Das Altpapier am 09. Juni 2020 Aufruhr bei der "New York Times"
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09. Juni 2020, 10:55 Uhr
Hat ein republikanischer Senator die bekannteste Zeitung der Welt getrollt? Sein Gastbeitrag sorgt nicht nur für eine Personalrochade bei der bekanntesten Zeitung der Welt. Die Frage ist: Gibt es einen "civil war" zwischen jungen und älteren Redaktionsmitgliedern? Oder geht es auch eine Nummer kleiner? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Eine Frage der Meinung
Gastbeiträge sind, wie der Name sagt, Beiträge von Gästen, keine Beiträge der Redaktion selbst. Kein einziger Redakteur muss notwendigerweise die Positionen teilen, die eine Gastautorin oder ein -autor vertritt. Und doch übernimmt eine Redaktion Verantwortung dafür, wenn sie ihn veröffentlicht. Sie stellt ihre Infrastruktur zur Verfügung, sie befördert die Verbreitung, sie leiht einem Text ihren Markennamen. Sie klebt ihm quasi ein Etikett an: von uns, einem Medium Ihres Vertrauens, für diskussionswürdig und in irgendeiner Weise für relevant befunden.
James Bennet, der bis zum Wochenende Meinungschef der New York Times und ein aussichtsreicher Kandidat für die Chefredaktion gewesen ist, ist ein Gastbeitrag des republikanischen Senators Tom Cotton zum Verhängnis geworden, der "Send In the Troops" betitelt ist.
Die darauf folgenden Entwicklungen treiben mittlerweile auch deutsche Medienschaffende um; die Meldung von Bennets Kündigung wurde weithin vermeldet.
Was sich zugetragen hat
Der Senator, Tom Cotton, forderte in seinem Gastbeitrag, "das Militär gegen die Randalierer einzusetzen, die in den Tagen zuvor in mehreren amerikanischen Städten Läden geplündert und Autos in Brand gesteckt hatten", so eine Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung vor einigen Tagen. Und er behauptete, die Proteste seien von "cadres of left-wing radicals like antifa", also linken Extremisten gekapert worden. Eine unbelegte These, wie unter anderem die Times zuvor bereits recherchiert hatte. Aber Donald Trump gefiel das. (Er hat den Text jedenfalls retweeted.)
Kritiker aus der Redaktion werfen Bennet vor, er habe sich von einem Trump-Vertrauten trollen lassen und es noch nicht einmal gemerkt. Fallstricke für US-amerikanische Medien in der Trump-Ära: nächstes Kapitel.
Von "einem nie da gewesenen Aufruhr" in der New York Times ist heute in der SZ die Rede. Kritik am Text und vor allem an seiner Veröffentlichung kam nicht nur von außen, sondern wurde auch öffentlich von vielen Reporterinnen und Reportern der Times selbst vorgetragen. Am 4. Juni widmete der besagte James Bennet, der das Meinungsressort zu diesem Zeitpunkt noch leitete, deshalb einen Newsletter der Frage, "Why We Published the Tom Cotton Ed". Er argumentierte, er vertrete nicht Cottons Position, aber die Meinungsvielfalt. Ebenfalls am 4. Juni twitterte seine Kollegin Bari Weiss einen mittlerweile enorm weit verbreiteten Thread, in dem von einem "civil war inside The New York Times between the (mostly young) wokes the (mostly 40+) liberals" die Rede war; einen Thread, dem von anderen im Haus – ebenfalls bei Twitter – deutlich widersprochen wurde.
Am 7. Juni machte die New York Times publik, dass Meinungschef Bennet gekündigt habe. Am gleichen Tag, geupdated am gestrigen 8. Juni, erschien ein bemerkenswerter, weil offener Text über die Geschehnisse im eigenen Haus, in dem von einem "Debakel" die Rede ist. Für Senator "Cotton, Trump und ihre Verbündeten", schrieb der New Yorker Journalistikprofessor Jay Rosen, handle es sich um einen "huge Propaganda win" und eine erfolgreiche Trollaktion. Ebenfalls ein lesenswerter Beitrag.
Nur, worum geht es eigentlich?
Das kommt nun eben darauf an, wen man fragt. Jay Rosen? Er bringt die Trump-Regierung in die Gleichung mit ein: Wir leben nicht in Zeiten, in denen wir schön Diskutierklub spielen können. Objektivitität sehe zudem für Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft anders aus als für Minderheiten – so viel zur Frage, ob Objektivität objektiv ist.
Es geht jedenfalls bei der Diskussion um die Times und den Cotton-Beitrag nicht nur um eine Personalie. Es geht auch nicht nur um die Verletzung redaktioneller Standards bei der Abnahme des Texts, die offiziell problematisiert wurde. Und auch nicht nur darum, dass irgendwelche Forderungen irgendeines republikanischen Senator vielen nicht gefielen.
"Im Bemühen, ein möglichst breites Meinungsspektrum abzubilden, hat die liberale Times auch schon Wladimir Putin und einen Taliban-Chef zu Wort kommen lassen", schreibt Willi Winkler in der (schon oben verlinkten) SZ; man hätte auch die militaristischen Gedankenspiele eines harten Konservativen wohl irgendwie verkraftet – in anderen Zeiten. Es geht schon, ganz konkret, um diese konkreten Forderungen in diesen Zeiten: "(B)ei Cottons Beitrag fühlten sich vor allem schwarze Redaktionsmitglieder bedroht", so die SZ. Ein Vorwurf lautete, so referiert es auch die taz, "mit der Veröffentlichung ganz unmittelbar Leben zu gefährden, nicht zuletzt die der Schwarzen Angestellten der Zeitung".
In Deutschland scheint mir dieser Kontext hier und da etwas zu lässig und mit Freude an der Selbstbestätigung längst vorrätiger Gedanken übergangen zu werden. Hierzulande geht es auch um die Frage, ob die New York Times eine einfältige Entwicklung nehme, die auch uns bevorstehe (Tweet 1, 2, 3) – nämlich einer Entwicklung zur Verengung von Debatten, zum Ausschluss missliebiger Positionen. Eine Frage, die man stellen kann. Aber ob sie in diesem Fall die richtige ist?
Ausgangspunkt dafür ist der besagte Thread der New-York-Times-Redakteurin Bari Weiss (die mit dem "civil war" zwischen Jung und Alt): Die einen, die Jüngeren, würden demnach also nur das als veröffentlichenswert erachten, was ihnen ins Weltbild passt. Während die anderen, die Älteren, den offenen Streit der Meinungen befürworten würden. Weiss’ These wird heute auch etwa vom Chefredakteur des Magazins The National Interest, Jacob Heilbrunn, im Tagesspiegel-Interview aufgegriffen:
"Wir erleben einen Krieg der Generationen. Die jüngeren Zeitungs-Kollegen haben andere Werte als die älteren. Objektivität und Pluralismus gelten nicht mehr als oberste Ziele. Nur was 'wahr' ist, soll verbreitet werden. Allerdings wollen die jüngeren Kollegen selbst bestimmen, was Wahrheit ist. Das hat gefährliche Züge." Es sei "illiberal".
Jung gegen Alt, woke gegen liberal?
Worum es noch geht
Mir scheint ein anderer Aspekt hilfreicher zu sein. Er steckt in einer weiteren Twitter-Formulierung von Bari Weiss, die über die streitenden Gruppen innerhalb der Times schreibt: "The New York Times motto is 'all the news that's fit to print.' One group emphasizes the word 'all.' The other, the word 'fit.'"
Die Frage ist, ob vielleicht mit dem Motto der Zeitung etwas nicht mehr stimmt: "all the news that's fit to print." Es stammt, man merkt es schnell, aus einer Zeit, in der eine Zeitung ausschließlich gedruckt wurde. Viel Papier, Meinung a, Meinung b, Meinung c, schön angeordnet: Hier, liebe Leserinnen und Leser, das ganze Spektrum auf einen Blick. Als jede Leserin 48 oder 86 Seiten Zeitung auf dem Tisch bekam, konnte man prima ein Thema aus allen Blickwinkeln ausleuchten.
Online aber gibt es nicht "all the news". Geteilt werden einzelne Texte, die dann aber für sich stehen – ohne die Vielfalt der Restzeitung. Wer den militaristischen, unverkennbar auch gegen antirassistische Demonstrationen argumentierenden Gastbeitrag des republikanischen Senators liest (über den der erwähnte Jacob Heilbrunn sagt, er habe "faschistische Züge") – der bekommt nicht unbedingt "all the news". Sondern vielleicht nur diesen einen von allen denkbaren Kontexten befreiten Text. Der bekommt nur eine einzelne Meinung – verbreitet unter dem Dach der nytimes.com.
Soll man Gastbeiträge von Politikern veröffentlichen, wo sie doch auch an allen anderen Stellen im Internet ein Plätzchen finden? Das wäre vielleicht mal ein Fall für ein Pro und Contra. Ich könnte das Contra übernehmen.
Objektivität nochmal
Bleibt die Perspektive des Journalismusprofessors und Bloggers Jay Rosen. Er fragt, wie oben schon angedeutet, was das eigentlich sein soll in Zeiten, in denen Donald Trump regiert: Objektivität. Die Trump-Regierung betrachte Journalismus selbst als Gegner; einer Regierung, die jede unabhängige Kontrolle untergrabe, könne man nicht begegnen, indem man die Idee einer "Debate club democracy" aufrechterhalte: "It’s an attack on the institutions of American democracy."
Altpapierkorb (ARD 70, eine SWR-Doku aus und mit China, eine Studie zu Hassrede, Reichelt-Döpfner-Podcast)
+++ Die ARD wurde übrigens heute vor 70 Jahren gegründet. Und Hans Hoff, na ja, gratuliert in der Süddeutschen. "Es stimmt so einiges nicht in der Gemeinschaft der Vielen." Aber weil Geburtstag ist, auch dies: Die ARD "hat viele Pfunde, mit denen sich wuchern ließe".
+++ Einen Podcast, in dem Mathias Döpfer und Julian Reichelt darüber sprechen, wie gemein alle Welt zur Bild ist, hat Stefan Niggemeier für Übermedien (Abo) gehört. Hier der letzte Satz eines langen Texts: Reichelt "verklärt die eigene schmutzige Arbeit zu etwas so Edlem, dass der Kontrast zur Realität aberwitzig wird."
+++ Netzpolitik stellt eine Studie – besser gesagt: einen Preprint – zur Frage vor, "wie sich Gegenrede im Netz auf Hassrede auswirkt" (nämlich demnach positiv)
+++ Ihren Aufmacher allerdings widmet die SZ-Medienseite der SWR-Dokumentation "Inside Wuhan – Chronik eines Ausbruchs". Denn, nanu: "Die Interviews mit chinesischen Virologen und Ärzten drehte die Propaganda-Abteilung selbst."
Neues Altpapier erscheint am Mittwoch.
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