Das Altpapier am 07. Oktober 2019 Hinter den Horizonten geht's weiter
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07. Oktober 2019, 15:37 Uhr
Müsste Facebook als öffentlicher oder gar "öffentlich-rechtlicher" Raum betrachtet werden? Die Bild-Zeitung will nicht mehr als solche, sondern als Fernsehen "mit der Optik und Anmutung des YouTube-Zeitalters" erscheinen. Und "ARD und ZDF angreifen". Außerdem: "Sportbesoffenheit"
und Klimadebatten-Framing. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Gleich zwei wichtige Gerichtsurteile mit Internet- (und damit Medien-)Zusammenhang fielen vergangene Woche am Europäischen Gerichtshof. Vielleicht ist noch nicht in allen Bereichen restlos geklärt, ob EuGH-Urteile immer nationales Recht übertrumpfen. Doch die deutschen Was-mit-Internet- und Medien-Gesetze sind derart überkommen, dass sich die Frage da kaum stellt. Das eine der beiden Urteile erklärte "voreingestellte Ankreuzkästchen" zum allgemeinen Cookies-Akzeptieren für unzulässig und macht damit sozusagen § 15 Absatz 3 des deutschen Telemediengesetzes von 2007 überflüssig, wie der umtriebige Rechtsanwalt Christian Solmecke erläutert. Außerdem dürfte es "enorme Auswirkungen auf die Werbewirtschaft im Internet haben und könnte das Geschäftsmodell der personalisierten Werbung abseits von Login- und Abo-Diensten zum Wanken bringen".
Das andere Urteil könnte die "freie Meinungsäußerung ... Schiffbruch" erleiden lassen, wie Alexander Fanta in einem dramatisch illustrierten, in der Sache sorgsam abgewogenen netzpolitik.org-Kommentar ausführt.
Da ging es um Facebook, dem der EuGH "das globale Entfernen eines hetzerischen Posts gegen die österreichische Ex-Politikerin Eva Glawischnig" vorschrieb. Solch globales Entfernen unterscheidet sich vom sog. Recht auf Vergessenwerden, das ja ebenfalls der EuGH, jedoch allein fürs EU-Gebiet einführte. Worin Facebook in einer ersten Reaktion (golem.de/ dpa) die Gefahr erkannte, dass jetzt "ein Land seine Auslegung der Meinungsfreiheit ... einem anderen Land aufzwingen" könne. Außerdem muss Facebook dem EuGH zufolge "sinngleich" formulierte Hetze entfernen. Da hat das Gericht offenbar Uploadfilter im Sinn. Auch das erweise sich als Problem, kommentiert Brüssel-Korrespondent Fanta:
"Der Ruf nach Entfernung sinngleicher Inhalte eröffnet zudem ein sprachliches Problem: Eine 'miese Volksverräterin' ist von der Tonlage gehässig und bösartig, doch lassen sich mitunter Formulierungen finden, die sinngleich sind, ohne notwendigerweise ehrenrührig zu sein. Was, wenn das Post Glawischnig als 'üble Überläuferin' beschimpft hätte? ... Wer darüber entscheidet, was sinngleich ist und was nicht, der schwingt sich zum Gericht über die Meinungsfreiheit auf."
Facebooks an meist unbekannten Orten schwer beschäftigte und schlecht bezahlte Löschkräfte, von denen öffentlich kaum mehr bekannt ist, als was einzelne investigative Dokumentationen ans Licht befördern, würden so weiter zu einer – global wirksamen – Gerichtsbarkeit aufsteigen. Zwar erarbeitet die nächste EU-Kommission einen "Digital Services Act". Aber erst mal arbeitet sie daran, überhaupt antreten zu können. Und sehr viel geholfen haben EU-Initiativen bislang ja nicht:
"Wie mit dem öffentlichen Charakter privater Infrastruktur umgegangen werden soll, dafür gibt es allerdings noch keine tragfähigen Konzepte."
Was Fanta umkreist, wurde in Österreich gerade so deutlich ausgesprochen wie wohl noch nie:
"Facebook muss ein öffentlich-rechtliches Medium sein",
zitiert der Standard Armin Thurnher, den Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung Falter. In der Diskussionsveranstaltung mit dem Titel "Welche Medien braucht Österreich?", an der auch der Generaldirektor des selber öffentlich-rechtlichen ORF teilnahm (und die übrigens via Facebook gestreamt wurde), sprang nicht dieser, sondern die Geschäftsführerin der Nachrichtenagentur APA, Karin Thiller, dem Verleger mit einem beherzten "Google, Amazon, Facebook sind Weltregierungen. Es geht nicht, dass das in privater Hand ist" zur Seite.
Einerseits spielt international natürlich keine große Rolle, was die Österreicher fordern. Schon weil in weiten und wichtigeren Teilen der Welt – dort, wo Facebook seinen Sitz hat, und dort, wo Wirtschaft und Bevölkerung viel schneller wachsen – die alt-west/mitteleuropäische Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weder sehr geläufig noch beliebt ist. Und darüber, ob ihre Vorzüge gerade positiv ausstrahlen, ließe sich ja auch diskutieren. Andererseits ist Österreichs Horizont damit der deutschen Diskussion, in der Facebook ja noch nicht einmal als "Medium" gilt (schon, weil das alle geltenden Gesetze obsolet machen würde), weit voraus.
Was die Bild-Zeitung im Fernsehen plant
Die deutschen Öffentlich-Rechtlichen sind verbale Angriffe durchaus gewohnt. Demnächst will auch ein neuer Wettbewerber "ARD und ZDF angreifen". So fasst der epd die Pläne zusammen, die Julian Reichelt, der Oberchefredakteur von Springers Bild-Medien, im Spiegel-Interview (€, 75 Cent bei Blendle) zu den vorige Woche angekündigten kombinierten Spar- und Investitions-Plänen des Konzerns (Altpapier) äußert.
Im Interview geht's kontrovers, aber auch unterhaltsam zur Sache:
SPIEGEL: "Wie soll Ihr Senderslogan lauten?"
Reichelt: "Vielleicht: Zeigen, was ist?"
SPIEGEL: "SPIEGEL TV gibt es aber schon."
Reichelt: "Es ist ein Unterschied, ob man es sich an die Wand schreibt oder ob man es umsetzt. ..."
Reichelt erscheint ganz versessen aufs Fernsehen ("noch immer der größte Massenmedienmarkt in Deutschland", "besonders emotionales Medium"), aber auf "eines mit der Optik und Anmutung des YouTube-Zeitalters". Die schärfste Angriffs-Erklärung steckt im Anspruch, "das Land, die Welt, die Politik und den Alltag der Menschen so (zu) zeigen, wie es die Leute erleben, und nicht so steril und weichgespült wie teilweise bei den Öffentlich-Rechtlichen". Konkret bezieht sich Reichelt da sowohl auf Berichterstattung vom Amazonas, über den öffentlich-rechtliche Reporter aus Hotelzimmern, aber nicht aus dem "brennenden Regenwald" selbst berichtet hätten, als auch über den "Schwertmörder von Stuttgart". Der Bild-Zeitung hatten ihre Berichte dazu zwar eine weitere folgenfreie Presserats-Rüge eingebracht, aber auch ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal. Ihr Chef argumentiert:
"Nachdem darüber in den überregionalen Nachrichten tagelang nicht berichtet wurde, ist auch bei den Öffentlich-Rechtlichen angekommen, dass darin politische Relevanz steckt. Aber es geht nicht nur um Kriminalität und Migration. Ich frage mich: Wo findet die Realität, die wir auf der Seite 2 von 'Bild' abbilden, im Fernsehen statt? Etwa, dass Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben, jetzt Flaschen sammeln müssen."
Tatsächlich haben sich die Nachrichtensendungen der beiden großen öffentlich-rechtlichen Sender-Familien weithin damit eingerichtet, aus ähnlichen bis identischen Perspektiven über ähnliche bis identische Themen zu berichten. Alle Bundesminister und erst recht Boris Johnson und Donald Trump können sich darauf verlassen, dass jede ihrer Äußerungen vorkommt. Über ebenfalls jeweils ähnliche Themen wird wenig bis nichts berichtet, etwa über Gewaltkriminalität, solange nicht Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien dazu vor die Mikros traten. Konkurrenz könnte ihr Fernseh-Nachrichtenjournalismus durchaus vertragen. Womöglich kann "ein Gegengewicht zu den Öffentlich-Rechtlichen" (so die dwdl.de-Zusammenfassung) die Vorzüge des öffentlich-rechtlichen Systems wieder stärker erstrahlen lassen.
Wenn das sogar die engen Fernseh-Freunde von dwdl.de so schreiben, heißt das außerdem, dass der Privatsender-Nachrichtenjournalismus keine Akzente setzt. Insofern schade, dass Spiegel-Interviewerin Isabell Hülsen zwar die Fülle der Fernsehsender vor Augen hat ("Es gibt RTL, n-tv, Sat.1 und Hunderte andere Sender. Jede royale Hochzeit wird bei ARD und ZDF übertragen ..."), aber überhaupt nicht nach dem Fernsehsender namens Welt fragt – also dem alten N24, das die andere Springer-Zeitung 2013 kaufte und umbenannte. Was der Sender mit dem (viiiiel zu) großen Namen so zeigt, hat das mit dem Fernsehen à la Reichelt gar nichts zu tun? Und wird im kostenbewussten Springer-Konzern überlegt, zur Verbreitung die Hülle des Senders zu nutzen, der ja auf den allermeisten Fernsehgeräten technisch zu empfangen ist?
Ansonsten fragt Hülsen durchaus scharf nach, etwa nach dem drohenden "Verlust von bis zu 200 Jobs" bei Springer, und beharrlich ("Es soll Politiker und Schauspieler geben, die lieber mit 'BamS' reden als mit 'Bild'") nach der Zusammenlegung der Redaktion der "krawalligen" Werktags-Bild und der "sonntagstauglichen" Bild am Sonntag. Worauf Reichelt den Niedergang des bewegtbildlosen Journalismus so unverblümt benennt ("Die Realität unserer Branche ist doch: Die Printerlöse schrumpfen rasant, im Digitalen wachsen wir zwar mit Paid Content, aber das ist weit entfernt von den Einnahmen, die eine so große Redaktion wie 'Bild' braucht"), dass durchaus möglich erscheint, dass das alte Gerücht, demzufolge die BamS (alter Werbe-Slogan: "... hat mehr Bums") jemals etwas anderes als die Werktags-Ausgaben der Bild-Zeitung gewesen sei, doch bloß ein werblicher Spin des Springer-Verlags für jene Jahre war, als Print-Einnahmen noch flossen.
Was im selben Zusammenhang auch noch mal Beachtung verdient (und in Stefan Winterbauers meedia.de-Wochenrückblick erfuhr): das Süddeutsche-Interview mit Friede Springer, Mathias Döpfner sowie Johannes Huth, dem Deutschland-Chef des neuen Springer-Großaktionärs KKR von vor drei Wochen.
Schließlich hat KKR mit klassischem Fernsehen zwischen Günter Jauch und der GfK inzwischen sehr viel am Hut, wie im Juli schon mal an dieser Stelle stand. "Wenn es aber Möglichkeiten gibt, dass Beteiligungen zusammenarbeiten können, werden wir das natürlich fördern", sagte Huth damals zur SZ. Tagesaktuell hat nun dwdl.de den Chef der deutschen Fernseh- und Filmgeschäfts von KKR interviewt (das inzwischen den Namen Leonine trägt und online mit einem umgestoßenen Popcorn-Becher vor Medienabspielgeräten auftritt). Was sagt Fred Kogel auf die Frage "Wie eng vernetzt sind Ihre Aktivitäten mit dem, was KKR bei und mit Axel Springer vor hat?"
"Beide Aktivitäten werden bei KKR vom gleichen Team gemanagt, das ist ja bekannt. Generell haben die beiden Investments aber nichts miteinander zu tun. Natürlich ist Axel Springer für uns ein potentieller Kunde wie alle anderen Player im deutschen Medienmarkt auch."
Lieber und wortreicher schwelgt Kogel im anglofonen Manager-Jargon ("Content, und zwar hochwertiger Content, wird zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und auf jedem Device konsumiert. ... Um den steigenden Content-Bedarf decken zu können, braucht es die richtigen Talents, denn Content ist nicht einfach Content"). Aber über "Mega-Trends", die "die Dinge irreversibel veränder(n)" redet Kogel im selben Zusammenhang ebenfalls, und das fundiert. Gut möglich jedenfalls, dass Manager-getriebene Trends und die öffentlichen Rahmen, in denen ihre Folgen sich dann zeigen, sich noch schneller und weiter auseinander entwickeln als bisher schon.
Altpapierkorb (Sportbesoffenheit, Klimadebatten-Framing, Radio-Täuschungen, trimedialer Triathlon, "unheilige Allianz aus Internetkonzernen und Verlagsbranche", Netflix' "Public Policy")
+++ Ein bisschen ungerecht ist ja schon, ARD und ZDF ausgerechnet dann "allgemeine Sportbesoffenheit" vorzuwerfen, wenn sie mal Anstrengungen von Mittelstreckenläuferinnen und Speerwerfern würdigen statt bloß jeden Robert-Lewandowski-Torschuss in sieben in Zeitlupen aus fünf Perspektiven zu wiederholen. Doch Hans Hoff (dwdl.de) versucht eine kleine Aufmerksamkeitsökonomie der Ablenkungsmanöver aus der Fernsehsport-Strategie des Emirats Katar ("tiefstes Mittelalter, nur eben mit sehr viel Geld") zu entwickeln: "Gib der Medienmeute etwas, das du auf lange Sicht eh nicht verschweigen kannst, und wenn sie doch an den Kern ran wollen, schmeiß ihnen einen weiteren leckeren Brocken hin, an dem sie zu kauen haben. So etwas beherrscht selbst Donald Trump, der in einem Moment der Bedrängnis plötzlich Grönland kaufen will und damit alle Schlagzeilen an genau diesen Quatsch bindet. ... Wenn man sich ein bisschen auskennt mit der Aufmerksamkeitsökonomie in Redaktionen der Breitenmedien, dann weiß man, dass sich mit vier Skandalen im Abklingbecken die Lust auf Nachschub erheblich mindert. Irgendwann ist halt die heiße Luft raus." Vor dem Hintergrund, dass Katar ja nicht nur Ausrichter der WM ist, sondern über die Be-In-Mediagroup, den 29-größten Medienkonzern der Welt (Altpapier), auch Inhaber und Verkäufer der Senderechte, ist das durchaus spannend.
+++ Während der Tagesspiegel sehr knapp die Studie "Should journalists campaign on climate change?" vorstellt, befasst sich die taz mit "medialem Framing in der Klimadebatte" und besonders dem "Stigmawort" "radikal", das am besten durch Schlagzeilen wie "Haben wir in der Vergangenheit zu radikal gelebt?" umgedreht werden sollte.
+++ Ein "Täuschungsfall beim Radio", von dem Daniel Bouhs bei uebermedien.de berichtet, sei "kein zweiter Relotius"-Fall, sagt Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien. Dennoch kommt Name gleich dreimal in den ersten beiden Absätzen vor. Außerdem für zahlende Kunden enthalten: eine sehr umfangreiche Umfrage, wie öffentlich-rechtliche Sender "sich jetzt schützen wollen". +++ Ebd. frei online zu haben: René Martens' "Jahrbuch Fernsehen"-Artikel "Von der ARD zur AfD: Journalisten, die den rechten Rand bevölkern".
+++ Die SZ-Medienseite bringt heute eine so große wie empathische Reportage aus dem trimedialen Newsroom des Bayerischen Rundfunks: "Die Idee dahinter ist, dass nicht mehr jede Redaktion, jedes Regionalstudio, das Fernsehen und die Radiosender jeweils für sich arbeiten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wechselt das Publikum am Smartphone längst ständig zwischen Social Media, Video, Zeitungs- und Podcastapp. Was für die Nutzer so einfach ist, ist für den BR ein Triathlon in den Disziplinen Neuorganisation der redaktionellen Arbeit, Neubau eines Mediencampus und Budgetkürzung ..."
+++ Man müsse sich "auf YouTube vom Gedanken verabschieden, dass Politiker und Parteien gesellschaftliche Debatten anstoßen", lautet ein Ergebnis einer SPON-Analyse von gut 230.000 Kommentaren, die im Juli und August auf den "30 beliebtesten politischen YouTube-Kanälen" Deutschlands veröffentlicht wurden.
+++ "Während die Verleger in der Urheberrechtsreform gegen Google lobbyierten, schlagen sie sich beim Datenschutz auf die Seite der Internetkonzerne. Seit Jahren arbeitet eine unheilige Allianz aus Internetkonzernen und Verlagsbranche in Brüssel gegen die ePrivacy-Reform" (noch mal Alexander Fanta zu EU- und Rechts-Fragen, nun in der taz).
+++ Netflix hat einen "Director Public Policy" für Deutschland, der sich "um die Beziehungen des Streaming-Anbieters zur Politik und zu den Medienaufsichtsbehörden ... kümmern" soll, berichtet die Medienkorrespondenz (in der auch noch mal steht, was Netflix nicht bekannt zu geben pflegt, z.B.: wie viele Abonnenten es in Deutschland hat).
+++ Ist das ZDF sportbesoffen? Ab November zeigt es wieder Boxen, berichtet der Spiegel in noch einem Medien-Artikel.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Dienstag.
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