Teasergrafik Altpapier vom 04. Mai 2020: Porträt Autor Ralf Heimann
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Das Altpapier am 04. Mai 2020 Pressefreiheit – eine sehr schöne Aufgabe

04. Mai 2020, 12:30 Uhr

Die Pressefreiheit ist in Schwierigkeiten. Eigentlich immer. In Berlin wird ein ZDF-Team zusammengeschlagen. Der Bund scheitert mit Tricksereien vor dem Bundesgerichtshof. Und ARD-Korrespondentin Natalie Amiri muss ihr Büro in Teheran räumen. Jetzt kann sie erzählen, was wirklich dort los war. Ein Altpapier zum Internationalen Tag der Pressefreiheit von Ralf Heimann.

Wie sähe ein mutiger Angriff aus?

Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, fällt üblicherweise ein großer Lichtkegel auf die Situation der freien Medien weltweit. Und es ist leider nicht so, dass man lange nach Beispielen suchen müsste, die belegen, dass diese Medien sich ihrer Freiheit nie sicher sein können.

Kurze Rückblende. Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit ist schon vor anderthalb Wochen (Altpapier vom 21. April und 22. April) erschienen. Deutschland ist wie im vergangenen Jahr um zwei Plätze nach vorne gerückt, in diesem Jahr auf Rang 11 (von 180), was über die tatsächliche Veränderung im Land aber nichts aussagen muss. Vor zwei Jahren machte Deutschland Boden gut, obwohl der von Reporter ohne Grenzen zur Bewertung ermittelte Punktwert schlechter geworden war, nur in anderen Ländern hatte er sich noch mehr verschlechtert. In diesem Jahr hat sich die Situation in Deutschland leicht verbessert, jedenfalls nach den Zahlen von Reporter ohne Grenzen. Das lag, wie René Martens vor anderthalb Wochen zitierte, "vor allem an deutlich weniger Gewaltangriffen auf Journalisten aus dem rechten politischen Spektrum". Und als hätte eine rechtskonservative Realität das zum Anlass genommen, noch einmal mit einem Beispiel zu belegen, dass die Gefahr nicht nur von rechts komme, sondern auch links, wurde Ende am Freitag ein Team der ZDF-"heute-show" in Berlin-Mitte nach einem Dreh brutal zusammengeschlagen und die taz meldete:"Staatsanwalt sieht linke Motivlage."

Ganz eindeutig scheint das allerdings nicht zu sein. Die Lage sei "ziemlich komplex", lässt die Staatsanwaltschaft mitteilen. Bei den Linken rätselt man laut taz, wer ein Motiv gehabt haben könne. Die Antifa sieht keine Hinweise dafür, dass es jemand aus ihren Reihen gewesen sein könnte. Mit Blick auf die Pressefreiheit ändert das aber nichts am Ergebnis. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, der DJV-Vorsitzende Frank Überall und Außenminister Heiko Maas (SPD) versahen den Angriff in ihren Stellungnahmen mit dem Adjektiv "feige":

Anne Fromm kommentiert ebenfalls für die taz:

"'Feige' ist nun wirklich das letzte Wort, das mir einfällt zu dem Angriff auf ein Reporterteam der ZDF-'heute show' am Freitag. Aggressiv, abscheulich, brutal, es gäbe da eine Reihe von Adjektiven. Aber feige? Wie hätte denn ein 'mutiger Angriff' ausgesehen?"

Unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete, es gebe "aus bestimmten Kreisen" den Vorwurf, die Attacke sei inszeniert gewesen. Der Comedian Abdelkarim, der Teil des attackierten Fernsehteam war, jedoch unverletzt blieb, schrieb dazu bei Twitter, wie auch das Redaktionsnetzwerk zitiert:

"Ich hoffe, ich störe jetzt nicht die polizeilichen Ermittlungen, aber hier eine kleine Klarstellung, weil es wirklich Menschen gibt, die das glauben: Der Angriff war nicht inszeniert. Ist zwar grad in Mode, aber man muss nicht auf alles mit einer Verschwörungstheorie reagieren."

Nein, das muss man tatsächlich nicht, doch die fehlende Verpflichtung scheint keinen großen Einfluss darauf zu haben; es wird ja doch fast immer gemacht. Aber das ist ein anderes Thema. Bleiben wir bei der Pressefreiheit.

Bund scheitert mit Tricksereien

Dass die Pressefreiheit nicht nur durch Gewalt gefährdet ist, sondern auch durch den Einfallsreichtum von Behörden, zeigt ein Fall aus der fernen Vergangenheit, in der wir Begriffe wie "Corona", "Fake News" oder"Funke-Mediengruppe" noch nicht kannten. Im Jahr 2012 veröffentlichte die damals noch als WAZ-Mediengruppe firmierende Funke-Gang die sogenannten "Afghanistan-Papiere", Berichte mit mittelmäßigem Geheimhaltungsgrad, die aber dennoch nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren (zuletzt hier im Altpapier). Der Bund verbot das, allerdings nicht mit dem Hinweis auf den Geheimhaltungsgrad, sondern mit Verweis auf das Urheberrecht.

Nach langem Hin und Her urteilte nun der Bundesgerichtshof (BGH):

"Dem Interesse an einer Veröffentlichung der hier in Rede stehenden Informationen kommt im Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu."

Ob die Berichte tatsächlich urheberrechtlich geschützt sind, spielt dabei laut BGH keine Rolle, denn es greife die "Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG)". Diese Schranke erlaubt Berichte auch dann, wenn das Urheberrecht Inhalte schützt, sofern die Voraussetzung erfüllt ist, dass ein "Tagesinteresse" (Wortlaut des Gesetzes) besteht, was nach Einschätzung des Gerichts hier der Fall war.

Was das Urteil bedeutet, erklärt Christian Meier für die Welt:

"Das Urheberrecht, ein auch für Journalisten und Medienunternehmen unschätzbar wichtiges Grundrecht, darf nicht missbraucht werden, um das Informationsfreiheitsgesetz zu umgehen und damit die Pressefreiheit zu behindern."

In einem anderen ein paar Jahre zurückliegenden Fall, zu dem nun ebenfalls ein aktuelles Urteil vorliegt, spielt die "Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse" ebenfalls eine Rolle. Die dpa fasst den Fall wie folgt zusammen (hier bei der FAZ):

"Die Pressefreiheit geht vor: Das Nachrichtenportal darf einen älteren Buchbeitrag zu Sex mit Kindern abdrucken, auch wenn sich der Politiker in der Zwischenzeit mehrmals davon distanziert hat."

Danach hat der Grünen-Politiker Volker Beck, um den es hier geht, den Umstand selbst verursacht, dass das Dokument in der von Spiegel Online gewählten unkommentierten Form veröffentlicht werden darf – und zwar dadurch dass er vor Jahren behauptet hatte, der erschienene Text sei vom Herausgeber verfälscht worden und unterscheide sich erheblich von dem Original-Manuskript. Das Manuskript war allerdings im Jahr 2013 wieder aufgetaucht und ließ Zweifel an dieser Behauptung aufkommen.

Das Jura-Fachportal beck-aktuell, das sich nicht, wie der Name vermuten lassen könnte, ausschließlich mit diesem Fall beschäftigt, erklärt das Urteil noch etwas ausführlicher.

Todesdrohungen in Teheran

Bei allen Problemen mit der Pressefreiheit in Deutschland wird bei einem Blick über die Grenzen des Landes hinaus deutlich, dass die Schwierigkeiten auf den hinteren Rängen der Pressefreiheits-Skala noch ein ganz anderes Kaliber haben. Natalie Amiri, die ARD-Korrespondentin in Teheran, musste ihre Arbeit im Iran nun beenden, nicht auf eigenen Wunsch, sondern nach einer Entscheidung ihres Senders, wie sie in einem zehnminütigen Video-Interview mit dem NDR-Medienmagazin "Zapp" erklärt ("Sie hatten Angst, dass man mich als politische Geisel nimmt").

In dem Gespräch gibt sie Einblicke, die man kaum anderes als erschütternd bezeichnen kann, etwa von einer "Interrogation" – schon die Konstellation vermittelt einen Eindruck von der Bedrohung – mit acht Männern vom Geheimdienst auf einem Hotelzimmer. "Die wussten alles über mich, bis zu meinem Studium, wo ich in Deutschland studiert habe", sagt Amiri. Dort habe man sie aufgefordert, nicht mehr zu berichten und sie mit dem Tode bedroht. Sie wisse ja, was mit Journalisten passiere. Könne ja sein, dass ein Lkw vom Weg abkomme, habe man ihr gesagt.

Auch ihre übrigen Schilderung sind schaurig. "Natürlich ist man da einem enormen Druck ausgeliefert, über die Wahrheit zu berichten, während es tausend Angestellte gibt, dort vor Ort, die einen daran hindern wollen, die Wahrheit in die Welt zu tragen", sagt sie. Und: "Man darf nirgendwo dabei sein, wo eigentlich was passiert." Wenn man in die Provinzen komme, sei der Geheimdienst immer schon da.

Iran liegt im Pressefreiheits-Ranking auf Rang 173. Das beutet, es gibt sieben Länder, in denen die Situation den Zahlen nach noch schlechter ist. Das sind Syrien, Vietnam, Dschibuti, China, Eritrea, Turkmenistan und auf dem letzten Platz Nordkorea.

SZ-Dossier zur Pressefreiheit

DieVolontärinnen und Volontäre der Süddeutschen Zeitung haben sich in der Samstagsausgabe in einem Schwerpunkt zum Internationalen Tag der Pressefreiheit auf mehreren Seiten mit dem Thema beschäftigt. Julia Bergmann und Fancesca Polistina haben zum Beispiel den Vorjahresletzten und aktuell Vorletzten in der Rangliste porträtiert: Turkmenistan ("In Turkmenistan gibt es nur ein Narrativ, und das wird von der Regierung erzählt.")

Ebenfalls im Dossier:

  • die Geschichte der Pressefreiheiteine Chronologie von Anika Blatz, Christoph Koopmann und Carina Seeburg.

  • ein Überblick über die Pressefreiheit weltweit von Simon Gross, Francesca Polistina und Sarah Unterhitzenberger.

  • Simon Gross beschreibt den wirtschaftlichen Druck auf dem Zeitungsmarkt, unter anderem am Beispiel einer Lokalredaktion der Lausitzer Rundschau in Guben.

Teil des Schwerpunkts ist auch ein interessantes Interview mit Anja Reschke (nächstes Altpapier wieder ohne Anja-Reschke-Interview. Versprochen! Hier trotzdem noch der Hinweis aufs letzte im Altpapier vom Donnerstag), die das Problem in Deutschland sehr schön umschreibt:

"In vielen anderen Ländern müssen sie Angst haben, wenn sie regierungskritisch berichten. Bei uns musst du Angst haben, dass dich eine von den neuen Rechten gesteuerte Trollarmee im Internet angreift und fertigmacht. Das hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen, das die Pressefreiheit in Deutschland in meinen Augen in der Tat gefährdet."

Sie spricht auch über das, was nach dem Ende der Krise droht, wenn die Folgen immer deutlicher werden, und das könnte auch die von Teilen der Bevölkerung als Einheit verstandenen "Medien" betreffen: 

"Es besteht die Gefahr, dass Menschen, die jetzt ihre Existenz verlieren, diesen Umstand auf etwas schieben wollen."

Man kann die ganzen Schwierigkeiten allerdings auch optimistisch sehen, wie wir im PR-Seminar gelernt haben – also nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen. Zum Abschluss also die erleichternde Feststellung: Immerhin gibt es nicht nichts zu tun. Oder wie Anja Reschke sagt:

"Die Pressefreiheit ist jetzt erst richtig gefordert: Wir müssen darauf achten, dass die Einschränkung der Grundrechte auch wieder zurückgedreht wird. Das ist eine sehr schöne Aufgabe sowohl für die Opposition als auch für Journalisten."

Und damit weiter zum…


Altpapierkorb (Klöckners PR-Show, Gutscheine fürs Lokale, Corona-Zahlen, Geschichte eines abgelehnten Gastbeitrags)

+++ Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ist bei Bild.de zusammen mit dem Promikoch Johann Lafer in einer Kochshow aufgetreten und hat dabei wieder mal den Eindruck erweckt, sie ließe sich für PR-Zwecke missbrauchen. Wie Alexander Krei für DWDL erklärt, wurde die Sendung unter anderem von einer Lebensmittelkette präsentiert. Das in der Show verwendete Fleisch erfüllt so gerade eben die Mindeststandards (was sich offenbar dadurch erklärt, dass das Menü maximal 25 Euro kosten sollte). Und die Erklärung von Klöckners Ministeriums dazu ist auch nicht ganz stimmig, wie Kevin Kühnert bei Twitter bemerkt. Das alles weckt Erinnerungen an den vergangenen Juni, als die Ministerin dem Nestlé-Chef in einem Video half, seine Werbebotschaften zu verbreiten. Das ging – wir erinnern uns – ebenfalls nach hinten los.

+++ Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner schlägt in einem Beitrag für den Spiegel Arbeitnehmergutscheine vor, um lokale Medien zu fördern. Turner schreibt: "Ein zusätzlicher Arbeitnehmergutschein für Lokalinformation würde die Nachfrage beleben, ohne Strukturen zu zementieren. Das Medium kann davon Boten bezahlen, Informatiker oder mehr Lokaljournalisten. Ganz nach Belieben – und was sich im Wettbewerb bezahlt macht. Denn das Geld würde ja nur dort ankommen, wo Medienhäuser und Journalisten es schaffen, Publikumsinteresse zu wecken. Es würde eingesessene Redaktionen und neue Initiativen beflügeln, das beste lokale Nachrichtenangebot auf- oder auszubauen, ganz gleich, ob gedruckt oder digital. Es gäbe mehr Angebot und mehr Wettbewerb. Der wesentliche Vorteil aber wäre: Die Redaktionen müssen sich diese Nachfrage bei den Bürgern in der Region erarbeiten, nicht bei der Politik."

+++ Hinnerk Feldwisch-Drentrup erklärt für Übermedien die fünf häufigsten Fehler, die Medien beim Hantieren mit Corona-Zahlen machen. Hier schon mal alle Fehler im Überblick: Journalisten verwechseln Meldezahlen mit den tatsächlichen Fallzahlen. Sie ignorieren, dass Statistiken oft unsichere Angaben enthalten. Sie verwenden Werte wie die Verdopplungszeit, die in die Irre führen können. Sie vermitteln den falschen Eindruck von Aktualität, weil Werte bei der Veröffentlichtung nicht mehr aktuell sind, und sie vergleichen die Fallzahlen unterschiedlicher Länder miteinander, was so ohne Weiteres auch nicht geht.

+++ Der Wirtschaftsprofessor Rüdiger Bachmann dokumentiert auf neun Seiten, wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt ihn bei Twitter nach einer Kritik an Welt-Beiträgen von anderen Ökonomen erst um einen Gastbeitrag bat, der Text dann aber später ohne Angaben von Gründen gestrichen wurde – nachdem die Redaktion ihn schon mit Bachmann abgestimmt und terminiert hatte. Die Redaktion hat dazu (sofern ich nichts übersehen habe) noch nicht Stellung genommen. Eine Vermutung wäre: Die Kritik an der Zeitung in Bachmanns Beitrag war dann doch etwas zu schmerzhaft.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

Offenlegung: Ich arbeite für ein lokaljournalistisches Projekt in Münster, an dem Tagesspiegel-Verleger Sebastian Turner beteiligt ist.

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