Teasergrafik Altpapier vom 16. April 2020: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 16. April 2020 Action in den Liveböppelblogs

16. April 2020, 11:01 Uhr

Könnte man nicht mal neue Feiertage in Deutschland einführen, zum Beispiel den “Tag des signalfarbenen Blinkeböppels“? Ist in Redaktionen Kurzarbeit trotz Mehrarbeit angemessen? Und: die Nachrichten als permanentes Grundrauschen der Krise – sogar für die Jüngeren, die sich ihre Informationen sonst selbst zusammensuchen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Tag des signalfarbenen Blinkeböppels

Es ist eine gute Zeit für die ganz großen Reformideen. Hier wäre also eine: Man sollte darüber nachdenken, die bisherigen Feiertage abzuschaffen und stattdessen mediale Feiertage auszurufen. Das sind nämlich die Tage, an denen sich in Deutschland tatsächlich alle Leute für das Gleiche interessieren, obwohl dieses Gleiche nicht aus Geschenken und Annehmlichkeiten besteht. Der gestrige Mittwoch war so ein Tag: der Tag, an dem sich Vertreter von Bund und Ländern trafen, um über ein abgestimmtes Vorgehen in Coronaausnahmezustandsvorgehensfragen zu sprechen. Wir möchten für diesen und andere mediale Feiertage den Namen “Tag des signalfarbenen Blinkeböppels“ vorschlagen, kurz “Böppel-Tag“. Oder, einfallsloser, “Tag des Live-Blogs“.

Schrittweise – also wie es sich beim Thema in der Form gehört – liefen am Mittwoch vor 18 Uhr die Informationen ein, viele davon natürlich erst einmal total “exklusiv“, und die roten und orangenen Kreise begannen alsbald ganz oben auf den Startseiten zu blinken: live, live, live, live, endlich wieder mal richtig Action in den Liveböppelblogs. Das hatte der Kollege Bartels an dieser Stelle für gestern hervorragend geforecastet.

Kleine Randnotiz: Nur faz.net hatte zwar auch ein Liveblog prominent am Start, aber keinen blinkenden roten Böppel davor. Das kam verdächtig bedächtig rüber! Es wirkte fast, als würde man dort nachdenken wollen, bevor man veröffentlicht. War das schon ein Feiertagsboykott?

Aber zurück zum Tag des signalfarbenen Blinkeböppels: Zugegeben, ein Problem gäbe es damit. Ausgerechnet an einem Feiertag müssten Journalistinnen und Journalisten dann immer besonders viel arbeiten. Will man das? Würden wir hier diese Opinary-Umfragen mit dem lustigen roten Kompasspfeil (nur echt mit dem roten Blinkeböppel neben dem Begriff “Live-Abstimmung“) veranstalten, würden wir nun fragen: Wie sehen Sie das? Wenn’s der Wahrheitsfindung dient, dann immer ran an den Speck? Oder zu viel des Diensts am Mitmenschen? Machen wir nur leider nicht.

Kurzarbeit, die Kurzarbeit schafft

Es könnte natürlich auch sein, dass es aus anderen Gründen schwierig würde mit der journalistischen Bestückung eines medialen Feiertags: Es könnte sein, dass zu viele Redakteurinnen und Redakteure in Kurzarbeit sind und daher nicht mit Sonderschichten dienen können – weil Überstunden und Kurzarbeit sich, außer in Ausnahmefällen, gegenseitig ausschließen und die Stechuhr schon wieder voll ist.

Kurzarbeit ist eigentlich eine Leistung, die Unternehmen beantragen können, wenn Arbeit ausfällt. Aber es gehört zu den Seltsamkeiten dieser Krisensituation, zu erkennen, dass es in Redaktionen zwar offensichtlich Mehrarbeit geben kann und trotzdem in Verlagen darüber diskutiert wird, weil andere Standbeine der Finanzierung wegbrechen.

“Dass gerade jetzt, wo Journalismus so dringend nötig ist, manche Verlage und Redaktionen trotz Mehrarbeit in die Kurzarbeit rutschen und freie Journalisten in Existenznöte geraten, ist kein gutes Zeichen“, schrieben am Gründonnerstag die Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss und Klaus Meier in einem Gastbeitrag bei Meedia. Aber von der Zeichensituation mal abgesehen: Eigentlich ist Kurzarbeit trotz Mehrarbeit paradox.

Krisenzeiten sind generell Hochphasen für Journalismus. Und trotzdem sollen Redaktionen in Kurzarbeit geschickt werden, zum Teil sogar komplett? In einigen Verlagen ist das im Gespräch. Bei der Mainpost in Würzburg und der Süddeutsche Zeitung GmbH, also dem Printunternehmen der SZ, wird darüber verhandelt (zuletzt Thema in diesem Altpapier).

Während der Corona-Krise wurden die Kurzarbeitsregeln vereinfacht. Um Entlassungen zu vermeiden, können Unternehmen nun schon Kurzarbeitergeld beantragen, wenn mindestens zehn Prozent der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. “Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn in einem Betrieb ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt“, heißt es auf den Seiten des Bundesarbeitsministeriums. Wann aber liegt im Journalismus ein Arbeitsausfall vor? 

Wenn Veranstaltungen in Reihe ausfallen, wie derzeit, müssen Veranstaltungsmagazine, über die Übermedien gerade berichtete, schon sehr originelle Ideen entwickeln, um im üblichen Umfang weiterarbeiten zu können; auch bei Sportergebnisdiensten wird es eindeutig weniger zu tun geben. Aber dass derzeit zum Beispiel keine Urlaubsreisen möglich sind, heißt nicht, dass Reisejournalisten keine Arbeit hätten: Sie können über die Sorgen der Tourismusbranche berichten. Oder, wie der Reiseteil der Süddeutschen heute, über ein touristenfreies Venedig aus Sicht eines Einheimischen schreiben. (Erster Satz: “Nie war Venedig schöner.“ Aber dann, später: “Was mich am meisten heimsucht, ist die Stille.“) Das Gleiche gilt für Sport- oder Kulturteil. Arbeitsausfall ist im Journalismus in vielen Fällen Definitionssache.

Pauschal gesagt, ohne Berücksichtigung aller Ausnahmen, die es gibt: Unter dem Strich fällt journalistische Arbeit für eine ganze Redaktion erst dann aus, wenn ein Verlag bestimmt, dass er sie nicht finanzieren kann oder will; etwa weil es, wie jetzt, gravierende Umsatzausfälle auf anderen Geschäftsfeldern wie dem Anzeigenmarkt gibt. Dann wäre der Ausfall der journalistischen Arbeit aber nicht der Grund für eine wirtschaftliche Schieflage, sondern eine wirtschaftliche Schieflage wäre der Grund für den Ausfall der journalistischen Arbeit. Rechtlich mag das in Ordnung sein, aber es mutet schon wie eine Verkehrung der Kurzarbeitslogik an: “Kurzarbeit, die Kurzarbeit schafft“ habe ich das in der Wochenzeitung Der Freitag genannt. Dass Verlage “die Krise als Vorwand für Sparmaßnahmen“ nutzen, will dabei niemand unterstellen. Aber ein paar Verrenkungen lassen sich zur Kenntnis nehmen, wenn es um Kurzarbeit auf dem Feld der Wissensarbeit geht. Über die am Karsamstag auch der Spiegel online unter dem interessanten Titel “Der Schmu mit der Kurzarbeit“ berichtet hat.

Die Fernsehnachrichten als Grundrauschen

Der steigende Bedarf an journalistischer Information ist da, das sieht man bei Fernsehreichweiten, bei Zeitungen und Onlineportalen.

Erst noch zeigen wird sich, wie viele nun abgeschlossene Probeabonnements, ob digital oder auf Papier, auch in reguläre Abos überführt werden. Aber erst einmal deutet die Zahlenlage auf großes Interesse, speziell auch bei Onlineportalen. Im Horizont+-Interview mit Zeit Online-Geschäftsführer Christian Röpke etwa geht es – bevor man dann auf das nicht mehr rundum freudige Thema wirtschaftliche Gesamtaussichten zu sprechen kommt – um die Nutzung der journalistischen Angebote:

“Menschen suchen in diesen Wochen mehr Information und Orientierung denn je, das merken wir an steigenden Reichweiten und Direktzugriffen auf unsere Homepage, die aktuell mehr als 150 Prozent über Normalniveau liegen.“

Ein ähnliches Bild: beim Fernsehen, wie die Süddeutsche Zeitung heute schreibt:

Generell wird, seit die Welt coronakrank ist, wieder mehr ferngesehen. (…) Im März, also dem Monat, in dem in Deutschland drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie ergriffen wurden, lag die Sehdauer im Gesamtpublikum mit durchschnittlich 244 Minuten um ganze 18 Minuten über dem Vorjahresmonat und damit auf Rekordniveau. Der Anstieg ist umso auffälliger, weil der Konsum klassischen Fernsehens seit Jahren sinkt. Und überraschenderweise sind die jüngeren Zielgruppen auf der Suche nach Information die Treiber der steigenden TV-Nutzung.“

Entscheidendes Wort in diesem letzten Satz: “Information“. Die TV-Nutzung steigt demnach nicht wegen der Serien, sondern eher wegen der Nachrichten:

“(N)icht nur die Hauptabendnachrichten wie Tagesschau und Heute-Journal finden ihr Publikum, auch die auf Nachrichten spezialisierten Spartensender N-tv, Welt und Tagesschau 24 laufen bei vielen Zuschauern, die im Home-Office arbeiten, als permanentes Grundrauschen.“

Und man weiß, dass es sich bei der aktuellen wirklich um eine ausnehmend besondere Situation handelt, wenn man liest:

“Am stärksten entwickeln die 14- bis 29-Jährigen in der Krise einen neuen Hang zu seriösen Nachrichten, an Stelle von relativ beliebiger Informationssuche im Internet.“

Könnte natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass die meistgesuchten Themen derzeit tatsächlich in den Nachrichten auftauchen.


Altpapierkorb (Streitgespräch, Compact, Anne Will, Frankreichs Zeitungszustellungsproblem, Song-Contest-Alternative, Sky und Dazn)

+++ In der Zeit streiten in einer ungewöhnlichen Konstruktion drei Redakteurinnen (Alice Bota, Khuê Phạm und Özlem Topçu) und, als Gegenpart, Chefredakteur Giovanni di Lorenzo miteinander über den angemessen medialen und diskursiven Umgang mit AfD und Rechtsextremismus, moderiert unter anderem von einer externen Journalistin, Dunya Hayali, “damit es dabei nicht zu insiderisch wird und damit die Hierarchie nicht durchschlägt“. Zumindest in der Zusammenfassung bei turi2.de schlägt sie dann doch durch: Dort gibt es vier ausgewählte Zitate aus der Diskussion. Alle vier kommen vom Chefredakteur.

+++ Das Magazin Compact ist für den Verfassungsschutz ein “Verdachtsfall“. Die taz hat genauere Gründe für die Einstufung erfragt: “Das Magazin, sagt das Bundesamt, pflege Verbindungen zu 'eindeutig rechtsextremistischen Bestrebungen‘“, verbreite “'Pauschalvorwürfe‘ gegenüber Migranten und Muslimen (…), Zuwanderung werde beständig mit 'Kriminalität, Terror und Islamisierung‘ verknüpft. Das Magazin verbreite zudem Verschwörungstheorien wie die eines 'Großen Austauschs‘ (wonach Migranten gezielt Einheimische zu verdrängen suchten)“ “diffamierende Beiträge“, “antisemitische Verschwörungstheorien“ und ein “revisionistisches Geschichtsbild“.

+++ Moritz von Uslar traf für Die Zeit Anne Will zum Spaziergang und hält fest, dass sie “keinen Mund-Nasen-Schutz, stattdessen eine große schwarze Sonnenbrille“ trage. Aber eigentlich ist das Thema des Gesprächs ihre Sendung: “Wie seit dem 11. September nicht mehr wird das Fernsehen (…) gebraucht. Die Kritik an der Form Talkshow (immer dieselben Gäste, angebliche Popularisierung der AfD und so weiter) pausiert, und doch ist das Format in seinem Selbstverständnis und seiner DNA bedroht“, denn “der Begriff ‚Talkshow‘ beinhaltet doch auch das leichte Theater, den Talk und die Show – beide finden in den letzten Wochen aber praktisch nicht mehr statt“. Wobei die Bedrohungsthese von Uslar kommt, nicht von Will.

+++ In Frankreich gibt es ein Corona-Problem mit der Zeitungszustellung: “Fortan würden Postsendungen im Land nur noch dreimal pro Woche ausgetragen, gab die Postverwaltung bekannt. Die Hälfte der überregionalen Zeitungen Frankreichs erreichen ihre Abonnenten aber auf diesem Weg und bei manchen Regionalzeitungen, vor allem in abgelegenen Gebieten, steigt der Anteil bis auf 70 Prozent.“ Über das Thema und mögliche Auswege schreibt die SZ.

+++ DWDL derweil hat, weil DWDL so etwas immer hat, die ersten Details zu Stefan Raabs geplanter Song-Contest-Alternativshow.

+++ Und der Tagesspiegel berichtet, dass das Bundeskartellamt “das Verfahren gegen Sky und Dazn wegen des Verdachts auf wettbewerbswidrige Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Vergabe der Übertragungsrechte an der UEFA Champions League aus Ermessensgründen eingestellt“ habe.

Neues Altpapier gibt es am Freitag.

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