Das Altpapier am 26. Februar 2020 "Geglaubt wird nur noch das, was ins eigene Weltbild passt"
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26. Februar 2020, 11:27 Uhr
Wie gezielt gestreute Gerüchte zu alternativen Nachrichten werden und wie Verschwörungstheorien wachsen: Das dröselt der "Faktenfinder" am Beispiel von Falschmeldungen über die mutmaßliche Amokfahrt von Volkmarsen auf. Und von der Universität Mainz kommen neue Daten einer Langzeitstudie zum Medienvertrauen. Sie bestätigen einen Trend: Die Vertrauens-Misstrauens-Polarisierung nimmt zu. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Der Jubel nach der Prognose
Wer hat der ARD den Vorwurf untergejubelt, ihre Mitarbeiter hätten das Wahlergebnis der AfD in Hamburg lautstark gefeiert? Um ihn wieder loszuwerden, fühlte sie sich am Dienstag jedenfalls bemüßigt, nicht nur im Tagesspiegel, sondern auch in einem eigenen Newsletter der Kommunikationsabteilung noch einmal mitzuteilen: Es seien keine ARD-Mitarbeiter gewesen, die über den zunächst prognostizierten Abschied der AfD aus der Hamburger Bürgerschaft hörbar gejubelt hätten:
"Der Jubel während der ARD-Prognose kam nicht aus dem ARD-Wahlstudio, sondern aus einem öffentlichen Bereich vor dem Wahlstudio. Dort waren zum Zeitpunkt der Prognose etwa 50 bis 70 Zuschauer versammelt, Politiker, die auf ihren Auftritt in den Wahlsendungen warteten, Partei-Mitarbeiter sowie Fotografen, Journalisten, politische Beobachter",
hieß es im Newsletter "ARD jetzt", der morgens Medienjournalist*innen in die Mailfächer geworfen wird. Hat sich demnach also jemand über die vermeintliche Unausgewogenheit der ARD beschwert? Ja: "mehrere AfD-Vertreter in ihren Tweets", schreibt – gestern an dieser Stelle mit einem anderen Aspekt zitiert – Übermedien. Konkret als Verdächtige werden "Kameramann und Regieassistent" benannt. Hatten die ausgerechnet in dem Moment, in dem die Ergebnisse der ersten Prognose eingeblendet wurden, nicht anderes zu tun?
Aber gut, darum geht es ja eh nicht wirklich. Misstrauen säen, darum geht es. Solche von rechts gedroppte Medienkritik ist Teil der Beschädigung von Institutionen der liberalen Gesellschaft.
Gerüchte über Volkmarsen
Man kann das aktuell auch an einem wichtigeren Beispiel wieder nachvollziehen – den Falschmeldungen über die mutmaßliche Amokfahrt in Volkmarsen, die Islamisten, indirekt Angela Merkel, auf jeden Fall aber einem Täter mit Migrationshintergrund zugeschrieben wurde. Der "Faktenfinder" der "Tagesschau" hat die Meldungen aufgedröselt:
"Eine anonyme Seite verbreitet beispielsweise eine gezielte Falschmeldung, eine andere ein Gerücht, die nächste ein verkürztes Zitat oder aus dem Kontext gerissenes Foto – und daraus wird ein eigenes Narrativ aufgebaut. Wird eine Behauptung widerlegt, verweisen Nutzer wiederum auf das nächste Gerücht. Eine alternative Realität entsteht: Einige Nutzer vertrauen einer anonymen Webseite aus dem Ausland mehr als sämtlichen Polizisten und Reportern, die vor Ort arbeiten. In Kommentaren werfen sie Polizei, Regierung und Medien vor, sie würden gemeinsam agieren und Informationen zurückhalten, um die Menschen zu belügen. So wachsen Verschwörungstheorien – und geglaubt wird nur noch das, was ins eigene Weltbild passt."
Was uns zu einem der anderen Medienthemen des Tages führt: Medienvertrauen. Dessen vermeintliche Erosion beschäftigt Journalistinnen und Journalisten seit Jahren, schon deshalb, weil ständig irgendwo jemand "Systempresse" und "Mainstream-Medien" plärrt; oder "Staatsfunk", wenn es speziell um die Öffentlich-Rechtlichen geht.
Medienvertrauen: ambivalente Ergebnisse
Wie steht es tatsächlich um das Medienvertrauen? Dazu liegt eine neue Studie des Instituts für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz vor. Es gibt immer wieder kleinere oder größere Untersuchungen zum Thema, deren Ergebnisse auch davon abhängen, was eigentlich genau erfragt wurde. (Zuletzt war an dieser Stelle der NDR-Image Trend 2019 Thema.) Darunter sind auch einige langfristig angelegte Arbeiten, die Entwicklungen – zumindest der letzten Jahre – nachvollziehbar machen. Zu ihnen gehört die besagte Mainzer Studie, die Teil der Langzeitstudie "Medienvertrauen" ist.
Und, "wie halten es die Deutschen nun mit ihren Medien?", wie es die FAZ formuliert. Kurz gesagt: Die einen halten es so, die anderen so – und das ist auch die wohl größte neue Erkenntnis. "Polarisierung beim Medienvertrauen nimmt zu", lautet sie auf Dachzeilendeutsch. Sie nimmt weiter zu, müsste man genauer sagen, denn ein entsprechender Trend war schon vorher erkennbar.
Konkret: "Wie in den Vorjahren legen die Befunde nahe, dass das Vertrauen in die etablierten Medien im Zuge der 'Lügenpresse'-Debatte keineswegs in großem Stil erodiert ist", zitiert der Tagesspiegel das Fazit der Studie (deren Befunde es hier gibt). Die FAZ schreibt, insgesamt würden "mehr Menschen als in den vergangenen Jahren" Aussagen zurückweisen, "die den Medien absichtliche Manipulation und systematische Lüge vorwerfen". Die Zustimmung zur Frage, ob man "den etablierten Medien in wichtigen Fragen" vertraue, bleibe "seit nunmehr vier Jahren in Folge vergleichsweise konstant", heißt es bei der Uni Mainz, nämlich aktuell bei 43 Prozent.
Andererseits jedoch habe sich, heißt es in der Zusammenfassung der Universität, "ein relevanter Kern an Kritikern herausgebildet, der die etablierten Medien pauschal verurteilt. Dieser Kern ist zuletzt angewachsen, bei einer insgesamt seit Jahren zunehmenden Polarisierung, die sich klar in den Daten niederschlägt." Bei 43 Prozent, die ihr Vertrauen bekunden, gebe es zugleich "28 Prozent Misstrauen – ein Anstieg gegenüber dem langjährigen Trend (2016: 22 Prozent; 2017: 17 Prozent; 2018: 22 Prozent)." Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass "Menschen, die gegenüber den etablierten Medien zynisch eingestellt sind, sich überdurchschnittlich häufig am rechten Rand des politischen Spektrums befänden."
Was dagegen kleiner werde, sei "die Gruppe derjenigen, die beim Vertrauen eine mittlere Position einnehmen ('teils, teils')". Sie sei "so klein wie noch nie in den bisher sechs Umfragewellen der Mainzer Forschungsgruppe. Ihr Anteil beträgt nun 29 Prozent. Im Jahr 2018 waren es 34 Prozent, im Jahr 2008 noch 63 Prozent."
Und was ist mit den Öffentlich-Rechtlichen? Interessant sind auch hier die Entwicklungen über die Jahre. Zum einen stammt aus der Mainzer Langzeitstudie ein dieser Tage schon im Spiegel (€) genannter Wert: Elf Prozent der Deutschen würden angeben, "man könne dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr vertrauen". Dieser Wert, hieß es dort, habe sich hat sich seit 2016 "mehr als verdoppelt".
Zum anderen heißt es in der Universitätsmitteilung: "Das Vertrauen ins öffentlich-rechtliche Fernsehen ist seit Jahren recht stabil. In der aktuellen Erhebungswelle vertrauen ihm 67 Prozent der Bevölkerung (2018: 65 Prozent, 2016: 69 Prozent)."
Es ist also beides zu sehen: nicht sinkende Vertrauens- und steigende Misstrauenswerte. Das im Kopf zu behalten, ist sicher nicht verkehrt – schon deshalb nicht, weil zum Thema Medienvertrauen, das auch eine politische Dimension hat, immer mal wieder übertrieben große Thesen kursieren. Focus Online (Gastautor: Gabor Steingart) textete noch Ende Januar etwa: "Der Journalismus ist weltweit unter Feuer, auch und insbesondere in Deutschland. Alle Studien zum Vertrauen in die Medien sprechen eine deutliche Sprache." Aber das stimmt eben gerade nicht: Insbesondere in Deutschland sind sie ambivalent. Und die Studien werden auch gewiss nicht deutlicher dadurch, dass Steingart ausgerechnet den "Berliner Medien-Professor" Norbert Bolz mit einer Klage über "Gesinnungsjournalismus" zitiert.
Langfristig gesehen ist das Medienvertrauen hierzulande "relativ stabil". (Zur Veranschaulichung: eine Grafik der LMU München von 2016, in die sich die neuesten Vertrauensdaten der Mainzer Forscher allerdings einfügen).
Altpapierkorb (Meşale Tolu, "Merz gegen Merz", Personalia)
+++ "Weil ich nicht an ein gerechtes Urteil glaube, wird es sich nicht besonders auf mich auswirken, wie es ausfällt. Selbst wenn ich freigesprochen werde, wird mir keine Gerechtigkeit widerfahren sein. Ich will nur, dass das alles endet", sagt die deutsche Übersetzerin und Journalistin Meşale Tolu in einem taz-Interview. Der Prozess gegen sie in der Türkei "ist abermals vertagt worden. Die Verhandlung soll nun am 14. Juli weitergehen. Das teilte Tolu am Dienstag via Twitter mit", berichtet die FAZ via epd. Tolu, die wegen ihrer Arbeit für eine Nachrichtenagentur in der Türkei monatelang in Haft saß und derzeit bei Schwäbisch Media volontiert, hat auch selbst einen Text für die Schwäbische Zeitung (€) geschrieben.
+++ Merz I: Ein Merz hat es nicht leicht. Es sind nicht nur "Zwei gegen Merz", es ist nicht nur die "Union gegen Merz", nein, es heißt sogar wieder "Merz gegen Merz": "Pünktlich zum Osterfest fliegen wieder die Fetzen im Hause Merz", hieß es gestern bei DWDL. Die zweite Staffel der ZDF-Comedyserie läuft jedenfalls zu einem, wie sich nun herausstellt, interessanten Zeitpunkt.
+++ Merz II: "Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz stellen sich vor und Hauptstadtjournalisten plus angeschlossene Twitterblase deuten Schweißperlen und Tonlagen, fallen über Versprecher und Unbedachtheiten her, mit der Gewissheit, dass es sie selbst nicht treffen kann." Schreibt Lenz Jacobsen bei Zeit Online in einem Kommentar, in dem es dann allerdings nicht um einen Versprecher von Friedrich Merz geht, sondern um eine erstaunlich klare Antwort, die er nicht hätte geben müssen.
+++ Es fehlt nicht an Personalnews aus Chefredaktionen und Unternehmensleitungen: Bei Bild hört jemand auf, zum Freitag kommt jemand zurück, an der Disney-Spitze wird ausgetauscht…
Neues Altpapier kommt am Donnerstag.
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