Das Altpapier am 14. April 2020 Über die Unvorhersehbarkeit der Dinge
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14. April 2020, 11:01 Uhr
Was Bauernregeln, Wahrsagerinnen, Horoskope, Aszendenten und krude Theorien mit Corona zu tun haben. Demonstrationen von Verschwörungstheoretikern haben trotz Ausgangsbeschränkungen Zulauf. Das RKI hat bereits 2013 ein Pandemie-Szenario entwickelt, das heute Realität geworden ist. Ein Altpapier von Jenni Zylka.
Inhalt des Artikels:
Bauernregeln zum Kuckuckstag
Morgen ist Kuckuckstag. Die dazu passende Bauernregel lautet: „Am 15. April der Kuckuck rufen soll / und müsste er rufen aus einem Baum der hohl“. Es wurden gewiss schon elegantere Reime gedichtet, aber darum geht es bei Bauernegeln nicht. Der Kuckuck als solcher ist nämlich recht erleuchtet, schließlich heißt es nicht umsonst „weiß der Kuckuck“ – er weiß eine ganze Menge, zum Beispiel auch, wie lange man noch zu leben hat: Für jedes Mal, das er im Wald aus besagtem hohlen Baum ruft, darf man sich weitere 10 Jahre geben (der Kuckuck ruft nie weniger als zwei Mal, höchstens zehn Mal).
Eine andere der absolut glaubwürdigen Regeln besagt, dass man “am Kuckuckstag mit Geld im Sacke scheppern soll“, denn „dann wird es das ganze Jahr nicht wenig“. Ich werde morgen also den nächsten Wald aufsuchen, mit ein paar 5-Cent-Münzen im Portemonnaie klimpern, und die Kuckucksrufe zählen (und sie an den NABU melden, um den Kuckucksbestand zu dokumentieren. Der Kuckuck hat bei seinem Fremdgebrüte angeblich ein „Timingproblem“, meldet Hit Radio FFH). Aber wenn man all diese Dinge beachtet, kann gar nichts mehr schiefgehen. Man lebt noch mindestens zwanzig Jahre, wenn nicht sogar 100 - und stirbt als reicher Mensch.
Die Baba Wanga weiß Bescheid
So einfach ist das mit den Vorhersagen. Wozu, frage ich, braucht man also diese gruselige bulgarische Seherin Baba Wanga, der nicht nur der Münchner Merkur in den letzten Wochen einiges an Platz einräumte - wenn es doch auch mit einem Kuckuck geht?! Jener Baba Wanga, die aussieht, als sei sie einst für das Stück „Bill Bo und seine Bande“ der Augsburger Puppenkiste geschnitzt worden, hatte es nicht nur wegen 9/11, dem Brexit und dem Untergang der Kursk schon immer mal irgendwo in ihren alten Knochen gezwickt und gezwackt. Sondern sie habe auch lange vor ihrem Tod im Jahre 1996 vorhersehend geunkt, dass das „Coronavirus über uns kommt“, das schreibt der Merkur mit genau gleich großen Portionen Sensationslust und vermeintlichem Besserwissen aus dem britischen Boulevardkäseblatt Daily Star ab.
Und jetzt kann man natürlich abwinken und blasiert lächeln über diese und andere Wahrsagereien in Bezug auf die Coronakrise: Die Sache mit der Erwähnung in einem alten Asterix-Comic; die dem eh schon viel zu oft aus dem Hut gezauberten, everybody’s darling-Weissager Nostradamus zugeschriebene Warnung, die sich als genauso haltlos herausstellt wie alles, was der Mann angeblich je gesagt hat; die inkriminierte Simpsons-Folge aus dem Jahr 1993, in der ein Virus aus Homers China-Paket fast ganz Springfield hinwegrafft.
Wieso glauben Menschen an Astrologie?
Aber dennoch, und das ärgert mich, ändert die Erfahrung mit der Unvorhersehbarkeit der Dinge, die ja momentan eigentlich jedem und jeder Gläubigen und Ungläubigen, jeder orthodoxen Atheistin, jedem heilsteinsammelnden Globulischlucker auf der ganzen Welt einleuchten müsste, nichts an der unfassbar großen Prozentzahl an Menschen, die dennoch an Vorhersagen und Charakterzuschreibungen in Form von Horoskopen glauben. Obwohl in keinem einzigen Jahres-, keinem einzigen Monats- und keinem einzigen Tageshoroskop bis März auch nur ansatzweise irgendetwas über die momentane Situation zu finden war. Egal, ob diese Prognosen von Madame Elizabeth Teissier persönlich stammen (lustig: ein „Blick ins Buch“ ihrer „Vorhersagen für 2020“, tatsächlich passend wie Arsch auf Eimer lautet der Titel zwar „2020 – Die große Veränderung“, aber zum Beispiel Deutschland sagt sie ein „relativ ausgeglichenes Jahr“ voraus, mit einer „effektiven Wende für Deutschland um den 16. März – vorzeitiger Rücktritt Merkels?“) oder in der Vogue zu finden sind.
Larifari Mogelzahn
Bei mir ist laut letzterer Quelle angeblich gerade der „Planet Uranus zu Besuch“, aber der alte Lump stört mich gar nicht, denn ebendort steht: „Im März fühlt sich vieles leicht und gemütlich an“, „was zählt, ist der eigen Rhythmus“ und „kräht der Hahn auf dem Mist, dann verändert sich’s Wetter, oder bleibt wie es ist“. Okay, der letzte Satz stand nicht so im Horoskop. Aber mir bleibt ein Rätsel, wie dieses vage, nichtssagende, allgemeingültige Larifari-Mogelzahn-Geseiere, das Astrologie-Aussagen prinzipiell innewohnt, noch immer so viele Menschen erreicht. Astrologie ist keine Wissenschaft, sondern die Kunde der Deutung von Gas- und Steinbrocken, die in Millionen Kilometern Entfernung im Weltraum dümpeln. Und die sich die ganze Zeit verändern, so dass der Himmel, auf den die Sternzeichen beruhen, eh längst nicht der gleiche ist wie im 5. Jahrhundert vor Christi, als die zwölf Tierkreiszeichen im Orient systematisiert wurden. Mal ganz abgesehen von den vielen Studien die anhand von Tausenden Daten belegen, dass Geburtsdatum und –ort absolut nichts mit dem Charakter eines Menschen zu tun haben.
Verschwörungstheorien vs. wissenschaftliche Prognosen
Doch auch wenn mir hier gerade der Kamm schwillt: Sicher ist, dass die freundlichen „lies doch mal Waage vor, bitte!“-Zeitgenossen das kleinere Übel sind – gegenüber den Verschwörungstheoretiker*innen, die die momentane Situation noch irrer interpretieren und auslegen, als man es sich in seinen kühnsten Alpträumen vorstellt. Die taz berichtet von regelmäßigen Demonstrationen, die auch von Rechten Zulauf erfahren. Diese Demonstrierenden sähen „angesichts der geltenden Infektionsschutzmaßnahmen eine Diktatur aufziehen“, Himmel hilf! Können die nicht alle lieber an Bauernregeln glauben?! Zum Beispiel „Guter Trunk macht Alte jung“? Oder „Gibt’s im Juni Donnerwetter / wird gewiss das Getreide fetter“?
Übrigens, das am Ende, gibt es momentan eine Menge tatsächlich interessante, nämlich wissenschaftliche Vorhersagen und Prognosen, von denen man zwar bei einigen ebenfalls hofft, dass sie ebenfalls nicht veritabel sind, zum Beispiel die eines Soziologen im Tagesspiegel, der die „erneute Spaltung der sozialen Milieus“ befürchtet. Und der die „Gefahr eines autoritären Staates“ sieht. Aber hätten wir mal alle an das – wie der RBB berichtet - vom RKI bereits 2013 entworfene Pandemie-Szenario geglaubt – wir hätten alle mehr Schutzausrüstung in die Krankenhaus-Vorratskeller gepackt. Ich weiß ja, hinterher ist man immer schlauer.
Altpapierkorb (Tulpenkonfetti aus Amsterdam, virtuelle Rundgänge in versunkenen Städten, Gutachten der Leopoldina)
+++ Wenn es Frühling wird dann schenk ich Dir – Tulpenkonfetti aus Amsterdam... Hilfe, die Nachbarn schreddern die Blumen! 400 Millionen wurden bereits zerstört, berichtet der Spiegel, das ist doch wohl zum Heulen!
+++ Eine wiederum ganz andere Katastrophe kann man sich laut FAZ durch virtuelle Rundgänge in den versunkenen Städten Pompeji und Herculaneum reinziehen. (Ist das noch Eskapismus?)
+++ Und was die Gutachten der Leopoldina Wissenschaftsakademie in Bezug auf eine mögliche Lockerung der Einschränkungen bewirken, das wird sich jetzt, heute, morgen zeigen, weiß nicht nur die ARD. Garantiert ohne Baba Wanga.
Neues Altpapier gibt es am Mittwoch.
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