Das Altpapier am 20. April 2020 Haben die Herren all das denn nicht gelesen?
Hauptinhalt
20. April 2020, 11:21 Uhr
Journalismus und Journalismuswissenschaft streiten. Das Fernsehen der Corona-Ära hat seinen kreativen Höhepunkt mindestens erreicht. Christian Drosten muss mit seiner Roberthabeckisierung klar kommen (und attraktive Journalisten-Frisuren können auch mal erwähnt werden). Friedrich Küppersbusch scherzt wieder, nun auf Youtube. Außerdem: die Storymachine-Story, Streit unter Kontaktverfolgungsapp-Entwicklern und ein Datenspende-Rekord. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Inhalt des Artikels:
- Journalismus vs. Journalismuskritik
- Corona-Videos jetzt auch von Küppersbusch
- Christian Drostens Roberthabeckisierung
- Journalismus und PR – neue Staffel
- Corona-App-Entwickler-Streit und ein Datenspende-Rekord
- Altpapierkorb (Brandenburger Lokaljournalismus-Förderung, meedia.de als Zeitschrift, Hilker-Interview)
Journalismus vs. Journalismuskritik
Hui, bahnt sich da mitten in der Krise konstruktiver Streit an? Jedenfalls trat in der Samstags-FAZ Werner D’Inka, der kürzlich in den Ruhestand gegangene Ex-Herausgeber, der scharfen Kritik von Medienwissenschaftlern wie den hier wiederholt erwähnten Otfried Jarren und Meier/ Wyss sowie Stephan Russ-Mohl und Claus Eurich ("Journalismus desaströs – ein Zwischenruf") ebenfalls scharf, aber mit konkreten Gegenbeispielen entgegen. Und die stammen außer aus dem eigenen Blatt immerhin auch aus der Süddeutschen. Haben all die Herren all das denn nicht gelesen?
"Geradezu grotesk ist die Rüge, 'die' Medien nähmen die Einschränkungen von Grundrechten hin wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden. Nirgends wird die abwägende Debatte darüber, was gerade noch hinzunehmen sei, und auch das nicht auf Dauer, seriöser geführt als in 'den' Medien, und beileibe nicht nur von Gastautoren. Lesen und sehen die Medienkritiker das nicht? Helmut Reitze, der frühere Intendant des Hessischen Rundfunks, pflegte Beschwerdeführern über angebliche blinde Flecken in der Berichterstattung zu antworten: 'Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet.'"
Auch wenn D'Inkas Überschrift "Sind alle Journalisten Versager?" ausgerechnet in der noch recht jungen Journalismusvermittlungs-Disziplin Framing patzt, ist der Kommentar in der Tat lesenswert.
"Die" Medien gibt es halt nicht, sondern eine unüberschaubare Menge von häufig, aber keineswegs immer journalistischen Medien, deren Inhalte zum Lesen und/oder Sehen und/oder Hören im Internet zusammenfließen, insgesamt täglich aufs Neue unüberschaubare Ausmaße annehmen und in der Summe bei den meisten Nutzern individuell-assoziativ zusammenspielen. Das macht sowohl pauschale Medienkritik leicht als auch pauschale Verteidigung der kritisierten Medien – und es verdammt schwer, Überblick zu wahren.
Ein Mediennutzungs-Aspekt, der nach Wochen der Ausnahmezustandsroutine zu Buche schlägt: Ermüdungserscheinungen. Rasch ein Schlenker zum klassischen Fernsehen.
Corona-Videos jetzt auch von Küppersbusch
Das Fernsehen hat "die Grenzen seiner Kreativität" mindestens erreicht, konstatiert Torsten Wahl in der Berliner Zeitung:
"Tatsächlich hat sich die Optik der Videokonferenzen und Homeoffice-Selfies als Stilmittel binnen weniger Wochen schon genauso verbraucht wie die tagtäglichen Brennpunkte, Extras und Spezials, die meist nur wiederholen, was gerade in den Hauptnachrichten verkündet wurde oder was die Kollegin im anderen Sender gerade diskutiert hatte. ... Die geteilten Bildschirme, das Nebeneinanderstellen wackliger Skype-Bildchen in den neuen Formaten sollen wohl Dynamik und Rastlosigkeit demonstrieren. Doch diese Kurzatmigkeit richtet sich an eine Zuschauerschar, die gerade sehr viel Muße hat ..."
Wahl nennt allerhand interessante konkrete Details, etwa dass das ZDF seine Serie "Fritzie – Der Himmel muss warten" verschoben habe, offenbar weil darin die Protagonistin an Brustkrebs erkrankt, und: "Es kann im Fernsehen derzeit wohl nur eine Krankheit geben." Vergleichsweise gut weg kommt bei ihm der im, ähm, Kultursender 3sat kabarettierende Sebastian Pufpaff, den Hans Hoff bei dwdl.de auch schon wieder lobt, allerdings vor allem, weil 3sat vom ZDF gelenkt wird und Hoff der ARD, dem WDR und dessen "immer gleich zäher Soße der Beliebigkeit", kräftig was mitgeben möchte:
"Der Riesendampfer ARD macht nichts. Also nichts, was irgendwie der Erwähnung wert wäre. Das wäre nicht weiter aufgefallen, hätte sich nicht unweit einer bedeutenden ARD-Schaltzentrale ein televisionäres Fossil aus dem matschigen Boden des medialen Einheitsbreis erhoben und laut 'Tagesschaum' geschrien."
Dieses "Tagesschaum", dessen Name leicht an eine weiterhin erfolgreiche Nachrichtensendung erinnert, hatte anno 2013 eine Vorgeschichte, die Hoff gerne erzählt. Als Youtubekanal besteht es weiterhin. Da bietet inzwischen Friedrich Küppersbusch, der beim WDR wegen seines Hang zu Innovationen scheiterte, das nächste werktägliche Corona-Sonder-Videoformat. "LockerRoom – Schaumschlägerei zur Coronakrise" heißt es ... Nun ja. Die Schweden-Knäckebrot-Wallander-Volvo-Witzchen, die Küppersbusch in der am Montagmorgen neuesten Folge vorträgt, würden locker in jedes real existierende Dritte Programm zwischen Bommes-Quiz und "Tatort"-Wiederholung passen. Aber schon die vorige Folge ist hintersinniger.
Es "wird nicht das letzte Corona-Format bleiben", meint der Tagesspiegel gelassen. (Und in der gedruckten SZ steht heute die online eine Woche alte, positive Kritik zur von Wahl nicht so geschätzten ZDF-Online-Fernsehserie "Drinnen"; dass Abruf-Serien keinen Sendetermine haben, lässt sich in gedruckten Zeitungen immerhin kreativ nutzen).
Ob das deutsche Fernsehen aus der Corona-Krise eines Tages mit mehr Schwung hinausgeht als es hineinschlitterte, lässt sich bezweifeln ... Zurück zu den großen Fragen und den entscheidenden Persönlichkeiten aus Politik und Virologie.
Christian Drostens Roberthabeckisierung
Beide, Politik und Virologie, würden nach Wochen der Ausnahmezustandsroutine inzwischen ähnlich betrachtet, schrieb Friederike Haupt in der FAS (55 Cent bei Blendle). Soll heißen, dass Virologen inzwischen
"mehr mit Politikern gemein haben, als mancher bisher meinte. Über die heißt es, sie seien eitel, machtgierig, oft genug inkompetent. Genau dasselbe könnte man jetzt über Virologen sagen – denn sie arbeiten nun erstmals unter Bedingungen, unter denen auch Politiker arbeiten. Journalisten stürzen sich zu Hunderten auf sie, in den sozialen Netzwerken warten Tausende auf ein falsches Wort. ... Die Virologen erleben nun, womit sich Politiker herumschlagen müssen. Christian Drosten etwa wird roberthabeckisiert. Frauen lassen sich sein Gesicht auf T-Shirts drucken, zusammen mit dem Schriftzug 'Professor Drosten Ultras'. Die 'Süddeutsche' feiert ihn als 'Posterboy der Stunde', seine 'sinnlichen Lippen' und die Haare! ..."
Und "Drosten ist der Schönste" schrieb in der FAZ Timo Frasch (dessen Frisur aber auch Pfiff hat!). Zwischen dem weiterhin vielen Qualitätsjournalismus, den es zweifellos gibt, steckt halt auch immer viel Boulevard. Beide relativieren sich gegenseitig, und keineswegs immer im Sinne klassischer Blattmacher. Aber zurück zu Christian Drosten:
"Drosten seinerseits kann den Eindruck, neben fachlich kompetent auch etwas eitel zu sein, nicht vollständig zerstreuen. Dazu übte er harsche Medienkritik...",
die wie die meiste harsche Medienkritik in ihrer komprimiertem Form nicht zutrifft (siehe oben), schreibt Haupt und leitet damit über zum "neu-prominenten Virologen", Hendrik Streeck, den die Unterstützung durch u.a. Kai Diekmanns Agentur eher in eine Bredouille als voran gebracht hat.
Journalismus und PR – neue Staffel
"Braucht Wissenschaft PR?", diese Frage wurde vorige Woche hier gestellt. Nicht so, lautet nun die vorläufige Antwort, zumindest aus Sicht von Journalismus, Wissenschaft und des Deutschen Rats für Public Relations. Dieses bislang selten größer in Erscheinung getretene Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle nimmt das "Heinsberg Protokoll" unter die Lupe, mit dem die Agentur namens Storymachine, von Sponsoren bezahlt, Streecks Forschungen schnell noch bekannter machte.
"Näher beleuchtet werden soll offenbar auch die Frage nach Transparenz bei den Geldgebern, sie sei 'für uns hier Teil der Absendertransparenz, denn normalerweise gibt es ja eine klare Auftraggeber-Auftragnehmer-Situation. Hier ist die offenbar komplexer: die Forscher der Universität Bonn werden von einer Agentur unterstützt, die von dritter Seite bezahlt wird.'"
sagte der PR-Rats-Vorsitzende Lars Rademacher der Samstags-SZ. Noch tiefer in die häufig heiklen Details einsteigen konnte Investigativreporter Hans-Martin Tillack, weil bei seinem Medium, dem Stern, ein Anwaltsschreibeneinging:
"Auf Fragen des stern zu dem Verfahren schickte Storymachine am Donnerstagnachmittag ein Schreiben des Medienanwalts Christian Schertz. 'Verstöße gegen das Transparenzgebot des Kommunikationskodexes sind nicht im Ansatz erkennbar', versicherte er. Darüber hinaus habe 'meine Mandantschaft auch die Unterstützung durch Firmen vollumfänglich transparent gemacht'. Vor allem aber, so Schertz, handele sich bei Storymachine gar 'nicht um eine PR-Agentur". Sie unterliege damit auch nicht den Selbstverpflichtungen des Kommunikationskodexes des Deutschen PR-Rates.'"
Tillack führt dann natürlich gern Belege dafür auf, dass Storymachine sich bislang gar nicht ungern im Berufsfeld PR verorten ließ, zieht außerdem Querverbindungen zwischen Storymachine und der Springer-Zeitung Die Welt, deren Anfechtbarkeit Springer inzwischen einräumte, sowie zwischen der Firma Deutsche Glasfaser als einem der "Heinsberg Projekt"-Sponsoren und Springer. Beide gehörten nämlich in den Einflussbereich des Finanzinvestoren KKR.
Wobei die Glasfaser-Firma 20.000 Euro zuschoss, also eine in vielen Zusammenhängen bescheidene Summe, die gewiss weniger der umstrittenen Agentur als der akuten Pandemie-Forschung zukommen sollte, an der ja global höchstes Interesse herrscht. Querverbindungen zu zwei weiteren Ex-Zeitschriften-Chefredakteuren zog dann noch, kress.de zitierend, die FAS-Kolumne "Die Lieben Kollegen":
"Auch Dominik Wichmann (Ex-'Stern'-Chef) und Klaus Brinkbäumer (Ex- 'Spiegel'-Chef) versuchen gerade für den Ex-Journalisten-Laden namens Looping Group, ein wissenschaftliches Projekt mit ihren geballten Storytelling-Kompetenzen berühmt zu machen, selbstverständlich auch nicht aus Profit-Interesse ..."
Lehrbücher über das schwierige Verhältnis von Journalismus und PR, in dem der Aspekt, dass sich in letzterer Medienbranche deutlich höhere Einnahmen erwirtschaften lassen, eine Rolle spielt, müssen mindestens um ein Kapitel ergänzt werden.
Corona-App-Entwickler-Streit und ein Datenspende-Rekord
Jetzt was echte Lösungs-Orientiertes: Können die zahlreich angekündigten Apps, deren langer deutscher Namen Kontaktverfolgungsapps lauten würde (Altpapier), gegen die Pandemie helfen? Die Anzeichen verdichten sich, dass auch das kein Selbstläufer wird.
Von ein nun offen ausgebrochenen "Richtungsstreit unter den Entwickler:innen der Corona-Tracing-Technologie" berichten Ingo Dachwitz und Chris Köver bei netzpolitik.org. Konkret hätten "mehrere Vertreter:innen eines dezentralen Ansatzes" öffentlich "Schluss gemacht" mit dem europäischen Konsortium PEPP-PT.
Falls Ihnen das zu kompliziert klingt: Heribert Prantl hat das "Pepp-Pt"-Problem in seiner Wochenvorschau runtergebrochen. Das "Pan European Privacy-Preserving Proximity Tracing" gelte als derzeit "am wenigsten schlimme Anti-Corona-App". Womit Prantl natürlich in seinem Element ist. Hier gilt es wirklich schwierige und schwere Wagschalen-Inhalten abzuwägen. Muss und sollte der hohe Wert des Datenschutzes, den viele Nutzer sogenannter smarter Geräte ohnehin nicht sehr hoch ansiedeln, bei der Pandemie-Bekämpfung nicht zurückstehen? Doch (Prantl):
"Wie freiwillig ist eine Freiwilligkeit, die aus Angst geboren ist? Und wie freiwillig ist eine Installation der App, wenn womöglich der Zugang zu bestimmten Orten davon abhängig gemacht wird, dass man sie hat?"
Womit er zur "Corona-Datenspende-App" des Robert-Koch-Instituts (RKI) überleitet – die Sie, falls Sie das Altpapier zufällig auf einem Wearable lesen , hier gleich runterladen könnten.
Oder Sie lesen erstmal das Interview, das wiederum netzpolitik.orgs Chris Köver mit dem Leiter der Arbeitsgruppe Epidemiologische Modellierung beim RKI, führte, nachdem die App mit bereits 0,4 Millionen freiwilligen Datenspender durch die Decke der Erwatungen gegangen war. Es sei darum gegangen, sagt Dirk Brockmann,
"eine Schnittstelle zu schaffen, über die Bürgerinnen und Bürger mit der Wissenschaft zusammenarbeiten können. Soziale Netzwerkdaten und Gesundheitsdaten werden ja derzeit von Fitbit und anderen Anbietern von Wearables abgesaugt und an Dritte weiterverkauft, die Firmen verfolgen damit kommerzielle Ziele. Für die Gesundheitsforschung wären diese Daten aber ebenfalls wertvoll."
Daten, die sowieso standardmäßig von vor allem kalifornischen Firmen (Fitbits Hauptsitz befindet sich in San Francisco) gesammelt und verwertet werden, außerdem freiwillig im gesamtgesellschaftlichen Interesse einem von der Regierung betriebenen wissenschaftlichen Institut zu spenden, ist schon deswegen in Ordnung, da Daten ja zu den wenigen unerschöpflichen Ressourcen gehören und durch jede Spende (wenigstens) verdoppelt werden. Oder?
Altpapierkorb (Brandenburger Lokaljournalismus-Förderung, meedia.de als Zeitschrift, Hilker-Interview)
+++ Wenn das Bundesland Brandenburg mit 1,5 Millionen Euro im Jahr Lokaljournalismus subventioniert, können außer privatem Rundfunk auch "Telemedien", also Internetangebote etwa von Zeitungen, profitieren. Verteilen soll das Geld die Berlin-Brandenburger Landesmedienanstalt MABB, macht Deutschlandfunks "@mediasres" ein neues Fass auf.
+++ Voll antizyklisch zeigt sich das Portal meedia.de [für das ich 2019 einige Beiträge verfasste]: Es macht jetzt auch eine 88-seitige gedruckte Zeitschrift, die sich freilich online ebenfalls durchblättern lässt.
+++ Und Heiko Hilker, u.a. Medien-Newsletterer, Betreiber des Dresdener Instituts für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB) sowie Mitglied des MDR-Rundfunkrats, hat planet-interview.de ein Interview gegeben. Es geht unter anderem um Uwe Steimle und um die Öffentlich-Rechtlichen an sich: "Und da ist sehr viel Luft nach oben. Ich nehme wahr, dass trotz steigender Etats die journalistischen Umfänge und die Vielfalt innerhalb des Programms nicht zunimmt. Kurzfilme finden, wenn überhaupt, nur nach Mitternacht statt. Wo ist der lange Dokumentarfilm? Der Animationsfilm für Erwachsene? Warum wird im Hörspiel-Bereich, mit Ausnahme des Radio-'Tatort', die Vielfalt reduziert? Und wenn ich mir im Ersten und im ZDF das Vorabendprogramm, die Primetime und die zweite Primetime anschaue: Dort werden die Sender dem Vielfaltsanspruch nicht gerecht. ..."
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/feb3214f-7f1e-4607-8e39-989a8e9642ba was not found on this server.