Teasergrafik Altpapier vom 25. März 2020: Porträt Autor René Martens
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Das Altpapier am 25. März 2020 Wird es schlimmer als bei der Finanzkrise?

25. März 2020, 11:59 Uhr

Mathias Döpfner hat möglicherweise "Todessehnsucht" und paktiert jetzt sogar mit einem "umstrittenen Blog" (taz). Döpfners Unternehmen sei eine "Vorfeldorganisation der AfD", schreibt ein SPD-Netzpolitiker in diesem Kontext. Derweil bricht das Anzeigengeschäft weltweit ein. Ein Altpapier von René Martens.

Kausalkettenmelancholie hilft wenig

Dass sich die Rezeption der Berichterstattung zu Corona von der zu bisher allen anderen größeren Themen unterscheidet - das haben wir im Altpapier schon mehrmals ventiliert, zuletzt am Dienstag. Weitere Gedanken zu diesem Thema steuert nun Jens Bisky in einem SZ-Feuilleton-Text (€) bei:

"Es fehlt an Analogien und Deutungsroutinen, das Geschehen überfordert, weil die Situation offen ist und sich ungeheuer rasch verändert. Die Lage ist heute eine sehr andere als vor zehn Tagen, sie wird in zehn Tagen sich wahrscheinlich gewandelt haben, man wird mehr und anderes wissen, neue Erfahrungen gemacht, schreckliche Bilder gesehen und Geschichten von Solidarität gehört haben. Es hilft gegen die zermürbenden Effekte des Alltags wohl wenig, sich in Kausalkettenmelancholie einzurichten und ständig schlimmste Szenarien oder glücklichste Krisenenden auszumalen."

Dass "Kausalkettenmelancholie" ein hübscher Neologismus, sei an dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt.

Döpfner schwer auf Achse

Wo die "Deutungsroutinen" (Jens Bisky) freilich noch helfen: Wenn Mathias Döpfner in langen Riemen für die Welt seinen Gefühlen freien Lauf lässt (was er zuletzt zum Beispiel anlässlich des Terroranschlags von Halle getan hat, siehe dazu die Altpapiere "Döpfners Gefühle" und "Jeder darf alles" aus dem vergangenen Oktober).

"Ich habe Zweifel" lautet die Überschrift von Döpfners aktuellem Journalistenblasen-Blockbuster, er ist derzeit noch kostenpflichtig. kress.de hat einige Zitate zusammengestellt, und MDR-Kollege Steffen Grimberg ordnet das Ganze für die taz eher süffisant ein: "In gut 10.000 Textzeichen" bzw. "auf umgerechnet 333 taz-Zeilen" biete Döpfner mitunter "ganz großes Kino à la Franz Josef Wagner". Folgende Passage, die kress.de in einer leicht gekürzten Fassung wiedergibt, scheint mir zentral zu sein:

"Ich bin wütend, dass es ernst zu nehmende Menschen gibt, die China als Vorbild in der Seuchenbekämpfung sehen. Obwohl wir doch wissen, dass China eine Diktatur ist, die Menschen verfolgt, nur weil sie anderer Meinung sind. Die ihr Volk überwacht und mit einem Social-Scoring-System kontrolliert. Dass ein deutscher Landrat nun schon Xi Jingping um Hilfe bittet, kann man nur grotesk finden oder auch symptomatisch. Aber Corona, sagen immer mehr und viel zu viele, haben sie doch irgendwie sehr gut gemanagt. Dass Journalisten, die die Wahrheit recherchieren wollen, des Landes verwiesen werden, wird verdrängt. Dass man der chinesischen Informationspolitik nicht trauen kann, wir eventuell kalt belogen werden, ebenfalls. Ist dieses Modell unsere Zukunft? Soll China zu unserem Vorbild werden, weil es die Corona-Krise so totalitär gemeistert hat? Ich fürchte, wir begehen demokratischen Selbstmord aus Angst vor dem Sterben."

Ja, is es denn die possibility? Der Chinese lügt! Döpfner steht wohlgemerkt einem Konzern vor, für den die Lüge ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells ist - zumindest für die an Bedeutung verlierende publizistische Sparte.

Der am Freitag im Altpapier unten im Korb bereits kurz erwähnte Christian Y. Schmidt, der Gesundheitsminister der Herzen, kommentiert bei Facebook kurz:

"Die deutsche Todessehnsucht ist offenbar groß genug. Hauptsache deutsch und in Freiheit zugrunde gehen. Lemminge kann man nicht aufhalten."

Die in dem Welt-Text zum Ausdruck kommende  "Todessehnsucht" (Schmidt) dürfte Döpfners Lieber-tot-als-rot-Haltung geschuldet sein, also jenem Antikommunismus, der in der Nachkriegszeit das konstituierende Element des bundesdeutschen Mehrheitsjournalismus war und in diesem Milieu bis heute sinnstiftend geblieben ist. Nun herrscht zwar schon lange ein Mangel an lebenden Kommunisten, aber für jemanden wie Döpfner - und nicht für ihn - reicht der dezent kommunistisch lackierte Staatskapitalismus Chinas als Feinbild locker aus.

Kurz nach der Veröffentlichung bei der Welt ergab sich dann noch ein medienjournalistisch höchst interessanter Nebenaspekt. Zumindest für eine Weile stand der Beitrag "ausgerechnet beim umstrittenen Blog Achse des Guten" (die taz im Vorspann zum zitierten Steffen-Grimberg-Text) frei online. "Wir danken Mathias Döpfner noch einmal dafür, dass wir den Text zunächst einsetzen durften", heißt es bei den Achsenmenschen derzeit.

Etwas präziser als im Vorspann ihres Artikels äußert sich die taz im entsprechende Facebook-Teaser zu Döpfners Zweitveröffentlichungs-Ortswahl:

"Mit seinem Zweifel am System spannt sich Mathias Döpfner vor den Karren derer, die diesem System den Kampf angesagt haben."

Die Unterschiede zwischen einem Springer-Medium und einem Spinner-Medium sind offenbar nur noch graduell. Der SPD-Netzpolitiker Robert Pietsch appelliert mit Blick auf den zeitweiligen Republikationsort von Döpfners "Zweifeln" ans Restgewissen der Konzernmitarbeiter:

"Jeder in dem Unternehmen (…) ist ein Zahnrad in der Maschine, die längst eine Vorfeldorganisation der AfD ist."

Man kann übrigens Döpfners Chinaphobie kritisieren, ohne irgendwelche grundsätzlichen Sympathien für die chinesische Regierung zu hegen - weshalb an dieser Stelle auch darauf verwiesen sei, was Reporter ohne Grenzen aktuell meldet:

"Mitte März ist der politische Kommentator und ehemalige Immobilien-Tycoon Ren Zhiqiang verschwunden. Das Mitglied der kommunistischen Partei hatte zuvor die Versäumnisse des Regimes angeprangert. Ren ist kein Einzelfall. Auch der Journalist Li Zehua ist verschwunden. Der Reporter hatte seinen Job beim chinesischen Staatsfernsehen CCTV gekündigt, um unabhängig aus Wuhan zu berichten. Dort berichtete er etwa via Live-Stream aus einem Krematorium. Im Februar sind bereits zwei weitere Bürgerjournalisten verschwunden und zwei Kommentatoren festgenommen beziehungsweise unter Hausarrest gestellt worden."

"Es droht eine 'Bereinigung' fundamentalen Ausmaßes"

Wir werden in den nächsten Wochen nicht umhin kommen, auf Corona-bedingte Schrumpfungsprozesse und Entlassungswellen in der Medienbranche einzugehen (siehe bereits Altpapier von Freitag), und hoffentlich gelingt uns das, ohne einen Abstumpfungseffekt zu erzeugen. Buzzfeed News schreibt:

"The toll of the coronavirus on the news media could be worse than the 2008 financial crisis, which saw newspapers experience a 19% decline in revenue, according to Ken Doctor, a news industry analyst (…)‚ [Newspaper] advertising revenue is getting just wiped out,‘ Doctor told BuzzFeed News, saying it’s already worse than in 2008 and 2009.‘”

Medienbranchen-Auguren wie Ken Doctor neigen grundsätzlich zu dramatischen Prognosen, weil die sich stets besser "verkaufen" lassen als weniger dramatische. Andererseits muss man ja gar nicht in die Zukunft blicken, denn:

"In the UK, (…) Time Out (…) announced a temporary halt to print editions. So did a group of 19 local papers in Michigan, and one in Rhode Island. (…) A newspaper in Vermont laid off 20 of its 42 staffers, and papers in West Virginia, California, and Florida also had layoffs.

Um es mit Michael Hanfeld zu sagen:

"Es droht eine 'Bereinigung' fundamentalen Ausmaßes, die nicht nur 'Märkte' betrifft, sondern die Koordinaten der freiheitlichen Grundordnung unserer Gesellschaft."

Der Kontext dieses in einem auf der heutigen FAZ-Medienseite zu findenden Zitats ist freilich ein etwas anderer, wenn auch einer mit Corona-Bezug. Hanfeld kritisiert hier (Blendle-Link) nämlich die zwischenzeitliche Schließung der Bahnhofsbuchhandlung Ludwig in Leipzig, "welche die größte ihrer Art in Deutschland sein dürfte". Das dortige Ordnungsamt habe "gerade noch einmal halbwegs die Kurve gekriegt. Für vierundzwanzig Stunden aber hatte es die Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz ausgesetzt".

Bleiben wir im Hauptverbreitungsgebiet des MDR: Peter Stawowy berichtet nebenan über die Auswirkungen des Corona-Virus auf Tageszeitungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Es ist der Auftakt einer Serie über "Medien im Krisenmodus". Er schreibt:

"Die aktuelle Entwicklung hat (…) schon jetzt wirtschaftliche Folgen für die Zeitungen: Das Werbe- und Anzeigengeschäft bricht in vielen Branchen weiter ein oder sogar ganz weg. Veranstaltungen, Reiseanbieter und große Handelsketten hätten in großem Umfang Anzeigen storniert, heißt es unisono. Schon in absehbarer Zeit dürften die Blätter deswegen auch sichtbar dünner werden. Freie Presse und Sächsische Zeitung haben schon jetzt Lokalseiten reduziert und produzieren Regionalteile, in denen die Arbeit mehrerer Lokalredaktionen zusammenfließt. Ein erster Schritt, die Arbeit der Redaktionen zu entzerren und Kosten zu sparen."

Zur Frage, welche Folgen die Krise für Freischaffende hat und haben wird, sei hier kurz ein Tweet des unter anderem auf Computerspiele spezialisierten Journalisten Rainer Sigl eingeschoben:

"Heute von einem meiner ältesten Arbeitgeber mitgeteilt bekommen, dass für Texte über Videospiele kein Geld mehr da ist."

Wie die Krise jene trifft, bei denen die Krise der Normalzustand ist

Das beste deutschsprachige Fußballmagazin ist der Ballesterer aus Wien. Ich hatte es einige Jahre lang abonniert. Dass ich kein Abonnent mehr bin, hat übrigens nichts mit der Qualität des Magazins nichts zu tun, sondern damit, dass mein Interesse an professionellem Fußball stark nachgelassen hat und ich kaum noch über Fußball schreibe.

Der Ballesterer feiert nun seine 150. Ausgabe bzw. sein 20-jähriges Jubiläum, wobei der in solchen Zusammenhängen normalerweise übliche Begriff "feiern" derzeit natürlich einen zynischen Beiklang hat. Zumal das Magazin für die Jubiläumsausgabe Monate lang eine Rettungskampagne vorbereitet hat, die nun in einer Zeit startet, in der viele gerettet werden wollen und müssen. In der Titelgeschichte (nicht frei online) schreiben Jakob Rosenberg und Nicole Selmer:

"Wir schleppen nun schon länger Schulden mit uns herum, der größte Gläubiger sind wir selbst – die Beschäftigten, Gesellschafter und Freunde des ballesterer. Jene Leute also, die dafür sorgen, dass das Magazin zehnmal im Jahr erscheint. Ohne ein hohes Maß an Leidenschaft – und Selbstausbeutung – würde es den ballesterer nicht geben. Recherchereisen bezahlen wir selbst, die Honorare und Gehälter sind niedrig und mussten öfter unbezahlt bleiben."

Die Corona-Krise trifft Medien, die sowieso auf Kante gewirtschaftet haben bzw. gar nicht anders konnten, also womöglich noch härter als andere. Ein treffendes Bild für den Dauer-Krisenmodus liefert möglicherweise eine im Text enthaltene Beschreinung des Redaktionsbüros. Dieses befinde sich

"in einer umfunktionierten Erdgeschosswohnung, deren Badewanne ebenso wie jeder andere freie Fleck als Lager dient (…) An den Wänden gibt es in (…) mit einem Küchenmesser abgetrennte Titelseiten, die mit Klebeband an Kartonschachteln angebracht sind. Ein Cover ist immerhin gerahmt, bis vor einigen Jahren waren es sogar zwei, doch dann ging einer der Ikea-Rahmen zu Bruch."

Wie schwer es unabhängiger Fußballjournalismus - sei es in gedruckter, sei es in Online-only-Form - grundsätzlich hat, kommt auch vor. Zu prognostizieren, dass es diesem nicht besser gehen wird, wenn wieder Fußball stattfindet, ist wohl leider nicht verwegen.


Altpapierkorb ("Weiterer Teilerfolg" für Renate Künast im Kampf gegen Hate Crime, Frankfurter Allgemeines Home Office, Humor in Zeiten von Corona, Wissenschaftler-Bewunderung, eine wirklich mal innovative deutsche Serie)

+++ Neues zu einem juristischem Fall aus Berlin, der in der Zeit vor Corona Berichterstattungswellen ausgelöst hat (siehe Altpapier): Renate Künast "wollte gegen 22 Beleidigungen auf Facebook gegen sie vorgehen, war damit vorm Landgericht zunächst in allen und dann noch in 16 Fällen gescheitert", rekapituliert Detlef Esslinger für die SZ. "Nun hat ihr das Kammergericht in weiteren sechs Fällen Recht gegeben, in den verbleibenden zehn aber nicht." Von einem "weiteren Teilerfolg" spricht daher der Tagesspiegel. Und schreibt weiter: "Zu den zehn Schmähungen, die nun noch als zulässige Meinungsäußerung gelten, gehören 'Pädophilen Trulla', 'Pädodreck' und die Aussage, Künast sei 'Gehirn Amputiert'." Esslinger meint: "Falls Künast Verfassungsbeschwerde einlegt, erhielten die Karlsruher Richter eine lohnenswerte Aufgabe." Für weitergehende Informationen siehe Legal Tribune Online.

+++ Wie verändert das Home Office die redaktionelle Arbeit? Darüber (siehe Altpapier) schreibt nun auch Elena Geus, CvDeuse bei der FAZ, ebendort: "Jedem Effizienzgedanken von Unternehmensberatern zum Trotz ist Kommunikation – und zwar die von Mensch zu Mensch, nicht in Chats, per E-Mail oder anders virtuell – für Journalisten essentiell. In Gesprächen entstehen Ideen, Geschichten bekommen einen anderen Dreh, es wird diskutiert, gelacht, um Themen gerungen, manche verworfen. Nicht einmal streiten lässt sich in Videokonferenzen richtig." Hm, das wirft natürlich die Frage auf, ob bei Medien, bei denen Videokonferenzen zum Alltag gehören, grundsätzlich schlecht gestritten wird.

+++ Was in Zeiten von Corona gute Scherze (zum Beispiel diesen) von nicht so guten unterscheidet - darüber schreibt Peter Wittkamp ("Heute Show") für Übermedien.

+++ "Die derzeitige Bewunderung für die Wissenschaftler ist die Kehrseite von gesellschaftlicher Gleichgültigkeit in normalen Zeiten. Wenn nicht gerade eine Pandemie ausbricht, sind Virologen, Naturwissenschaftler generell sowie auch Mathematiker die Nerds, denen man nicht richtig zuhört." Das schreibt Gunnar Hinck in der taz-Rubrik "Steile These". Der Text ist in der Wochenend-Ausgabe erschienen, er steht jetzt frei online. "Die Corona-Katastrophe könnte etwas Gutes haben: dass man die Nerds aus dem Keller holt und in die oberen Etagen lässt, weil dort gerade Chaos und Überforderung herrschen", so Hinck weiter.

+++ Geradezu Sensationelles verheißt heute eine Miniserien-Rezension, die Andreas Busche für den Tagesspiegel geschrieben hat: "Das vierteilige Drama 'Unorthodox', das auf den Memoiren der in Berlin lebenden Deborah Feldman basiert (…) unterscheidet sich von der Serienware, mit der Netflix und andere Produzenten den deutschen Markt seit einer Weile überschwemmen. Zum Beispiel, indem sich Alexa Karolinski und Anna Winger ('Deutschland 83') viel Zeit für ihre Milieus nehmen. 'Unorthodox' verzichtet auch auf die üblichen Fernsehgesichter. In seinen besseren Momenten genügt sich deutsches Serienfernsehen als routinierte Ableitung etablierter US-Formate ('Skylines', 'Dark'). Schlimmstenfalls stellt sich eine vertraute TV-Heimeligkeit ein, die die Sehnsucht nach der Ära des vertikalen Erzählens nicht mal zu kaschieren versucht." Zusatzempfehlung von mir: Wer Gefallen an "Unorthodox" gefunden hat, besorge sich Alexa Karolinskis Dokumentarfilm "Oma und Bella".

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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