf, ob die “Filmchen-Sucht“ eigentlich eher männliche als weibliche Teenies anspricht – und ob das Problem dann vielleicht nicht (nur) bei den “Filmchen“, sondern (auch, vor allem??) im Umgang unserer Gesellschaft mit Männlichkeit liegt....? Und darum von anderer Seite angegangen werden muss...? Menno, jetzt reicht’s aber mit den Zaunpfählen.  


Altpapierkorb (Tönnies und die Vegetarierinnen und Vegetarier, der Rote Planet wird Grün, Ian Holm ist ein Android)

+++ Im Spiegel erklärt ein Psychoanalytiker, wieso die Menschen auch nach der Geschichte bei Tönnies nicht aufhören, billig und mensch- und tierunwürdig hergestelltes Fleisch zu essen. Hier ein Auszug: “Es ist unmittelbar einleuchtend, dass man umso eher an einer Verleugnungsstrategie festhält, je mehr Nutzen man aus der an sich schlechten und bedrohlichen Realität zieht. Die desaströsen Zustände in der Fleischindustrie zu verleugnen, schützt nicht nur vor einem Konflikt, den man mit seinem ökologischen Gewissen hat oder haben müsste, sondern verhilft auch dazu, weiterhin von Dumpingpreisen zu profitieren. Die Psychoanalyse spricht hier von einem "sekundären Krankheitsgewinn".“ Vermutlich würden die meisten Billigfleisch-Käufer und Käuferinnen ökonomisch argumentieren, erst das Fressen, dann die Moral. Der Analytiker nennt das als Fazit eine “Selbstentwertung“. Man müsste jetzt nur noch überlegen, wie diese Erkenntnis nachhaltig an die Konsumenten gelangen kann – lesen die das und fühlen sich ertappt? Anscheinend ja nicht.

+++ In der Frankfurter Rundschau wird erklärt, wieso es in der Atmosphäre des Roten Planeten, dem Mars, auf einmal grün schimmert: Das hat etwas mit dem Phänomen des auch auf der Erde vorhandenen “Airglow“ zu tun, “interagierenden Sauerstoffatomen“. Das klingt so hübsch“ Hoffentlich finden die Forscher auch noch Gelb, und nutzen den Mars als Ampel! Oder als kongolesische Flagge!

+++ Im Großen und Ganzen kaprizieren sich leider die meisten Nachrufe auf den Schauspieler Ian Holm (viele davon aus Computerzeitschriften und Webseiten wie dieser hier ) zu sehr auf seine Rolle als Bilbo Beutlin in Herr der Ringe – und unterschlagen seine großartige Leistung in Alien. Hier die besonders ekelige und faszinierende Szene, bei dem ihm literweise Androidenschleim aus dem Mund läuft.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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