Das Altpapier am 14. November 2019 In der Manege

15. November 2019, 07:34 Uhr

“Dumm“, “dämlich“, “doof“, und “dümmlich“ waren gestern die Lieblings-Vokabeln der AfD um Journalist:innen zu beschreiben: Man kann die Show nach der Brandner-Abwahl als Selbstentlarvung der Partei lesen, aber auch als Selbstbestätigung. Youtube ändert seine Nutzungsbedingungen: Brauchen die Video-Produzent:innen dort eine Gewerkschaft? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Es hörte sich teilweise etwas an, wie eine hängengebliebene Schallplatte, was sich da gestern nach der Abwahl von AfD-Mann Stephan Brandner aus dem Rechtsausschuss im Bundestag abspielte. Zwar würde ich den grundsätzlichen Nachrichtenwert der Verachtung, die Journalist:innen dort von den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel, Alexander Gauland und Brandner selbst entgegenschlug, eher als gering einordnen. Da wir aber ja kein Nachrichtenmedium sind, sondern eine Medienkolumne, tue ich mir schwer, das Thema auszulassen – obwohl man es vermutlich als gezielte Provokation betrachten kann. Also her mit dem Stöckchen und hopp:

Auf die Frage von RND-Redakteur Markus Decker, wie groß der Antisemitismus sein müsse, bis Gauland mulmig werde, folgte die Szene (hier von Phoenix festgehalten), die Sie wahrscheinlich alle schon gesehen haben (ab 4:44). Um die volle Pracht der allergischen Reaktion gegen kritische Fragen aufzuzeigen, kommt hier ein schriftlicher Zusammenschnitt. Im Hintergrund von Gaulands Verteidigung der “Judaslohn“-Äußerung Brandners sagte Weidel folgendes:

“Was ist das für eine dumme Frage?!“

“Was ist das für eine dumme Frage?!“

“Was für eine dumme Frage. Meinen Sie das ernst?“

“Ganz ehrlich, das zeugt von Nichtbildung. Das zeugt absolut von Nichtbildung. Was ist das für ne dumme Frage?“

Ich habe den Remix bei “Extra3“ oder der “Heute-Show“ schon im Ohr. Bei der zweiten Frage von Decker zur Nachbesetzung Brandners (“Wird es eine integre Persönlichkeit sein?“) ging der Reigen wieder von vorne los (ab 7:25):

Weidel: “Ooh, schon wieder so ne dämliche Frage.“

Gauland: “(…) Stellen Sie nicht solche Fragen!“

Weidel: “Also wirklich ziemlich dumme Fragen von Ihrer Seite!“

Brandner: “Was sind Sie denn für einer? Von welchem Verein sind Sie denn? (…) Vom Juristinnenbund wahrscheinlich.“

Abwertung eines Mannes mit dem Bezug zum Weiblichen – check. Und auch als die nächste Kollegin fragt, ob man Brandner zur Mäßigung hätte aufrufen müssen geht es weiter:

Weidel: “Schon wieder so ne doofe Frage.“

Weidel: “Mein Gott ist das alles dümmlich hier. Können wir das jetzt lassen? Oder kommen da noch mehr dumme Fragen?“

Kritische Fragen zum eigenen Verhalten werden als unberechtigt abgetan und die Fragesteller:innen beleidigt. Eigentlich keine Neuigkeit bei der AfD.

Unendliches Ballspiel

Im Prinzip hat die Partei sich mit dieser Schallplatten-Hänger-Performance mal wieder selbst entlarvt und ihre Geringschätzung von Meinungs- und Pressefreiheit demonstriert, indem alles, was nicht der eigenen Wahrnehmung entspricht, als “dumm“, “dämlich“, “doof“, und “dümmlich“ abgewehrt wurde – jedenfalls nach außen.

Bei der ganzen Chose ist nämlich auch anzunehmen, dass AfD-Anhänger die Situation nicht als peinliche Entgleisung, sondern eher als ein klares Statement gegen eine völlig voreingenommene Presse lesen. Das entsprechende Hashtag verwendete AfD-Pressesprecher Christian Lüth bei Twitter: #Lügenpresse.

Die Situation zeigt also mal wieder: Die Partei macht es sich so richtig bequem im Bau der eigenen Opferwahrnehmung (hier bei SpOn nochmal genauer analysiert) und dem bereitwilligen Ausfüllen dieser Rolle. Das zeigt auch Brandners Aussage in dem Video, nachdem er einmal seine Meinung gesagt habe, sei sofort sein Job weg. Wer noch ein paar Runden in der Meinungsfreiheits-Debatte drehen will, dem lege ich weitere Kolumnen aus den vergangenen Wochen ans Herz.

Während AfD und Medienvertreter:innen sich einen mit Vorwürfen der Einschränkung von Meinungsfreiheit, respektive Pressefreiheit gespickten Ball hin und her spielen, stellt sich mal wieder die Frage: Soll das wirklich die nächsten Jahre so weitergehen? Auf Provokation folgt ein Aufschrei, auf den Aufschrei eine weitere Provokation, Endloskreislauf, es grüßt die sich in den Schwanz beißende Katze…

Journalist:innen müssen Umgang damit finden. Die eine richtige Lösung gibt es wohl nicht. Vielleicht hilft aber der Gedanke, dass Medienmenschen in diesem Szenario nicht nur Beobachter und Berichterstatter sind, als die wir eigentlich auftreten. Wenn die AfD solche PKs live an die eigenen Anhänger streamt, stehen wir selbst in der Manege und werden ein Teil der Selbstinszenierung der Partei.

Youtube-Gewerkschaft in Sicht?

Was die Problematik verstärkt sind natürlich auch wirtschaftliche Mechanismen, denn so ein Tumult bringt natürlich auch Nachrichtenportalen Aufmerksamkeit, Klicks und damit Geld. Ganz zu schweigen von Plattformen wie Facebook, Google oder dessen Tochter Youtube, die von solch virulenten Beiträgen ebenfalls trafficwise profitieren. Diese Logik, so scheint es auf den ersten Blick, soll bei Youtube noch weiter befeuert werden, wenn dort ab dem 10. Dezember neue Nutzungsbedingungen gelten. Bei Golem schreibt Peter Steinlechner über die Änderungen:

“Darin findet sich erstmals eine Passage, die für Diskussionen sorgt: Das Videoportal behält sich nämlich das Recht vor, 'den Zugriff auf sein Konto zu beenden‘, wenn die 'Bereitstellung des Dienstes unwirtschaftlich‘ sei. Sprich: Wenn ein Kanal zu wenig oder keinen Profit für Youtube abwirft, kann er geschlossen werden. Die Entscheidung trifft das ebenso wie Google zur Holding Alphabet gehörende Unternehmen 'nach eigenem Ermessen‘.“

Youtube wiegelt erwartungsgemäß ab. Bei t3n zitiert Patrick Büttgen einen Youtube-Sprecher, der die Aufregung zu beruhigen versucht:

“Er erklärte, dass man einige Änderungen an den Nutzungsbedingungen vornehme, um deren Lesbarkeit und Aktualität zu verbessern. Weiter sagte er: ‚Wir ändern weder die Funktionsweise unserer Produkte noch die Art und Weise, in der wir Daten erfassen oder verarbeiten, noch Ihre Einstellungen‘, was man als teilweise Entwarnung verstehen und so interpretieren könnte, dass Youtuber nichts befürchten müssen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Youtube als wirtschaftlich denkendes Unternehmen von der Klausel Gebrauch machen wird.“

Bei Heise erklärt Simon Koenigsdorff außerdem:

“Tatsächlich finden sich ähnliche Formulierungen sowohl in der deutschen als auch der englischen Version bereits seit mehreren Jahren in den Nutzungsbedingungen, teilweise schon seit 2015. Der Sprecher betonte auch, man habe die Nutzungsbedingungen lediglich lesbarer gemacht und auf den aktuellen Stand gebracht. ‚Diese Änderungen haben keine Auswirkungen darauf, wie unsere Dienste funktionieren, wie wir mit Inhaltserstellern zusammenarbeiten, oder auf deren Rechte an ihren Werken oder an Monetarisierung.‘ Auf Twitter stellte ein offizieller Youtube-Account außerdem klar, dass sich die Passage nicht auf das Kündigen einzelner Kanäle beziehe, sondern Youtube nur die Möglichkeit offenhalte, bestimmte Features einzustellen.“

Wie auch immer die Plattform letztendlich mit den Änderungen umgeht: Die Situation illustriert mal wieder das Abhängigkeitsverhältnis, in dem Contentlieferanten zu Youtube stehen. Und selbst wenn Rezo verschiedenste Kolleg:innen hinter sich vereinen kann: Eine Art offizieller Zusammenschluss oder Gewerkschaft wäre sicher hilfreich, um in solchen Schockmomenten nicht ganz so ausgeliefert zu sein.

“Tatsächlich finden sich ähnliche Formulierungen sowohl in der deutschen als auch der englischen Version bereits seit mehreren Jahren in den Nutzungsbedingungen, teilweise schon seit 2015. Der Sprecher betonte auch, man habe die Nutzungsbedingungen lediglich lesbarer gemacht und auf den aktuellen Stand gebracht. 'Diese Änderungen haben keine Auswirkungen darauf, wie unsere Dienste funktionieren, wie wir mit Inhaltserstellern zusammenarbeiten, oder auf deren Rechte an ihren Werken oder an Monetarisierung.‘ Auf Twitter stellte ein offizieller Youtube-Account außerdem klar, dass sich die Passage nicht auf das Kündigen einzelner Kanäle beziehe, sondern Youtube nur die Möglichkeit offenhalte, bestimmte Features einzustellen.“

Wie auch immer die Plattform letztendlich mit den Änderungen umgeht: Die Situation illustriert mal wieder das Abhängigkeitsverhältnis, in dem Contentlieferanten zu Youtube stehen. Und selbst wenn Rezo verschiedenste Kolleg:innen hinter sich vereinen kann: Eine Art offizieller Zusammenschluss oder Gewerkschaft wäre sicher hilfreich, um in solchen Schockmomenten nicht ganz so ausgeliefert zu sein.


Altpapierkorb (AfD im RLP-Medienausschuss, KKR & Springer, Kontext Wochenzeitung, Berliner Verlag will nicht zum BDZV)

+++ Der Landtag in Rheinland-Pfalz hat diese Woche ebenfalls einen AfD-Mann abgewählt: Joachim Paul ist dort nun nicht mehr Vorsitzender des Medienausschusses, berichtet z.B. Zeit Online.

+++ Die EU-Kommission gibt ihr Go zum KKR-Einstieg bei Springer, berichtet Horizont per dpa-Meldung.

+++ Ein Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter zieht erneut gegen die Kontext Wochenzeitung vor Gericht. Im Mai 2018 wurde er namentlich genannt und Zitate aus Facebookchats mit rechtsextremen Inhalten veröffentlicht, schreibt die Redaktion: “Denn wir sind der Meinung, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, zu erfahren, was in den Köpfen vor sich geht, die für die AfD im Hintergrund arbeiten. Und weil wir es als unsere journalistische Pflicht ansehen, dabei Sachverhalte und Personen klar zu benennen.“ Da Kontext sich durch Spenden finanziert, bringt der auf 260.000 Euro angesetzte Streitwert das Blatt in Bedrängnis.

+++ Das neue Inhaberpaar des Berliner Verlags, Silke und Holger Friedrich, will dem Bitkom beitreten, nicht dem BDZV, berichtet Horizont:

+++ Die Financial Times hat zum ersten Mal eine Chefredakteurin, Roula Khalaf. “Schon 1995 war sie als Nordafrika-Korrespondentin zu der Zeitung gekommen. Zuvor war die Absolventin der Columbia University in New York beim Magazin 'Forbes‘ tätig. In Jordan Belforts autobiografischem Buch 'Der Wolf der Wall Street‘ wird sie als 'freche‘ Reporterin zitiert, die dem betrügerischen Börsianer auf die Schliche kam“, schreibt Philip Plickert bei der FAZ.

+++ Die Bravo erscheint nur noch monatlich, berichtet der Standard. Dafür gibt’s Dr. Sommer jetzt als Podcast.

+++ Einblicke in ihr Selbstverständnis als People-Journalistin gibt Gala-Chefreporterin Hendrikje Kopp beim Fachjournalist.

+++ Über die neue Serie der Narcos-Macher, “Goodfather of Harlem“, urteilt Patrick Heidemann bei der Süddeutschen: Hat Wumms, ist ihm aber etwas zu seifenoperig. Forest Whitaker darin den Mafia-Boss Ellsworth 'Bumpy' Johnson: “Statt von sich prostituierenden Junkie-Töchtern oder einer tragischen jungen Liebe zwischen einer Mafia-Tochter und einem Musiker zu erzählen, hätte sich Godfather of Harlem besser auf seinen Protagonisten und die spannende Schnittstelle zwischen organisiertem Verbrechen und Bürgerrechtsbewegung konzentriert.“

Nachtrag: Erste Ansätze in Richtung Gewerkschaft gibt es schon, danke für den Hinweis @publictorsten.

Die IG Metall und die YouTubers Union engagieren sich mit der FairTube-Initiative gemeinsam gegen Intransparenz und wollen u.a. eine unabhängige Schlichtungsstelle für Konfliktfälle, klare Ansprechpartner bei Youtube bzw. Google und eine Art Youtuber-Beirat. Torsten Kleinz gibt bei Heise einen Überblick über die bisherigen und die geplanten Protest-Methoden.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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