Das Altpapier am 5. Dezember 2019 Toxische Schocks
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05. Dezember 2019, 12:26 Uhr
Uwe Steimle ist kein Märtyrer und der MDR nicht die DDR: Von der Brisanz einer Trennung. Die Ermittlungen im Mordfall Caruana Galizia gehen voran und nehmen einen Umweg über Frankreich. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Nach immer wieder aufköchelnden Diskussionen, vor allem im vergangenem Sommer, trennt sich der MDR (bei dem ja auch das Altpapier erscheint) jetzt von dem Schauspieler und Kabarettisten Uwe Steimle. Seine Sendung “Steimles Welt“ soll im nicht mehr so fernen 2020 nicht weitergeführt werden. Einen Überblick gibt‘s u.a. bei der FAZ, der Welt und dem RND. Via Twitter teilte Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi gestern mit:
“Wiederholt hat Uwe Steimle in öffentlichen Äußerungen die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt, so etwa 2018 in einem Interview mit der Jungen Freiheit. (…) Mit seinen neuerlichen öffentlichen Vorwürfen gegen den MDR wegen mangelnder Loyalität des Senders ihm gegenüber ist nun der Punkt erreicht, der eine weitere Zusammenarbeit für uns unmöglich macht.“
Über das erwähnte Interview schrieb Philipp Greifenstein Ende Juni in einer genaueren Betrachtung von Steimles bisherigen Äußerungen bei Übermedien:
“Uwe Steimle, Kabarattist und ehemaliger 'Polizeiruf‘-Kommissar, hat der rechten Wochenzeitung 'Junge Freiheit‘ ein Interview gegeben, das für Aufsehen sorgt. 'Die Wahrheit ist eben, dass wir keine eigene Politik haben, weil wir ein besetztes Land sind‘, sagt er darin. Dass Deutschland kein souveräner Staat und, wie Steimle meint, bis heute 'Besatzungsgebiet der USA‘ sei, ist eine aus der Reichsbürger-Szene und von der 'Querfront‘ bekannte Verschwörungstheorie.“
Und:
“So verunglimpft er bereits seit 2016 Marietta Slomka vom 'heute journal‘ als 'Marionetta Slomka‘ (zuerst in der Sendung 'SchleichFernsehen‘ im Bayerischen Rundfunk). Im Interview mit der 'Jungen Freiheit‘ ergänzte Steimle nun: 'Inzwischen weiß jeder, daß etwa Atlantikbrücke-Mitglied Claus Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist‘. Karl-Eduard von Schnitzler präsentierte im Fernsehen der DDR die Sendung 'Der Schwarze Kanal‘, in der Meldungen des Westfernsehens propagandistisch kommentiert wurden.“
Im Netz ist nach der Entscheidung des MDR nun teilweise von DDR-Methoden die Rede. Das Ende von “Steimles Welt“ wird teilweise auch als ultimativer Beweis gehandelt, dass Meinungsfreiheit in Deutschland ein Relikt aus grauer Vorzeit sei, wie Steimle es auch selbst mehrfach andeutete, wenn er die Zustände in Deutschland mit denen in der späten DDR verglich. Im Februar 2018 entzog ihm der Verein Friedensdekade deshalb nach Protesten und Populismusvorwürfen die Schirmherrschaft über die Ökumenische Friedensdekade.
In einem “Zapp“-Beitrag nach dem Interview mit der Jungen Freiheit aus dem Juni wurde die Zwickmühle des MDR beschrieben:
“Der Sender kann in dieser Situation nur verlieren: Kündigt er die Zusammenarbeit mit Steimle auf, gibt er den Rechten (…) Futter.“
Und Joachim Huber formulierte es im Oktober beim Tagesspiegel (siehe auch Altpapier) so:
"Trennt sich der MDR vom Satiriker, so wird er dem Argument Vorschub leisten, dass missliebige Mitarbeiter im 'Staatsfernsehen' keine Chance haben - sie werden abgewickelt. Bleibt Steimle, bekommt der Sender von der anderen Seite Druck."
Heute stellt Huber auch die Frage:
“Warum hat er (der MDR, Anm. Altpapier) Steimles Treiben so lange zugesehen und reagiert jetzt? Offensichtlich verstand sich die ARD-Anstalt bei Uwe Steimle als Besserungsanstalt und den Programmauftrag als Erziehungsauftrag. Das ist schiefgegangen, genährt wurde Steimles Opferhaltung, aktuell befördert wird die gängige Haltung, man dürfe seine Meinung in diesem Land nicht mehr sagen.“
Dabei geht es in diesem Fall nicht nur um Meinungs- und Kunstfreiheit oder deren angebliche Abwesenheit (laut nach ihr zu schreien und passt halt gerade gut in virulente Narrative und bringt viel Aufmerksamkeit). Im Fall Steimle schadet auch ein Blick auf das etwas schnödere und weniger öffentlichkeitswirksame Arbeitsrecht nicht. (Ja, das würde ich hier auch so schreiben, wenn unsere Kolumne auf einem anderen Portal erscheinen würde.)
Schon 2011 im Zuge der Diskussion, was Arbeitnehmer über ihre Arbeitgeber öffentlich und vor allem in diesem Neuland namens Social Media äußern dürfen, schrieb der Arbeitsrechtler Ulf Weigelt auf eine Leserinnenfrage bei Zeit Online:
“Grundsätzlich gilt: Seien Sie kein Idiot, denken Sie mit. Kommentare, die den Arbeitgeber bloßstellen oder herabwürdigen oder das Ansehen des Arbeitgebers schädigen, sollten unterlassen werden. Der Unmut über das Arbeitsklima gehört auch nicht in öffentliche Foren, sondern sollte arbeitsrechtlich ausgetragen werden. (...) Unternehmensschädliche Aussagen im Internet sind immer eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen mit den dann folgenden arbeitsrechtlichen Maßnahmen.“
In diesem Fall ist das Ganze natürlich besonders brisant, weil es nicht um irgendeine Bäckerstube geht, in der rufschädigender Kram über die Chefin oder die Kollegen in anderen Filialen verbreitet wird, sondern weil mit dem MDR selbst ein Kommunikationskanal im Mittelpunkt steht und dazu noch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die sämtlichen gesellschaftlichen Gruppen verpflichtet ist.
Dafür, dass man bei sachlicher Kritik an der Umsetzung des Staatsferne-Gebots bei den Öffentlich-Rechtlichen von selbigen nicht sofort rausgeschmissen wird, dafür ist das Altpapier übrigens ein gutes Beispiel, wie ein Blick in unser Archiv zeigen dürfte.
Umweg Frankreich
Ein Ort an dem Artikel 5 tatsächlich in Bedrängnis geraten ist rückt seit einiger Zeit wieder verstärkt in den Mittelpunkt: Malta. Die Reporter ohne Grenzen verklagen nun drei mutmaßliche Schlüsselfiguren im Mordfall Daphne Caruana Galizia (siehe z.B. Altpapier von Montag). Dabei nehmen sie einen Umweg über Frankreich. Naja, vielleicht ist es auch eine Abkürzung, nachdem was in den zwei Jahren seit dem Mord in Malta passiert ist, bzw. nicht passiert ist.
ROG schlägt dafür jetzt den Weg über die französische Finanzverwaltung und die Staatsanwaltschaft in Paris ein. In einer Klage, die laut der Organisation am Dienstag eingereicht wurde, wirft dem Geschäftsmann Yorgen Fenech und den mittlerweile zurückgetretenen maltesischen Ministern Keith Schembri und Konrad Mizzi “Beihilfe zum Mord sowie Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit“ vor:
“Weil die Mörder womöglich mit Geld aus dem französischen Besitz eines der mutmaßlichen Drahtzieher bezahlt wurden, muss jetzt die Justiz in Frankreich helfen, die Wahrheit herauszufinden. Entscheidend für die Pressefreiheit nicht nur in Malta, sondern in der ganzen EU ist, dass alle Auftraggeber und Mittelsmänner, alle Tatbeteiligten und Mitwisser an diesem Mord endlich zur Rechenschaft gezogen werden.“
Fenech besitzt in Frankreich ROG zufolge ein Hotel und einen Rennstall. Am Mittwoch wurde der Geschäftsmann außerdem von einem Zeugen vor dem Gericht in Valletta schwer belastet. Laut Zeit Online sagte er aus,
“dass ihn Fenech beauftragt habe, Mörder zu finden, um die Journalistin zu töten. Dafür habe er ihm einen Umschlag mit 150.000 Euro Bargeld gegeben. Fenech zögerte dem Zeugen zufolge dann noch einmal, entschied aber im Juni 2017, dass die Tat ausgeführt werden solle. ‚Er sagte mir 'Sag ihnen, sie sollen das durchziehen, ich will Daphne töten'‘, sagte der Zeuge bei einer Verhandlung gegen die mutmaßlichen Attentäter.“
Ausführlich nachzulesen ist das u.a. auch bei der Times of Malta. Ebenfalls bei der Zeit kommentiert Holger stark: Malta liege “derzeit mit einem toxischen Schock in der Notaufnahme: Korruption hat das Land bis zur Dysfunktion seiner Staatsorgane vergiftet.“ Trotz der Ermittlungserfolge sieht z.B. der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold keine Besserungen in anderen Bereichen. Es gebe aber weiterhin “zahlreiche Hinweise auf Korruption und Finanzkriminalität (…) und dort wird praktisch nicht ermittelt und es kommt praktisch nie zu Verurteilungen", sagte er nach einem zweitägigen Besuchs von EU-Parlamentariern auf Malta im ZDF-Morgenmagazin. Wobei man Worte wie “nie“ oder “immer“ ja grundsätzlich eher mit Vorsicht genießen sollte.
Altpapierkorb (Russisches Mediengesetz, Überwachung bei TikTok, Investigativ-Team verlässt BamS)
+++ Bei netzpolitik.org hat Arne Semsrott im E-Auto-Gesetz eine Hintertür entdeckt, die Ausnahmen beim Informationsfreiheitsgesetz zulassen könnten: “Damit kann das Finanzministerium künftig etwa Besprechungen der Länderfinanzbehörden zu Milliarden-Skandalen wie Cum-Ex geheim halten. (…) Die Gesetzesänderung wurde unterdessen still und heimlich durch die Hintertür eingeführt. Nicht einmal in der Gesetzesbegründung, die eigentlich den wesentlichen Inhalt des Gesetzes erläutern müsste, findet man einen Verweis aufs Informationsfreiheitsgesetz. Sie führt lediglich aus, dass Sitzungen von Finanzgremien einen 'freien, vertrauensvollen Austausch aller Beteiligten‘ bräuchten und deswegen geheim bleiben müssten.“
+++ Die Ministerpräsidentenkonferenz soll heute den neuen Medienstaatsvertrag beschließen. Nach den Texten bei FAZ und SZ von gestern (siehe Altpapier) blicken u.a. auch Welt und Tagesspiegel auf die anstehenden Neuerungen.
+++ Für die SZ hat Matthias Eberl den Datenverkehr von Tiktoks App und Webseite mitgeschnitten und ausgewertet. Neben der Frage, ob die Tagesschau mit ihrem neuen Auftritt dort (siehe Altpapier) an der Erhebung und Weitergabe der TikTok-Daten mitwirkt oder davon profitiert gelangt er in dem lesenswerten Text u.a. zu folgender Erkenntnis: “Die Analyse der Datenströme zeigt, dass TikTok in seiner Logik kein Überwachungsnetzwerk aus dem kommunistischen Politbüro ist, sondern einem sehr westlichen, kapitalistischen Konzept folgt.“ Viele weitere Infos gibt‘s in der intensiven Berichterstattung bei netzpolitik.org.
+++ Das Investigativ-Team der BamS geht: Kayhan Özgenc, Jan C. Wehmeyer und Lars Petersen wechseln im Januar zum Business Insider, berichtet Horizont.
+++ Deutschlandradio vs. Unitymedia: Nach sieben Jahren gibt‘s eine Einigung im Streit um Einspeiseentgelte für Radioprogramme, berichtet die FAZ (dpa).
+++ ZDF steigt beim IRT (Institut für Rundfunktechnik) aus. Die Themensetzung des Instituts sei von der Aufgabenstellung her nicht mehr so zeitgemäß, wie sie viele Jahre war, berichtet die Süddeutsche über die Begründung des ZDF. Da kommen natürlich auch Gedanken an den Skandal um entgangene Patentrecht-Einnahmen von 100 bis 200 Millionen Euro auf. “Der Patentrechtsstreit ist nicht der Grund für den Ausstieg, aber er hat er hat bei der Abwägung schon auch eine Rolle gespielt", sagte ZDF-Sprecher Alexander Stock der SZ
+++ Putin hat in Russland ein neues Mediengesetz erlassen, berichtet u.a. der Standard. Journalistinnen und Blogger können damit als “ausländische Agenten“ eingestuft werden: “Schon seit 2012 werden in Russland politisch tätige Organisationen, die ganz oder teilweise aus dem Ausland finanziert werden, dazu gezwungen, sich als 'ausländische Agenten‘ registrieren zu lassen. Seit 2017 gelten die Vorgaben auch für Medienunternehmen. Mit dem neuen Gesetzesentwurf wird die Regelung nun auch auf Einzelpersonen ausgeweitet.“
+++ Renate Künast hat einen Mini-Erfolg gegen Hasskommentatoren erzielt. Bei Heise berichtet Axel Kannenberg: “Der Kurznachrichtendienst Twitter darf demnach Auskunft über einen Nutzer geben, der der Politikerin in einem Tweet ein unwahres Zitat zugeschrieben hatte. Wie das Landgericht Berlin am Mittwoch nach einer Beschwerde von Künast weiter mitteilte, habe die Abgeordnete für andere vier beanstandete Tweets kein Recht auf Auskunft.“
+++ Über das Protestmagazin der Demonstranten im Irak, Tuk Tuk, berichtet Heba Alkadri bei der taz. Von Pressefreiheit könne man vor Ort nicht wirklich sprechen, sagt ein Redaktionsmitglied. Das Magazin soll eine Informationslücke schließen “die die irakischen Massenmedien hinterlassen haben.“ Es gebe keine wirkliche Medienberichterstattung über die Protestbewegung in der irakischen Presse – nicht so, dass die Demonstranten sich angemessen abgebildet sähen.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.
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